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LÚM - Zwei wie Licht und Dunkel

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am29.09.2014
Wenn dein Schicksal zu groß für dich scheint
In der Trümmerstadt Adeva entscheidet sich für alle 15-Jährigen in der Nacht der Mantai, welche Gabe sie haben. Ein Mal, das auf dem Handgelenk erscheint, zeigt an, ob man telepathisch kommunizieren, unsichtbar werden oder in die Zukunft sehen kann. Doch bei Meleike, deren Großmutter eine große Seherin war, zeigt sich nach der Mantai - nichts. Erst ein schreckliches Unglück bringt ihre Gabe hervor, die anders und größer ist als alles bisher. Als Meleikes Visionen ihr von einem Inferno in ihrem geliebten Adeva künden, weiß sie: Nur sie kann die Stadt retten. Und dass da jenseits der Wälder, in der technisch-kalten Welt von Lúm, jemand ist, dessen Schicksal mit ihrem untrennbar verknüpft ist ...

Eva Siegmund, geboren 1983 im Taunus, stellte ihr schriftstellerisches Talent bereits in der 6. Klasse bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb unter Beweis. Nach dem Abitur entschied sie sich zunächst für eine Ausbildung zur Kirchenmalerin und studierte dann Jura an der FU Berlin. Nachdem sie im Lektorat eines Berliner Hörverlags gearbeitet hat, lebt sie heute als Autorin an immer anderen Orten, um Stoff für ihre Geschichten zu sammeln.
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Produkt

KlappentextWenn dein Schicksal zu groß für dich scheint
In der Trümmerstadt Adeva entscheidet sich für alle 15-Jährigen in der Nacht der Mantai, welche Gabe sie haben. Ein Mal, das auf dem Handgelenk erscheint, zeigt an, ob man telepathisch kommunizieren, unsichtbar werden oder in die Zukunft sehen kann. Doch bei Meleike, deren Großmutter eine große Seherin war, zeigt sich nach der Mantai - nichts. Erst ein schreckliches Unglück bringt ihre Gabe hervor, die anders und größer ist als alles bisher. Als Meleikes Visionen ihr von einem Inferno in ihrem geliebten Adeva künden, weiß sie: Nur sie kann die Stadt retten. Und dass da jenseits der Wälder, in der technisch-kalten Welt von Lúm, jemand ist, dessen Schicksal mit ihrem untrennbar verknüpft ist ...

Eva Siegmund, geboren 1983 im Taunus, stellte ihr schriftstellerisches Talent bereits in der 6. Klasse bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb unter Beweis. Nach dem Abitur entschied sie sich zunächst für eine Ausbildung zur Kirchenmalerin und studierte dann Jura an der FU Berlin. Nachdem sie im Lektorat eines Berliner Hörverlags gearbeitet hat, lebt sie heute als Autorin an immer anderen Orten, um Stoff für ihre Geschichten zu sammeln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641142476
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum29.09.2014
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2386 Kbytes
Illustrationen0 schwarz-weiße Abbildungen
Artikel-Nr.1444788
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Es dämmerte bereits, als sie die Lichtung betraten. Schweigend und voller Erwartung waren sie die ganze Nacht gelaufen, um dorthin zu gelangen. Adeva, ihre Stadt, war riesig und erstreckte sich von Horizont zu Horizont, innerhalb ihrer Grenzen gab es keine Wälder, keine Lichtungen. Doch diesen Ort brauchten die Pekuu jedes Jahr ein Mal, in dieser einen Nacht.

Tirese Mey schob ihre Tochter mit sanfter, aber unerbittlicher Entschlossenheit seit Stunden voran. Ihre dunkle, sehnige Hand lag dabei auf Meleikes Schulter, und diese war froh, dass Tirese hinter ihr war. Auch wenn sie sich innig wünschte, auch ihr Vater könne nun bei ihr sein. Doch er war fort.

Zum wiederholten Male blickte sie in das Gesicht ihrer Mutter und versuchte ein Lächeln. Es geriet schief und fühlte sich unangemessen an. Meleike war zu nervös, um aufrichtig lächeln zu können. Heute sollte es endlich so weit sein. Jahrelang hatte sie sich, wie jede Peku, auf diesen Tag gefreut und ihn zugleich gefürchtet. Denn heute würde sich ihr Schicksal entscheiden. Es würde offenbaren, wer Meleike im Innersten war und welche Aufgabe ihr in ihrer Gesellschaft zukommen sollte. Von der heutigen Nacht an würde nichts mehr so sein, wie es vorher war.

Sie fror ein wenig in dem dünnen weißen Hemd, das ihr an den Schultern zu eng war. Sie war nicht so schmal und feingliedrig wie ihre Mutter, von der sie es übernommen hatte. Von der Arbeit in den Ruinen waren ihre Arme und Beine kräftiger, als es Tireses jemals sein würden. Doch einen so starken Griff und unerschütterlichen Stolz wie ihre Mutter hatte Meleike nie besessen.

Langsam und vorsichtig ging sie durch die ungewohnte Umgebung, immer darauf bedacht, sich die nackten Füße nicht an Wurzeln oder Steinen zu verletzen. Oder an den Glassplittern, die überall herumlagen, sogar hier im Wald. Er barg nichts Gutes, und viele Pekuu waren schon hineingegangen, ohne je wieder herauszukommen. Doch in einer so großen Gruppe konnte ihnen nichts geschehen, Meleike wusste das. Sie ließ ihren Blick noch eine Weile auf ihrem kleinen Bruder Koda ruhen, dem es sichtlich immer schwerer fiel, still zu bleiben. Für ihn schien diese Nacht ein einziges großes Abenteuer zu sein. Er tippelte unruhig neben ihr her und holte zwischendurch immer wieder tief Luft, als wolle er etwas Wichtiges sagen, klappte den Mund dann aber folgsam wieder zu. Tirese sorgte mit einem strengen Blick jedes Mal aufs Neue dafür. Dies war Meleikes Nacht. Zumindest sollte sie es werden. Aber in jenem Augenblick beneidete sie ihren Bruder darum, dass er erst neun Jahre alt war. Sechs unbeschwerte Jahre blieben ihm noch bis zu seinem eigenen Mantai-Fest. Er war vergnügt und strahlte Meleike in regelmäßigen Abständen an, als wollte er ihr zeigen, dass er sich für sie freute. Von der Aufregung, die in ihrem Herzen tobte, von ihrer bitteren Angst ahnte er nichts. Auch, weil sie sehr gut darin war, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr Gang war aufrecht und ihr Blick fest geradeaus gerichtet. Doch kostete sie diese Körperhaltung gewaltige Mühen.

Alle anderen standen schon Reihe an Reihe auf der Lichtung und blickten stumm nach vorne, als sie ankamen. Jeder hatte seine Kapuze aufgesetzt, sodass Meleike keinen ihrer Freunde von hinten erkennen konnte. Gerade wollte sie nach ihrer eigenen Kapuze greifen, als sie fühlte, dass Tireses Hände auch diese Aufgabe übernahmen.

Gerne hätte sie ihre Mutter in diesem Augenblick angefaucht, dass sie kein Kind mehr sei und es auch alleine machen könne. Nach dieser Nacht würde sie endlich von jedermann anerkannt werden. Das Mantaifest markierte das Übertreten der Schwelle in die Welt der erwachsenen Pekuu.

Gemeinsam schritt die Familie Mey die Gasse entlang, die die anderen für sie gebildet hatten. Ihnen gebührte von jeher die Ehre der ersten Reihe und dieses feierlichen Einzuges, als letzte Familie vor dem Eintreffen des Fürsten. Als sie ungefähr die Mitte des Ganges erreicht hatten, ließ Tirese ihre Tochter endlich los und entfernte sich von deren Seite. Meleike musste den Impuls, sich die schmerzende Schulter zu reiben, unterdrücken.

Auch Koda fiel nun zurück. Meleike schritt als älteste Tochter der Familie Mey voran, gefolgt von ihrem kleinen Bruder und hinter ihm die Mutter. Tirese ging leicht versetzt, um allen zu zeigen, dass an ihrer Seite eine Lücke klaffte, dort, wo vor ein paar Jahren noch Meleikes Vater Yaris ihr Leben flankiert und die Rücken ihrer gemeinsamen Kinder gestärkt hatte. Darauf folgten, ähnlich versetzt, Vater Sabida, der Vater von Meleikes Vater, und schließlich Mama Maela, Tireses Mutter.

Wann immer die Leute Mama Maela erblickten, verstummten sie. Nun hatte in dieser Nacht schon seit den Mitternachtstrommeln kein Mensch mehr auch nur ein Wort gesagt. Dennoch bildete sich Meleike ein, das Schweigen sei noch vollkommener. Als hielte der Wald selbst den Atem an. Alle Pekuu verehrten Mama Maela und das hatte Meleike immer mit Stolz erfüllt. Maela war die größte Seherin von Adeva, die weiseste und stolzeste Frau, eine Legende schon zu Lebzeiten. Ihr Wesen war gütig, und das Wissen, das sie preisgab, war unfehlbar. Doch wählte sie mit Bedacht, wovon sie berichtete und was sie verbarg. Denn eine Voraussicht konnte auch zerstören, und Maela tat alles, ihre Gabe immer nur zum Wohl der Leute einzusetzen und ihnen keinesfalls Schaden zuzufügen. Davon abgesehen war Mama Maela eine etwas schrullige und sehr kleine alte Frau, die sich auch manchmal einen Spaß daraus machte, Dinge von sich zu geben, die zwar weise klangen, aber unter dem Strich nicht den geringsten Sinn ergaben.

Ihre Tochter Tirese schlug mit ihren Fähigkeiten ganz nach der Mutter. Auch ihre Voraussagen waren von meisterhafter Präzision. Tochter einer solchen Seherin zu sein war für Meleike selbst nicht immer leicht, doch sie hatte sich daran gewöhnt, vor ihrer Mutter kaum etwas verbergen zu können, und Tirese wiederum spürte ihrer Tochter nur selten nach.

Alle schienen zu erwarten, dass Meleike ebenfalls das Auge besäße, es lag schließlich in der Familie. Oder dass sie ein Hypne wie Vater Sabida werden und in Zukunft Pekuu hypnotisieren würde, denen Kummer auf der Seele lag. Seit Wochen wurde in der Schule hinter vorgehaltener Hand spekuliert, welche Gabe sich bei Meleike wohl zeigen würde, und auch Koda hatte über kaum etwas anderes gesprochen. Keiner in ihrer Familie, keiner in dieser riesigen Stadt, ihrer ganzen Welt schien die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sie keine dieser Fähigkeiten besitzen könnte, dass sie nichts weiter war als eine gewöhnliche Kema. Das war der Grund, warum ihr das Herz bis zum Halse schlug, in dieser Nacht, bei ihrer Mantai. Heute sollte sich zeigen, ob sie mit einer Gabe gesegnet war oder nicht. Und die Selbstverständlichkeit, mit der alle Anwesenden davon ausgingen, dass Meleike Mey alle übertreffen würde, machte sie beinahe wahnsinnig. Doch das schien keinen sonderlich zu interessieren. Das Vertrauen aller war grenzenlos. Dabei stürzte es Meleike in kleinen kurzen und stichelnden Momenten in tiefste Verzweiflung, wenn sie sich fragte: was, wenn nicht?

Meleike selbst wäre am liebsten ein Obskurant wie ihr Vater. Obskuranten konnten mit ihrem Willen steuern, ob sie von anderen wahrgenommen wurden oder nicht. Doch Yaris hatte seine Fähigkeit nur selten eingesetzt, was Meleike nie verstanden hatte. Schließlich erlaubte sie demjenigen, der sie besaß, sich überall aufzuhalten, jeden Raum unbemerkt betreten oder verlassen zu können. Aber die Obskura war eine sehr seltene Gabe, und Tirese hatte gesagt, Meleike solle sich den Gedanken besser gleich aus dem Kopf schlagen. Außerdem hatten die meisten Leute Vorbehalte gegen Obskuranten, weshalb ihr niemand die Obskura von Herzen wünschen mochte. Im Gegenteil.

Als Meleike sich nun an ihren Platz stellen wollte, fühlte sie erneut eine Hand auf ihrer Schulter, eine kleinere, leichtere Hand diesmal. Sie blickte sich um und sah in die schwarzen Augen ihrer Großmutter, schwärzer noch als die Schatten der Bäume, die zitternd nach den Pekuu auf der Lichtung zu greifen schienen. Maela tätschelte wortlos Meleikes Wange und spuckte dann dreimal über deren linke Schulter, ohne sich darum zu kümmern, ob jemand getroffen wurde. Dann lächelte sie ihrer Enkeltochter noch einmal aufmunternd zu und stellte sich an ihren angestammten Platz.

Meleikes Herz pochte wild und hart in ihrer Brust, und es gelang ihr kaum noch, den Atem unter Kontrolle zu halten. Nach wenigen Augenblicken begannen die hinteren Reihen, mit den Füßen zu stampfen und leise zu summen. Dann kamen die Fackelträger durch die Gasse gelaufen, mit festen, entschlossenen Schritten. Sie bildeten die Vorhut.

Und obwohl sich Meleike plötzlich im Innersten wünschte, er käme niemals in die Mitte des nun leuchtenden Halbkreises aus Flammen und Leibern, und sie sich fortwünschte, ihn fortwünschte, folgte er den Fackelträgern doch auf dem Fuße. Mit schnellen, gut gelaunten und zentnerschweren Schritten.

Ihr Fürst, ihr Meister.

Er kam und sie fühlte seinen Atem; sein dunkler Umhang streifte ihre Wange, als er an den Wartenden vorbei zu seinem Platz schritt. Und augenblicklich schoss ein Gefühl in Meleikes Herz, das sie nie zuvor gekannt hatte. Doch sie begriff sofort, was es war: das Gefühl drohenden Unheils. Beinahe war es ihr, als habe der Fürst etwas Dunkles mit auf die Lichtung gebracht, das er durch sein breites Lächeln zu verbergen suchte. Meleike fühlte sich seltsam schuldig bei diesem Gedanken. Sie war froh, dass der Meister, falls er ihre Angst erkennen konnte, sie als Empfindung anerkennen würde, die der Besonderheit des Moments geschuldet war. Seine verstörend hellen Augen blieben unangenehm lange...

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Eva Siegmund, geboren 1983 im Taunus, stellte ihr schriftstellerisches Talent bereits in der 6. Klasse bei einem Kurzgeschichtenwettbewerb unter Beweis. Nach dem Abitur entschied sie sich zunächst für eine Ausbildung zur Kirchenmalerin und studierte dann Jura an der FU Berlin. Nachdem sie im Lektorat eines Berliner Hörverlags gearbeitet hat, lebt sie heute als Autorin an immer anderen Orten, um Stoff für ihre Geschichten zu sammeln.