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Feuerschwester

E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
320 Seiten
Deutsch
Ravensburger Verlagerschienen am25.01.20171. Aufl
Verwitterte Mauern, eine Nebelwand - das sieht Alice, wenn sie aus dem Fenster blickt. Die psychiatrische Anstalt auf Savage Isle ist für sie ein Ort des Schreckens, denn hinter einer der Mauern lauert Cellie, ihre machtbesessene Zwillingsschwester. Cellie hat das verheerende Feuer gelegt, das Alice' Freund Jason das Leben kostete. Und sie wird nicht ruhen, ehe sie nicht auch Alice getötet hat ...'Alice, hörst du mir zu? Bitte erzähl mir von dem Feuer.' Dr. Goodman klopft mit dem Stift auf sein Buch.'Ich kann mich nicht erinnern', sage ich.Womöglich ist sie ein Akt der Gnade - die Lücke in meiner Erinnerung.Womöglich will mein Gehirn nicht, dass ich mich daran erinnere, was passiert ist. Um mich von der Erkenntnis zu verschonen, dass meine Schwester, mein eigen Fleich und Blut, mir so etwas angetan haben könnte - mir und Jason. Dumm nur, dass mein Herz es längst weiß.mehr

Produkt

KlappentextVerwitterte Mauern, eine Nebelwand - das sieht Alice, wenn sie aus dem Fenster blickt. Die psychiatrische Anstalt auf Savage Isle ist für sie ein Ort des Schreckens, denn hinter einer der Mauern lauert Cellie, ihre machtbesessene Zwillingsschwester. Cellie hat das verheerende Feuer gelegt, das Alice' Freund Jason das Leben kostete. Und sie wird nicht ruhen, ehe sie nicht auch Alice getötet hat ...'Alice, hörst du mir zu? Bitte erzähl mir von dem Feuer.' Dr. Goodman klopft mit dem Stift auf sein Buch.'Ich kann mich nicht erinnern', sage ich.Womöglich ist sie ein Akt der Gnade - die Lücke in meiner Erinnerung.Womöglich will mein Gehirn nicht, dass ich mich daran erinnere, was passiert ist. Um mich von der Erkenntnis zu verschonen, dass meine Schwester, mein eigen Fleich und Blut, mir so etwas angetan haben könnte - mir und Jason. Dumm nur, dass mein Herz es längst weiß.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783473477975
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisDRM Adobe
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum25.01.2017
Auflage1. Aufl
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2106835
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Kapitel
Savage Isle

In meinem Kopf flattern Schwarz-Weiß-Fotos umher - Traumlandschaften, Albträume -, landen lautlos hier und da, legen sich über andere Erinnerungen. Manche erblühen unvermittelt in Farbe, wie das Bild, das ich gerade betrachte. Wie eine Blume im Sonnenschein öffnet es seine feuchten, dunklen Blütenblätter, trieft in satten Farben. Düsterer Himmel. Dicke Tropfen. Gelbe Scheinwerfer. Ein Junge mit gelocktem Haar und schiefem Grinsen. Jason im Regen. Meine liebste Erinnerung an ihn.

»Wann hattest du deine letzte Periode?«, fragt die Schwester. »Alice?« Ihre Stimme ist drängend wie ein Fingerschnippen. Das Bild verblasst. Das weiße Papier unter mir knistert, als ich mich voller Unbehagen auf dem Untersuchungstisch herumwälze. Ich versuche, die Stunden, die Sonnen und Monde zu zählen, versuche, mich daran zu erinnern, wie viel Zeit seit dem Feuer vergangen ist. Ein paar Wochen, schätze ich. Tsunamis haben Städte in weit weniger Zeit ausgelöscht. Ich reibe mir über die Brust. Das Atmen fällt mir immer noch schwer. Auf dem weißen Namensschild der Schwester steht: SCHWESTER DUMMEL, PSYCHIATRISCHE KLINIK, OREGON. Ich erkenne ihr Gesicht wieder. Ich war schon mal hier. Das Gesicht einer Bulldogge. Schlaffe, hängende Backen und ein Unterkiefer, der ein bisschen zu weit vorsteht. Schwester Dummel räuspert sich.

»Ähm, weiß nicht genau ...«, sage ich. »Vor zwei Wochen oder so?« Ich schlucke. Obwohl das Feuer Wochen her ist, habe ich immer noch den Geschmack von Asche auf der Zunge. Vielleicht geht er nie wieder weg.

Schwester Dummel gibt etwas in den Computer ein. »Und was machen die Brandwunden?«

Die Brandwunden, die sich über meine Schultern bis hinunter zum rechten Handgelenk ziehen, prickeln. Wie durch ein Wunder hat das Feuer meine linke Hand verschont. Dort ist die Haut noch ganz weich und glatt.

»Geht schon besser«, antworte ich.

Auch wenn ich an das Feuer selbst keine Erinnerungen habe, so erinnere ich mich doch verschwommen an die Tage auf der Intensivstation. An die quälende Ungewissheit und an die höllischen Schmerzen, die einfach nicht nachlassen wollten.

»Keine Schmerzen mehr? Kein Taubheitsgefühl? Nichts geschwollen?«, fragt die Schwester.

»Nein, es juckt nur.«

Draußen heult der Wind und lässt die Mauern des Gebäudes erzittern. Mich überläuft ein Schauer. Die Klinik befindet sich auf einer schmalen, dicht bewaldeten Insel und wirbt für sich selbst als Oase des Friedens, wo kranke Seelen heilen können. Dabei hat dieser Ort überhaupt nichts Friedliches. Sogar der Name der Insel, Savage Isle, hat einen blutigen Ursprung. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurden Hunderte Indianer gewaltsam hierher verschleppt und dann brutal ermordet. In den Zeitungen von damals steht, in jenem Winter sei so viel Blut geflossen, dass es aussah, als wäre roter Schnee gefallen.

»Na, dann ist ja gut. Du kannst froh sein, dass du überhaupt noch was spürst ... bei Verbrennungen zweiten Grades.«

Froh. Ich soll froh sein? Das ist nicht unbedingt das Gefühl, mit dem ich meinen Zustand beschreiben würde.

»Du wirst die nächsten Wochen weiterhin Antibiotika nehmen und deine Physiotherapie fortsetzen.«

Fast muss ich lachen. Als ich von der Intensivstation kam, überreichte mir einer der Ärzte einen Wisch mit Übungen für die Hand und erklärte, die würden dabei helfen, dass ich sie bald wieder vollständig bewegen kann. So viel zum Thema Physiotherapie. Ich strecke und krümme die Finger. Es tut ein bisschen weh, aber davon abgesehen scheint noch alles zu funktionieren.

Der Drucker neben dem Computer spuckt ein weißes Armband aus.

»Den linken Arm, bitte«, sagt Schwester Dummel. Dann legt sie mir das enge Plastikarmband ums Handgelenk. Auf Savage Isle gibt es Armbänder in vier verschiedenen Farben. Ich habe schon alle getragen. Alle, bis auf das rote. Keiner hier will ein rotes Armband. Nachdem man aufgenommen wurde, bekommt man erst mal ein weißes. Nach ein, zwei Tagen unter strenger Beobachtung geben sie einem dann normalerweise ein gelbes, das nur noch mit wenigen Einschränkungen verbunden ist. Nach gelb kommt grün. Grün heißt: Freiheit. Aufbleiben, so lange man will, Besuche zu Hause, Kaffee trinken, raus hier.

»Gut, Kindchen«, sagt Schwester Dummel. »Du kannst aufstehen. Zieh deine Sachen aus und den hier an.« Sie überreicht mir einen hässlichen Krankenhauskittel.

Ich warte einen Moment, um zu sehen, ob ich mich zumindest ungestört umziehen darf, aber Schwester Dummel rührt sich nicht vom Fleck und beobachtet mich mit Adleraugen. Ich schlüpfe schnell und wortlos aus meinen Sachen, werfe mir den Kittel über und denke an Jason.

Seine Lippen schmeckten nach Bergsee und Zimtbonbons. Bisher habe ich mich noch nicht getraut, nach ihm zu fragen. Ich habe Angst vor der Antwort. Manchmal ist es besser, die Wahrheit nicht zu kennen. Obwohl sie irgendwo ganz tief in mir drin scheppert und rasselt ... Er kann den Flammen unmöglich lebend entkommen sein. Ich ignoriere diese Stimme. Verleugnung ist manchmal ein Segen.

Obwohl ich gar nicht will, muss ich plötzlich an Cellie denken. Ich schiebe den Gedanken beiseite. Ich habe es satt, mir den Kopf über meine Zwillingsschwester zu zerbrechen. Es bringt ja sowieso nichts.

Nachdem ich den Kittel zugebunden habe, ziehe ich meinen Kapuzenpulli darüber und hoffe, dass ich ihn anbehalten darf. Ich friere nicht gern. Die Schwester protestiert nicht und deutet auf meine Schuhe.

»Die Schnürsenkel müssen raus. Ist das deine Tasche?« Sie zeigt auf die lavendelfarbene Reisetasche, die in der Ecke steht. Sie ist zerschlissen und schmutzig und inzwischen eher grau als lavendelfarben.

Ich nicke, ziehe meine Sneakers aus und fädele die Schnürsenkel heraus. Die Schwester schüttelt kaum merklich den Kopf, während sie sich ein Paar Latexhandschuhe überstreift. Dann nimmt sie meine Tasche und stellt sie auf den Untersuchungstisch. Mit routinierten Handgriffen kontrolliert sie meine Sachen. Ein paar Hosen, ein paar Oberteile, ein iPod, Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide und Origamipapier - meine einzigen weltlichen Besitztümer.

Sie holt das Origamipapier heraus und beäugt mich skeptisch. Ich erwidere ihren Blick. Am liebsten würde ich ihr wie ein bockiges Kind die Zunge herausstrecken und ihr das Papier wegnehmen. Es war ein Geschenk, das Cellie und mich regelmäßig daran erinnert hat, dass es auch Zeiten gab, in denen wir nicht allein waren. Ich will nicht, dass Schwester Dummel ihre schmierigen Fingerabdrücke darauf hinterlässt. Als sie das Papier beiseitelegt, bin ich erleichtert.

»Dann wären wir hier fertig«, sagt sie. »Ein paar von deinen Sachen muss ich dir allerdings abnehmen.« Schwester Dummel konfisziert meine Zahnbürste, die Zahnseide, meine Klamotten und Kopfhörer und stopft alles in eine Plastiktüte. Somit bleiben mir: ein iPod, der ohne Kopfhörer ebenso nutzlos ist wie die Zahnpasta ohne Zahnbürste, und mein Origamipapier.

Schwester Dummel öffnet die Tür und bedeutet mir mit einer Handbewegung, ihr zu folgen. Ich lege meine verbliebenen Habseligkeiten zurück in die Tasche, wobei ich darauf achte, die Papierbögen nicht zu zerknicken.

Vor dem Untersuchungszimmer hält ein Hüne mit Vokuhila-Frisur Wache. Er folgt uns über den Flur, der nach wenigen Metern in einen anderen Flur mündet. Ein steriles Labyrinth. Wir kommen an einem Schild vorbei, auf dem steht: STATION C. Auf dem nächsten lese ich: ZUGANGSBEREICH FÜR PATIENTEN ENDET HIER. Der Hüne zieht eine Karte durch ein schwarzes Kästchen und die Tür schwingt auf. Ich umklammere meine Tasche fester. Ein vertrautes Unbehagen macht sich in mir breit, als wir zur nächsten Schleuse kommen. Wieder zieht der Vokuhila-Typ seine Karte durch den Scanner und wie durch Zauberei öffnen sich auch diese Türen. Kaum habe ich die Schwelle übertreten, schließen sie sich mit einem leisen Klicken hinter mir.

Hier sieht alles noch genauso aus wie beim letzten Mal: als hätte irgendein gigantisches Wesen die Siebziger verschlungen und sämtliche Möbel in diesen Raum gekotzt. Wir befinden uns im Gemeinschaftsraum, dem Ort, an dem sich Jungen und Mädchen zusammen aufhalten dürfen. Es gibt einen alten Fernseher mit zwei Kanälen, einen davon kann man sogar ohne Rauschen empfangen. Wir haben meistens DVDs geschaut, doch dann hat einer der Knirpse auf den DVD-Player gepinkelt und das Ding war Schrott. Es stehen mehrere Sofas herum, auf denen zerknautschte Sofakissen liegen, die immer so aussehen, als würden sie böse gucken, ein paar heruntergekommene grüne Ledersessel und ein paar Tische in Holzoptik. Alle Fenster sind vergittert. Ich muss daran denken, wie ich als Kind im Zoo war und das Gesicht zwischen die Gitterstäbe des Eisbärengeheges gequetscht habe, hinter denen die Bären lautlos ihre immer gleiche Bahn zogen. Ihre weichen, großen Tatzen hinterließen tiefe Spuren im Matsch. Wie viele Monate ich wohl brauchen würde, um solche Spuren zu hinterlassen? Ich krümme die Zehen in meinen schnürsenkellosen Schuhen. Außer uns ist niemand hier, wahrscheinlich weil gerade Abendbrotzeit ist. Es riecht verdächtig nach...

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