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Wir sehen uns morgen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
736 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.04.2017
Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das um jeden Preis geliebt werden will, sich aber den Falschen aussucht. Ein Geschwisterpaar, das seit frühester Jugend auf sich gestellt ist und sich mit Gaunereien über Wasser hält. Ein alleinerziehender Vater, der der Spielsucht verfällt und bald seine Kinder nicht mehr ernähren kann. Vom Schicksal gezeichnete Figuren, die in einem Strudel aus Brutalität, Humor, Tragik und Liebe aufeinandertreffen und gegen alle Unbill um ihr Glück kämpfen. Wir sehen uns morgen ist ein sprachlich herausragender Roman über Existenzangst, Überleben und die Suche nach Liebe.


Tore Renberg (geb. 1972) nimmt in der norwegischen Literatur einen außergewöhnlichen Platz ein, da sein literarisches Werk eine große Spannbreite umfasst. Er ist einer von Norwegens populärsten und erfolgreichsten Autoren, vielfach preisgekrönt, seine Bücher erscheinen in 23 Ländern. Die Lungenschwimmprobe ist sein erster historischer Roman, für den er vor Ort in Leipzig akribisch recherchiert hat.
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Produkt

KlappentextEin fünfzehnjähriges Mädchen, das um jeden Preis geliebt werden will, sich aber den Falschen aussucht. Ein Geschwisterpaar, das seit frühester Jugend auf sich gestellt ist und sich mit Gaunereien über Wasser hält. Ein alleinerziehender Vater, der der Spielsucht verfällt und bald seine Kinder nicht mehr ernähren kann. Vom Schicksal gezeichnete Figuren, die in einem Strudel aus Brutalität, Humor, Tragik und Liebe aufeinandertreffen und gegen alle Unbill um ihr Glück kämpfen. Wir sehen uns morgen ist ein sprachlich herausragender Roman über Existenzangst, Überleben und die Suche nach Liebe.


Tore Renberg (geb. 1972) nimmt in der norwegischen Literatur einen außergewöhnlichen Platz ein, da sein literarisches Werk eine große Spannbreite umfasst. Er ist einer von Norwegens populärsten und erfolgreichsten Autoren, vielfach preisgekrönt, seine Bücher erscheinen in 23 Ländern. Die Lungenschwimmprobe ist sein erster historischer Roman, für den er vor Ort in Leipzig akribisch recherchiert hat.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641189495
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum10.04.2017
Seiten736 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2024 Kbytes
Artikel-Nr.2151341
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1666 (Pål)

Seine Augen fühlen sich an, als wären sie voll Sand.

Als läge eine feine Sandschicht auf der Bindehaut, schon seit mehreren Wochen. Nichts hilft, Augentropfen, Augensalbe - es geht einfach nicht weg. Die Körnchen scheuern über die Bindehaut. Wenn das noch lange dauert, perforieren die Sandkörnchen irgendwann die Hornhaut, und dann wacht er eines Tages auf und ist nicht mehr in der Lage, die Welt zu sehen.

Vielleicht gar nicht so schlecht.

Davon kann einem echt übel werden.

Es wird nie im Leben hinhauen, oder?

Pål wischt die Armaturen trocken, faltet den Lappen und legt ihn über den Wasserhahn. Er stützt sich am Waschbecken auf und atmet tief ein, als würde das helfen. Er hört im Obergeschoss die Spülung rauschen, atmet aus und wirft dem Hund einen Blick zu. Der schwarz-weiße Border Collie döst auf der Decke neben dem Kamin.

»Hm, Zitha? Ganz gut, oder?«

Das Rauschen der Klospülung verstummt, und im Haus ist es wieder still. So still wie draußen, wo sich im gelben Schein der Straßenlaternen nicht mal die Blätter an den Bäumen bewegen. Nicht mal der Bindfaden an der Tanne regt sich, an dem die Mädchen immer Milchtüten befestigt haben, Milchtüten, in die sie Öffnungen geschnitten hatten, um ein Stöckchen hindurchzustecken, damit die Kohlmeise darauf sitzen und fressen konnte.

Papa? Dürfen wir ein paar Rosinen haben? Mögen Singvögel Rosinen?

Die Milchtüte verschwand, die Ehefrau verschwand, aber die Mädchen sind noch da, so wie der Bindfaden.

Pål kneift das rechte Auge zu und presst gereizt den Zeigefinger auf das Lid. Er macht das Radio an. P4. Coldplay. Der Song war vor ein paar Jahren mal ein Hit. Wie heißt er gleich wieder? Echt nervig, wenn sie den Titel nicht singen. Now in the morning I sleep alone. Er macht das Radio wieder aus. Die ganze Welt redet über ihn, und das hält er nicht mehr aus. Er kann nicht mehr fernsehen, er kann die Zeitung nicht lesen, und wenn er mit einem Roman auf dem Schoß dasitzt, liest er dieselbe Seite sechzehnmal, ohne auch nur ansatzweise mitzukriegen, was da steht.

Das Einzige, was er erträgt, ist die Stille. Egal, wie ätzend sie sein kann.

Der Herbst kam in diesem Jahr früh. Die ersten Septemberwochen waren in Regen ertränkt und vom Wind verweht, aber jetzt gibt es plötzlich doch noch ein paar schöne Tage. Als hätte der Sommer den Wunsch, ein letztes Mal Abschied zu nehmen. Am weit offenen Himmel hängt tief die gleißende Sonne. Bereits früh am Vormittag wirft sie lange Schatten auf die Straßen. Sie brennt so stark, dass man glauben könnte, sie wollte erst den Himmel abfackeln und dann sich selbst.

Was, Zitha? Glaubst du, Papa wird es schaffen?

Der Hund hat eine Vorderpfote unter die Brust gezogen, die andere liegt schlaff und schläfrig neben der Wolfsschnauze. Zitha sieht ein bisschen merkwürdig aus, wenn sie sich auf der Decke so flach ausstreckt. Die Ohren ruhen elegant und schön neben ihrem Kopf.

Zitha ist ein zuverlässiger Hund. Und ein schöner Hund. Und sie hat keine Ahnung von dem, was ihrem Herrchen gerade widerfährt. Zitha ist einfach da. Schläft. Spielt. Läuft. Frisst. Steht Tag für Tag mit der immer gleichen unbändigen Hingabe vor Pål: wedelnde Rute, schwänzelnder Hintern, schlabbernde Zunge.

Er sieht aus dem Fenster in den Garten. Mittlerweile wird es früh dunkel. Schon gegen halb acht gehen die Straßenlaternen an, da kommt bereits die Dämmerung, und eine gute halbe Stunde später ist es stockfinster.

Seit einem Monat zieht sich der Sommer leise zurück. Erst trugen die Leute noch T-Shirts und kurze Hosen. Aber dann war´s das für diesmal. Die Birke wurde gelb, der Rhododendron rot, die Laubbäume verblassten allmählich. Die Frauen kramten ihre knielangen Mäntel hervor, man sah häufiger Grau, Braun, Ocker und immer mehr Kopfbedeckungen. Die Leute trugen zusehends Tücher und Schals, die Sommerschuhe wurden weggeräumt, die Kinder rannten in Fleecejacken und Regensachen rum.

Ja, klar dürfen die Singvögel Rosinen haben, die mögen sie.

Kommt Mama zurück, Papa?

Nein, ich glaube nicht.

Schon lange her.

Die Temperaturen fielen, die Abende wurden kühler. Eines Morgens beobachtete er, wie der Nachbar am Auto die Windschutzscheibe freikratzte. Gut, dass er selbst eine Garage hat.

Diese unnatürlich schönen Tage, sie sind nur geliehen. Ein letzter Seufzer des Sommers, das wird nicht lange andauern. Trotzdem muss sich der Körper umstellen, einstellen auf die neue Jahreszeit, auf die anhaltende Dunkelheit, die jetzt kommt, Monate der Kälte und Finsternis. Die Glieder werden steif, der Körper wird schwerer, man braucht mehr Schlaf.

Pål reibt sich die herbsttrockenen Hände und wirft Zitha einen Blick zu. Ihr Atem geht in langen Zügen. Wer weiß, ob sie träumt, und wer weiß, wovon sie träumt hinter ihrer schönen Stirn.

Davon kann einem echt unglaublich übel werden.

Mit einem Schnalzer tritt er auf den schlafenden Hund zu. Zitha zuckt zusammen, setzt sich auf, gähnt und streckt sich. Sofort peitscht die Rute los, die Zunge schiebt sich aus dem Maul, die Schnauze wird feucht.

»Jaaa. Komm, Zitha. Jaaa.«

Er geht in den Flur hinaus, Zitha streift um seine Beine. Er räuspert sich, deutlich, und sagt extra laut: »Ja, ja«, als er die Leine aus der obersten Schublade holt und das Leuchten in den Hundeaugen sieht.

Es wird nicht hinhauen. Oder doch?

Die Mädchen.

Die Rute fegt wie ein Scheibenwischer hin und her, und Zitha schwänzelt aufgeregt vor ihm auf und ab. Pål reibt sich die Augen, bevor er sich bückt und spürt, wie das Blut in seinen Kopf stürzt, als wäre sein Schädel ein Kolben und als folgte alles der Schwerkraft. Er krault Zitha unterm Kinn, sieht ihr in die Augen und erkennt darin das bedingungslose, unendliche Vertrauen, das sie ihm entgegenbringt.

Oben fällt eine Tür zu. Pål schlüpft in seine Herbstjacke und zieht sich Schuhe an. Er tastet über die Innentasche und fühlt nach, ob der Briefumschlag dort steckt. Ja, tut er.

Sie sind klug, Collies. Intelligent. Als seine Frau gerade dabei war, ihn zu verlassen, und erfuhr, dass er sich einen Hund zulegen wollte, empfahl sie ihm einen Setter. Auf die Jagd gehen wie andere Männer. Ja, das sieht dir ähnlich, entgegnete Pål. Setter, meinte Christine mit Bewunderung in der Stimme, laufen sich selbst in Grund und Boden, wenn man sie lässt. Collies, erwiderte Pål, sind schön und bewachen dein Zuhause. So einen Hund will ich haben.

Nur laufen. Ausbrechen, verschwinden.

Wie gerne er das tun würde. Sein häufigstes Gefühl in letzter Zeit. Laufen, ausbrechen, verschwinden. Plus Gelähmtsein, Angst, Scham - niemand weiß, was ich treibe.

»Soll ich mit rauskommen, Papa?«

Von oben Schritte auf dem Teppich.

Die Kinder sind das Schlimmste. Es fühlt sich an, als stünden nur noch Tiril und Malene zwischen ihm und dem, was er tun wird. Mit Malene ist es am härtesten. Papas Mädchen sozusagen.

Sie kommt die Treppe runter, er spürt ihre Schritte, so wie er sein eigenes fauliges Herz spürt.

»Hm? Soll ich mitgehen?«

»Nein, nein.« Er schafft es nicht, ihrem Blick zu begegnen. »Mach du nur Hausaufgaben.«

»Hab ich schon.«

Pål lächelt unbeholfen. »Da hab ich dich wohl mit jemandem verwechselt, der seine Hausaufgaben nicht immer macht. Wo ist Tiril?«

»Wahrscheinlich arbeiten.«

»Ja, klar.«

Malene runzelt die Stirn. Sie verzieht merkwürdig den Mund, wie sie es schon als Säugling gemacht hat, sodass sie aussieht wie E.T., kurz bevor er anfängt zu weinen.

Sie geht vor Zitha in die Hocke und streicht ihr liebevoll über den Schädel, sodass der Hund Schlitzaugen bekommt. Dann hält sie ihr das Gesicht hin, und Zitha leckt ihr über die Nase. »Jaaa, braaave Zitha, braaave Zitha, gehst du mit Papa spazieren, hm?«

Pål sieht sie nachdenklich an. Die markanten Wangenknochen, die ihr Gesicht nach oben zu schieben scheinen. Der kräftige Turnerinnenkörper, biegsam, aufrecht. Nie irgendwelchen Ärger mit Malene. So ein Pech, diese Verletzung. Das muss schleunigst wieder gut werden. Er lächelt, und für einen Augenblick vergisst er, wer er ist und was er getan hat.

»Kann ich nicht doch mitkommen?«

Eine Tochter, die vor dir steht und fragt, ob sie mitkommen darf. Er hofft, es wird für immer so bleiben.

»Nein«, sagt er, »es ist schon spät, und du musst noch Hausaufgaben machen.«

»Papa, ich hab doch gesagt, ich hab sie schon gemacht.«

»Brav«, sagt er. »Na ja, wär gut, wenn du hier wärst, wenn Tiril kommt.«

»Och.« Sie schmollt demonstrativ und zieht Zitha an sich. »Willst...

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Autor

Tore Renberg, 1972 in Stavanger geboren, ist Schriftsteller und Musiker. Seit seinem Debüt 1995 hat er mehrere preisgekrönte Romane geschrieben, die durch ihre Sprachgewalt für Aufsehen sorgten. Der kommerzielle Durchbruch gelang mit »Mannen som elsket Yngve« (»Der Mann, der Yngve liebte«), der zu einem der meistgelesenen Romane des Jahrzehnts in Norwegen avancierte und später erfolgreich verfilmt wurde.