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Vergiss Paris

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am05.10.20091. Auflage
Ein Mann, eine Frau, ein Verbrechen aus Leidenschaft. Der Architekt Konrad Walbaum entdeckt seine ehemalige Geliebte Carla unter Passanten am Potsdamer Platz. Die Liaison liegt 15 Jahre zurück. Aber kann das wirklich der Grund dafür sein, dass Carla ihn nicht mehr erkennt? Konrad stellt ihr nach, doch Carla bleibt spröde. Über ihr Leben erfährt er nicht viel. Carla hat gute Gründe für diese Zurückhaltung: Sie hat einen Mord auf dem Gewissen und ist dafür ins Gefängnis gegangen. Doch seit sie Konrad wiedergetroffen hat, scheint ihr, als habe sie den Falschen getötet.

Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)
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Produkt

KlappentextEin Mann, eine Frau, ein Verbrechen aus Leidenschaft. Der Architekt Konrad Walbaum entdeckt seine ehemalige Geliebte Carla unter Passanten am Potsdamer Platz. Die Liaison liegt 15 Jahre zurück. Aber kann das wirklich der Grund dafür sein, dass Carla ihn nicht mehr erkennt? Konrad stellt ihr nach, doch Carla bleibt spröde. Über ihr Leben erfährt er nicht viel. Carla hat gute Gründe für diese Zurückhaltung: Sie hat einen Mord auf dem Gewissen und ist dafür ins Gefängnis gegangen. Doch seit sie Konrad wiedergetroffen hat, scheint ihr, als habe sie den Falschen getötet.

Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104001326
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2009
Erscheinungsdatum05.10.2009
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse897 Kbytes
Artikel-Nr.1433284
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


II


Im letzten Nachmittagslicht fährt Konrad zu dem kleinen Platz, an dem das Antiquitätenlädchen liegt. Dass er weder sein Auto verstecken, noch sich an den Laden heranschleichen muss wie ein heimlicher Attentäter, erfüllt ihn mit Freude. Längst ist er entschlossen, von neuem in Carlas Leben einzudringen. Er ist eingeladen, redet er sich ein, er wird erwartet. Um die Vorfreude auszukosten, bleibt er eine Weile vor der Auslage stehen. Nicht, dass ihn die beiden verschlissenen perlenbestickten Handtäschchen, die dort liegen, interessierten - oder die Ohrringe von zweifelhafter Qualität, Modeschmuck aus den Fünfzigern, wie auf einer kleinen Karte zu lesen ist. Konrad gefällt die Vorstellung, dass Carla ihn bemerken und ungeduldig auf sein Eintreten warten wird. Vielleicht wird sie sogar befürchten, er könne umkehren, weil ihn ihre Auslage nicht anspricht. Aber als er die Tür aufstößt, ist der Verkaufsraum leer. Warum hat er nicht von außen durch die Scheibe gespäht, gesehen, dass sie nicht da ist und gewartet, bis sie wieder erscheint? Jetzt steht er wohlvorbereitet auf einer Bühne, vor der kein Publikum sitzt. Ein Schauspieler ohne Stichwort. Ein sich selbst überlassener Alleinunterhalter.

Natürlich kann er rufen, aber bei seinem Eintreten hat eine Glocke geschellt, und jeder, der sich im hinteren Raum aufhält, wird sie gehört haben. Tatsächlich schlüpft Carla nach wenigen Sekunden durch den Vorhang, der die beiden Räume trennt. Dass Konrad in der Zwischenzeit wie hypnotisiert auf diesen Vorhang gestarrt hat, wird ihm erst klar, als er ihren irritierten Blick sieht.

»Ich dachte schon, es wäre niemand da.«

»Doch, ich bin hier.« Carla lächelt. Immerhin. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«

»Wir haben letztens auf dem Weihnachtsbasar miteinander geredet. Ich habe mich für Ihre Salzstreuer interessiert. Aber Sie haben mir abgeraten und gesagt, in Ihrem Geschäft gäbe es Besseres.«

Hat er das wirklich so gesagt? Es klingt, als bete er einen auswendig gelernten Text herunter. Und so ist es tatsächlich. Während der ganzen Fahrt hat er sich diese Sätze überlegt.

»Warum eigentlich?«, würde jetzt Gesine fragen.

Dass Carla ihn auf dem Basar nicht erkannt hat, war ein Schock, der noch nachwirkt. Ein Erlebnis, das Konrad unter keinen Umständen wiederholen will. Es ist wichtig, sich gleich mit den ersten Sätzen richtig in Erinnerung zu rufen. Noch lieber würde Konrad ohne Worte erkannt werden. Wenn schon nicht als ehemaliger Liebhaber, dann zumindest als der unschlüssige Gesprächspartner vom Weihnachtsmarkt. Dass Carla ihn zum zweiten Mal wie einen Fremden empfängt, trifft Konrads Selbstwertgefühl empfindlich. Um so dankbarer ist er, als sie sich endlich erinnert.

»Natürlich, jetzt weiß ich wieder. Es war so dämmrig in der Reithalle, ich habe Sie nicht gleich erkannt. Sie wollten etwas Silbernes für Ihre Schwester, stimmt´s?«

Er nickt und fühlt ein dämliches Glück.

Carla mustert ihn prüfend, als könne sie an seinem Gesicht ablesen, was seiner Schwester gefallen wird. Konrad steht still. Ruhig erwidert er ihren Blick. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem Carla ihn erkennen wird. Erkennen muss. Als einen Teil ihres Lebens. Ihrer Vergangenheit. Carlas intimste Koseworte für ihn schießen Konrad durch den Kopf. Und er meint, jedes einzelne dieser Worte in Carlas Augen wiederzufinden. Er fühlt, wie er errötet.

»Kommen Sie!«

Carla winkt jetzt nicht nur mit den Augen, sondern auch mit der Hand, und lotst ihn vor eines der hinteren Regale. Konrad folgt ihr willenlos. Carla riecht wie damals. Pfirsiche und Himbeeren.

Sie lächelt ihn an und zeigt auf ein Fischbesteck. Messerklingen und Gabeln sind fein ziseliert, in dem angelaufenen Silber ist ein Monogramm zu erkennen.

»Wie heißt Ihre Schwester?«

»Gesine.«

»Ich meinte den Familienamen.«

Das ist die Gelegenheit, um alles aufzuklären. Gesine trägt zwar den Namen ihres Mannes, und den kennt Carla gewiss nicht, aber nichts wäre natürlicher, als ein Versprecher seinerseits. »Walbaum«, müsste er sagen, und das Versteckspiel hätte ein Ende.

Aber spätestens jetzt, mit Carlas Duft in der Nase und dem Glanz ihrer Haare vor Augen, erliegt Konrad der Versuchung, die Zeit zurückzudrehen. Warum nicht alles noch einmal von vorn erleben? Wenn Carla ihn schon nicht erkennt, dann wird sie sich auch nicht an die Dinge erinnern, die er ihr angetan hat. Oder, um es zutreffender zu formulieren: an die Dinge, von denen sie glaubt, dass er sie ihr angetan hat.

»Breitenbach«, antwortet Konrad und greift gleichzeitig nach einem der Messer, um das Monogramm zu mustern.

Carlas Reaktion kommt mit Verzögerung.

»Gesine Breitenbach«, wiederholt sie und beugt sich über seine Hand, die das Messer hält, als solle Konrad ihr Gesicht nicht sehen. Er weiß nicht, was ihn mehr verwirrt, Carlas Atem auf der Haut seiner Hände oder ihre Reaktion. Sie ist überrascht, vielleicht schockiert. Sie reagiert, als habe er gerade seinen eigenen Namen genannt, Walbaum statt Breitenbach gesagt, denn nur diesen Namen kann sie kennen.

Jetzt fährt Carla sanft mit einem Finger über die Gravur des Messers. Ihre Hand streift Konrads Arm.

»Ich glaube, das da ist ein P, und darüber ein D. Da aber beide Buchstaben fast zur Deckung kommen, könnten sie auch als ein einziger durchgehen. Und das wäre dann ein B.« Carla hebt den Kopf und sucht Konrads Blick. »B wie Breitenbach. Wenn das kein Zufall ist.«

»Vielleicht ist es keiner.«

Konrad führt den freien Arm um Carlas schmalen Körper und nimmt eine Gabel aus dem Besteckkasten. In der anderen Hand hält er immer noch das Messer. Carla rührt sich nicht. Ein argloser Fisch auf dem Teller eines allzu hungrigen Mannes. Die Zeit bleibt stehen. Dann zieht Carla den Atem deutlich hörbar durch die Nase ein, greift mit beiden Händen gleichzeitig nach Konrads Armen und schiebt sie auseinander wie zwei Klapptüren. Eine energische Bewegung, mit der sie den magischen Moment zerstört.

»Und? Haben Sie sich entschieden?«

»Ich nehme das Besteck. Sie haben nicht zu viel versprochen. Meine Schwester wird sich freuen.«

»Okay. Aber ich muss es noch putzen.«

»Nicht nötig. Ich gebe es meiner Haushaltshilfe.«

»Aber nein. Das Besteck ist nicht ganz billig. Würden Sie dreihundert Euro dafür bezahlen?«

Konrad nickt. Er hätte auch bei dreitausend Euro genickt.

»Na sehen Sie. Dafür können Sie auch die volle Leistung verlangen. Sie bekommen es geputzt oder gar nicht.«

»Wie lange dauert das?«

»Ich könnte gleich anfangen. Haben Sie vielleicht hier in der Umgebung noch etwas zu erledigen? In einer halben Stunde bin ich bestimmt fertig.«

»Das passt gut. Dann gehe ich zur Bank und hole das Geld. Es ist Ihnen bar vielleicht lieber, oder?«

»Wenn es Ihnen keine Mühe macht.« Sie lächelt mit geschlossenen Lippen.

»Keine Sorge. Also bis gleich.«

Er verlässt den Laden, steigt in sein Auto und fährt in die nächste Seitenstraße. Außer Sichtweite des Schaufensters parkt er den Wagen von neuem. Das Geld in seiner Jacketttasche würde für drei Bestecke reichen, er war schon am Morgen beim Automaten. Die halbe Stunde Aufschub nutzt Konrad zum Nachdenken.

Als er nach vierzig Minuten das Geschäft wieder betritt, empfängt ihn ein hell erleuchteter Verkaufsraum. Konrad duckt sich unwillkürlich, bezieht die veränderte Beleuchtung auf sich, denkt, Carla habe sich nun doch erinnert und wolle ihn gründlich anschauen. Aber es geht ihr um das Silber, sie dreht und wendet die Besteckteile im Licht.

»Sehen Sie nur, wie plastisch das Relief geworden ist.«

»Das Besteck ist mehr wert, als die dreihundert Euro, die Sie gefordert haben.«

»Nein, der Preis geht in Ordnung. Ich muss das wissen, ich habe es erst vor einigen Wochen einer Kundin abgekauft. Die Gewinnspanne stimmt.«

Carla steht sehr nah vor Konrad. Es ist ein Einbruch in seine Intimsphäre. Immer ein gutes Zeichen. In diesem Fall ein besonders gutes. Er erinnert sich genau, wie empfindlich Carla auf die körperliche Nähe anderer Menschen reagierte und dass sie diese Nähe mied, wo sie nur konnte. Konrad verwirft alle komplizierten Pläne, die er im Wagen geschmiedet hat, legt die dreihundert Euro auf den Verkaufstisch und erklärt:

»Nehmen Sie dies als Anzahlung. Und eine Einladung zum Abendessen als zweite Rate.«

»Nein«, antwortet sie, ohne seine Intimsphäre zu verlassen.

»Doch, ich bestehe darauf. Wie lange sind Sie am Freitag hier im Geschäft?«

»Bis sieben. Warum?«

»Ich hole Sie ab und führe Sie aus.«

Carla schweigt.

»Oder haben Sie an dem Abend schon etwas anderes vor?«

»Das nicht, aber ich finde das Ganze ein bisschen unangemessen, schließlich ... «

Sie lässt den Satz unvollendet und lächelt ihn an. Ihre Lippen öffnen sich, die Vorderzähne stehen immer noch schief. Fast hätte er Carla in den Arm genommen. Aber er beschränkt sich auf einen knappen Abschied.

»Okay, dann bis Freitag. Ich freue mich.«

Carla nickt, drückt ihm die Schachtel mit dem Besteck in die Hand und schiebt ihn zur Tür. »Ja, bis Freitag.« Sie stockt, und erst, als Konrad den Laden schon verlassen hat, ruft sie ihm quer über den kleinen Platz hinterher: »Auf Wiedersehen, ich freue mich auch.«

Ich bin nicht Carla Salina, will es nicht sein, nicht heute Abend. Ich muss mich neu erfinden, alles an mir, nicht nur das Äußerliche. Aber damit fängt es an. Ich bediene mich aus Nadjas Schrank, greife zu Farben, die ich aufdringlich, Schnitten, die ich gewagt finde. Ich bin zu früh im Laden, mein Herz klopft. Ich fürchte mich vor dem Abend.

Und ich muss...
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Autor

Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)