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Ich werde die Bilder im Kopf nicht los

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Arena Verlag GmbHerschienen am07.01.2014
Leben fällt ihr schwer. So empfindet es Anna noch lange nach dem Missbrauch durch ihren Stiefvater. Nie hat sie jemandem davon erzählt. Bis sie eines Tages von ihrem besorgtem Umfeld zur Polizei gebracht wird und die Wahrheit aus ihr hervorbricht. Jetzt muss Anna alles erzählen, alles noch einmal durchleben. Und immer wieder fragt sie sich, ob sie irgendwann ein normales Leben wird führen können.

Anna B., geboren 1989, hat das Gymnasium besucht und nach dem Abitur eine Ausbildung in einer Pressestelle begonnen. Sie ist begeisterte Reiterin und lebt in der Nähe von Bonn. Mit 12 wurde sie das erste Mal von ihrem Stiefvater missbraucht. Mit 17 Jahren ist sie zu Hause ausgezogen, um von ihm wegzukommen. Erst Jahre später zeigt sie ihn an. In einem für Anna aufwühlenden und kräftezehrenden Gerichtsverfahren kommt es zur Verurteilung: Ihr Stiefvater muss für über zehn Jahre ins Gefängnis.
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Produkt

KlappentextLeben fällt ihr schwer. So empfindet es Anna noch lange nach dem Missbrauch durch ihren Stiefvater. Nie hat sie jemandem davon erzählt. Bis sie eines Tages von ihrem besorgtem Umfeld zur Polizei gebracht wird und die Wahrheit aus ihr hervorbricht. Jetzt muss Anna alles erzählen, alles noch einmal durchleben. Und immer wieder fragt sie sich, ob sie irgendwann ein normales Leben wird führen können.

Anna B., geboren 1989, hat das Gymnasium besucht und nach dem Abitur eine Ausbildung in einer Pressestelle begonnen. Sie ist begeisterte Reiterin und lebt in der Nähe von Bonn. Mit 12 wurde sie das erste Mal von ihrem Stiefvater missbraucht. Mit 17 Jahren ist sie zu Hause ausgezogen, um von ihm wegzukommen. Erst Jahre später zeigt sie ihn an. In einem für Anna aufwühlenden und kräftezehrenden Gerichtsverfahren kommt es zur Verurteilung: Ihr Stiefvater muss für über zehn Jahre ins Gefängnis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783401803371
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum07.01.2014
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1370679
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Die Anzeige

»Pro Jahr werden wegen sexuellen Missbrauchs 12000 bis 15000 Anzeigen erstattet. 92 Prozent der Opfer sind im Alter zwischen 6 bis 14 Jahren. Schätzungen von Experten gehen allerdings von 100000 bis 300000 Missbrauchsfällen pro Jahr aus - das bedeutet, dass nur jeder 7. bis 25. Fall angezeigt wird.«

Veit Schiemann, Pressesprecher Weißer Ring e.V.

Umständlich hantiert der dickliche Polizist an der kleinen Videokamera herum, die oben an der Decke hängt. Dann ruft er »Jetzt?« und lauscht hoffnungsvoll in den Flur. »Nee, noch immer nix!«, brüllt seine Kollegin aus der Technik zurück, die im Nachbarraum vor dem Monitor sitzt und darauf wartet, dass sie endlich das Kamerabild empfängt. Kommissar Krause verzieht genervt das Gesicht. Ich sehe ihm an, dass er am liebsten laut fluchen würde, sich aber zusammenreißt, weil ich ja hier sitze und ihn beobachte. Bemüht freundlich lächelt er stattdessen zu mir herüber, entschuldigend die Achseln zuckend, um sich dann weiter mit der Kamera zu beschäftigen. Dazwischen brummt er so aufmunternde Dinge wie »Gleich haben wir's!« oder so.

Mir egal, von mir aus kann er noch stundenlang weiter an dem Ding schrauben. Oder auch Tage. Oder mich am besten gleich nach Hause schicken.

Ich fühle mich elend. Unendlich grenzenlos elend. Klitzeklein, ausgeliefert und verloren. Ich versuche, ruhig zu atmen, weil ich mal gelesen habe, dass das in Stresssituationen helfen soll. Leider merke ich nichts davon. Am liebsten würde ich davonlaufen. Aber ich kann nicht. Zumindest habe ich das Gefühl, nun nicht mehr davonlaufen zu können. Was würde das auch bringen? Der Polizist wüsste eh, wo er mich findet. Meine ganzen Daten hat er ja schon â¦

Ich ärgere mich. Selbst schuld, dass ich hier sitze. Nur weil ich meine Klappe nicht halten konnte und geheult habe, als mein Ausbildungsleiter mich zum hundertsten Mal gefragt hat, was eigentlich mit mir los ist. Allerdings hat er diesmal nicht lockergelassen. Kein Wunder, ich seh wirklich schlimm aus: übersät mit blauen Flecken, meine Lippe aufgesprungen. Mein Ausbildungsleiter musterte mich lange, als er auf eine Antwort wartete. Dann hat er weitergebohrt und schließlich resigniert den Kopf geschüttelt, als er gesagt hat: »Anna, das kann so nicht weitergehen!« Und da habe ich plötzlich Panik bekommen. Sollte das heißen, dass er mir kündigen will, dass ich meine Ausbildung in der Pressestelle des Unternehmens nicht zu Ende machen darf? Erst habe ich ihn entsetzt angestarrt. Na, und dann habe ich geredet. Oder besser gesagt: geschrieben. Nicht viel, nur vier Worte: »Das war mein Stiefvater.« Meinem Chef war das genug, um mich sofort zur Polizei zu schleppen: »Du musst deinen Stiefvater anzeigen!«, hat er vorher noch gesagt. Und ich habe mich nicht getraut, ihn davon abzubringen. Erst hatte ich ein kurzes, unverbindliches Vorgespräch mit dem Polizisten, in dem er mir dringend riet, die ganze Sache zur Anzeige zu bringen. Und irgendwie erschien mir das in diesem Moment ganz logisch und richtig und deshalb habe ich Ja gesagt.

Nun sitze ich hier. In einem kleinen kahlen Büro. Lediglich in einer Ecke liegt ein bunter Spielteppich, auf dem ein paar Holztiere stehen und ein Stapel übergroßer Lego-Steine. Mir schnürt mein Hals zu. Hier sind wohl häufiger Kinder. Alles Misshandelte oder Missbrauchsopfer?

Unruhig rutsche ich auf dem unbequemen Stuhl hin und her. Ich fühle mich schrecklich! Kommissar Krause hat mich zu meiner ersten Vernehmung in diesen Raum gebracht. Meiner ersten! Das klingt, als würden noch weitere folgen sollen. Dabei weiß ich schon jetzt, dass ich nichts sagen werde. Ich kann nicht. Mein Körper kann nicht, mein Kopf kann nicht. Alles wehrt sich dagegen, die schmutzigen Worte in den Mund zu nehmen, die das beschreiben, was mein Stiefvater mir jahrelang angetan hat - schon bei dem Gedanken daran schüttelt es mich. Ich möchte nicht daran denken. Nie wieder! Ich will diese Bilder loswerden, sie endlich aus dem Kopf bekommen und nicht wieder heraufbeschwören und auch noch einem wildfremden Mann erzählen.

Schuld, Scham - ich weiß gar nicht, welches Gefühl stärker ist. Ich fühle mich so schmutzig, dass ich mir sicher bin, dass niemand mehr etwas mit mir zu tun haben wollte, wenn er Bescheid wüsste. Deshalb rede ich auch nicht darüber. Selbst meine beiden besten Freundinnen ahnen nichts. Sie wundern sich höchstens, warum ich manchmal so merkwürdig reagiere, wenn es um Jungs geht. Aber ich habe solche Angst, dass sie sich vor mir ekeln. Und Vorwürfe machen. Selbst wenn sie es nicht zugeben, dann zumindest denken: Warum hat sie sich denn nicht gewehrt? Das ist es, was ich mich auch selbst immer frage: Hätte ich mich mehr wehren können? Wäre mir dann alles erspart geblieben? Bin ich selbst schuld an meiner Geschichte?

Ich mustere den Beamten. Kriminalbeamter Martin Krause. Er tut so nett. Ganz verständnisvoll. Noch ist er das vielleicht auch. Aber wenn er gleich meine Geschichte kennt, wird er sicher auch sagen: »Du warst schließlich schon zwölf und kein Baby mehr!« Meistens glaube ich auch, dass ich mich als Zwölfjährige doch schon gegen einen erwachsenen Mann hätte wehren können - gegen meinen erbärmlichen Stiefvater.

»So, ich wäre dann endlich so weit«, sagt Krause nun, nachdem seine Kollegin aus dem Nachbarzimmer begeistert gerufen hat: »Es geht! Martin, es läuft!« An der Kamera blinkt sogar schon ein rotes Licht. Auch das noch! Ich bin wie erstarrt. Während der Kriminalbeamte noch ein paar Ordner auf dem Tisch beiseiteschiebt, erfragt er wie beiläufig meine Personalien. Obwohl er das doch alles schon weiß: Anna B., geboren am 12. Dezember 1989 in Bonn. Dann verschränkt er seine Hände. Kleine Hände. Harmlose Hände. Trotzdem beschleicht mich ein Hauch Panik: Du bist mit diesem Mann alleine im Zimmer. Die Tür ist zu. Die Panik verstopft kurzfristig meine Ohren und sticht in meinem Gesicht. Genau wie im Büro meines Ausbildungsleiters. Als das ganze Dilemma anfing. Dieses Dilemma, meine ich. Dass ich jetzt hier sitzen muss und über etwas reden soll, worüber ich seit zehn Jahren schweige. Schweige, schweige, schweige! Natürlich haben viele gemerkt, dass ich oft unkonzentriert bin, verheult aussehe, dass mein Körper mit blauen Flecken und wulstigen Narben übersät ist, von denen jeder ahnt, dass sie nicht durch diverse Unfälle entstanden sind, sondern dass ich sie mir teilweise selbst zugefügt habe. In einem Anfall von Selbstverletzungsdrang.

Ich atme tief ein. Martin Krause schaut mich erwartungsvoll an.

Krause: »Weshalb sind Sie heute hier?«

Ich: Schweigen.

Krause: »Ihr Ausbildungsleiter hat Sie begleitet. Ist etwas vorgefallen oder warum sind Sie hergekommen?«

Ich: »Nein. Also, ja.« Schweigen.

Krause: »Was denn? Womit hat es zu tun? Könnten Sie mir zumindest einen Anhaltspunkt geben?«

Ich: Schweigen.

Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 17. Juni 2011, 10 Uhr

Das Schweigen fällt mir nicht schwer. Es ist einfach da. Ich weiß, dass es manchen Leuten Stress bereitet, auf eine Frage nicht zu antworten und die Stille danach zu ertragen. Mir macht das nichts. Schon allein deshalb, weil ich keine Worte habe. Sie sind nicht in meinem Kopf. Stattdessen fühle ich, was der Polizist hören möchte. Ich fühle den ganzen Schmerz meiner Kindheit und Jugend. Permanent. Ich höre den schweren Atem meines Stiefvaters, rieche seinen Schweiß, spüre die Schmerzen, die er mir immer zugefügt hat. Höre meine Mutter im Nachbarzimmer, die genau gewusst hat, was ihr Mann mir gerade antut. Habe das Gefühl, den Boden unter mir zu verlieren. Wie früher. Kein Halt. Keine Chance zu entkommen. Und nicht mal eine Mutter, die mich beschützt. Ganz im Gegenteil. »Du kriegst das, was mir zusteht!«, hat sie mir manchmal vorgeworfen. Als ob ich das gewollt hätte! Als ob ich eine Wahl gehabt hätte!

Oder hätte ich die Wahl gehabt? Da ist es wieder: Ich hätte mich mehr wehren müssen!!! Ich bin so wütend auf mich selbst. So wahnsinnig wütend. Und enttäuscht. Und traurig. Und hilflos. Und verloren.

Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Wie immer. Kommissar Krause sieht mich einfach an und wartet. Dann ändert er seine Taktik.

Krause: »Sind Sie schon länger in der Ausbildung oder haben Sie gerade erst angefangen?«

Ich: »Seit Oktober 2010.«

Krause: »Und was haben Sie vorher gemacht? Sind Sie direkt von der Schule gekommen?«

Ich: »Nein. Ich habe 2008 Abi gemacht. Und danach.« Schweigen.

»Danach habe ich erst mal Pause gemacht.«

Krause: »Inwiefern Pause? Haben Sie zwei Jahre lang gar nichts gemacht oder haben Sie nebenbei gejobbt oder so etwas in der Art?«

Ich: Schweigen.

Krause: »Seit wann wohnen Sie denn nicht mehr zu Hause bei Ihren Eltern?«

Ich: »Gute Frage. Also offiziell umgemeldet habe ich mich direkt an meinem 18. Geburtstag. Aber ausgezogen bin ich eigentlich schon mit 17.«

Krause: »Wieso haben Sie sich dazu...
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Anna B., geboren 1989, hat das Gymnasium besucht und nach dem Abitur eine Ausbildung in einer Pressestelle begonnen. Sie ist begeisterte Reiterin und lebt in der Nähe von Bonn. Mit 12 wurde sie das erste Mal von ihrem Stiefvater missbraucht. Mit 17 Jahren ist sie zu Hause ausgezogen, um von ihm wegzukommen. Erst Jahre später zeigt sie ihn an. In einem für Anna aufwühlenden und kräftezehrenden Gerichtsverfahren kommt es zur Verurteilung: Ihr Stiefvater muss für über zehn Jahre ins Gefängnis.