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Hitler und die Juden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
206 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20161. Auflage
Wie und zu welchem Zeitpunkt entschlossen Hitler und seine Helfer sich, die Juden in Europa nicht nur zu verfolgen und zur Auswanderung zu zwingen, sondern in ihrer Gesamtheit zu töten? Plante Hitler dies von Anfang an oder war der Holocaust das Ergebnis einer Radikalisierung der Verfolgungspolitik unter dem Eindruck des steckenbleibenden Rußlandfeldzugs? Der Genfer Historiker Philippe Burrin zeigt, daß Hitler von Anfang an plante, die Juden zu vernichten, falls Deutschland je wieder in eine Lage wie 1918 kommen sollte. So gab er im September/Oktober 1941 den Befehl zur Ermordung aller Juden in seinem Herrschaftsbereich. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Philippe Burrin ist ein Schweizer Historiker. Er wurde 1952 in Valais/Schweiz geboren und studierte Politikwissenschaft in Genf. 2004 wurde er Direktor des Graduate Institute of International Studies (HEI) in Genf.
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Produkt

KlappentextWie und zu welchem Zeitpunkt entschlossen Hitler und seine Helfer sich, die Juden in Europa nicht nur zu verfolgen und zur Auswanderung zu zwingen, sondern in ihrer Gesamtheit zu töten? Plante Hitler dies von Anfang an oder war der Holocaust das Ergebnis einer Radikalisierung der Verfolgungspolitik unter dem Eindruck des steckenbleibenden Rußlandfeldzugs? Der Genfer Historiker Philippe Burrin zeigt, daß Hitler von Anfang an plante, die Juden zu vernichten, falls Deutschland je wieder in eine Lage wie 1918 kommen sollte. So gab er im September/Oktober 1941 den Befehl zur Ermordung aller Juden in seinem Herrschaftsbereich. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Philippe Burrin ist ein Schweizer Historiker. Er wurde 1952 in Valais/Schweiz geboren und studierte Politikwissenschaft in Genf. 2004 wurde er Direktor des Graduate Institute of International Studies (HEI) in Genf.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105613078
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.09.2016
Auflage1. Auflage
Seiten206 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2090808
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Hitlers Antisemitismus

Hitler stand im »Dritten Reich« im Mittelpunkt, und er war ein fanatischer Antisemit. Darüber sind sich alle Historiker einig, welche Richtung sie auch vertreten, selbst wenn ihre Ansichten über die Rolle, die er tatsächlich spielte, auseinandergehen. Die Kenntnis seiner Ideologie, besonders seines Antisemitismus, ist also besonders wichtig. Welchen Platz nahmen die Juden darin ein, welches Los hatte er ihnen bestimmt? Daß Hitler imstande war, sie zu vernichten, hat er zur Genüge bewiesen. Aber man kann die Entstehung und Entwicklung seines Verhaltens nur erklären, wenn man von der Weltanschauung ausgeht, die ihn leitete.

Wesentlich ist, das muß gleich betont werden, die erstaunliche Beständigkeit und Kontinuität, die diese Weltanschauung bewies, nachdem sie einmal ausgereift war. Seit dem Anfang der zwanziger Jahre, als Hitler nichts als ein bayerischer Agitator war, ertönten die bekannten Leitmotive: Rassismus und Antisemitismus, Volksgemeinschaft, das Führerprinzip, die absolute Verurteilung der Demokratie, der deutschen Revolution und des Versailler Vertrags. 1923 kam ein weiteres Thema hinzu, das der Eroberung von »Lebensraum« im Osten; es wurde kurz darauf durch eine umfassende außenpolitische Konzeption vervollständigt.

Von da an bezeugen die öffentlichen und privaten Äußerungen Hitlers, soweit sie uns überliefert sind, bis zu seinem Testament vom April 1945 die Unveränderlichkeit seiner unermüdlich wiederholten und immer von neuem verkündeten Auffassungen. Manche Themen griff er allerdings im Lauf der Jahre in Abwandlung auf. Die Eroberung von »Lebensraum« und der Antisemitismus, die in den zwanziger Jahren so präsent gewesen waren, traten zu Beginn des folgenden Jahrzehnts für eine Weile in den Hintergrund, vor allem 1930-32, als Hitler sich eine breitestmögliche Unterstützung zu sichern suchte. Aber - und das ist von Bedeutung - sie verschwanden nicht.[1] Dagegen blieben seine Auffassungen über das Los der in Zukunft zu unterwerfenden Völker - Vertreibung oder Sterilisierung ganzer Bevölkerungsgruppen, die Erniedrigung von Millionen zu analphabetischen Sklaven - seiner engeren Umgebung und der Führungsspitze der Partei vorbehalten.[2]

Die Hitlersche Weltanschauung gründete sich auf das »ewige Prinzip des Lebenskampfes«, eines Kampfes, in dem die stärkere Rasse sich durchsetze und ihren Willen anderen aufzwinge. Für Hitler setzte sich die menschliche Spezies aus so unterschiedlichen Rassen zusammen, wie man sie bei einer Tierart nur finden kann. Unter diesen Rassen habe sich eine Hierarchie herausgebildet, die sich in der historischen Größe zeige - eine stets labile Hierarchie: Nur die Reinheit des Blutes ermögliche es einer Rasse, ihren Rang zu wahren. Aufgrund der Verkennung dieser »ewigen Gesetze der Natur« sei das deutsche Volk der Dekadenz anheimgefallen. Einer Dekadenz, die mit der Gründung des Bismarckschen Reiches begonnen habe und deren Symptome, neben dem Verfall der nationalen Werte und der Ausbildung schwächender Ideologien wie Liberalismus, Demokratie und Marxismus, die Verbreitung von Geschlechts- und Erbkrankheiten und schließlich die »Mischung mit minderwertigen Rassen« seien.

Um die »deutsche Rasse« der Dekadenz zu entreißen, mußte man sie reinigen und ihre Vermehrung fördern. Seit dem Beginn der zwanziger Jahre sprach Hitler davon, daß man Ehen von Deutschen mit Ausländern - besonders Schwarzen und Juden - verbieten müsse. Zu diesem Kampf gegen die »Rassenmischung« sollten radikale gesundheitspolitische Maßnahmen hinzukommen. Wie er 1923 einer amerikanischen Zeitschrift erklärte, hatte Deutschland gewaltsame Korrekturen nötig, unter Umständen sogar »Amputationen«. Syphilitiker, Alkoholiker, Kriminelle sollten »isoliert« werden und keine Gelegenheit zur Fortpflanzung bekommen. Eine einzige Devise sollte das Handeln bestimmen: »Die Erhaltung eines Volkes ist wichtiger als die Erhaltung seiner unglücklichen Angehörigen.«[3]

In Mein Kampf wiederholte Hitler diese Erklärungen und sprach davon, daß man »zu den schwersten und einschneidendsten Entschlüssen kommen« müsse. Man werde, »wenn nötig, zur unbarmherzigen Absonderung unheilbar Erkrankter schreiten müssen - eine barbarische Maßnahme für den unglücklich davon Betroffenen, aber ein Segen für die Mit- und Nachwelt«. Der zukünftige rassistische Staat habe das, »was irgendwie ersichtlich krank und erblich belastet« ist, für »zeugungsunfähig zu erklären und dies praktisch auch durchzusetzen«.[4] Dagegen werde er die Ehe und die Geburtenziffer fördern, indem er gegen Abtreibungen kämpfe und kinderreiche Familien wieder zu Ehren kommen lasse. Er werde also alles tun, um »dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse«[5], zu dienen.

Diese Wiederherstellung der Rasse war kein Zweck an sich, sondern stand im Dienst eines Ziels - der Größe und Macht des deutschen Volkes. Nachdem er der Nation ihre politische Einheit wiedergegeben, nachdem er das Werk der rassischen Reinigung unternommen hätte, würde es ihm möglich sein, die Eroberung des für die Erhaltung der Nation notwendigen Lebensraums in Angriff zu nehmen. Das deutsche Volk hatte, Hitler zufolge, ein Recht auf Expansion, weil das Gebiet, das es bewohnte, der zahlenmäßigen Bedeutung der Bevölkerung nicht angemessen war. Eine üble Argumentation, weil das zukünftige Regime mit allen Mitteln versuchen würde, diese Bevölkerung zu vermehren. Unverblümt wurde, wenn schon nicht die Weltherrschaft, so doch die Vorherrschaft in Europa angestrebt. Wie Hitler auf der letzten Seite seines Buches schrieb: »Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muß eines Tages zum Herrn der Erde werden.«[6]

In dieser rassistischen Konzeption konnten die Juden nicht fehlen. In Hitlers Augen waren sie eine parasitäre Rasse, die die Arbeit der Völker ausbeutete, in deren Mitte sie sich niedergelassen hatte, eine von Natur aus destruktive Rasse, die unfähig war, ihren eigenen Staat aufzubauen, eine Rasse, deren Aktivität ganz auf die Eroberung der Weltherrschaft gerichtet war. Denn wie es die Protokolle der Weisen von Zion zu beweisen schienen, diese zaristische Fälschung, an die Hitler blind glaubte, waren die Juden miteinander durch einen Plan zur Weltherrschaft verbunden; um dieses Ziel zu erreichen, griffen sie zu den verschiedensten Mitteln. Die Ideen der Aufklärung, der Pazifismus, die Demokratie, alles war ihnen recht, um den nationalen Willen der Völker zu schwächen, auf denen sie schmarotzten. Aber ihre wirksamsten Hilfsmittel waren das Finanzkapital und die marxistische Agitation. Dank dem ersteren internationalisierten sie die Wirtschaft und brachten sie so in ihre Gewalt. Dank der zweiten spalteten sie die Völker in sich und verurteilten sie zu Bürgerkriegen, die ihre Widerstandskraft schwächen sollten. Auf die eine oder die andere Weise waren sie Feinde jeder wahren nationalen Unabhängigkeit.

Es war eine Wahnvorstellung, die die Vielseitigkeit der jüdischen Diaspora und all die unterschiedlichen Strömungen, die in ihr wirkten, ignorierte; und doch ein in sich logischer Wahn, der hervorgerufen war von der besessenen Suche nach einem letzten Verantwortlichen, einem Prinzip des Bösen, das den Lauf der Welt erklären und das Elend der Zeit aufklären sollte. Aber auch ein wenig origineller und eigenständiger Wahn. Hitler war der triviale Erbe von Anschauungen, die seit mehreren Jahrzehnten in Europa umgingen. Gleichwohl, auch wenn er seine rassistische Doktrin aus einzelnen Bruchstücken zusammengesetzt hatte, so hat er sie doch in eine Weltanschauung eingebunden, die sie umgekehrt ungemein dynamisierte und bestimmte Aspekte umgestaltete. Innerhalb seines Rassismus war die »Judenfrage« eigentlich nur ein Problem unter anderen, ein Problem, dessen Lösung zur Wiederaufrichtung und Stärkung der Nation beitragen würde. Aber in Wirklichkeit befanden sich die Juden nicht auf der gleichen Ebene wie etwa die Geisteskranken: Sie standen im Zentrum von Hitlers Weltanschauung. Um die Eigentümlichkeit seines Antisemitismus zu begreifen, muß man die existentielle Basis betrachten, die ihn genährt und geformt hatte: Hitlers Erfahrung des Weltkriegs und der Niederlage.

Es war die Niederlage, die dem Hitlerschen Vorhaben den grundlegenden Anstoß gab. In Mein Kampf schildert Hitler die Begeisterung, mit der er den Beginn des Krieges im August 1914 aufnahm. Es könne keinen stärkeren Gegensatz dazu geben als den furchtbaren Zorn, der ihn bei der Kapitulation packte, die ihm die Folge von Verrat in der Heimat zu sein schien. Es war eine wirklich traumatische Erfahrung; sein Leben lang kam er wie auf einen zentralen Bezugspunkt immer wieder auf die Ereignisse des November 1918 zurück, und immer erinnerte er sich mit einem kräftigen Schuß Emotion daran. Es sind diese »schrecklichen Tage« der Revolution in Deutschland, die ihn zum Eintritt in die Politik veranlaßten. Auf diese Ereignisse hin machte er sich auf die Suche nach den »Gründen für den Zusammenbruch«, und sie ließen ihn die Notwendigkeit einer politischen Bewegung erkennen, deren Ziel die »Überwindung der Niederlage«[7] sein müßte. Sie boten ihm schließlich auch den Rahmen für Überlegungen über sein künftiges Vorgehen und prägten seine starre Geisteshaltung.

Man kann gar nicht genug betonen, wie sehr der Krieg und die Niederlage ihn geprägt...
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