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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
129 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.04.20151. Auflage
FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Hinweise der Autoren auf neueste Entwicklungen, interessante Literatur und empfehlenswerte Links zu jedem Band finden sich im Internet.

Winfried Henke: Professor für Anthropologie
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Produkt

KlappentextFISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. Hinweise der Autoren auf neueste Entwicklungen, interessante Literatur und empfehlenswerte Links zu jedem Band finden sich im Internet.

Winfried Henke: Professor für Anthropologie
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105600689
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.04.2015
Auflage1. Auflage
Seiten129 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1692781
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Mensch als Primatenart

Primaten - unsere nächsten Verwandten

Stammt der Mensch vom Affen ab? - Das ist die den Anthropologen am häufigsten gestellte Frage. Lange vor der Erkenntnis eines realhistorisch-genetischen Zusammenhangs aller Lebewesen wurde von Naturgeschichtlern des Altertums und Mittelalters auf Ähnlichkeiten zwischen Affen und Menschen hingewiesen. Die Feststellung basierte jedoch nur auf dem oberflächlichen Vergleich der verschiedenen Erscheinungsformen, war also rein phänomenologisch. Im Rahmen der Evolutionstheorie stellten sich die Probleme:


wer unsere nächsten lebenden Verwandten in der Primatenordnung sind,


wann und wo, das heißt an welcher Stelle im Primatenstammbaum die zum Menschen führende Stammlinie abzweigte,


welche speziellen evolutionsökologischen Rahmenbedingungen es waren, die den Prozess der Menschwerdung ermöglichten,


wie viele fossile menschliche Vorläuferformen es gab, und


wie die Hominisation, die evolutive Herausbildung unseres spezifisch menschlichen Merkmalsgefüges, verlief.



Die Kernfrage lautet: Wie konnte via natürliche und sexuelle Selektion ein kulturfähiges Wesen entstehen, bei dem »Kultur zum natürlichen Rüstzeug gehört« (Hubert Markl)? Die Objekt-Subjekt-Identität macht deren Erforschung zu einem schwierigen Unterfangen. Wir sind nämlich erforschtes Objekt und forschendes Subjekt in einem; kein Wunder, dass die Befangenheit bei diesem heißen Eisen, wie Darwin es ausdrückte, anhält. Heute ist dagegen das Entsetzen über unsere Affenverwandtschaft abgeklungen.

»Die Frage aller Fragen für die Menschheit - das Problem, welches allen übrigen zu Grunde liegt und welches tiefer interessiert als irgendein anderes -, ist die Bestimmung der Stellung, welche der Mensch in der Natur einnimmt, und seiner Beziehungen zu der Gesamtheit der Dinge«, schrieb der Zoologe Thomas Henry Huxley, aufgrund seiner Spitzzüngigkeit auch »Darwins Bulldogge« genannt, bereits 1863 in seinem Werk Evidences as to Man´s Place in Nature. Es war die erste Studie, die auf vergleichend-primatologischer Grundlage schloss, »dass die Affenform, welche dem Menschen in der Gesammtheit des ganzen Baues am nächsten kommt, entweder der Chimpanze oder der Gorilla ist ...« Heute bestehen keine Zweifel mehr, dass die afrikanischen Menschenaffen unsere engsten phylogenetischen Verwandten sind, die Beweise sind eindeutig. Molekulargenetiker sind neuerdings sogar in der Lage, die Übereinstimmung des Erbguts von Schimpanse und Mensch mit 98,8 Prozent zu beziffern, was bedeutet, dass 1,2 Prozent unterschiedliches Genmaterial die Divergenz zwischen Schimpanse und Mensch prägen. Dieser Wert relativiert sich, wenn man berücksichtigt, dass die Gemeinsamkeit des Genoms von Fruchtfliege und Mensch bei 75 Prozent liegt. Ein 98 %-Schimpanse zu sein, klingt zwar nach einem verschwindend geringen Abstand zwischen Tier und Mensch, addiert sich aber nach Aussagen von Evolutionsgenetikern auf 39 Millionen mögliche Unterschiede.

Eine vergleichende Genomanalyse ergab, dass die Expression von Genen und die Proteinsynthese bei Mensch und Schimpanse sich insbesondere im Gehirn dramatisch unterscheiden, während die Expressionsmuster in Leber und Blut kaum divergieren. Da jede Körperzelle das gesamte Genom in ihrem Kern trägt, wird eine spezifische Zelle, ob Leber-, Darm- oder Gehirnzelle, erst zu dem, was sie ist, indem spezifische Gene an- und abgeschaltet werden. Die jüngsten Befunde weisen auf deutliche Abweichungen zwischen Schimpanse und Mensch bezüglich der Anzahl der aktivierten Gene hin. Die offensichtlichen Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit der Gehirne beider Arten sind auch molekularbiologisch nachzuweisen. Zweifellos ein bahnbrechender Befund, der enorme Perspektiven für das Verständnis evolutiver Prozesse eröffnet, indem mit der Transkriptionsanalyse funktionell relevante genetische Unterschiede zwischen den Arten aufgezeigt werden können. Das Ergebnis ist insofern nicht unerwartet, als über fünf bis sechs Millionen Jahre Eigenweg zwischen den zu Pan troglodytes und Homo sapiens führenden Stammlinien liegen. Bereits in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wiesen die amerikanischen Molekularbiologen Morris Goodman und Vince Sarich mittels der molekularen Uhr eine sehr späte Aufspaltung von Mensch und afrikanischen Menschenaffen nach. Dieser Befund stand lange im Gegensatz zu dem der Paläoanthropologen, die für eine frühe Aufspaltung plädierten und somit eine rund doppelt so lange Entwicklungsdauer annahmen. Bezogen auf 4,5 Milliarden Jahre Entwicklung von Leben auf der Erde erscheint der Mensch offenbar erst in letzter Sekunde auf unserem Planeten.

Mit moderner Genchip-Technologie gewonnene Resultate werden eingefleischte Evolutionsskeptiker nicht dazu bringen, den Menschen nur als einen Menschenaffen eigener Art zu sehen und den traditionell angenommenen Rubikon zwischen Mensch und Tier zu negieren. Während Primatologen einerseits die Kontraste thematisieren und analysieren und andererseits die Übereinstimmungen zwischen den Primatenarten beschreiben und zu erklären versuchen, fokussieren Kulturwissenschaftler offenbar nur auf das Trennende, die Kultur.

Der Verhaltensforscher Wolfgang Köhler (1887-1967) untersuchte in seiner Affenstation auf Teneriffa schon 1921 durch Intelligenzprüfungen an Menschenaffen das Leistungspotential unserer stammesgeschichtlichen Vettern, aber erst die Freilandstudien von George Schaller, Diane Fossey (Gorilla), Jane Goodall, Yukimaru Sugiyama, Christophe Boesch (Schimpanse) und Takayoshi Kano (Bonobo) sowie Birute Galdikas (Orang-Utan) machten das breite verhaltensbiologische Spektrum der Menschenaffen deutlich (Sozialsysteme der Menschenaffen, Werkzeuggebrauch bei Schimpansen). Ferner gaben experimentelle Studien zur Kommunikation und Kognition höherer Primaten verblüffende Einblicke in deren hohes Leistungspotential. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die heutigen Menschenaffen nicht unsere Vorfahren sein können. Sie haben wie wir ebenfalls eine lange eigenständige Entwicklung durchlaufen und teilen mit dem Menschen gemeinsame Vorfahren.

Ergebnisse von Untersuchungen an berühmten Menschenaffen wie Sarah, Washoe, Lana, Kanzi und ihren namenlosen Artgenossen können nicht widerlegen, dass wir einzigartig sind. Sie machen aber zunehmend eines deutlich, dass Kulturfähigkeit und Kultur nicht auf den Menschen beschränkt sind, sie zeigen, dass die Dichotomie Kultur versus Natur nicht gilt. Dass das Kulturwesen Mensch auch Natur hat, daran zweifelt wohl keiner, aber dass das Naturwesen Menschenaffe auch Kulturfähigkeit und Kultur haben soll, wird kaum wahrgenommen.



Skizze des Stammbaums der Primaten, die Darwin einem Brief an T.H. Huxley beifügte (links: Original, rechts: Erläuterung)




Primatenmerkmale

Das Jahr 1863 gilt als das Geburtsjahr der wissenschaftlichen Primatenkunde (Primatologie), da damals nicht nur das erwähnte Werk von Thomas H. Huxley erschienen war, sondern auch wegweisende Beiträge von Charles Lyell (1797-1875; Aktualitätsprinzip), Ernst Haeckel (1834-1919; erste Stammbäume) und Karl Vogt (1817-1895; vergleichende Anatomie) die Belege für eine gemeinsame stammesgeschichtliche Wurzel von Mensch und Tierprimaten lieferten. Alle vergleichenden Befunde stellten den Menschen zu den Altweltaffen, wie bereits ein frühes Stammbaumschema von Darwin zeigt. Die Klassifikation von Homo sapiens als Wirbeltier (Stamm Vertebrata), als Säugetier (Klasse Mammalia), als Herrentier oder Affe (Ordnung Primates), als echter Affe (Unterordnung Simii) und innerhalb dieser zu den Altwelt- oder Schmalnasenaffen (Zwischenordnung Catarrhini) und darin zu den Menschenartigen (Überfamilie Hominoidea) hat auch heute noch Gültigkeit. Demnach hat der Mensch mit seinen nächsten Verwandten phylogenetisch gleiche Evolutionsschritte durchlaufen, die sich bei näherer Betrachtung als Präadaptationen respektive Prädispositionen zur Menschwerdung verstehen lassen. Letztere sind im weitesten Sinne Eigenschaften eines Organismus, die für noch nicht realisierte Situationen oder Funktionen - wieder im weitesten Sinne - Adaptationswert besitzen. In der Stammlinie der Primaten zeichnen sich im Rückblick Entwicklungskanalisierungen ab, die im Sinne des englischen Biologen Julian Huxley (1887-1975) als konstitutionelle Präadaptation zu verstehen sind, das heißt es ist nicht nur eine Struktur, ein Organ, eine Verhaltensweise oder eine Funktion an eine neue Lebensweise angepasst, sondern ein ganzer Organismus in seiner vielfältigen Komplexität. Der entscheidende Faktor für die komplexe, konstitutionelle Präadaptation ist der alte Lebensraum oder der alte Funktionskreis. Dieser muss zufällig so beschaffen sein, dass die dort erworbenen Anpassungen (Postadaptationen) gleichzeitig eine komplexe Präadaptation für einen andersartigen Lebensraum oder eine andersartige Funktion ergeben. Die Anpassungsvorgänge in der subhumanen Primatenevolution lassen sich als Voranpassungen zur Menschwerdung...

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