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Die Eisträger

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am27.11.2014
Die Adoptivtochter von Loes und Nico ist verschwunden. Die Eltern leiden Höllenqualen, aber sie tun, als sei nichts geschehen. Obwohl sie die Gründe für die Flucht des Mädchens kennen, schweigen sie, täuschen sich gegenseitig und ihre Umwelt. An diesem Schweigen wird erst ihre Liebe zugrunde gehen, dann sie selbst.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR7,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR6,99

Produkt

KlappentextDie Adoptivtochter von Loes und Nico ist verschwunden. Die Eltern leiden Höllenqualen, aber sie tun, als sei nichts geschehen. Obwohl sie die Gründe für die Flucht des Mädchens kennen, schweigen sie, täuschen sich gegenseitig und ihre Umwelt. An diesem Schweigen wird erst ihre Liebe zugrunde gehen, dann sie selbst.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641159948
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum27.11.2014
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2255 Kbytes
Artikel-Nr.1549384
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Sandboden hatte sie von jeher gehaßt, obwohl viele ihn sehr priesen. Gut für die Haut sollte er sein und heilsam für die Atemwege. Sie verabscheute die nachlässig hingewehten Dünen mit ihrem heimtückischen Helmgras, sie verachtete das Element, das sich so leicht vom Wind zerstreuen, so machtlos den rettenden Regen durch sich hindurchsickern ließ und sich so widerspruchslos zur Verwendung als Schleifmittel oder Zeitmesser hergab. Als Kind hatte sie am Strand zugeschaut, wie der Wind den Sand in breiten Streifen vor sich hertrieb, gut zehn Zentimeter über dem Boden; sie hatte das Stechen der Körner an ihren Waden gefühlt und gelacht. Sinnlose Erregung, kindische Gewalt.

Wir wohnen hier wunderbar, sagte Nico. Manch einer würde uns um dieses große alte Haus am Dünenrand und das stattliche Stück Grund und Boden beneiden. Er nahm nicht wahr, daß auf diesem Boden wenig wachsen wollte, ihm war entgangen, daß sie Wagenladungen schwarzer Erde darüber hatte ausschütten und unzählige Säcke Kuhdung darin hatte verschwinden lassen. Das Resultat war eine bescheidene Rasenfläche mitten im Garten. Ringsherum war der Sand schon wieder emporgekrochen, auf der Suche nach Heide und Kiefern, den dürren Kumpanen der Dünenlandschaft.

Sie liebte Polderland. Lehm, fettes Gras und viel Wasser. Dort dienten Erhebungen zu etwas, verliehen Struktur und hatten Bedeutung. Deiche verwiesen auf Flüsse, und Zäune markierten die Wege. Ansonsten war alles gleichmäßig flach und übersichtlich, das Grasland auf nachvollziehbare Weise von schmalen Gräben durchschnitten und grün bis an den Horizont. Und dann, gegen Abend, ein Schwarm Gänse, der sich auf so einem nahrhaften Fußballfeld niederließ: Die Vögel mähten das Gras mit ihren Sägezahnschnäbeln, steckten zufrieden den Kopf unter einen Flügel und schliefen. Kein nervöser Wellenschlag, sondern ein Meer der Ruhe.

Sie mußte die Einkäufe aus dem Wagen holen und einräumen, bevor Nico nach Hause kam. Die Sonne hing über dem dunklen Nadelwald. Sie zog Schuhe und Socken aus und lief barfuß über ihr künstliches Rasenparadies. An den Rändern begann es auszutrocknen, sah sie.

Den Wagen hatte sie so geparkt, daß noch reichlich Platz für Nicos Saab war. Sein alkoholfreies Bier würde sie in den Kühlschrank stellen, das Lammfleisch, den Salat. Auf den Kieselsteinen der Einfahrt krümmte sie die Fußsohlen. Der Kofferraumdeckel klappte hoch und gab einen Schatz an Pflanzen preis: Tomaten, Zucchini, Kürbis. Sie schleppte sie in die Ecke, die sie zum Gemüsegarten bestimmt hatte, so weit wie möglich von den dunklen Bäumen entfernt. Die Schaufel und einen großen Sack Gartenerde legte sie schon einmal dazu. Vielleicht heute abend - und falls nicht, dann morgen früh, bevor sie zur Schule fuhr. Die vierte, die sie in den ersten beiden Stunden gehabt hätte, war auf Klassenfahrt. Zeit genug.

Langsam und sorgfältig räumte sie den Kühlschrank ein, und dabei hörte sie seinen Wagen die Einfahrt heraufkommen. Sie wusch sich an der Spüle die Hände, zwang ihre Schultern nach unten und ging in die Diele.

Ehe Nico den Schlüssel ins Schloß stecken konnte, öffnete sie ihm die Tür. Er stellte seine schwere Tasche an der Wand ab und küßte sie flüchtig aufs Haar, schon auf dem Weg in die Küche, zur Jeneverflasche.

Ein Gläschen nur, sagte er, danach werde er ungefährliches Bier trinken, um abends noch einen klaren Kopf für die Sitzung zu haben.

Was konnte sie alles sagen: Wie war dein Tag heute, hast du Lust auf Lammkoteletts, worum geht es bei der Sitzung, wann mußt du weg. Schweigend folgte sie ihm in die Küche. Er hatte sein Jackett ausgezogen und es über einen Stuhl gehängt. Er kniff kurz in den Salat, der auf der Arbeitsfläche lag, nahm die Flasche aus dem Kühlschrank und setzte sich breitbeinig an den Tisch.

- Du auch? Er schenkte sein Glas voll und setzte es ächzend an die Lippen. Sie wartete, bis sie ihn schlucken hörte, und atmete aus, ganz so, wie man es macht, wenn man andächtig einem Kind zusieht, das einen Bissen von seinem Essen vertilgt.

- Ja, gib mir auch einen, sagte sie. Als sie sich ihm gegenübersetzte, lächelte er. Mit beiden Händen rieb er sich übers Gesicht.

Er muß zum Friseur, dachte sie, die Haare hängen ihm über den Kragen. Lieb sieht er aus, ein bißchen verlebt; mir gefällt er so besser als kurz geschoren. Der Lack ist ab, er ist müde. Ich werde ihm gleich, bald, später etwas zu essen machen. Sie sah vor sich, wie sie den Salat zerpflücken, die Tomaten und die Zwiebel schneiden würde, zuerst längs und dann quer, zu kleinen Würfeln, wie sie zum Ziegenkäse greifen würde und zu dem leckeren Öl, das sie neulich gekauft hatte. Unterdessen redete er. Worum ging es? Es waren Worte, die über den Küchentisch strömten und zähflüssig auf den Boden tropften. Sie blickte auf ihre nackten Füße unter der Jeans. Socken? Ach ja, auf dem Rasen.

- Haben wollen sie die Einrichtung schon, aber nicht bezahlen. Schüren massiven Widerstand, rufen alle möglichen Penner und Sozialpädagogen auf den Plan und greifen nicht ein. Aufwiegelei!

Er lehnte sich zurück und sah zu, wie sie aufstand, Messer und Schneidebrett hervorholte, sich zum Gemüsefach hinunterbeugte.

- Um acht Uhr im Rathaus, mit Polizei und zuständigem Stadtverordneten. Konfliktbewältigung. Ist ja gut und schön, so ´n Krisenzentrum, aber es kostet uns acht teure Vollzeitkräfte, die Tag und Nacht zwischen leeren Betten hocken und Däumchen drehen, plus Zulagen für Schichtdienste. Hein Bruggink hat es mir vorgerechnet, mit dem Geld könntest du eine halbe Station betreiben. Hübsche Bluse hast du an.

Frühlingszwiebeln, die schmecken gut dazu. Mit der Schere sorgfältig die Petersilie darüberschnippeln. Oliven, frischer Thymian.

- Das Problem ist die Stadt, sagt Hein. Wir würden es ja gern machen, haben aber nicht die Mittel. Ich muß sie so weit kriegen, daß sie es auflösen. Und für Alternativen sorgen.

Sie stellte Teller und die Schüssel Salat auf den Tisch, polierte mit einem Geschirrtuch das Silber auf, nahm Weingläser aus dem Schrank.

- Die Leute können in die Notaufnahme des normalen Krankenhauses gehen oder auf die Polizeiwache. Höhere Schwelle, geringere Fachkompetenz vor Ort, aber wenn wir das gut absichern, wäre es durchaus zu verantworten. Ich möchte lieber Bier.

Anderes Glas. Flaschenöffner. Einschenken. Das Lamm zischte im Bräter. Im Garten war jetzt Schatten, sie sah ihre Schuhe auf dem dunklen Gras, einer stand noch, der andere lag ein wenig weiter weg auf der Seite.

 


 


Sie räumte das Geschirr in die Spülmaschine, und er suchte in seinem Arbeitszimmer im vorderen Teil des Hauses Papiere zusammen. Es war halb acht, die Sonne war verschwunden, und die Luft wurde diesig. Plötzlich stand er hinter ihr und massierte ihre Schultern. Sie drehte sich rasch um, scheuchte ihn mit einem kleinen Scherz davon und sah ihm nach, als er mit schwingender Aktenmappe zum Auto ging.

Sie schlüpfte in die Holzschuhe, die an der Küchentür standen. Draußen stellte sie die Schaufel auf und trieb sie in den Boden. Tief in den Sand hinein schaufelte sie, eine weite Mulde. Das dicke Plastik des Sackes Erde wollte nicht zerreißen; sie legte ihn flach hin und hackte mit der Schaufel ein Kreuz hinein. Nun konnte sie mit beiden Händen Erde in die Vertiefung werfen; zum Schluß setzte sie eine Kürbispflanze voller Knospen in das fruchtbare Rund. Die nächste. Hastig arbeitete sie im Dämmerlicht weiter. Weil sie sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht strich, klebte ihr Erde an Nase und Stirn. Sie schwitzte und atmete keuchend durch den Mund.

Als sie einen Moment innehielt, sich mit einer Hand auf die Schaufel stützte und die andere ins Kreuz stemmte, sah sie eine Frau auf dem Balkon des Nachbarhauses stehen. Sie winkte kurz und beugte sich wieder über die Erde.

Verzieh dich, neugieriges Weib. Pflanzen müssen sofort in den Boden, sonst vertrocknen sie. Oder: Nie am hellichten Tag setzen, das schwächt die Pflanze, nachts ist die beste Zeit. Das erste Wasser muß Tau sein. Oder: Mein Tag ist so ausgefüllt, mein Beruf so aufreibend, meine Arbeit so wichtig, daß ich mich nur abends um meinen Garten kümmern kann. Vielleicht wächst mir ja auch so ´n Schottenrock aus der Taille, wenn ich lange genug hier wohnen bleibe.

Die letzte Tomatenpflanze stand an ihrem Platz. Sie warf ihre Holzschuhe ab und ging zum Gartenschlauch, wischte mit den bloßen Füßen durchs Gras. Um jede Pflanze ließ sie eine Schlammpfütze entstehen, dann spülte sie sich mit dem eiskalten Wasser die Hände ab.

 


 


Todmüde stieg sie ins Bett. Sie mußte den Wecker ein wenig früher stellen als sonst, denn sie hatte den Stapel Übersetzungstests nicht mehr durchsehen können. Sie hatte ihre Tasche ausgepackt, sie hatte Bücher und Papiere auf den großen Tisch gelegt, hatte aus dem Regal hinter sich Wörterbuch und Kommentar gezogen und sich wie gewohnt ans Werk gemacht. Doch schon beim Test des dritten Schülers war sie steckengeblieben, hatte sich nicht mehr konzentrieren können und gespürt, wie ihre Augen brannten und die Lider schwer wurden.

Der Schlaf kam rasch. Nur ein einziges Mal noch trieb sie, ehe sie das Bewußtsein verlor, an die Oberfläche, angstvoll, durch irgend etwas aufgeschreckt, sie wußte nicht, was. Als sie sich aber auf die andere Seite drehte, mit dem Gesicht zum Fenster, konnte sie sich fallenlassen.

Sie wurde wach, als Nico sich neben sie legte.

- Es hat geklappt, sagte er leise, das Krisenzentrum wird in sechs Wochen aufgelöst. Die hatten keine Argumente mehr. Ein Sieg auf ganzer Linie.
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Autor

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.