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Gegen das Licht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am14.06.20101. Auflage
Wenn sich auch nur einer erinnert, ist es einer zuviel Stefanie Plessen hat es geschafft. Sie ist beruflich erfolgreich und ein angesehenes Mitglied der Berliner Gesellschaft. Doch dann sieht sie sich beim Besuch einer Vernissage mir ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Liebe, Verrat und Schuld, alles vereint in einer einzigen entlarvenden Fotografie. Bisher fühlte Stefanie Plessen sich sicher, aber jetzt weiß sie, dass es einen Zeugen gegeben hat.

Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)
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Produkt

KlappentextWenn sich auch nur einer erinnert, ist es einer zuviel Stefanie Plessen hat es geschafft. Sie ist beruflich erfolgreich und ein angesehenes Mitglied der Berliner Gesellschaft. Doch dann sieht sie sich beim Besuch einer Vernissage mir ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Liebe, Verrat und Schuld, alles vereint in einer einzigen entlarvenden Fotografie. Bisher fühlte Stefanie Plessen sich sicher, aber jetzt weiß sie, dass es einen Zeugen gegeben hat.

Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104006390
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum14.06.2010
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse889 Kbytes
Artikel-Nr.1437660
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Amsterdam

Mai 1999


Nicolas verlässt den Bahnhof, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wie in Trance läuft er durch die fremden Straßen.

Immer wieder, seit etlichen Jahren, hat er Stadtpläne von Amsterdam studiert, um sich die Geographie einzuprägen. Den ersten dieser Pläne hat er während des Studiums fleckig und angestoßen in einer Only-one-Dollar-Kiste vor der Tür einer Bostoner Buchhandlung entdeckt. Seitdem weiß Nicolas, dass der Henriette Ronnerplein im Süden der Stadt liegt. Der Weg vom Bahnhof dorthin ist lang, will man ihn zu Fuß zurücklegen. Denn die Straßen von Amsterdam sind nicht auf dem Reißbrett entstanden, wie so viele Straßen amerikanischer Städte. Im Gegenteil. In unberechenbar spitzem Winkel stoßen sie aufeinander, winden sich um Kanäle herum oder schlängeln sich an ihnen entlang. Amsterdam ist eine Stadt, in der man sich verlaufen muss.

Und Nicolas verläuft sich. Drei oder vier Stunden lang irrt er durch den Stadtkern, bis er endlich in die Außenbezirke gelangt. Natürlich hätte Nicolas nach dem Weg fragen können. Oder er hätte in dem ganz neuen Stadtplan nachschauen können, den er am Vormittag im Bahnhof gekauft hat. Oder er hätte sich einem Taxifahrer anvertrauen können. Aber Nicolas sieht nicht nach, er fragt niemanden, und er vertraut auch niemandem. Nicolas ist wie besessen von einer bestimmten Idee. Mit dem Verlassen des Bahnhofs hat sie ihn erfasst, und sie lässt ihn nicht mehr los, sie wird im Gegenteil immer stärker und gewinnt eine überzeugende Macht.

Das Auffinden der Straße ohne fremde Hilfe, der Sieg seines Gedächtnisses und seines Orientierungsvermögens über die fremde Stadt, über ihre spitzwinkligen und unübersichtlichen Straßenzüge, dies soll die Nagelprobe sein. Wird Nicolas den Sieg erringen, wird es ihm gelingen, den Henriette Ronnerplein ohne fremde Hilfe zu finden, so wird er auch bei seiner eigentlichen Mission vom Glück begünstigt sein.

Er wird auf das Haus stoßen, das er sucht. Hochgiebelig und schmal. Oder behäbig und breit. Düster und verfallen. Oder geranienbegrünt und gut erhalten. Neben der Haustür ein Messingschild. Frisch geputzt und glänzend. Oder fleckig und vernachlässigt. Van Daalen, dieser Name wird auf dem Schild stehen. Nicolas wird die Klingel darunter betätigen, er wird die Glocke im Inneren des Hauses läuten hören und mit klopfendem Herzen warten.

Wer könnte ihm öffnen? Ein junges Mädchen, lächelnd, mit einem wippenden Pferdeschwanz? Vielleicht spricht sie gebrochen Deutsch. Dann wird sie ihn hereinbitten und ihm erklären, Nicolas van Daalen, der Mann, nach dem er sich erkundigt, sei einer ihrer Großonkel gewesen, sie selbst habe ihn nicht mehr kennengelernt. Aber gerade weil sie nur brüchig überlieferte Erinnerungen an diesen entfernten Onkel hat, wird sie sich anstecken lassen von Nicolas´ Neugier. Sie wird ihm einen Tee anbieten und ihn bei seinen Nachforschungen unterstützen.

Doch vielleicht spricht das junge Mädchen gar kein Deutsch? Bereitwillig, aber hilflos wird sie ihn mustern.

Nicolas versucht, andere Passanten zu belauschen, um sich in den Rhythmus der fremden Sprache einzuhören, ihre geheimen Regeln zu erforschen und den Sinn der Reden zu verstehen, die allenthalben an seine Ohren dringen. Man sagt, das Holländische habe Ähnlichkeit mit dem Deutschen, und die deutsche Sprache ist immerhin die Sprache seiner Mutter. Warum also öffnen sich seine Ohren nicht endlich für die angeblich so ähnlichen Klänge? Liegt es daran, dass er eben kein native speaker ist, dass er eben nicht in Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen ist? Sollte die englische Sprache genauer in ihrer Aussage sein, sollte es nicht auf die Sprache der Mutter, die einen geboren hat, eben die Muttersprache ankommen, sondern nur auf die Sprache des Landes, in das man von dieser Mutter hineingeboren worden ist? Sollte nur diese eine Sprache einem ihre geheimen Schatzkammern öffnen, in denen die Bedeutungen der Bedeutungen schlummern?

Was also wäre, wenn das Mädchen ihn freundlich lächelnd in einem unverständlichen Holländisch begrüßte? Sein Anliegen ist kompliziert genug, wie soll er es zusätzlich zu den anderen Schwierigkeiten auch noch über eine Sprachbarriere hinüberretten?

Vielleicht aber ist die Frau, die ihm öffnet, gar nicht jung und freundlich. Vielleicht ist sie gebückt vom Alter und hat ihre Erinnerungen längst dem Vergessen anheimgegeben. Selbst dass sie das Deutsche verstehen, es sogar leidlich sprechen kann, wird ihm dann wenig helfen. Möglicherweise will oder kann sie keine Auskunft geben. Nur, dass sie die zweite und letzte Frau von Nicolas van Daalen gewesen sei, könnte sie ihm, diesem fremden Nicolas, sagen. Aber schon die Tatsache, dass ihr Mann, der erste Nicolas, damals, in unsicheren Zeiten, in den Vereinigten Staaten gewesen ist, übergefahren mit einem Schiff, entzöge sich ihrer Kenntnis. Zu dieser Zeit sei sie doch selbst noch ein junges Mädchen gewesen. Sie habe mit ihren Eltern in Rotterdam gewohnt, nein, sie wisse nichts.

Vielleicht steht auch gar keine Frau in der Tür, vielleicht öffnet ein hagerer Mann, aufrecht und drahtig, ein ehemaliger Offizier. Allein die Tatsache, dass Nicolas deutsch spricht, wird ihn misstrauisch stimmen. Obwohl er mühelos all jene Auskünfte geben könnte, nach denen Nicolas verlangt, wird er ihn abweisen, barsch, in hartem Holländisch. Sein Tonfall wird jede Übersetzung überflüssig machen und keinen Raum für Zweifel an dem Sinn seiner Worte aufkommen lassen.

Als Nicolas den Henriette Ronnerplein endlich findet, ist es schon Nachmittag, und er ist müde und hungrig. Die ungewissen Hoffnungen, alle angespannten Erwartungen werden von dieser eigentümlichen Enttäuschung verdrängt, die sich einstellt, wenn man ein Ziel zu lange verfolgt hat, um sich an dessen Erreichen noch freuen zu können.

Langsam läuft Nicolas durch die so beharrlich gesuchte Straße. Trostlos graue Häuserfassaden reihen sich aneinander, breit, flachgiebelig, alterslos. Und nur die in regelmäßigen Abständen aufragenden Schornsteine markieren die Grenzen zwischen Häusern, die alle gleich aussehen. Jedes von ihnen hat drei Stockwerke, die Wohnungen können nicht groß sein, denn seitlich der Treppenaufgänge befinden sich jeweils nur zwei Fenster mit braunen und schmucklosen Rahmen. Nur selten unterbricht eine Gardine oder eine hinter den Scheiben lebende Topfpflanze die Gleichförmigkeit.

Das Haus Nummer 17 unterscheidet sich in nichts von seinen Nachbarn. Sechs Namen stehen auf dem Klingelbrett. Brouwers, de Boer, Kaya, Alpan, ten Keyser und Sarioglu. Der Name van Daalen findet sich nicht. Nicolas tritt einige Schritte zurück und mustert noch einmal die Hausnummer, um sich zu überzeugen, dass es wirklich dieses Haus ist, nach dem er so lange gesucht, an dem sich seine Phantasie seit Jahren entzündet hat.

Enttäuscht wendet er sich ab und geht auf die andere Straßenseite. Dort liegt verlassen ein Spielplatz. Wahrscheinlich haben die Mütter ihre Kinder längst zurück in die Wohnungen geholt, denn der Himmel ist drohend bewölkt, und es klatschen erste Tropfen zu Boden.

Nicolas setzt sich auf ein Schaukelbrett und betrachtet die schier endlose Reihe einförmiger Bauten. Die blinden Fensterlöcher starren zurück auf den Eindringling. Wider Erwarten erscheint ein einzelnes Kind auf dem Spielplatz. Es ist ein Mädchen, eine kleine Türkin oder Armenierin. Sie trägt ein dünnes Kleid und Sandalen, ihre Haare sind nass. Als Nicolas sie anspricht, läuft sie weg.

Nicolas beginnt zu schaukeln. Er lässt seinen Oberkörper weit nach hinten fallen. Während er mit Rücken und Schultern Schwung holt, strecken sich seine Beine waagerecht nach vorn, um das Gleichgewicht zu halten. Dann spannt Nicolas die Muskeln seiner Oberarme an, zieht den Körper wieder nach vorn und klappt die Beine unter das Sitzbrett. Dabei schleifen seine Füße über den Boden, und die Schultern streifen die Seile, an denen die Kinderschaukel hängt. Die Seile sind rissig und ausgeblichen, sie enden an rostigen Eisenhaken, die bei jedem Schwung quietschen, als wollten sie Protest gegen die unzulässige Beanspruchung einlegen. Doch Nicolas hört nicht darauf, vielmehr gibt er sich die größte Mühe, das Schaukelbrett dem trüben Himmel näher zu bringen. Als er schon fast die Horizontale erreicht hat, stößt er sich ab, lässt die Seile los und springt. Ein Schrei löst sich aus seiner Kehle, steht in der Luft und verhallt zwischen den Häusern, ohne das geringste Echo auszulösen.

Als der Regen stärker wird, steht Nicolas auf und watet durch den feuchten Sand noch einmal hinüber zur anderen Straßenseite. Er schellt erst bei Brouwers und dann bei de Boer, aber niemand öffnet ihm. Bei ten Keyser hat er Erfolg, die Tür summt. Der Hausflur wirkt längst nicht so verwahrlost, wie Nicolas erwartet hat. Der Fußboden ist sauber, und die hell gefliesten Wände reflektieren das Licht, das durch den Glaseinsatz der Tür fällt. In einer Ecke stehen zwei Buggys und ein Kinderwagen. Über den Briefkästen hängt ein stiller Portier mit verschnörkelten Holzschnitzereien. Er ist das einzig sichtbare Zeichen dafür, dass es sich bei dem Haus nicht um einen Neubau handelt.

Nicolas steigt die zwei Etagen bis zu der Wohnung hinauf. Im Treppenhaus ist es still. Kein Kinderschreien, keine Frauenstimmen, kein Hundebellen. Aus einer Tür dringt der Duft frischer Waffeln. Von oben hört Nicolas ungeduldiges Füßescharren und ein trockenes Husten. Dann steht er vor einer sehr alten Frau, die in der geöffneten Wohnungstür kauert, klein, gebückt, dünn.

»Ja?« Mehr sagt sie nicht. Ihr »ja« klingt wie »je« oder »jie«.

»Mein Name ist Nicolas Marx. Ich möchte etwas...
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Sabine Alt studierte Germanistik, Pädagogik und Mathematik und arbeitete kurze Zeit als Studienrätin. 1995 begann sie mit dem Schreiben, wobei sich schnell herausstellte, dass die Leser ihrer Texte Dinge erfahren würden, über die man in der Schule nichts lernt. Ihre Texte loten die moralischen Grenzbereiche der Seele aus und zeigen Menschen in Extremsituationen. Sabine Alt lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.Literaturpreise:Agatha-Christie-Krimi-Preis 2009 (2. Platz)