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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
576 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am25.06.20142. Auflage, neue Ausgabe
Saul Karoo ist in Hollywood ein gefragter Experte für das Umschreiben von Drehbüchern: Er schneidet und poliert sie, bis sie funktionieren. Sein eigenes Leben hat er allerdings weit weniger unter Kontrolle. Doch dann erhält er einen besonderen Auftrag, der ihn zwingt, sein Glück in die Hand zu nehmen. Aber lässt sich die Realität genauso flicken wie ein Drehbuch?

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film »Breaking Away« und für »Garp und wie er die Welt sah«. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane »Ein letzter Sommer« (2005) und »Abspann« (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextSaul Karoo ist in Hollywood ein gefragter Experte für das Umschreiben von Drehbüchern: Er schneidet und poliert sie, bis sie funktionieren. Sein eigenes Leben hat er allerdings weit weniger unter Kontrolle. Doch dann erhält er einen besonderen Auftrag, der ihn zwingt, sein Glück in die Hand zu nehmen. Aber lässt sich die Realität genauso flicken wie ein Drehbuch?

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film »Breaking Away« und für »Garp und wie er die Welt sah«. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane »Ein letzter Sommer« (2005) und »Abspann« (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036992945
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum25.06.2014
Auflage2. Auflage, neue Ausgabe
Seiten576 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2711 Kbytes
Artikel-Nr.2078122
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Zweites Kapitel

1

Das kalte, der Jahreszeit nicht gemäße Wetter dauerte nicht lange. Es wurde durch warmes, der Jahreszeit nicht gemäßes Wetter abgelöst, und die erste Woche des Jahres 1990 und das letzte Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts begannen auf einem Grundton von Unzeitgemäßheit.

Mein Freund Guido (mein allerletzter Freund) und ich standen, bevor wir auseinandergingen, vor dem Russian Tea Room, in dem wir zu Mittag gegessen hatten. Wir wechselten uns ab mit Kommentaren zu dem un-Januar-gemäßen Januar, den wir hatten.

»Es ist wie Frühling.«

»Es ist wie Nachsommer.«

»Ich mußte mein Klimagerät anstellen.«

»Ich auch.«

Guido warf einen Blick auf die riesige Armbanduhr an seinem breiten Handgelenk und seufzte.

»Ich muß los«, sagte er. »Verdammt lästig, diese Maria-Malesche.«

»Du wirst schon jemanden finden«, beruhigte ich ihn.

Ich winkte. Er winkte. Wir gingen auseinander, er nach Osten, ich nach Westen.

Die Maria-Malesche hatte mit Guidos Putzfrau zu tun. Seine vorige, Maria, hatte plötzlich aufgehört, um in ihr Herkunftsland zurückzukehren, und er mußte eine andere finden, die seine Wohnung sauberhalten würde.

Fast jede Putzfrau von allen Leuten, die ich in Manhattan kannte, hieß Maria. Dianah und ich hatten eine Maria gehabt, als wir zusammenlebten. Sie blieb bei Dianah, als ich auszog, und ich besorgte mir eine eigene Wohnung und eine eigene Maria. Die McNabs, George und Pat, hatten eine Maria. Der Name Maria war für mich kein Name mehr, sondern eine Berufsbezeichnung. Nach der Einstellung sah ich meine Maria kein einziges Mal mehr. Sie putzte freitags bei mir, und selbst wenn ich in meinem Büro überhaupt nichts zu tun hatte, sah ich zu, daß ich nicht zu Hause war, wenn sie kam.

Irgend etwas ist erforderlich, wenn man einen anderen Menschen in seiner Wohnung hat. Ein minimaler menschlicher Austausch ist nötig, den ich zu vermeiden trachte, wenn es sich um nur einen anderen Menschen und mich handelt. Diese Vermeidung von Nähe erstreckte sich sogar auf jemanden wie meine Maria.

Ich bezahlte sie in bar und ließ das Geld auf dem Wohnzimmertisch unter einem schweren Glasaschenbecher. Wenn ich abends zurückkam, war die Wohnung sauber und das Geld fort.

Meine Erinnerung an diese Frau, die seit fast zwei Jahren für mich arbeitete, obwohl ich sie seit ihrer Einstellung nie wieder gesehen hatte, war die einer Frau zwischen dreißig und fünfzig. Sie war für das Vorstellungsgespräch in Schwarz gekleidet, als trüge sie Trauer. Kurze Beine. Ein kräftig wirkender Körper ohne erkennbare Taille. Indianische Gesichtszüge. Ihr Kopf blieb während unseres gesamten Gesprächs eingezogen, als wäre ihrem Volk von der Geschichte, von den spanischen Konquistadoren und der katholischen Kirche beigebracht worden, immer den Kopf einzuziehen.

Mein Telefon klingelte, als ich in mein Büro kam, aber es hörte auf, bevor ich abnehmen konnte.

2

Das Telefon klingelt.

Ich zünde mir eine Zigarette an und nehme ab.

»Hallo.«

»Mr. Karoo?«

Es ist eine Frauenstimme, und obwohl ich sie lange nicht mehr gehört habe, weiß ich, wem sie gehört.

Manche Leute spezialisieren sich darauf, Gesichter zu behalten, andere behalten Namen, bei mir ist es der Klang der Stimme. Wenn ich einmal jemandes Stimme gehört habe, vergesse ich sie nie mehr.

»Hallo, Bobbie«, sage ich.

Sie heißt Roberta, aber alle nennen sie Bobbie, und nicht einfach Bobbie, sondern aus mir unbekannten Gründen »die Busi-Bobbie«.

Sie arbeitet für Jay Cromwell, obwohl ihr kleines Kabuff von einem Büro in Burbank (das ich einmal gesehen habe) keinerlei Verbindung zu Cromwells Büro hat. Es geht ein paar Türen weiter vom Korridor ab.

Sie selbst habe ich nie gesehen. Ich kenne nur ihre Stimme und ihr kurzes wegwerfendes Lachen, das an das Anzünden eines Feuerzeugs erinnert.

»Um diese Jahreszeit ist es mal wieder dran«, teilt mir Bobbie mit. »Ich möchte nur überprüfen, ob mein Rolodex auf dem neuesten Stand ist.«

Sie rasselt meine beiden Telefonnummern herunter, privat und Büro, und meine beiden Adressen, privat und Büro, und ich bestätige, ja, das bin ich. Nein, ich habe immer noch kein Fax, sage ich ihr. Ja, lüge ich, ich habe vor, mir nächstes Jahr eins anzuschaffen.

Sie legt einen anderen Gang ein und erkundigt sich: »Planen Sie, am zweiundzwanzigsten und dreiundzwanzigsten Februar in der Stadt, ich meine, in New York zu sein?«

»Ja«, sage ich ihr, »ich werde, glaube ich, an beiden Tagen in der Stadt sein.«

»Mr. Cromwell plant, zur Verleihung des Friedenspreises an Václav Havel nach New York zu kommen, und er möchte wissen, ob er Sie unter Umständen sehen kann, wenn er in der Stadt ist. Anfangs dachte er gar nicht, der Feier beiwohnen zu können, aber eine Änderung in seinem Terminplan ...«

Sie redet weiter, erzählt mir, was für ein enorm beschäftigter Mann Mr. Cromwell ist und wie sehr er sich darauf freut, mich zu sehen.

Sie ist überzeugt, sagt sie mir, daß Brad mich bald anrufen wird, um das Datum und die Einzelheiten festzuzurren.

»Mir wäre wesentlich lieber, Sie würden meine Einzelheiten festzurren, Bobbie«, sage ich zu ihr.

Sie lacht mir ihr leises Lachen ins Ohr, wünscht mir einen schönen Tag, was ich ihr auch wünsche, und wir legen beide auf.

3

Vielleicht ist es Ironie, aber trotz meiner Krankheiten ist mein Spitzname in der Branche Doc.

Doc Karoo.

Ich bin ein kleines, aber recht gut verdienendes Rädchen in der Unterhaltungsindustrie. Ich flicke Drehbücher, die jemand anders geschrieben hat. Ich schreibe sie um. Ich schneide und poliere. Schneide das Fett raus. Poliere den Rest. Ich bin von Beruf Skriptflicker mit einem gewissen Geschick, das inzwischen als Talent gilt. Leute, die in LA wohnen und meine Art Arbeit tun, heißen »Hollywood-Skriptflicker«. Den Ausdruck »New-York-Skriptflicker« gibt es aus irgendeinem Grunde nicht. Ein Skriptflicker in New York heißt Doc.

Ich habe nie etwas Eigenes geschrieben. Vor langer, langer Zeit habe ich es versucht, aber nach mehreren Anläufen aufgegeben. Ich mag ein Skriptflicker sein, aber ich weiß, was Talent ist, und ich merkte damals, daß ich keins hatte. Es war keine vernichtende Erkenntnis. Es war eher die Bestätigung einer lange gehegten Vermutung. Ich hatte in Vergleichender Literaturwissenschaft promoviert, war also von Haus aus Doktor, wollte aber nicht unterrichten. Dank einiger Leute, die ich kennenlernte, rutschte ich völlig schmerzlos in meine wahre Berufung, wo ich größtenteils Drehbücher umschreibe, deren Verfasser ebenfalls kein Talent haben.

Hin und wieder, sehr selten natürlich, bekomme ich ein Drehbuch zu flicken, das gar nicht geflickt zu werden braucht. Es ist gut so, wie es ist. Es braucht nur noch anständig verfilmt zu werden. Aber die Studiobosse oder die Produzenten oder die Stars oder die Regisseure haben andere Vorstellungen. Ich bin mit einem moralischen Dilemma konfrontiert. Ich bin dazu fähig, in einem moralischen Dilemma zu stecken, denn in mir steckt ein Maskottchen namens der Moralist, und der Moralist in mir will für das, was richtig ist, aufstehen. Er möchte das Drehbuch, das nicht geflickt zu werden braucht, vor Flickwerk bewahren, oder wenigstens möchte er sich weigern, selbst in irgendeiner Weise an dessen Verstümmelung beteiligt zu sein.

Aber er tut weder das eine noch das andere.

Der Moralist in mir fühlt sich zu diesen Zeiten unwohl und anmaßend. Er fühlt wie ich die Last der Präzedenzfälle, die wir uns geschaffen haben. Warum jetzt für das, was richtig ist, aufstehen, wenn wir bei anderen wesentlich entscheidenderen Gelegenheiten gemütlich sitzen geblieben sind? Auf diese Weise wird das moralische Dilemma abgeschwächt und entschärft, und ich nehme den Auftrag an und auch das damit verbundene Geld, ungeheure Summen, und weiß im voraus, daß mein Beitrag, mein Umschreiben, mein Schneiden und Polieren das betreffende Werk nur beschädigen oder ruinieren kann.

Diese Fälle, wo ich etwas ruinieren soll, das ich bewundere, sind zum Glück sehr selten. In den letzten zwanzig Jahren habe ich nicht mehr als ein halbes Dutzend solcher Drehbücher verstümmelt, und nur eins davon verfolgt mich immer noch.

Der junge Mann, der das Originaldrehbuch für Cromwell geschrieben hatte, erschien uneingeladen zur Testvorführung des Films in Pittsburgh. Inzwischen erinnere ich mich nur noch an zwei Dinge in Pittsburgh. An die herrliche Aussicht von meiner Hotelsuite auf den Zusammenfluß von Allegheny und Monongahela und an die peinliche Szene, die der junge (ach, so junge) Autor nach der Vorpremiere in der Vorhalle des Kinos machte.

Wie ein glattrasierter Jeremias schrie er uns an, zitterte vor Wut. Der Regisseur war ein Zuhälter. Der Produzent, Jay Cromwell, war ein beschissenes Scheusal. Die Studiobosse waren kastrierte Piranhas. Ich war eine nichtswürdige Nutte. Persönlich hatte ich nichts gegen irgendeinen dieser Ausdrücke einzuwenden. Sie schienen mir ganz treffend. Aber mich schmerzte zu sehen, wie verletzt er war. Er weinte, während er versuchte, uns zu beleidigen, und merkte wegen seiner Jugend nicht, daß wir gar nicht beleidigt werden konnten. Er war zu jung, und er hatte das, was er geschrieben hatte, zu sehr geliebt. Er schrieb nie wieder etwas. Vielleicht hatte es nichts damit zu tun, es ist schwer, sich in solchen Dingen sicher zu sein, aber ungefähr ein Jahr später beging er Selbstmord. Ich erinnere mich noch an den Klang seiner Stimme. Der Film war, wie alle von Cromwell produzierten Filme, ein Kassenerfolg, und mein Ruf als ein Mann, der schwierige Drehbücher flicken kann, erhielt weiteren...

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Autor

Steve Tesich wurde 1942 in Uzice geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film Breaking Away und für Garp und wie er die Welt sah. Bei Kein & Aber erschienen seine Romane Ein letzter Sommer (2005) und Abspann (2006). Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.

Heidi Zerning, geboren in Berlin, studierte Anglistik, Amerikanistik, Geschichte und Philosophie und ist seit 1990 hauptberuflich als Übersetzerin tätig. Neben Steve Tesich hat sie u.a. Werke von Virginia Woolf und Truman Capote übersetzt.