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Kein Weg zu weit. Ein Mädchen zwischen Flucht und Hoffnung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Arena Verlag GmbHerschienen am19.07.2016
Seit ihr Vater aus Eritrea fliehen musste, patrouillieren Soldaten vor Azmeras Elternhaus. Mit einem Schlag sind Schule, Studium, ein normales Leben unerreichbar. Mit dem letzten Ersparten macht sie sich auf die Flucht nach Europa. Unterwegs trifft sie Pedros, erst ihr Bruder auf dem Papier, schließlich ihr Freund. Sie beide eint die Hoffnung auf Freiheit, eine Hoffnung, die sogar stärker ist als ihre Liebe.

Brigitte Blobel wurde 1942 in Hamburg geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Nach dem Abitur studierte sie englische und französische Literatur, Theaterwissenschaften sowie Politik und Zeitungs-Wissenschaften. Sie arbeitete in Frankfurt als Redakteurin für Associated Press und hat zwei Kinder großgezogen. Brigitte Blobel lebte mit ihrem Ehemann auf Mallorca und in Hamburg. Neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin und Drehbuchautorin schrieb sie Bücher für Jugendliche und Erwachsene, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Brigitte Blobel verstarb nach schwerer Krankheit im August 2024.
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Produkt

KlappentextSeit ihr Vater aus Eritrea fliehen musste, patrouillieren Soldaten vor Azmeras Elternhaus. Mit einem Schlag sind Schule, Studium, ein normales Leben unerreichbar. Mit dem letzten Ersparten macht sie sich auf die Flucht nach Europa. Unterwegs trifft sie Pedros, erst ihr Bruder auf dem Papier, schließlich ihr Freund. Sie beide eint die Hoffnung auf Freiheit, eine Hoffnung, die sogar stärker ist als ihre Liebe.

Brigitte Blobel wurde 1942 in Hamburg geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Nach dem Abitur studierte sie englische und französische Literatur, Theaterwissenschaften sowie Politik und Zeitungs-Wissenschaften. Sie arbeitete in Frankfurt als Redakteurin für Associated Press und hat zwei Kinder großgezogen. Brigitte Blobel lebte mit ihrem Ehemann auf Mallorca und in Hamburg. Neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin und Drehbuchautorin schrieb sie Bücher für Jugendliche und Erwachsene, die mehrfach ausgezeichnet wurden. Brigitte Blobel verstarb nach schwerer Krankheit im August 2024.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783401805832
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum19.07.2016
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1981206
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Verdammt!« Assoud schlägt mit der Faust gegen das Autoblech. »Ich nehme doch keine Kinder mit!«

Azmeras Herz klopft. Assoud, dieser kleine, schmächtige Mann mit dem wilden Blick, ist ihre einzige Chance: Er ist der Fahrer, dem sie ihr Leben, ihre Zukunft anvertrauen will. Der sie mit seinem klapprigen VW-Bus über die Grenze bringen soll. In ihrer Vorstellung dehnt sich Eritrea bis zum Horizont, wird immer größer. Die Grenze zum Sudan rückt in unendliche Ferne. Und das Mittelmeer? Europa? Wie soll sie das je erreichen?

Assoud zieht sein rechtes Bein nach, das irgendwie kürzer als das linke wirkt. Sein Hemd ist nass. Ob vom Regen, der seit heute Morgen in Strömen vom Himmel fällt, oder von Schweiß, kann Azmera nicht erkennen. An seinem Hemd fehlen einige Knöpfe und der Saum der Hosenbeine hat sich aufgelöst. Dieser Mann muss entweder arm sein oder er hat eine Frau, die nicht für ihn sorgt. Sein Van, dieses alte, zerbeulte Ding, mit dem er sie über die Grenze bringen soll, parkt in einer Schlammlache am Straßenrand. Aus dem Wageninnern starren sie fremde Männer an. Sie klopfen wütend gegen die Scheibe, sie wollen, dass es weitergeht.

Nicht hinsehen. Einen Schritt nach dem anderen tun. Zuerst also dieser Assoud. Wenn sie sich mit ihm beschäftigt, muss sie nicht an zu Hause denken. Azmera weiß, dass sie zusammenbrechen wird, wenn sie diese Gedanken zulässt.

Pater Umberto stellt sich neben sie. In den letzten Wochen und Monaten war der junge Priester eine große Stütze für Azmera und ihre Familie. Er ist zwar erst Anfang zwanzig, aber in der christlichen Gemeinde sehr beliebt, er kennt viele Leute und hat gute Kontakte. Er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit Azmera diese Reise, diese Flucht, antreten und ihrem Vater ins ferne Schweden folgen kann. Ohne ihn wäre sie niemals bis an diesen Punkt gekommen.

Sie zittert. Pater Umberto legt ihr eine Hand auf den Kopf. Ein Schauer durchläuft sie, aber sie versucht, weiter unbeeindruckt geradeaus zu schauen, doch das gelingt nicht. Heute trägt der Pater nicht seine schwarze Soutane, sondern Jeans, ein gestreiftes Hemd und Sandalen. Er sieht auf einmal ganz anders aus, fast wie ein Filmstar in den Liebeskomödien, die Azmera so gerne geguckt hat, als es in ihrer Wohnung noch regelmäßig Strom gab. Sie kann nicht aufhören, ihn anzuschauen, und hat gleichzeitig Panik, er könnte es bemerken und die Dinge in ihren Augen lesen, die sie ihm so gerne sagen würde, aber nicht kann und nicht darf. Plötzlich wünscht sie sich, mit diesem coolen Typen in Jeans und Sandalen einfach ins Auto zu steigen und durchzubrennen.

»Sie ist kein Kind mehr, Assoud«, sagt Pater Umberto eindringlich, »sie ist eine kluge junge Frau, die sehr gut alleine zurechtkommt.«

»Und woher soll einer wie du so was wissen? Was für eine Ahnung hast du von Frauen? Von Mädchen? Du darfst ja nicht einmal heiraten.« Assoud wendet sich mit einer verächtlichen Handbewegung von ihnen ab.

Azmeras Kopf glüht, aber der Pater bleibt ruhig. »Gut, wenn du sie nicht mitnehmen willst, bringe ich sie wieder nach Hause.«

»Nein! Bitte! Nicht wieder zurück!«, presst Azmera mit erstickter Stimme hervor. »Ich kann nicht ...« Doch dann stellt sie sich vor, wie sie wieder vor ihrem Haus steht. Drinnen würde ihr ihr kleiner Bruder bestimmt schon auf der Treppe mit ausgestreckten Armen entgegenpurzeln. Oh Hawi ... Ob er wohl inzwischen aufgewacht ist und bemerkt hat, dass seine große Schwester fehlt? Hawi ist erst fünf und darf nichts von Azmeras Flucht wissen. Die Gefahr ist zu groß, dass er sich vor den Nachbarn verplappert - oder, noch schlimmer, auf dem Markt. Dort gibt es viele Ohren ... Als Azmera heute Morgen fröstelnd und mit pochendem Herzen das Haus verließ und zu Pater Umberto in den Wagen stieg, hatte sich Hawi noch in einem unruhigen Traum auf der Matratze hin und her geworfen. Sie hatte ihn nicht aufgeweckt und sich nicht verabschiedet. Der Gedanke versetzt Azmera einen Stich. Sie atmet tief durch und denkt trotzig: Gut, dann fahre ich eben zurück. Dann geht es eben nicht. Es ist, als würde eine Last von ihr abfallen, doch ihre Mutter vertraut darauf, dass sie stark ist - und ihr Vater auch. Aber sie, Azmera, weiß nicht wirklich, ob es stimmt. Egal, sie hat keine andere Wahl. Für ihre Familie muss sie stark sein.

Pater Umbertos Stimme reißt sie aus ihren Gedanken. Er streckt Assoud seine flache Hand hin und fordert: »Gib mir das Geld zurück. Alles. Sofort.«

Assoud starrt ihn an. Das Weiße in seinen Augen ist gelblich verfärbt und die Iris seines rechten Auges getrübt. Azmera weiß, dass er zweihundert Dollar dafür bekommen hat, sie in den Sudan zu bringen. Zweihundert Dollar. So viel Geld. Gutes Geld, von dem sie zu dritt ein ganzes Jahr lang hätten leben können. Ihr Hals wird trocken. Sie schluckt.

»Siebzehn also«, brummt Assoud.

»Ich werde bald achtzehn.«

»Ach!« Assoud macht eine wegwerfende Handbewegung und wendet sich wieder an den Pater. Sein Ton ist noch schärfer: »Ich kann nicht auf sie aufpassen, ist das klar? Ich fahre sie an die Grenze und dann muss sie selber zurechtkommen. Genau wie alle anderen auch. Das ist alles. Dafür werde ich bezahlt. Verstanden? Ich bin nicht ihre Kinderfrau. Ich kann sie nicht beschützen.«

»Behandle sie anständig, mit Respekt«, sagt der Pater sanft. »Denk an deine Frau. Denk daran, was Jabila von dir erwarten würde. Sie hält dich für einen Mann, der Frauen beschützt, oder?«

Assoud senkt mürrisch den Blick.

Da erscheint der Kopf eines Mannes in der Tür von Assouds Wagen. Azmera kann erkennen, dass außer ihm noch zwei andere Männer im Auto warten. Zwar zeichnen sich nur ihre Umrisse im Fenster ab, aber sie spürt ihre Blicke wie Pfeile. Was sie wohl von ihr denken? Sie trägt ihren dunkelgrünen knielangen Faltenrock, die weiße Bluse, gewaschen und gebügelt, und die rote Strickjacke mit den grünen Knöpfen. Dazu Schnürschuhe aus braunem Leder, die ihr gerade noch passen. Es ist die Schuluniform, die sie mit fünfzehn bekommen hat und die ihr immer noch ganz gut passt. Kurz bevor sie in Pater Umbertos Auto gestiegen ist, hat sie sich noch eine blaue Hibiskusblüte vom Strauch aus dem Nachbargarten in einen ihrer Zöpfe gesteckt. Ein zartes Souvenir, das welken wird, bevor der Tag alt ist. Nun tasten Azmeras Finger ein wenig beschämt nach der Blüte. Doch der fremde Mann beachtet sie nicht weiter.

»Hey, Assoud«, schimpft er, »haben wir dich dafür bezahlt, dass du hier Wurzeln schlägst?«

Assoud lässt Azmera und den Pater stehen und humpelt auf den Wagen zu. Er fuchtelt wild mit den Armen. »Ihr regt mich auf, hört ihr? Ihr mit eurer verdammten Ungeduld. Ihr kommt schon noch früh genug ans Ziel. Setz dich wieder hin.«

Der Mann schüttelt den Kopf. »Nein, erst wenn du deinen verdammten Hintern wieder hinter das Steuerrad bewegst.« Er deutet auf Azmera. »Was ist mit ihr? Weshalb halten wir hier?«

»Das geht dich nichts an«, ruft Assoud herrisch. Dann nickt er Azmera zu: »Komm, steig ein. Du sitzt vorne neben mir.«

»Gleich«, erwidert sie heiser und wendet sich noch einmal Pater Umberto zu, doch sie weiß nicht recht, was sie sagen soll. Stattdessen presst sie die Lippen aufeinander. Ich werde nicht weinen, sagt sie sich. Ich werde keine Angst haben. Ich bin stark und mutig. Und klug. Papa sagt immer, dass ich klug bin. Und die Lehrer. Sogar die Direktorin hat es gesagt. Mir wird nichts passieren.

»Assoud ist ein guter und respektabler Mann«, sagt der Pater und bricht damit das Schweigen, das einen Moment lang zwischen ihnen hing. »Ich vertraue ihm.« Und nach einer Atempause fährt er fort: »Er kennt sich aus. Er hat schon viele Leute über die Grenze gebracht, auch deinen Vater.«

Azmeras Gesicht hellt sich auf. »Auch Papa? Das wusste ich nicht!« Sie fasst neuen Mut und es gelingt ihr, sich ein wenig zu entspannen.

Der Pater lächelt aufmunternd. »Azmera, mein Plan funktioniert. Hab keine Angst. Du wirst sehen: Alles wird gut.«

Sie mag es, wenn er ihren Namen sagt. Ein warmes Gefühl breitet sich in ihrer Magengrube aus, das jedoch sofort wieder verschwindet, als sie sich ins Bewusstsein ruft, dass sie Pater Umberto gleich für immer hinter sich lassen muss. Ihn und alles, was sie jemals gekannt hat. Azmeras Kopfhaut zieht sich zusammen.

»Pater, ich ...«, setzt sie vorsichtig an, bricht jedoch wieder ab. Sie will ihm sagen, dass sie ihn liebt, dass sie für immer bei ihm bleiben und nicht mit diesen fremden Männern in Assouds baufälligen Wagen steigen möchte.

Sie legt sich die dunkelblaue Umhängetasche, die ihr die Mutter letzte Woche gekauft hat, über die Schulter, wendet sich ab und will auf das Auto zugehen.

Sie zieht den Bauch ein, damit ihre Gürteltasche unter der Strickjacke nicht auffällt. In diesem Täschchen hat sie ihre Wertsachen verstaut: ihren Schülerausweis, der längst ungültig geworden ist, das letzte Zeugnis mit den vielen guten Noten, eine Bild, das Hawi für sie gemalt hat, das Madonnenbildchen von der Konfirmation und den kleinen blauen Stein, den die Mutter von ihrer Mutter geerbt hat. Niemand weiß, wie viel der Stein wert ist. Vielleicht gar nichts. In einer wasserfesten Hülle ist das Geld. So viele Nakfa- und Dollarnoten, dass Azmera bei ihrem Anblick ganz schwindlig wurde. Ihre Mutter hat dafür Papas Motorrad auf dem Schwarzmarkt verkauft, das immer noch unter dem Vordach stand, als würde der Vater jeden Augenblick zurückkommen. Einen Pass oder Personalausweis besitzt Azmera nicht.

»Sie sitzt vorne neben mir«, ruft Assoud den anderen zu. »Und ihr bleibt hinten, ist das klar?«

Pater Umberto ist auf einmal wieder an...
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Autor

Brigitte Blobel wurde 1942 in Hamburg geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Nach dem Abitur studierte sie englische und französische Literatur, Theaterwissenschaften sowie Politik und Zeitungs-Wissenschaften. Sie arbeitete in Frankfurt als Redakteurin für Associated Press und hat zwei Kinder großgezogen. Brigitte Blobel lebte mit ihrem Ehemann auf Mallorca und in Hamburg.Neben ihrer Tätigkeit als freie Journalistin und Drehbuchautorin schrieb sie Bücher für Jugendliche und Erwachsene, die mehrfach ausgezeichnet wurden.Brigitte Blobel verstarb nach schwerer Krankheit im August 2024.