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Das Marillenmädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.09.2016
Welche Erinnerungen sind es, die ein Leben bestimmen?
»Sie schmeckte nach Rauch und dem verbrannten Boden des Topfes und gleichzeitig süß, diese Marmelade, sodass man nur einen Löffel nehmen wollte und dann war es auch genug. Genug Erinnerung, genug, dass mein Herz aufgewühlt wurde und schneller schlug, als gut für mich war.« Ein Marillenbaum in einem alten Wiener Garten. Seit ihrer Kindheit in den 1940er Jahren kocht Elisabetta jeden Sommer Marmelade ein. Und jedes Mal, wenn sie ein Glas aus dem alten Kellerregal in die Hand nimmt, es öffnet und den süßen Duft einatmet, erinnert sie sich an ihr Leben, an ihre in Dachau ermordete Familie, an ihre große Liebe Franz, an ihre Tochter Esther und ihre Enkelin Rahel. Elisabetta lebt zurückgezogen in ihrer Welt mit den Stimmen der Vergangenheit. Als die Tänzerin Pola bei ihr zur Untermiete einzieht, reißen die alten Wunden auf.

Beate Teresa Hanika, geboren 1976 in Regensburg, schrieb bereits mehrere erfolgreiche Jugendbücher, die u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurden. 'Das Marillenmädchen' ist ihr erster Roman für Erwachsene. Beate Teresa Hanika lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWelche Erinnerungen sind es, die ein Leben bestimmen?
»Sie schmeckte nach Rauch und dem verbrannten Boden des Topfes und gleichzeitig süß, diese Marmelade, sodass man nur einen Löffel nehmen wollte und dann war es auch genug. Genug Erinnerung, genug, dass mein Herz aufgewühlt wurde und schneller schlug, als gut für mich war.« Ein Marillenbaum in einem alten Wiener Garten. Seit ihrer Kindheit in den 1940er Jahren kocht Elisabetta jeden Sommer Marmelade ein. Und jedes Mal, wenn sie ein Glas aus dem alten Kellerregal in die Hand nimmt, es öffnet und den süßen Duft einatmet, erinnert sie sich an ihr Leben, an ihre in Dachau ermordete Familie, an ihre große Liebe Franz, an ihre Tochter Esther und ihre Enkelin Rahel. Elisabetta lebt zurückgezogen in ihrer Welt mit den Stimmen der Vergangenheit. Als die Tänzerin Pola bei ihr zur Untermiete einzieht, reißen die alten Wunden auf.

Beate Teresa Hanika, geboren 1976 in Regensburg, schrieb bereits mehrere erfolgreiche Jugendbücher, die u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurden. 'Das Marillenmädchen' ist ihr erster Roman für Erwachsene. Beate Teresa Hanika lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641196127
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum12.09.2016
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2122 Kbytes
Artikel-Nr.1941767
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Ich weiß, Geschichten sind aus der Mode gekommen. Spätestens seit der Jahrtausendwende habe ich keine mehr gehört. Außer diese. Sie handelt von Liebe und Freiheit, und mehr braucht es zu einer guten Geschichte nicht.

Es begann damit, dass die Russin auszog und das andere Mädchen einzog. Die beiden dachten, ich würde es nicht bemerken. Sie dachten, meine Augen wären so schlecht, dass ich eine Russin nicht von einer Deutschen unterscheiden könnte, dass der Singsang ihrer Stimmen so ähnlich ist, hart und fordernd, dass ich durch die Bodendielen nur ihren abgehackten Akzent hören und sie für ein und dieselbe halten würde. Sie dachten, ich würde nicht mitbekommen, dass eines Tages nicht mehr die Russin nach Hause kam, sondern die andere. Sie sperrte unten die Haustür auf und ging die knarzenden Treppen nach oben in den ersten Stock. Als sie mich unten in meiner Wohnungstür stehen sah, rief sie mir nur ein flüchtiges Guten Abend, Frau Shapiro zu.

Ich weiß, wie ich aussehe. Meine Augen sind wässrig und trüb, mein Haar ist in all den Jahren weiß geworden und mein Körper klapprig. Das ist er, auch wenn ich mir wünschte, es wäre nicht so. Optisch macht das sicher nicht den besten Eindruck. Aber verwirrt bin ich noch lange nicht. Ich verschränkte die Arme vor der knochigen Brust und lauschte ihren Schritten. Oben ging sie in der Wohnung umher, als wäre sie schon immer da gewesen. Sie streifte sich die Schuhe von den Füßen und lief auf blanken Sohlen ins Badezimmer, drehte den Wasserhahn auf und ließ Wasser in die gusseiserne Wanne laufen, während sie ihre Einkäufe in den Kühlschrank stellte.

Ich hatte die Russin nicht gemocht. Sie war ein einfaches Mädchen aus dem Grenzgebiet zur Mongolei, ihr Gesicht fast asiatisch, ihr Körper biegsam und leicht. So biegsam wie das Schilf, das sich zitternd über das schwarze Wasser des Baikalsees neigt. So leicht wie die Libellen, die sich mit knisternden Flügeln auf deine Hand setzen. Sie war anständig und ruhig. Und sie brachte keine Männer mit nach Hause. Nie. Vielleicht war sie zurück nach Hause gegangen, nachdem sie sich die Füße durchgetanzt hatte. Obwohl sie so anständig war, hatte ich sie nicht gemocht.

Bei der anderen reichte mir ein flüchtiger Blick, um zu wissen, dass sie Ärger hinter sich herschleppte wie eine Katze ihre Jungen. Im Nachhinein frage ich mich, warum ich sie nicht gleich an diesem ersten Abend vor die Tür gesetzt habe. Schließlich war es mein Haus. Meine Wohnung. Doch irgendwie kam mir dieser Gedanke nicht in den Sinn.

Sie hinterließ einen Geruch nach Kolophonium im Treppenhaus. Das, und eine fatale Mischung aus Zorn, Angst und Geheimnis. Nach unausgesprochenen Worten und Taten, die man vergessen wollte. Vielleicht war es das, was mich daran hinderte, ihr nachzugehen und sie zur Rede zu stellen. Vielleicht waren es auch nur Altersleichtsinn, Langeweile und eine kleine Prise Feigheit, die mich zurückhielten. Wer weiß.

Meine Mutter erzählte mir immer, dass mein Vater mir meinen Namen gegeben hatte. Nachdem meine Mutter entschieden hatte, dass meine zwei Schwestern Judith und Rahel heißen sollten, hatte mein Vater auf Elisabetta bestanden. Elisabetta. Ein geradezu absurder Name für ein kleines jüdisches Mädchen, doch mein Vater sagte, er sehe es meinen Augen an, dass ich keinen gewöhnlichen Namen wollte, sondern einen, der mich von den anderen unterschied. Elisabetta Shapiro. Der Name unterschied mich. Damit hatte er wohl recht. Der Name war weder Fisch noch Fleisch. Ich war keine Italienerin. Und er gab weder einen Hinweis darauf, dass ich Jüdin war, noch dass ich aus Wien stammte.

Ich hätte es auch schlimmer treffen können. Ich will nicht jammern. Zudem die Kinder damals allesamt keine Glückskinder waren. 1934 war kein Jahr, in dem Glückskinder geboren wurden. Und ich glaube nicht, dass ein Kind aus diesem Jahr sein Schicksal je hätte verändern können, ob es nun Elisabetta oder Judith hieß.

Wie es heute damit steht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass dieses Mädchen auch nicht wie ein Glückskind aussah. Als sie auftauchte und die Russin verschwand, begann gerade der Marillenbaum zu blühen. Hinter dem Haus, vor der Terrassentür, blühte der Baum mit solcher Hingabe, wie es nur die Natur fertigbringt. Er blühte und ließ gleichzeitig die weißen Blätter verschwenderisch auf das ungemähte, struppige Gras regnen, das sich rau unter den Füßen anfühlte. Nachts konnte ich nicht schlafen, weil der Geruch nach Frühling zu meinem Schlafzimmerfenster hineinkroch. Das machte mich und die Geister unruhig. Oder es war das Mädchen, das über mir herumlief und Pirouetten drehte.

Ich fand heraus, dass sie, wie die Russin, Tänzerin am Wiener Staatsballett war. Dass sie im Corps de Ballet tanzte und Deutsche war. Mehr musste ich nicht wissen.

Am nächsten Morgen, so früh, dass selbst mitten in Wien noch der Nebel über den Boden kroch, ging ich in den Garten hinaus und lehnte mich an den Marillenbaum. Ich konnte nicht schlafen. Nicht ihretwegen. Es war vielmehr, als wollten mich diese vierundzwanzig Stunden, die der Tag dauerte, nicht loslassen.

Mit den Jahren hatte ich mir angewöhnt, hier zu stehen, zu rauchen und mit Rahel und Judith zu sprechen. Rahel, die Ältere und Ernsthaftere, wies mich oft zurecht, was das Haus betraf. Ich ließe es verlottern, sagte sie. Mutter würde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, was ich mit dem Haus anstellte. Sie meinte damit, dass sich der Staub unter den Möbeln flockte und das Geschirr sich in der Spüle stapelte, weil ich keine Lust hatte abzuwaschen. Dass unter den Bildern helle Ränder waren, weil nie neu gestrichen wurde, und ich Eimer auf den Dachboden stellen musste, weil es dann und wann hineinregnete. Natürlich nur, wenn es stürmte oder wenn nach dem Winter der Schnee schmolz.

Mutter hat kein Grab, erwiderte ich dann immer etwas böse, weil ich wusste, wie sehr sie diese Tatsache traf. Judith besänftigte uns, strich wie der Wind über unsere Haut und hielt sich meistens still. Schon als Kind war sie ruhig gewesen. Zurückhaltend. Während Rahel und ich stritten, saß sie auf der Vordertreppe und las oder rollte Murmeln auf dem kleinen Weg vom Gartentor zum Haus hin und her.

»Was soll das Mädchen oben in der Wohnung«, sagte Rahel, und ich riss eine neue Packung Ernte 23 auf. Ich rauchte sie nur, weil ich wusste, wie sehr Rahel den Geruch verabscheute.

»Was meinst du?«, fragte ich.

»Die Neue. Das deutsche Mädchen.«

»Sie ist Russin.«

»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Ich habe die Russin mit ihren Koffern mitten in der Nacht gehen sehen. Sie hat die Straßenbahn zum Hauptbahnhof genommen und sitzt jetzt wahrscheinlich in der Transsibirischen Eisenbahn.«

»Unsinn.«

»Nichts Unsinn. Du verschließt deine Augen.«

Judith ließ die Blätter im Baum rascheln, und ich zog an meiner Zigarette. Der Rauch legte sich bitter auf meine Zunge.

»Kein Mensch fährt noch mit der Transsibirischen.«

»Du weißt genau, wie ich es meine. Mutter würde sich im Grabe umdrehen.« Rahels Stimme klang wie mehrere klatschende Ohrfeigen, aber irgendwie langweilte mich dieser Satz mittlerweile. Zu oft gesagt. Zu oft gehört. Ich gähnte, riss den Mund so weit auf, dass Rahel bis zu meinem letzten verbliebenen Zahn sehen konnte.

»Ich weiß.«

»Sie würde es nicht dulden.«

»Eine Russin.«

»Eine Deutsche.«

Ich seufzte.

»Sei nicht albern. Was macht es für einen Unterschied. Mutter hätte auch keine Russin im Haus geduldet.«

Damit hatte ich wohl recht, denn Rahel hielt ihren bissigen Mund. Ich mochte sie wirklich. Tief drinnen liebte ich sie, wie nur Schwestern sich lieben können. Ich lehnte meinen Rücken gegen den Stamm des Marillenbaums. Er fühlte sich genauso rissig an wie mein eigener Körper.

»Wisst ihr noch«, sagte ich, »als Vater den Baum gepflanzt hat? Er hat ihn drüben in Mödling bei einem Obstbauern ausgegraben und hinten auf dem Fahrrad bis hierher gefahren.«

Rahel schwieg.

»Er sagte, es wäre ein guter Zeitpunkt, den Baum zu pflanzen.«

Ich konnte mich noch so gut an seine Worte erinnern, als hätte er gerade erst neben mir gestanden. Hier, an dieser Stelle, auf den Spaten gestützt, mit Erde auf der Stirn, weil er das Loch gegraben und sich dann mit der Hand über das Gesicht gewischt hatte. So gut, weil ich mir die Zeit danach genau so vorstellte. Orange und saftig. Süß und schwer, wie Marillen, die man sich noch sommerwarm vom Baum pflückte.

»Du warst noch nicht geboren, als er den Baum gepflanzt hat«, wies mich Rahel zurecht.

»Aber er hat es mir so oft erzählt, dass es sich anfühlt, als wäre ich dabei gewesen.«

»Blödsinn«, sagte Rahel mürrisch.

»Der Bauer in Mödling war im Krieg geblieben, und sein Garten war verwaist.« Ich schnippte die Asche in das dürre Gras. »Vater hatte noch nicht mal einen Eimer. Er hat sich den Wurzelballen in den Gepäckträger geklemmt und bestimmt die Hälfte der Erde verloren. Keiner hat geglaubt, dass der Baum überleben würde. Ohne die Erde und mit den paar Wurzeln. Aber er steht heute noch hier.«

So wie ich.

»Mit wem sprechen Sie?«

Ich hatte nicht bemerkt, dass das Mädchen hinter mich getreten war, und zuckte zusammen. Sie trug ein weißes Trikot - wahrscheinlich war sie auf dem Weg zur Oper - und darüber eine kurze Jeans. Unter dem dünnen Stoff konnte ich ihre Rippen und die magere Wölbung ihrer Brust sehen.

»Mit den Amseln.«

»Ach so.«

Mir fielen ihre Augen auf....

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Autor

Beate Teresa Hanika, geboren 1976 in Regensburg, schrieb bereits mehrere erfolgreiche Jugendbücher, die u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurden. "Das Marillenmädchen" ist ihr erster Roman für Erwachsene. Beate Teresa Hanika lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.