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Ein letzter Sommer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am25.06.20141. Auflage, neue Ausgabe
East-Chicago, 1960: Daniel Price ist achtzehn und schließt gerade zusammen mit seinen Freunden Larry und Billy die Highschool ab. Die Zukunft wartet auf sie, aber sie haben keine Ahnung, wie sie aussehen wird. Vor ihnen liegt ein Sommer der Entscheidungen und viel schneller als erwartet trennen sich ihre Wege: Billy wählt das ruhige Leben, Larry die Revolte und Daniel bleibt zunächst unentschlossen. Das ändert sich schlagartig, als er sich in die unergründliche Rachel verliebt. Sie ist für ihn das Versprechen einer großen weiten Welt, die Flucht aus den Konflikten seiner schönen, exotisch anmutenden Mutter und seinem krebskranken, verbitterten Vater. Doch Daniels Liebesglück ist überschattet von Rachels Geheimnis, das ihn immer tiefer in den Sog seiner widersprüchlichen Gefühlen zieht.

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film »Breaking Away« und für »Garp und wie er die Welt sah«. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane »Ein letzter Sommer« (2005) und »Abspann« (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextEast-Chicago, 1960: Daniel Price ist achtzehn und schließt gerade zusammen mit seinen Freunden Larry und Billy die Highschool ab. Die Zukunft wartet auf sie, aber sie haben keine Ahnung, wie sie aussehen wird. Vor ihnen liegt ein Sommer der Entscheidungen und viel schneller als erwartet trennen sich ihre Wege: Billy wählt das ruhige Leben, Larry die Revolte und Daniel bleibt zunächst unentschlossen. Das ändert sich schlagartig, als er sich in die unergründliche Rachel verliebt. Sie ist für ihn das Versprechen einer großen weiten Welt, die Flucht aus den Konflikten seiner schönen, exotisch anmutenden Mutter und seinem krebskranken, verbitterten Vater. Doch Daniels Liebesglück ist überschattet von Rachels Geheimnis, das ihn immer tiefer in den Sog seiner widersprüchlichen Gefühlen zieht.

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film »Breaking Away« und für »Garp und wie er die Welt sah«. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane »Ein letzter Sommer« (2005) und »Abspann« (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036992907
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum25.06.2014
Auflage1. Auflage, neue Ausgabe
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1811 Kbytes
Artikel-Nr.2078121
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Er hieß Presley Bivens. Er kam aus Anderson, Indiana, er wog 76 Kilo, und er lächelte mich an. Er war schon zweimal hier gewesen, hatte beide Male gewonnen, und war wiedergekommen, damit es drei Siege in Folge wurden. Er entsprach überhaupt nicht dem, was ich mir unter einer Legende vorgestellt hatte.

Die Stadthalle war bis auf den letzten Platz ausverkauft, die Zuschauer tobten, die Cheerleader kreischten, aber er schien nichts von alledem zu hören. Er wirkte freundlich, entspannt, überhaupt nicht wie ein Gegner. Und er lächelte immerzu. Der Kampfrichter verwarnte ihn mehrmals wegen Passivität, aber eigentlich war er nicht passiv. Er hatte es nur nicht eilig. Er schien zu wissen, wie der Kampf ausgehen würde. Dass er gewinnen würde. Dass er schon gewonnen hatte. Was ihn anbelangte, war er schon wieder daheim in Anderson, Indiana, stand auf seinem Wohnzimmerteppich und blickte auf alles zurück, erinnerte sich daran, wie er mich besiegt hatte.

Es waren nur noch etwas über zwei Minuten Kampfzeit übrig, und ich lag sechs zu vier vorn, trotzdem flatterten nicht seine, sondern meine Nerven. Er lächelte einfach nur. Er hatte kleine runde Schweinsäuglein, die noch runder wurden, wenn er lächelte. Nichts an ihm deutete auf den größten Ringer hin, den Indiana je gesehen hatte. Seine Brust war flach, mit blondem Haarflaum bedeckt, seine Arme waren weich, seine Beine unterentwickelt, seine Haut blass. Das einzig Kräftige an ihm war sein Hals, ein massiver, Furcht einflößender Hals; Dinosaurier hatten solche Hälse. Sein kleiner runder Kopf saß auf diesem prähistorischen Hals wie ein Tennisball auf einem Hydranten. Er redete unablässig mit mir. Als ich mit meinem ersten Wurf punktete, sagte er mit seinem südlichen Indiana-Näseln, mit seiner hohen, gequetschten Stimme:

»Prima Griff, Kleiner. Astrein.«

Er nannte mich immer nur »Kleiner«. Er war so alt wie ich und nannte mich immer nur »Kleiner«. Er lag zurück, es blieben ihm kaum noch zwei Minuten, und er war entspannt. Ich gewann und er lächelte. Nein, er war überhaupt nicht so, wie ich es erwartet hatte.

Die Zuschauer waren auf meiner Seite. Einige riefen meinen Namen. Los, Price. Gib´s ihm. Jetzt hast du ihn. Andere riefen den Namen meiner High School. Los, Roosevelt. Er gehört dir. Du hast ihn. Trainer French kniete am Rand der Matte und brüllte Anweisungen.

»Bleib von ihm weg! Fall nicht drauf rein! Lass dich nicht kriegen!«

In einem Bundesstaat mit wenigen Sportlegenden, die meisten davon Basketballspieler, war Bivens eine Ringerlegende. In seiner Gewichtsklasse war er zweimaliger Landesmeister, er war seit drei Jahren ungeschlagen und hatte immer durch Schultersiege gewonnen. Ich hatte schon lange, bevor ich ihm begegnete, von ihm gehört. Jeder, der je gegen ihn angetreten war, sagte dasselbe. Alle hatten gedacht, sie hätten ihn, sie lagen immer nach Punkten vorn, er war immer am Rande der Niederlage, und dann passierte etwas. Alle wussten über seinen Trick Bescheid. Trainer French hatte mich schon Wochen vor der Landesmeisterschaft davor gewarnt. Als wir dann in seinem Auto nach Indianapolis fuhren, redete er von nichts anderem.

»Du weißt, was er macht, also fall nicht drauf rein. Er hat nichts weiter als die Brücke. Die ist alles, was er hat. Also fall nicht drauf rein. Leg´s nur auf Punkte an. Verstanden?«

Die letzten zwei Minuten brachen an. Ich war Untermann. Der Kari pfiff. Ich entwischte und erzielte zwei weitere Punkte. Ich führte jetzt acht zu vier.

»Prima rausgewunden, Kleiner«, näselte Bivens. »Aalglatt.«

Er kam auf mich zu. Wir packten uns und kamen von der Matte ab. Der Kari trennte uns und schickte uns zum Mittelkreis zurück. Auf meinem Weg dahin zwinkerte er mir zu. Er wollte, dass ich gewann. Alle wollten, dass ich gewann. Einige wenige waren aus Anderson hergekommen. Sie hatten vor dem Kampf mit mir geredet; sogar die Leute aus seiner Heimatstadt wollten, dass ich gewann. Alle wollten, dass die Legende stürzte.

Ich musterte Bivens vom Rand des Mittelkreises aus. Er sah auf die Uhr. Nur noch knapp anderthalb Minuten. Er kam auf mich zu. Wir packten uns wieder. Er ließ sich plötzlich fallen und griff nach meinem Fußgelenk, und ohne nachzudenken, schob ich den Unterarm vor sein Gesicht, täuschte links an und zog rechts und erzielte mit einem weiteren Wurf noch zwei Punkte. Jetzt stand es zehn zu vier. Trainer French sprang auf. In seinen ganzen fünfundzwanzig Trainerjahren hatte er noch nie einen Landesmeister gehabt. Gleich war ich sein erster.

Bivens lag flach auf dem Bauch. Ich war über ihm. Er kämpfte sich auf die Knie. Mein rechter Arm umklammerte seine Taille. Er versuchte eine Wende, aber ich sah sie kommen und fing ihn ab. Ich steckte meinen rechten Arm zwischen seine Beine und hob ihn hoch. Mein linker Arm glitt um seinen Hals. Er lag jetzt auf dem Rücken. Ich war oben und wollte einen Schultersieg.

»Lass ihn los. Mach´s nicht!«, brüllte Trainer French. Ich hörte ihn ganz deutlich. Und dann merkte ich, dass die Zuschauer verstummt waren. Alle waren aufgestanden, gaben aber keinen Laut von sich. Trainer French brüllte weiter auf mich ein, doch ich schüttelte den Kopf. Ich wollte einen Schultersieg. Ich spürte Bivens´ Körper unter mir nachgeben. Eines seiner Schulterblätter berührte schon die Matte. Das andere kam ihr immer näher. Ich verlagerte mein Gewicht auf diese Schulter und spürte, wie sie sich senkte. Der Kari lag flach auf dem Bauch und spähte, wann die Schulter den Boden berühren würde.

Und dann stemmte Bivens sich plötzlich zur Brücke hoch. Die Bewegung war so schnell und so kräftig, dass mir keine Zeit blieb, darauf zu reagieren. Mein ganzer Körper hob sich, gleichzeitig verdrehte er seinen und erwischte mich ohne Halt. Schlagartig tauschten wir die Plätze. Er war oben und wollte einen Schultersieg. Ich war unten.

Ich kann immer noch gewinnen, dachte ich. Ich liege nach Punkten vorn. Sogar ein Wurf über den Rücken bringt ihm nur drei Punkte: Ich kann immer noch gewinnen. Ich rechnete hin und her, während ich mich verzweifelt bemühte, mit den Schultern nicht die Matte zu berühren. Sie waren ihr schon so nahe, dass ich die feuchte Wärme spürte, die von dem schweißgetränkten Kunststoff aufstieg.

»Fünfundvierzig Sekunden«, rief der Kari. Eigentlich durfte er uns nicht sagen, wie viel Zeit noch blieb, aber sogar er wollte, dass ich gewann.

Bivens hatte es immer noch nicht eilig. Sein Kopf lag auf meiner Brust, und er schien ein Nickerchen zu machen. Ich konnte mir nicht erklären, welche Kraft mich unten hielt. Ich spürte nicht, dass er sich irgend Mühe gab. Ich strengte mich fürchterlich an, er überhaupt nicht. Er hob den Kopf, legte das Kinn auf meine Brust und sah mich an. Unsere Gesichter berührten sich fast. Er lächelte mir zu. Quäl dich doch nicht so, schien er mir zu sagen, als ich mich mit aller Macht dagegen wehrte, zu Boden gedrückt zu werden. Warum wehrst du dich so heftig? Eine Niederlage ist gar nicht so schlimm. Wirklich nicht. Sie tut nicht weh. Er kam mir plötzlich völlig vertraut vor, schmerzlich vertraut. Ich kannte diese Augen. Dieses Lächeln. Und ich war sehr verlegen und schämte mich dafür, dass ich versucht hatte, ihn zu schlagen.

Ich sah weg und atmete aus, und im selben Augenblick verließ mich die Widerstandskraft. Ich sank in die Niederlage wie an den mir angemessenen Platz. Der Kampfrichter schlug mit der flachen Hand auf die Matte und verkündete damit das Ende des Kampfes.

Der alte Mercury von Trainer French roch nach verschüttetem Kaffee und Pfeifentabak. Auf dem Hinweg hatte ich ihm ein Versprechen abgenommen. Wenn ich gewann, durfte ich auf der Rückfahrt ans Steuer. Ich hatte mich wirklich darauf gefreut, das Auto zu fahren. Trainer French zog an seiner Pfeife, schüttelte den Kopf und trieb die Tachonadel über einhundertzehn. Er schien auf einen Unfall zu hoffen, damit sich dieser Schweinetag zu einer richtigen Katastrophe auswuchs. Er starrte in die Dämmerung, als hielte er nach einer Ausschau. Das Radio lief. Die Drifters sangen.

 

»There goes my baby

Moving on ... down the line ...«

 

Trainer French stellte das Radio ab.

»Verdammt noch mal, Price! Du hattest ihn! Ich sage dir, du hattest ihn! Verdammt noch mal!«

Er konnte es immer noch nicht glauben. Er stellte das Radio wieder an. So machte er es immer wieder. Wenn er etwas zu sagen hatte, stellte er es aus, ließ etwas Dampf ab und stellte es danach wieder an. Musik und Vorwürfe bei Tempo einhundertzehn auf Highway 41. Ich befingerte meine Silbermedaille und versuchte, es positiv zu sehen. Der zweite Platz war gar nicht so schlecht. Zweiter im ganzen Bundesstaat Indiana.

Wir rasten durch die Dämmerung und in die Nacht hinein. Trainer French stellte das Radio ab.

»Verdammt, Price. Du hast aufgegeben.«

So einfach war das. Ich hatte aufgegeben. Aber ich war überrascht, dass er es gemerkt hatte. Wenn man aufgibt, denkt man immer, das geschieht tief in der eigenen Seele, in die niemand hineinsehen kann. Aber Trainer French hatte hineingesehen....


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Autor

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film Breaking Away und für Garp und wie er die Welt sah. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane Ein letzter Sommer (2005) und Abspann (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.

Heidi Zerning, geboren in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Steve Tesich hat sie u.a. Werke von Virginia Woolf und Truman Capote übersetzt.