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Sozialstaat

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
129 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.04.20151. Auflage
FISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. - Deutschland - Frankfurt - Sozialhilfe - Sozialstaat - Sozialstaatsmodell - München - Sozialstaatfrage - Berlin - Hauptziel - Sozialstaatstätigkeit - Partizipation - EU - Sozialstaatsgeschichte - Bonn - Zweiter Weltkrieg - Sicherungssystem - Beschäftigungsproblem - Sicherungsstrategie (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Diether Döring: Professor für Sozialpolitik, zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozialpolitik, zur Gesundheits- und Alterssicherung sowie zum Arbeitsmarkt
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Produkt

KlappentextFISCHER KOMPAKT. Verlässliches Wissen kompetent, übersichtlich und bündig dargestellt. - Deutschland - Frankfurt - Sozialhilfe - Sozialstaat - Sozialstaatsmodell - München - Sozialstaatfrage - Berlin - Hauptziel - Sozialstaatstätigkeit - Partizipation - EU - Sozialstaatsgeschichte - Bonn - Zweiter Weltkrieg - Sicherungssystem - Beschäftigungsproblem - Sicherungsstrategie (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Diether Döring: Professor für Sozialpolitik, zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozialpolitik, zur Gesundheits- und Alterssicherung sowie zum Arbeitsmarkt
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105600696
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.04.2015
Auflage1. Auflage
Seiten129 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1692783
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
SozialstaatsgeschichteBRD und DDREuropäischer VergleichSozialstaatsmodelleSozialversicherungenSoziale SicherheitArbeitslosigkeitReformenSozialstaatliche MitbestimmungGerechtigkeit
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Leseprobe

Entstehungszusammenhänge und Entstehungsbedingungen sozialstaatlichen Handelns

Drei Veränderungen und die daraus entstehenden sozialpolitischen Bedarfe bildeten die Ausgangslage für die Schaffung staatlich organisierter Sicherungssysteme in Europa:

An erster Stelle ist eine steigende Abhängigkeit der Bevölkerung vom Arbeitsmarkt zu nennen. Abhängige Arbeit bedeutet Abhängigkeit von laufenden Geldeinkommen, die man nur erzielt, wenn man leistungsfähig ist und zudem Beschäftigung findet (Sozialstaat und Beschäftigungsproblem). Formen abhängiger Erwerbstätigkeit gab es zwar schon vor der Industriellen Revolution, etwa im Staatsdienst, im Handwerk und im Bergbau. Aber erst die Industrialisierungswellen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bringen immer mehr Menschen in die abhängige Arbeit, also in die Beschäftigung durch Arbeitgeber. Aus der Landwirtschaft, dem wichtigsten Wirtschaftssektor der vorindustriellen Zeit, aber auch aus dem Handwerk strömten im Zuge der Industrialisierung kontinuierlich Menschen in die Beschäftigung in Industrie, Bergbau, bei Eisenbahnen, und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend auch in kaufmännische und Verwaltungstätigkeiten. Um 1871 fällt der Anteil der Erwerbstätigen im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft) in Deutschland erstmals unter 50 %. Er liegt heute nur noch bei 3 %. Seit etwa 1885 stellen Industrie, Handwerk und Bergbau (sekundärer Sektor) den wichtigsten Beschäftigungsbereich, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts überholt vom Dienstleistungsbereich (tertiärer Sektor). In den Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften des 20. Jahrhunderts wurde schließlich der vollzeitig tätige Arbeitnehmer zu einer Art «Normalfigur« des Erwerbstätigen. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist er das nicht mehr ganz unangefochten.

Die im Zuge der Industrialisierung zunächst besonders drängenden Risiken des Einkommensausfalls bei Arbeitnehmern waren die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die Invalidität und die Arbeitslosigkeit. Während Krankheit und Invalidität alle Menschen trifft, die auf ein Arbeitseinkommen angewiesen sind, also auch selbständig Tätige, ist die Arbeitslosigkeit Folge eines Nachfragemangels auf dem Arbeitsmarkt, also ein arbeitnehmertypisches Risiko. Auch das eigentliche Altersrisiko ist teilweise Resultat von Arbeitsmarktprozessen. Zwar ist der altersbedingte Rückgang der - körperlichen - Leistungsfähigkeit kein Produkt des Arbeitsmarktes. Es ist zumeist ein schrittweiser Prozess, der durch die biologische Uhr des Menschen, den Verschleiß, eine Reihe von Umwelteinflüssen, Krankheitserfahrungen, persönliches Verhalten usw. beeinflusst wird. Der Arbeitsmarkt kommt jedoch ins Spiel, wenn ältere Arbeitnehmer mit ihrer verbliebenen Arbeitskraft ein Einkommen erzielen wollen. War in der Landwirtschaft und bei selbständigen Handwerkern auch altersbedingt verringerte Arbeitskraft noch einsetzbar, scheitern ältere Arbeitnehmer(innen) und solche mit gesundheitlichen Einschränkungen zumeist an bestimmten Mindestanforderungen an Arbeitskräfte, die sich im Laufe der Zeit auf dem Arbeitsmarkt herausbilden. Bei körperlich schweren Arbeiten galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft das 40. Lebensjahr schon als Wendepunkt, von dem an Industriearbeiter Einkommenseinbußen hinnehmen mussten oder es bei Arbeitslosigkeit schwieriger wurde, eine Anstellung zu bekommen. Nicht selten versuchten ältere Arbeiter - ergrauendes Haar und Brille galten damals als klassische Anzeichnen nachlassender Leistungskraft! - sich wieder mehr auf landwirtschaftliche Aktivitäten zu stützen. Die ersten Arbeitnehmergenerationen der industriellen Zeit versuchten oft noch einen Fuß in der Landwirtschaft zu behalten. Wo die körperliche Arbeit nicht im Vordergrund stand, so bei kaufmännischen und Verwaltungstätigkeiten, waren die altersbezogenen Kriterien potentieller Arbeitgeber nicht ganz so hart.

Die Veränderung der Lebens- und Familienformen bildet ein weiteres wichtiges Element für die Entstehung neuer sozialpolitischer Bedarfe. In der vorindustriellen Zeit war eine völlig arbeitsfreie Altersphase, wie sie uns heute selbstverständlich erscheint, selten. Wer aufgrund von Krankheit oder Altersschwäche nicht mehr arbeiten konnte, wurde in der Regel durch Familienangehörige versorgt und wenn nötig auch gepflegt. Das war möglich, da in der in vorindustrieller Zeit verbreiteteren Dreigenerationenfamilie zumeist die erwachsenen, arbeitsfähigen Kinder in der ursprünglichen familiären Gemeinschaft blieben. In Anlehnung an die heutige Begrifflichkeit könnte man von einem innerfamiliären Umlageverfahren sprechen: Die arbeitsfähigen, erwerbstätigen Familienmitglieder sorgten für den laufenden Unterhalt der Alten, Invaliden, Witwen und Kranken wie auch für den Unterhalt der nachwachsenden Generation. Allerdings war auch die Großfamilie kein universelles Phänomen der vorindustriellen Zeit.

Außerhalb der großfamiliären Unterstützung gab es nur begrenzte Möglichkeiten der Absicherung, weshalb Erwerbstätige ohne familiäres Netz schnell in Schwierigkeiten kamen. Es gab auch Ausnahmen: So schufen Handwerksorganisationen Unterstützungssysteme für Invalide und Witwen. Im staatlichen Dienst gab es Versorgungen zunächst für invaliden und alte Soldaten, erst deutlich später für zivile Bedienstete. Die mit der Industrialisierung zunehmende Abhängigkeit von der Beschäftigung durch fremde Arbeitgeber, zumeist auch verbunden mit einer Trennung von Wohn- und Arbeitsort, legte die Axt an die Wurzel der Mehrgenerationenfamilie, auch wenn die Statistik bis heute noch kleine Reste dieser alten Lebensform ausweist. An ihre Stelle tritt im Zuge der Industrialisierung zunehmend die Kleinfamilie, die im 20. Jahrhundert so etwas wie die »Normalform« des privaten Lebens bildet. Gemeint ist damit das Zusammenleben eines Elternpaares mit den noch nicht erwachsenen (und zumeist noch nicht berufstätigen) Kindern. Mit der Großfamilie zerfällt im Laufe der Zeit das traditionelle soziale Netz, das die Hauptsicherungsinstitution der Kranken und der nicht mehr arbeitsfähigen Älteren in der vorindustriellen Zeit war.

Wichtig für den sozialen Sicherungsbedarf ist auch die Frage, wie viele Menschen in einer Gesellschaft überhaupt ein höheres Alter erreichen (in dem Krankheiten und Verluste an mindestens körperlicher Leistungskraft wahrscheinlicher werden) und wie lange sie in der Altersphase »überleben«. Besonders eindrucksvolle Anstiege hat es historisch bei der Lebenserwartung der Neugeborenen gegeben. Sie lag 1871-1880 in Deutschland bei nicht ganz 36 Jahren für Männer und bei 38,5 Jahren für Frauen, erreichte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 45 respektive 48 Jahre und 1998/2000 74,8 bzw. 80,8 Jahre. Dieser statistische Durchschnitt ist vor allem von der kräftigen Absenkung der früher hohen Säuglingssterblichkeit beeinflusst worden. Weniger eindrucksvoll sind dagegen die Veränderungen in der Lebenserwartung der Menschen im Erwachsenenalter.



Tabelle 1: Prognosen der Lebenserwartung ab Geburt nach Geschlecht in den 15 Mitgliedsländern der EU



Dennoch haben verschiedene Faktoren, so der Anstieg des Wohlstandniveaus, Veränderungen der Arbeitsbedingungen sowie die bessere medizinische Versorgung auch hier langfristige Fortschritte ausgelöst. Die steigende Erwachsenenlebenserwartung bedeutet zum einen, dass ein steigender Anteil der Erwachsenen ein bestimmtes höheres Alter (55, 60, 65,70 etc.) erreicht, und schließt zum anderen ein längeres Überleben in der Altersphase selbst ein. Erreichten 1871-1880 nur etwa ein Viertel der männlichen und ca. 30 % der weiblichen Neugeborenen in Deutschland das 65. Lebensjahr, so waren es 1998/2000 ca. 80 bzw. 90 %. Die durchschnittliche Lebenserwartung der 65-Jährigen ist im gleichen Zeitraum von 9,5 bzw. 10 auf 15,4 bzw. 19,1 Jahre gestiegen. Ob das längere Leben auch mit einer im Durchschnitt längeren Phase altersbedingter Erwerbsunfähigkeit einhergeht, wie gelegentlich unterstellt wird, ist schwer zu belegen, aber doch wahrscheinlich.

Etwas zugespitzt formuliert, bedeuteten die drei angesprochenen Veränderungen: Das längere Leben dehnte den Sicherungsbedarf in der Gesellschaft aus, zugleich machte die zunehmende Angewiesenheit der Menschen auf den Arbeitsmarkt und seine Mindestanforderungen den Einkommenserwerb »riskanter« - schon bei einer altersbedingt oder gesundheitlich reduzierten Arbeitskraft. Während also die Angewiesenheit der Kranken, Arbeitslosen und Älteren auf Unterstützung wuchs, entzog der Zerfall der Großfamilie ihnen das traditionelle soziale Netz der vorindustriellen Zeit. Diese Veränderungen sind in allen europäischen Ländern vergleichbar nachgewiesen. Sie sind allerdings zeitlich versetzt aufgetreten, abhängig vom Industrialisierungsgrad, aber auch beeinflusst von weltanschaulichen, religiösen und sozialen Traditionen. Eine historische Vorreiterrolle spielte England, das technologisch und industriell...
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