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Die Verletzung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am27.11.2014
Zehn Menschenschicksale, mit leichter Hand erzählt: Frauen, die One-Night-Stands haben, die verliebt sind oder furchtsam angesichts der Herausforderungen des Tages. Poetisch, sinnlich zeichnet die Autorin psychologisch dichte Porträts. In der Erzählung 'Hunger' zum Beispiel das der 13-jährigen Hanna, die beinahe verhungert, weil sie sich geschworen hat, keinem Begehren mehr nachzugeben, nachdem ihr von einem Jungen, in den sie verliebt war, Gewalt angetan wurde. In einer anderen Erzählung bekommt eine Frau unerwartet ein verschollenes Bild von Vermeer gezeigt und im selben Atemzug höchste Liebeslust. Kurze Zeit später sind weder Bild noch Geliebter auffindbar. Hat sie nur geträumt? Poetische Erzählungen, die holländische Geschichte aus 150 Jahren verknüpfen mit dem Seelenleben tiefer Charaktere.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextZehn Menschenschicksale, mit leichter Hand erzählt: Frauen, die One-Night-Stands haben, die verliebt sind oder furchtsam angesichts der Herausforderungen des Tages. Poetisch, sinnlich zeichnet die Autorin psychologisch dichte Porträts. In der Erzählung 'Hunger' zum Beispiel das der 13-jährigen Hanna, die beinahe verhungert, weil sie sich geschworen hat, keinem Begehren mehr nachzugeben, nachdem ihr von einem Jungen, in den sie verliebt war, Gewalt angetan wurde. In einer anderen Erzählung bekommt eine Frau unerwartet ein verschollenes Bild von Vermeer gezeigt und im selben Atemzug höchste Liebeslust. Kurze Zeit später sind weder Bild noch Geliebter auffindbar. Hat sie nur geträumt? Poetische Erzählungen, die holländische Geschichte aus 150 Jahren verknüpfen mit dem Seelenleben tiefer Charaktere.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641159962
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum27.11.2014
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1209 Kbytes
Artikel-Nr.1531680
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Überfahrt

Jacob wird wach, als die Haustür zuschlägt. Er hört die Holzräder des Handkarrens auf den Pflastersteinen und wie sich das Geräusch entfernt. Im Bettschrank ist es stockfinster. Es stinkt. Vorsichtig spreizt Jacob die Beine und fühlt die kräftigen Waden von Klaas. Auf seiner Hälfte. Sachte drückt er seinen Bruder weg. Klaas dreht sich um und bläst Jacob seinen übelriechenden Nachtatem ins Gesicht. Klaas hat durchsichtig weiße Wimpern. Die Haut seiner wulstigen Lippen ist aufgesprungen, sein Mund steht offen. Die Schlafmütze ist ihm vom Kopf gerutscht, und seine blonden Locken kringeln sich feucht auf dem Kissen. Mein Bruder ist fast zwanzig, er kann nicht lesen, und er stinkt nach Fisch, denkt Jacob. Wenn er zuschlägt, bricht er dir das Genick. Voriges Jahr auf dem Jahrmarkt war er der Stärkste vom ganzen Dorf. Aber er kann sein Messer nicht in einen Fisch stechen, ohne schlucken zu müssen.

Über Klaas´ mächtige Schenkel hinweg drückt Jacob mit dem Fuß die Bettschranktür auf. Das Holz knarrt, als sie sich langsam zur Seite dreht. Von der Küche her fällt ein schwacher Lichtschein ins Zimmer. Jacob klettert aus dem Bett und huscht auf Zehenspitzen an den dunklen Erhebungen auf dem Fußboden vorüber. Die Mädchen sollen noch nicht wach werden. Alle sollen noch ein Weilchen schlafen, mit Ausnahme von ihm und seiner Mutter, die in der Küche beschäftigt ist. Sie lächelt, als sie Jacob sieht. Ohne etwas zu sagen. Sie hat die Ärmel hochgekrempelt und reibt sich Hände und Handgelenke mit Fett ein. Jacob schnuppert. Fischöl. Seine Mutter mache viel Gewese von sich, sagt man im Dorf, weil sie sich nicht wie alle anderen die Hände erfrieren will. Seine Mutter kann lesen und auch schreiben. Unter ihrem Kopftuch hat sie seidiges schwarzes Haar, wie Jacob selbst.

»Ist Vater schon weg?« fragt er flüsternd.

»Gerade eben. Bei dieser Kälte. Der Karren war bis oben hin voll mit gefrorenem Fisch. Er sagte, du sollst die Netze entwirren, damit alles bereit ist, wenn er wiederkommt.«

Mutter weist mit dem Kinn zur Arbeitsküche, wo ein dunkler Garnhaufen auf dem Boden liegt. Jacob schließt die Tür und stellt sich an den Ofen. Er starrt in den Waschkessel, in dem weiße Stoffstücke schwerfällig aneinander vorbeitreiben.

»Er will heute nachmittag auf Flunder fischen, solange noch Eis liegt.«

»Mutter, Mama«, sagt Jacob, »lesen wir heute noch? Bitte?«

Sie streicht ihm mit der glänzenden Hand durchs Haar; er riecht Fisch, Fett und Seife, und er schließt die Augen.

»Heute abend. Wenn ihr mit den Flundern zurück seid.«

 


In der Arbeitsküche hat Jacob einen geheimen Aufbewahrungsort, unten in dem Kasten mit altem Fischfanggerät. Dort liegt sein Tagebuch. Er leckt die Spitze seines Bleistifts an, damit die Buchstaben schön schwarz und fett werden.

»Heute ist Samstag, der 13. Januar. Des Jahres 1849. Vater ist zum Markt. Wir gehen heute Flunder klopfen, was ich nicht möchte. Das ganze Meer ist zu Eis gefroren. Ich bin sechzehn. Keiner weiß, daß ich Schiffsbauer werde, wie der Vater von Katrien.«

Klaas kommt hereingepoltert und schlüpft in die Holzschuhe, die neben der Tür stehen. Jacob hat sich auf sein Heft gesetzt und fummelt an dem kalten braunen Garn eines verhedderten Netzes herum. Klaas faßt sich mit der Hand in die Hose und stößt die Tür nach draußen auf. Kurz darauf hört Jacob es im Innenhof prasseln.

»Ein Loch ins Eis gepißt«, sagt Klaas, als er wieder hereinkommt. »Du mußt sie zuerst ausbreiten, die Netze, sonst siehst du nichts. Draußen, hier ist´s viel zu dunkel.«

Jacob schneidet seinem Bruder hinter dessen Rücken eine häßliche Grimasse. Dann legt er sein Tagebuch zurück und zerrt das Netzgewirr nach draußen. An der Hauswand ist ein dampfender gelblicher Fleck im Eis.

 


Vom Ordnen der Netze bekommt Jacob so kalte Finger, daß er sich alle naselang an den Ofen stellen muß.

Die Mädchen sitzen am Tisch und verlesen Bohnen. Klaas ist weggegangen, um noch ein halbes Tagewerk auf der Helling zu verrichten, bevor Vater zurück ist. Die Uhr schlägt elf, und Jacob gähnt.

Auf einmal steht Vater in der Küche. Er wirft die ausgebreiteten Arme in die Luft und klopft sich mit wuchtigen Schlägen auf den Leib. Mit den bestrumpften Füßen stampft er auf dem Boden auf. Der ganze Fisch ist verkauft, seine Börse ist prall mit Münzen gefüllt, und er hat Stadtbrot mitgebracht.

Jetzt brauchen wir heute nicht mehr zu fischen, denkt Jacob. Geld ist genug da. Jetzt kann ich zur Helling und zugucken; vielleicht ist Katrien da, kommt ihren Vater besuchen und sieht mich. Dann gucken wir gemeinsam zu, wie das schnaubende Pferd das Schiff raufzieht. Und weil das so spannend ist, legt sie mir kurz die Hand auf den Arm, und ich rieche den Duft von ihrem Muff.

»Ich geb euch den Topf mit, da habt ihr zu essen, wenn es spät wird«, sagt Mutter.

Weil ihm seine Holzschuhe zu groß sind, macht sich Jacob doppelte Wickel um die Füße. Darüber kommen die Socken und dann die Holzschuhe. Klaas lacht. Der streift sich die schmutzigen Socken über die nackten Füße. Er steht im Unterhemd auf dem Hof und dampft in der eisigen Kälte. Vom schnellen Laufen ist er ganz rot. Mit Vater zusammen legt er die Netze, die Äxte und das schwere Schlagholz auf den Schlitten. Jacob folgt ihnen mit den Segeln.

 


Wenn man auf dem Deich steht, sieht man Eis, so weit das Auge reicht, eine blauweiße Fläche, auf der das Sonnenlicht schimmert. Da und dort stehen Grüppchen von Leuten auf dem Eis, sie bilden braune und dunkelrote Flecken im Licht. Hammerschläge hallen in der dünnen Luft wider - von den Äxten, die das Eis spalten, von den Fischern, die ein Boot reparieren, und von den Flunderklopfern in der Ferne.

Vater und Klaas haben den Schlitten den Deich hinuntergeschoben und steuern nun der Sonne entgegen. Jacob kneift die Augen zu so schmalen Schlitzen zusammen, daß er keine Menschen mehr sieht, sondern nur noch Weiß. Und die Türme von Amsterdam am Horizont. Jetzt davonschlüpfen, zurück in die Küche. Vater winkt, Klaas ruft. Jacob schlägt die Augen nieder und sieht, daß er den Topf mit dem Essen im Arm hält. Vorsichtig setzt er die mit Eisen beschlagenen Holzschuhe ins vereiste Gras, stemmt sie in die harte Erde und geht auf das Eis hinunter.

 


Die Flunder wohnt auf dem Meeresgrund. Sie ist ein neugieriger Fisch, der nachsehen kommt, wenn jemand die Trommel schlägt. Die Schwingungen des Geräuschs übertragen sich vom Eis auf das kalte Wasser, vibrieren bis zum Flunderkörper, und der Fisch schlängelt sich entlang den Schallwellen zur Quelle des Rhythmus. Unter den Stockschlägen hängt das Netz.

Flunderfischer richten die herausgehackten Eisplatten am Rand des Lochs auf, damit nicht unversehens jemand hineinfällt. Es sieht aus, als stünden überall auf dem Eis kleine weiße Häuschen.

»Das ist das Loch von Beers«, sagt Vater. Er zeigt auf eine große Eisburg. »Der kommt bald wieder. Wir gehen ein Stück weiter, hier sind zu viele Leute.«

Vater und Klaas laufen beständig etwas schneller als Jacob, obwohl sie den schweren Schlitten ziehen müssen, da für die Segel zuwenig Wind ist. Schritt für Schritt schleift Jacob seine Holzschuhe über das rauhe Eis. Er fühlt nahende Krämpfe in den Unterschenkeln. Plötzlich sind ihm Schlitten, Vater und Klaas abhanden gekommen. Sie sind nirgendwo mehr zu sehen. Jacob steht allein auf weiter Flur und hat jedes Richtungsgefühl verloren. Der Durgerdammerdeich? Die Stadttürme? Sein Atem geht schneller, sein Hemd kribbelt auf der Haut, während er sich langsam dreht. Da sieht er weit entfernt die beiden kleinen Gestalten mit dem Schlitten hinter einem aufgeschichteten Eisberg hervorkommen.

 


Als er beim Fangplatz anlangt, schwingen Klaas und Vater schon eifrig ihre Äxte. Im steten Wechsel hacken sie auf das Eis ein, bis es birst und das schwarze Wasser preisgibt. Sie haben ihr Wams ausgezogen und schwitzen mit entblößten Armen.

Jacob trägt die Netze zu ihnen. Den Topf mit dem Essen hat er auf den Schlitten gestellt. In der Ferne schlägt eine Turmuhr dreimal.

 


Erst wenn die Netze im Wasser hängen, geht es richtig los. Dann muß man das schwere Schlagholz ein ganzes Stück vom Loch wegschleppen und damit aufs Eis hämmern. Jacob hält das nicht lange durch, obwohl es ihm Spaß macht. Er klopft im Takt eines Liedes, das er im stillen singt. Unaufhörlich denkt er an die Flunder, die er beschwört, bezaubert und betrügt.

Sie wechseln sich ab. Und mit vereinten Kräften ziehen sie nach der Klopfjagd das Netz aufs Eis. Dutzende benommener großer, dunkler Fische werden übereinander in den Schlitten gelegt. Es läuft gut! Vater späht über die Eisfläche. Die Sonne sinkt.

»Beers geht schon wieder heimwärts. Die von Porsius sind auch schon weg. Wir machen noch einen Durchgang, sie kommen heute so gut!«

Weiter geht die Schlepperei. Die untergehende Sonne auf dem Sandsteinturm von Muiden. Wie weit draußen wir sind, denkt Jacob. Wenn ich nach Hause komme, ist es zu spät zum Lesen.

 


Siebenhundert Fische haben sie gefangen, Jacob hat mitgezählt. Mit dem Rücken zum Flunderstapel sitzen sie auf dem Schlittenrand und essen aus dem Topf. In Jacobs Kopf dröhnen noch die Schläge von Holz auf Eis. Es muß wohl schon auf Mitternacht zugehen, so wie der Schlaf an seinem Körper zieht. Er steckt den Löffel hinter seinen Gürtel, er mag nicht mehr.

 


Langsam ziehen sie den bleischweren Schlitten über das Eis. Vater läuft mit der Lampe voran, Klaas und Jacob legen sich ins Geschirr...

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Autor

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.