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Die Grammatik der Rennpferde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am27.05.20161. Auflage
Liebe kennt keine Regeln Eine Lehrerin, die Ausländern Deutsch beibringt. Ein russischer Ex-Jockey, der Pferdeställe ausmistet. Zwei, die nichts miteinander gemein haben, aber plötzlich miteinander zu tun bekommen, entdecken, dass es manchmal keine Regeln gibt ... Für die Studenten von Salli Sturm ist die Grammatikstunde täglich großes Kino. Und für Salli wird daraus eine Liebesgeschichte, mit der sie nicht mehr gerechnet hätte. Weil sie die Altersgrenze für Romanzen überschritten hat und weil sich ihr Schüler Sergey so hartnäckig gegen Konjunktive und Artikel stemmt. Bis Salli schließlich in einer kalten Februarnacht alle erlernten Regeln fallen lässt. Und sich selbst gleich dazu.

Angelika Jodl unterrichtet Studenten aus aller Welt in Deutsch. Außerdem schreibt sie Geschichten, hält Vorträge zur deutschen Sprache und reitet ein ausgemustertes Rennpferd. Sie lebt mit Mann, Sohn, Hund und Katzen in München.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR6,99

Produkt

KlappentextLiebe kennt keine Regeln Eine Lehrerin, die Ausländern Deutsch beibringt. Ein russischer Ex-Jockey, der Pferdeställe ausmistet. Zwei, die nichts miteinander gemein haben, aber plötzlich miteinander zu tun bekommen, entdecken, dass es manchmal keine Regeln gibt ... Für die Studenten von Salli Sturm ist die Grammatikstunde täglich großes Kino. Und für Salli wird daraus eine Liebesgeschichte, mit der sie nicht mehr gerechnet hätte. Weil sie die Altersgrenze für Romanzen überschritten hat und weil sich ihr Schüler Sergey so hartnäckig gegen Konjunktive und Artikel stemmt. Bis Salli schließlich in einer kalten Februarnacht alle erlernten Regeln fallen lässt. Und sich selbst gleich dazu.

Angelika Jodl unterrichtet Studenten aus aller Welt in Deutsch. Außerdem schreibt sie Geschichten, hält Vorträge zur deutschen Sprache und reitet ein ausgemustertes Rennpferd. Sie lebt mit Mann, Sohn, Hund und Katzen in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423429634
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum27.05.2016
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1098 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.1899961
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1. Geschmacksfragen


Der Versuch, ein streng logisch gegliedertes System in den Wortarten aufzustellen, ist überhaupt undurchführbar.

Hermann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte , 1920


HANDTASCHE ÜBER DER Schulter, einen Stapel Übungsblätter in der Hand, den Schreck von eben noch im Knochenmark hetzt Salli über den gebohnerten Flur des Instituts. Vor ihrem Klassenzimmer verharrt sie, streicht sich eine verirrte grau-schwarze Haarsträhne hinter das Ohr, legt die Hand auf die Türklinke. Und jetzt einfach da hinein wie gestern und all die Tage davor? Im Moment könnte sie nicht einmal sagen, woraus genau ein Hauptsatz besteht, in ihrem Kopf herrscht eine Art Konfettiwirbel, aus dem einzelne Namen hervorblitzen, albern und unzusammenhängend wie Braunbär Bruno und Doktor Donnerstag. Es kommt Salli länger vor, in Wahrheit steht sie nur ein paar Sekunden vor dieser Tür - mehr braucht es nicht, bis gute Erziehung und die Gewohnheit vieler Jahre Nerv und Muskeln wieder kontrollieren, sie drückt die Klinke nach unten, die Tür geht auf.

Vierundzwanzig junge Leute aus Asien, Europa und den beiden Amerikas sitzen da und lächeln sie an, zutraulich, erwartungsvoll, bereit für ihre tägliche Dosis Deutsch. Langsam weicht der Druck von Salli. Von ihren Studenten hat sie schließlich noch keiner nach so etwas wie einem Titel gefragt; hier, im Klassenzimmer, kann sie den dummen Zettel vergessen, der heute in ihrem Fach lag, sie atmet aus, wird wieder, wer sie immer war: die Lehrerin Salli Sturm; zweiundfünfzig; unverheiratet und alleinstehend - wenn man absehen will von einer langjährig guten Beziehung zur deutschen Grammatik.

»So, meine Lieben!«, sagt sie. »Wie sieht es aus mit den Hausaufgaben? Magst du vorlesen, Josette?« Dabei nickt sie der jungen Frau in der zweiten Reihe zu. Alles ist, wie es immer war, Salli tut ihren Job.

Josette erhebt sich mit ihrem Heft, eine Brasilianerin mit dunkler Haut und herrlichem Kraushaar von der Struktur eines Scotch-Brite-Schwamms. Sie räuspert sich. »Mein Traumberuf.« Nochmaliges Räuspern. Dann beginnt sie: »Ich interessiere mich für das Berg. Deshalb ...«

»Berg«, unterbricht sie Salli. »Der, die oder das?«

»Die Berg?« In Josettes Blick schimmert der Zweifel.

Ein Finger schnellt nach oben. »Der Berg«, erklärt Jing, Studentin aus Beijing. »Aber wa-lum?« Jing ist ein As in Grammatik; stabil wie Stahlbrücken stehen ihre Sätze, jede Wortendung fräst sie sauber aus. Schriftlich. Beim Sprechen holen sie die Dämonen ihrer Muttersprache ein.

Der Berg. Ja, warum?

In dem holzgetäfelten Raum sitzen angehende Juristen, Astrophysiker, Opernsängerinnen, Ingenieure; es sind außergewöhnlich kluge junge Menschen, fleißig, höflich und nicht selten bieten sie einen angenehmen Anblick. Jetzt schauen sie ihre Lehrerin alle an wie ausgesetzte Kleinkinder.

Salli spürt, wie ihr Puls schneller geht. Fragen zum Satzbau, zur Herkunft von Wörtern, zum schillernden Gehalt ihrer möglichen Bedeutungen und Assoziationen wirken auf sie wie bei anderen Menschen vielleicht Schokolade, sie versorgen sie mit einer Art linguistischer Endorphine. In diesem Zustand ist ihr Geist endgültig zu beschäftigt, um noch weiter über ihr ältestes Ärgernis zu grübeln.

Und nun tauchen vor Sallis innerem Auge auch noch ihre Assistenten auf, ein Rudel schöner, wilder Tiere. Die Tiere sind sichtbar nur in ihrer Phantasie und stellen ihre höchstpersönliche Einordnung der Wortarten dar: Nomen als majestätisch große Elefanten, die Ketten bilden können, Rüssel an Schwanz (wie beim Datenerhebungsfragebogen); paradiesvogelartige Adjektive, die ihnen vorausflattern (dringend, aktuell); Verben in Gestalt beweglicher Raubkatzen, viele von ihnen heiß darauf, sich auf ein wehrloses Objekt zu stürzen (wir beißen, zerfetzen, verschmähen dich), und die Präpositionen - reizende runde Igelchen, scheinbar harmlos und dennoch mit einer unerhörten Macht begabt: die Elefanten jedenfalls lassen sich brav (ohne jeden Mucks) von ihnen in einen interessanten Kasus pieksen.

Die Studenten warten gespannt. Auch wenn sie die Tiere um sie herum nicht sehen können, wissen sie, dass gleich eine Art Zirkusvorstellung beginnt.

»Also - warum ist der Tisch der Tisch?«, fragt Salli und bückt sich, als wollte sie nachsehen unter der Platte aus Pressspanholz. Nein, da hängen keine hölzernen Geschlechtsteile. Ein paar Studenten fangen an zu kichern.

»Warum ist der Berg maskulin?«, wiederholt sie die Frage. Sie macht eine kleine Pause, dann dreht sie die Handflächen nach außen. »Ich weiß es nicht!«, gesteht sie mit Unschuldsmiene.

Die Studenten lachen.

»Manchmal gibt es keine Regeln«, sagt Salli und an Josette gewandt: »Nimm den Plural. Ich interessiere mich für ...?«

»Die Berg-en?«

Statt einer Antwort geht Salli zur Tafel und schreibt:

der Hund - die Hunde

der Berg - die Berge

»Ich interessiere mich für die Berge«, liest Josette erleichtert weiter. »Deshalb möchte ich Geologin werden. Aber ich fürchte mich ... von Gewitter ... für Gewitter ...?«

Mit zwei raschen Schritten ist Salli direkt vor Josette getreten. »Wo stehe ich? Vor dir, hinter dir, neben dir?«

»Vor mir.«

»Jawohl. Und jetzt ...« Salli hebt die Schultern, bläst ihre Backen auf und rollt drohend mit den Augen - eine böse Teufelin - »jetzt fürchtest du dich ... ?«

»...vor dir«, quiekt Josette, halb schaudernd, halb entzückt, »ich fürchte mich vor dem Gewitter ...«

Wieder hat Jing den Finger oben: »Ich habe einen Fehler gefunden. Auf einem Schild: Warnung vor dem Hunde! Wa-lum heißt es nicht vor den Hunden? Hunde ist doch Pu-lulal!« Sie deutet auf Sallis Tafelbild, ein bisschen schwitzt sie vor Stolz.

Salli überlegt. Was Jing anspricht, ist ein Kapitel, das tief in die Sprachgeschichte zurückreicht. Ihren Unterrichtsplan würde es außerdem durcheinanderbringen. Aber dass Jing (und mit ihr die ganze Klasse) diesen Holzweg einschlägt, kann sie nicht zulassen. »Nein«, sagt sie, »das ist kein Plural. Heute zeigen uns die Artikel die Fälle an, früher mussten die Nomen die Grammatikarbeit alleine machen. Ein -e am Ende war ein Signal für den Dativ. Heute ist das e nur noch in einigen Worten ...« - sie überlegt kurz, ob sie die Vokabel »versteinert« verwenden soll und verwirft den Gedanken wieder - »... noch da: nach Hause - das kennen wir, ja? Oder heißt es nach Haus? Was ist richtig?«

Vierundzwanzig Augenpaare. Zwei Dutzend Gläubige.

»Beides. Das eine ist neu, das andere der alte Dativ.«

Das Wort richtig hat Signalwirkung auf die Studenten. Sie zücken ihre Stifte und notieren die wertvolle Nachricht.

»Hast du auch ein Traumberuf?«, fragt Josette Salli, während sie sich wieder setzt.

In solchen Momenten schämt sich Salli. Wie alle ihre Studenten geht Josette davon aus, dass Salli in ihrem Beruf überglücklich ist. Und das ist sie ja auch. Trotzdem fehlt etwas. Wenn Salli »Traumberuf« hört, dann stellt sie sich flüsterstille Bibliotheken vor, in denen sie zwischen Gelehrten sitzt, Bücher studierend und verfassend; Bücher, aus denen wieder zitiert wird von großen Linguisten; sie stellt sich Tagungen in Rom und Reykjavik vor; immer ist sie dabei umgeben von geistvollen, gütigen Männern und Frauen, denen die Sprache genauso am Herzen liegt wie ihr. Aber das sagt sie natürlich nicht. Sondern gibt ihre übliche Antwort: »Die Arbeit mit euch - das ist mein Traumberuf.«

»Das merken wir«, erklärt Josette strahlend und völlig fehlerfrei.

Salli lächelt zurück, während sie Übungsblätter zur Satzbildung austeilt. Immerhin hatte sie eine Antwort parat. Nächste Woche heißt das Aufsatzthema Traumpartner. Wenn da einer auf die Idee käme, sie nach ihrem Traummann zu fragen ... Doch Salli kann davon ausgehen, dass ihre Schüler für eine so heikle Frage zu taktvoll sind.

Die Studenten beugen sich über ihre Aufgaben (Ich liebe - dich oder dir? Ich gratuliere - Sie oder Ihnen?), während Salli durch die Reihen geht, hier ein falsches Genus verbessert, dort einen Artikel einfügen hilft. Neben ihr schleichen die Ozelote und Panther durch den Raum, lautlos, mit peitschenden Schweifen, Salli scheint es, als könne sie ihren Fleischfresseratem riechen.

Vor dreißig Jahren hat Salli Germanistik studiert. Sie hat das Nibelungenlied im mittelhochdeutschen Original gelesen, Goethes Wahlverwandtschaften und Brechts Mackie Messer interpretiert. Als sie viel später dann begann, Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten, musste sie feststellen, dass nichts davon ihr half, die komplizierte deutsche Grammatik an Menschen weiterzugeben, deren Sprache kein der, die, das kennt, die Satzkonstruktionen gewohnt sind wie Ich nicht das verstehe und sich Vergangenheit und Zukunft anders zusammenreimen, als die deutsche Sprache das tut. Nächtelang saß sie damals über Lehrbüchern und Kompendien.

Bis ihr auf einmal - magischer Moment! - im Schein ihrer grünen Leselampe die Wortart-Tiere erschienen. Auch Bären waren da noch vertreten, doch sie blieben ihr nicht lange, denn zu jener Zeit überstürzten sich plötzlich die Ereignisse: Ein echter Braunbär namens Bruno wurde gesucht in Bayern und Österreich; Professor Sturm,...
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