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Mein Lollimädchen-Ich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Arena Verlag GmbHerschienen am28.04.2014
Um nicht länger für alle das Moppelchen zu sein, hört Christina auf zu essen. Mit 17 Jahren landet sie zum zweiten Mal in der Psychosomatischen Klinik; bei einer Größe von 1,73 m wiegt sie noch 33 Kilo. Zwei Wochen später hätte man ihr wahrscheinlich nicht mehr helfen können. Aber Christina will leben - und essen. Mutig und fesselnd dokumentiert sie ihren Kampf gegen die heimtückische Krankheit.

Christina Helms, Jahrgang 1989, wurde mit 14 Jahren magersüchtig. Sie litt vier Jahre unter der Krankheit. Inzwischen ist sie Studentin an der Universität Hamburg und lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Hamburger Vorort.
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Produkt

KlappentextUm nicht länger für alle das Moppelchen zu sein, hört Christina auf zu essen. Mit 17 Jahren landet sie zum zweiten Mal in der Psychosomatischen Klinik; bei einer Größe von 1,73 m wiegt sie noch 33 Kilo. Zwei Wochen später hätte man ihr wahrscheinlich nicht mehr helfen können. Aber Christina will leben - und essen. Mutig und fesselnd dokumentiert sie ihren Kampf gegen die heimtückische Krankheit.

Christina Helms, Jahrgang 1989, wurde mit 14 Jahren magersüchtig. Sie litt vier Jahre unter der Krankheit. Inzwischen ist sie Studentin an der Universität Hamburg und lebt gemeinsam mit ihrer Mutter in einem Hamburger Vorort.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783401803784
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum28.04.2014
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1407679
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

 

»Es gab einmal einen fürchterlichen Schneesturm bei uns. Kein Mensch ist freiwillig auf die Straße gegangen. Aber Tina und ich hatten einen solchen Heißhunger auf Salami-Pizza, dass wir uns durch die Schneewehen zum nächstgelegenen Supermarkt gekämpft haben. Das ist so die Geschichte, über die wir heute noch lachen, die Geschichte, die wir erzählen, wenn wir einfach zusammen lachen wollen.«

Lena, Tinas beste Freundin

Die wollen mich mästen!« Wütend stößt Leonie ihren Teller von sich. Weil ich ihr genau gegenübersitze, scheppert sie dabei mit Wucht gegen mein Saftglas, das prompt überschwappt. »Mensch, pass doch auf!«, blaffe ich sie an und versuche vorsichtig, mit der Serviette den Saft vom Tisch aufzuwischen. Damit bin ich dermaßen beschäftigt, dass ich gar nicht merke, wie Leonie plötzlich meinen Teller fixiert.

»Du hast viel weniger Erbsen als ich!«, stellt sie fest. Sie klingt leise. Fast bedrohlich. Dann reißt sie völlig überraschend und mit einem solchen Ruck mein Mittagessen an sich, dass die Erbsen beinahe vom Teller kullern. Glücklicherweise können der Kartoffelbrei und das Schnitzel sie bremsen - nur die braune Soße hinterlässt eine Kleckerspur bis hin zu Leonies Platz . . .

Fassungslos beobachte ich, wie sie jetzt tatsächlich damit beginnt, die Erbsen auf meinem Teller zu zählen. ». . . 48, 49, 50, 51, 52. Du hast nur 52 Erbsen.« Mit dieser Erkenntnis wird meine Mahlzeit schlagartig uninteressant, sodass ich sie wieder zu mir herüberziehen kann. Leonie widmet sich nun ihrem eigenen Teller, um zu überprüfen, ob ihr möglicherweise mehr Erbsen zugeteilt wurden.

»Du hast echt einen Vogel!« Ich schüttele den Kopf und drehe mich demonstrativ von ihr weg.

Dabei fällt mein Blick auf Maria, die den hysterischen Auftritt ihrer Sitznachbarin erstaunlicherweise überhaupt nicht beachtet. Sie ist nämlich gerade intensiv damit beschäftigt, nicht nur ihr Fleisch, sondern auch ihre Erbsen vor dem Essen durchzuschneiden. Gewissenhaft und hoch konzentriert trennt sie die Erbsen in zwei Hälften. Zwischendurch schiebt sie sie von der einen Seite des Tellers zur anderen - nur in den Mund steckt sie nichts.

Gestern gab es Makkaroni, auch die hat sie klein geschnitten, jede in zehn gleich große Teile. Das hat sie 40 Minuten lang durchgezogen. Erst zum Schluss hat sie widerwillig ein paar kleine Häppchen in den Mund geschoben, wobei man ihr den Ekel und die Überwindung, die sie das gekostet hat, ansah. Es wirkte, als würde sich der Essensbrei im Mund vermehren.

Wenn Maria so weitermacht, bekommt sie ganz sicher bald Flüssignahrung. Hochkalorisch. Und per Sonde, also mit einem Schlauch durch die Nase in den Magen. Der Horror für alle Magersüchtigen, vor allem, wenn nicht sie, sondern Ärzte und Erziehungsberechtigte die Entscheidung treffen, ob eine Magensonde nötig ist oder nicht. Es ist das letzte Mittel hier in der Klinik, um uns zum Zunehmen zu bringen.

Anna - rechts von Leonie - glotzt mich mit großen ausdruckslosen Augen an, während sie an ihrer Nuckelflasche lutscht und ihren Teller (Kindergeschirr mit irgendwelchen Tieren drauf) kaum beachtet. Das Geschirr passt perfekt zu ihrer Kleidung: Sie trägt ein knallbuntes T-Shirt mit albernen Hündchen drauf, Größe 152. Eine Kindergröße bei einer 17-Jährigen! Und damit prahlt sie sogar noch herum, als wäre es etwas Tolles, als Beinahe-Erwachsene in der Kinderabteilung einzukaufen.

Zugegeben: Ich kenne dieses Gefühl. Auch ich muss in der Kinderabteilung einkaufen, weil ich so konsequent abgenommen habe. Ich bin eben nicht so fett wie die meisten anderen Mädchen in meinem Alter.

Aber ab jetzt ist Schluss damit! Ich will nicht mehr dünn sein, will nicht mehr krank sein. Und trotzdem ertappe ich mich dabei, wie ich jetzt dasitze und kritisch Annas Oberarm mustere. Er ist wirklich sehr schlank. Schlanker als meiner?

Was aber zweifelsfrei feststeht und mich ein bisschen tröstet: Annas Oberarm ist viel stärker behaart als meiner. Das ist die sogenannte Lanugo-Behaarung. Diesbezüglich habe ich mehr Glück als Anna - und auch als die meisten anderen Mädchen in der Klinik. Bei mir wächst nur ein wenig hellblonder Flaum im Gesicht, ansonsten habe ich nirgendwo Haare, wo keine sein sollen. Dagegen sind die meisten meiner Mitpatientinnen an Rücken, Po, Bauch, Armen und Beinen mit feinen Härchen übersät. Angeblich bildet der Körper diese Behaarung, weil ihm das Fett als Wärmespeicher fehlt und er sich so - mit einer Art Pelz - vor der Kälte schützen möchte. Aber ich habe auch schon mal gehört, dass es an den verstärkt ausgeschütteten männlichen Hormonen liegt. Wie auch immer: Mein Körper tut mir einen pelzigen Rücken oder Bauch glücklicherweise nicht an.

Aber ist das wirklich Glück? Oder bin ich etwa keine gute Magersüchtige? Sind alle anderen vielleicht konsequenter als ich? Habe ich einfach doch noch zu viel gegessen?

Ein lautes Schluchzen am Ende des Tisches reißt mich aus meinen wirren Gedanken. Judith weint. Erst leise, dann etwas lauter: »Aber ich sehe die Kalorienmännchen! Wirklich, ich kann sie sehen!«

Die Therapeutin, die neben ihr sitzt, redet beruhigend auf sie ein: »Es gibt keine Kalorienmännchen.« - »Doch! Es sind böse Kalorienmännchen . . . Und die nähen auch nachts meine Klamotten enger«, beharrt Judith stur. Das Ende des Satzes bekommt sie kaum mehr heraus, so sehr schütteln sie ihre Tränen.

Es ist wie im Irrenhaus hier! Deshalb achtet auch keiner so richtig auf Leonie, die noch immer mit ihren Erbsen beschäftigt ist.

»Ich habe 50«, höre ich sie schließlich sagen. Kraftlos. Fast enttäuscht, weil sie zwei Erbsen weniger hat als ich. Nun hat sie keinen Grund mehr, sich ungerecht behandelt zu fühlen. Trotzdem macht sie weiter, sogar noch heftiger als zuvor: »Das esse ich nicht. Ich esse überhaupt nicht mehr.« Dann springt sie auf und rennt in Richtung Tür. Die Therapeutin stürzt ihr hinterher. Anna setzt erstaunt ihre Nuckelflasche ab, um den beiden nachzuglotzen, während Maria ungerührt weiter ihre Erbsen zerkleinert.

Nur Judith freut sich über die Ablenkung. Sie nutzt die Chance und entsorgt ihr Essen: Einen Teil des Kartoffelbreis schmiert sie einfach unter den Tisch, das Fleisch feuert sie hektisch in eine Ecke des Speisesaals. Die Soße nimmt sie mit dem Ärmel auf. Dann entspannen sich ihre Gesichtszüge.

Unsere Blicke kreuzen sich, Judith erkennt, dass ich sie beobachtet habe, und hebt leicht die Schultern an, so als ob sie sagen wolle: Da kann man nichts machen. Dann steckt sie widerwillig ein paar Erbsen in den Mund . . .

An solchen Tagen hasse ich mein Leben. Ich finde es unerträglich, ein Teil dieser Freakshow zu sein, in der ich mich so oft wie ein Fremdkörper fühle. Die meisten hier scheinen gar nicht zu merken, wie eigenartig sie sich verhalten. Ich lasse meinen Blick über die Mädchen gleiten, die mit mir am Tisch sitzen. Einige schielen zwischendurch zur Uhr. Es ist kurz vor zwölf, noch ein paar Minuten, dann sind alle erlöst. Wir haben exakt 40 Minuten, um zu essen. Einerseits ist es nervig, dass in der Klinik sogar die Essensdauer vorgeschrieben ist, andererseits würden einige von uns sonst mit Sicherheit ganze Tage vor ihren Tellern verbringen. Schließlich sind wir alle Mädchen, die sich trotz voller Kühl- und Speiseschränke zu Hause beinahe zu Tode gehungert haben. Wie absurd das ist!

Ein über Jahre gehender, quälender Selbstmord. Und viele hier scheinen absolut nicht bereit zu sein, ihr Hungern aufzugeben.

Ich schiebe mir eine Gabel Kartoffelbrei in den Mund. Ich habe keine Lust, meiner Therapeutin nachher stundenlang zu erläutern, warum ich nicht alles aufgegessen habe. Und ich will ja auch zunehmen, wenigstens ein bisschen . . .

Sobald die Mittagszeit beendet ist, werden wir nach draußen in den Garten gescheucht. Dort sollen wir noch eine Stunde zusammensitzen. Wie jedes Mal nach dem Essen. Heute gibt mir das den Rest. Was soll ich hier? Ich gehöre nicht zu den Bulimikerinnen, die sich nach jeder Mahlzeit den Finger in den Rachen schieben, um alles wieder auszukotzen. Für die mag diese Form der Kontrolle nötig sein, ja. Aber für mich? Missmutig setze ich mich auf den äußersten Rand einer Holzbank und starre vor mich hin, sehne mich nach meinem Zimmer, meiner Decke, Musik und Ruhe.

Judith bleibt mit rot geweinten Augen vor mir stehen: »Tina, ich sehe wirklich die bösen Kalorienmännchen. Sie lachen, wenn ich esse. Sie freuen sich über meine Schwäche.« Ich blicke auf und nicke ihr verständnisvoll zu. Zwar sehe ich keine hämisch grinsenden Kalorienmännchen, aber ich weiß, was sie meint, kenne das Gefühl von Schwäche, wenn man isst, wenn man seine Beherrschung aufgibt, die Kontrolle verliert. Und plötzlich bin ich doch wieder ganz froh, hier zu sein. Weit weg von zu Hause, in einer Spezialklinik für Essstörungen irgendwo in Bayern. Tröstend rücke ich für Judith ein bisschen zur Seite und nehme sie in den Arm. Ich spüre ihren knöchernen Körper und ekele mich dabei vor...
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