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Tante Poldi und die sizilianischen Löwen

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am12.03.20151. Aufl. 2015
Meerblick. Sonne. Ruhe. Mehr will Poldi nicht, als sie kurz nach ihrem sechzigsten Geburtstag von München nach Sizilien zieht. Dabei hat sie aber nicht mit der Familie ihres verstorbenen Exmannes gerechnet. Denn die, Sizilianer durch und durch, wollen Poldi natürlich das Dolce Vita nahebringen. Das war's dann mit der Ruhe.



Als wäre es damit nicht genug: Eines Tages verschwindet Valentino, der Poldi in Haus und Garten ausgeholfen hat, spurlos. Ist er etwa in die Fänge der Mafia geraten? Poldi macht sich auf die Suche - und kreuzt dabei schon bald den Weg des attraktiven Commissario Montana ...
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Produkt

KlappentextMeerblick. Sonne. Ruhe. Mehr will Poldi nicht, als sie kurz nach ihrem sechzigsten Geburtstag von München nach Sizilien zieht. Dabei hat sie aber nicht mit der Familie ihres verstorbenen Exmannes gerechnet. Denn die, Sizilianer durch und durch, wollen Poldi natürlich das Dolce Vita nahebringen. Das war's dann mit der Ruhe.



Als wäre es damit nicht genug: Eines Tages verschwindet Valentino, der Poldi in Haus und Garten ausgeholfen hat, spurlos. Ist er etwa in die Fänge der Mafia geraten? Poldi macht sich auf die Suche - und kreuzt dabei schon bald den Weg des attraktiven Commissario Montana ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732506088
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum12.03.2015
Auflage1. Aufl. 2015
Reihen-Nr.1
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2190012
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1. Kapitel

Erzählt, wie und warum die Poldi nach Sizilien kommt und was ihre Schwägerinnen davon halten. Ohne Perücke und Brandyflasche läuft gar nichts. Die Poldi lädt zum Schweinsbraten, macht ihrem Neffen ein Angebot, das er nicht ablehnen kann, und lernt ihre Nachbarn in der Via Baronessa kennen. Kurz darauf fehlt allerdings schon einer.

An ihrem sechzigsten Geburtstag zog meine Tante Poldi nach Sizilien, um sich dort gepflegt zu Tode zu saufen und dabei aufs Meer zu schauen. Das jedenfalls befürchteten wir alle, aber es kam eh immer was dazwischen. Sizilien ist kompliziert, nicht mal sterben kann man einfach so, immer kommt einem was dazwischen. Und dann geht nachher alles ganz schnell, und jemand ist ermordet worden, und niemand will irgendwas gesehen oder gewusst haben. Ganz klar, dass meine Tante Poldi, stur und bayerisch wie sie war, die Dinge selbst in die Hand nehmen und für Ordnung sorgen musste. Und damit fingen die Schwierigkeiten an.

Meine Tante Poldi. Eine glamouröse Erscheinung, immer für einen dramatischen Auftritt gut. In den letzten Jahren hatte sie etwas an Gewicht zugelegt, und, zugegeben, Alkohol und Schwermut hatten ein paar Furchen in ihre äußere Erscheinung gepflügt, aber sie war immer noch eine attraktive Frau und kopfmäßig eh voll auf der Höhe, meistens zumindest. Modisch sowieso. Als damals Music von Madonna erschien, trug die Poldi als Erste in der Westermühlstraße einen weißen Cowboyhut. In einer meiner ältesten Erinnerungen sehe ich sie noch zusammen mit meinem Onkel Peppe in einem leuchtend orangefarbenen Hosenanzug auf der Terrasse meiner Eltern in Neufahrn, in der einen Hand ein Bier, in der anderen eine Rothändle, und die ganze Welt bebte unter ihrem Lachen mit, das sie mit ihrem ganzen Körper zu bilden schien und das unerschöpflich in Schüben aus ihr herausbrach. Nur unterbrochen von den Zoten und Flüchen, deren Wiederholung mich am nächsten Tag zum Star des Schulhofs machten.

Isolde und Giuseppe hatten sich in München beim Fernsehen kennengelernt, wo die Poldi Kostümbildnerin und mein Onkel Peppe Schneider war, ein Beruf, den er aus Mangel an anderen Talenten und Visionen von seinem tyrannischen und hypochondrischen Vater übernommen hatte, meinem Großvater, dem es ansonsten ebenfalls an Talenten und Visionen gemangelt hatte, ganz im Gegensatz wiederum zu seinem Vater, also meinem Urgroßvater Barnaba, der ohne ein einziges Wort Deutsch zu sprechen in den Zwanzigerjahren nach München emigriert war, um dort einen lukrativen Südfrüchtegroßhandel aufzuziehen und reich zu werden. Aber ich komme ins Plaudern.

Es war die ganz große Liebe zwischen der Poldi und meinem Onkel Peppe. Leider sind dann ein paar Dinge gründlich schiefgelaufen. Zwei Fehlgeburten, der Alkohol, die Frauengeschichten meines Onkels, die Scheidung von meinem Onkel, die Krankheit meines Onkels, der Tod meines Onkels, die Sache mit dem Grundstück in Tansania und einige andere unerfreuliche Wendungen, Verwerfungen und Erdrutsche des Lebens haben der Tante die Schwermut beschert. Und dennoch hat sie weiterhin viel gelacht, geliebt, gesoffen und die Dinge einfach nicht auf sich beruhen lassen können, wenn ihr irgendwas gegen den Strich ging. Also im Grunde immer.

Die Poldi hatte ihren Beruf als Kostümbildnerin geliebt. Aber in den letzten Jahren hatte sie immer öfter Aufträge an jüngere Kolleginnen verloren. Es lief schlechter beim Fernsehen, die See war rauer geworden, und mit der Zeit hatte die Poldi dann auch langsam die Lust am Berufsleben verloren. Blöderweise hatte die unselige Angelegenheit in Tansania damals sie fast um ihr ganzes Sparbuch gebracht. Aber dann waren ihre Eltern kurz hintereinander verstorben und hatten ihr das kleine Häuschen am Stadtrand von Augsburg hinterlassen. Und weil meine Tante Poldi das Haus und alles was damit zusammenhing eh gehasst hatte - was also lag da näher, als sich zusammen mit ihren restlichen Ersparnissen und ihrer kleinen Rente einen Herzenswunsch zu erfüllen: Sterben mit Meerblick. Und Familie.

Wobei der Familie in Sizilien natürlich schwante, dass die Poldi ihrem Sterben mit dem einen oder anderen Gläschen nachhelfen wollte, bei ihrem Hang zur Schwermut, und dass man dagegen ansteuern müsse, mit allen Mitteln, auf allen Ebenen. Wenn ich jetzt Familie sage, dann meine ich vor allem meine drei Tanten Teresa, Caterina und Luisa und meinen Onkel Martino, Teresas Mann. Tante Teresa, denn die hat bei uns das Sagen, versuchte, die Poldi zu überzeugen, zu ihnen nach Catania zu ziehen, schon der sozialen Kontrolle wegen.

»Geh, Poldi, was willst bloß da draußen ganz alleine?«, lamentierte sie in ihrem besten Münchnerisch. »Zieh halt zu uns in die Nähe, dann hast immer jemand zum Ratschen und Kartenspielen, kannst alles zu Fuß erledigen, Theater, Kinos, Supermarkt und Krankenhaus alles praktisch um die Ecke, und ein paar schöne Polizisten hat´s da bei uns sogar auch.«

Aber keine Chance. Meerblick lautete Poldis interne Zielvereinbarung mit ihrer Schwermut, und Meerblick bekam sie, zusammen mit einem atemberaubenden Panorama von der Dachterrasse. Vorne das Meer und - bitte einmal umdrehen - hinten der Ätna. Was will man mehr? Blöd nur, dass die Poldi es mit ihrem schlimmen Knie kaum noch die Stufen zum Dach hinaufschaffte.

Torre Archirafi ist ein verschnarchtes, freundliches Nest an der Ostküste Siziliens zwischen Catania und Taormina, und wegen der kilometerlangen Uferlinie aus scharfkantigen, massiven Lavafelsen praktisch ungeeignet für jegliche Art touristischer Ausbeutung, Gentrifizierung und Verschandelung. Sollte man jedenfalls meinen. Tatsächlich hält das die Bewohner nicht davon ab, ihren Müll am Ufer zu entsorgen, sich gegenseitig nach Kräften das Leben schwerzumachen und im Sommer klotzige Holzplattformen und Imbissbuden zwischen die Uferfelsen zu rammen, wo sich dann am Wochenende Familien und junge Leute aus Catania zum Sonnenbaden, Essen, Zeitunglesen, Streiten, Essen, Radiohören, Essen und Flirten drängeln, und das alles nonstop beschallt von unidentifizierbarem Bassgewummere und betäubt von einem Dunst aus Kokosöl, Frittierfett und Fatalismus. Und mittendrin: meine Tante Poldi. Ich habe es nie verstanden, aber sie liebte es.

Dagegen der Winter in Torre: klamm, feucht, ein Meer aus Blei und Härte, das gegen die vorgelagerten Wellenbrecher anfaucht, als ob es sich den ganzen Ort holen wolle, und mit seinem Atem aus Salzdunst Schwarzschimmelblumen an jede Zimmerdecke kleckst. Die Klimaanlagen und schwachbrüstigen Heizungen haben keine Chance. Bereits im ersten April nach ihrem Einzug in der Via Baronessa musste meine Tante Poldi das ganze Haus neu weißeln lassen. Und jedes Jahr wieder aufs Neue. Die Winter in Torre sind kein Spaß, aber dafür sind sie immerhin kurz.

Zum Einkaufen fährt man ins nahegelegene Riposto oder besser gleich in den Megamercato Hipersimply, wo man eh alles kriegt. In Torre selbst gibt es nur noch den kleinen Tabacchi von Signor Bussacca für das Nötigste, die Bar-Pasticceria Cocuzza mit der traurigen Signora und ein Ristorante, um das sogar die Katzen einen Bogen machen. Immerhin hat Torre Archirafi eine Mineralwasserquelle zu bieten, und obwohl die Abfüllanlage am Hafen schon in den Siebzigerjahren stillgelegt wurde, ist meinen Tanten Acqua di Torre immer noch ein Begriff. Aus einer Seitenwand der alten Wasserfabrik ragt eine Reihe von Messinghähnen heraus, wo die Bewohner von Torre kostenlos ihr eigenes Mineralwasser zapfen können.

»Und wie schmeckt´s?«, fragte ich höflich, als mir die Poldi zum ersten Mal von der öffentlichen Mineralwasserzapfstation vorschwärmte wie von einem Schokoladenbrunnen.

»Scheußlich, natürlich, was denkst denn du? Aber der Lokalpatriotismus treibt´s rein.«

Geschlagene vier Wochen hatte mein Onkel Martino, der in seinem Berufsleben Vertreter für Tresore und Kassenanlagen für Banken gewesen war, auch sehr lukrativ, und der sich in Sizilien auskennt wie kein Zweiter, die Poldi kreuz und quer zwischen Siracusa und Taormina auf der Suche nach einem geeigneten Haus herumgefahren. Meine Tanten hatten die Poldi immerhin überreden können, sich auf einen Radius von höchstens einer Autostunde um Catania herum zu beschränken. Aber kein Haus erfüllte Poldis Wünsche, immer hatte sie etwas zu mäkeln, zu bekritteln oder zu bespotten. Dabei gab es im Grunde nur ein einziges, ziemlich esoterisches Kriterium.

»Weißt«, raunte mir die Poldi einmal zu, »es ist ganz einfach, und ich spür´s immer gleich. Es gibt gute Orte mit guten Schwingungen und schlechte Orte mit schlechten Schwingungen. Dazwischen, weißt, gibt´s nix, des ist sozusagen digital, die Binärstruktur des Glücks.«

»Die was???«

»Jetzt unterbrich mi fei nicht immer. I spür des sofort, ob ein Ort gut ist oder schlecht. Kann eine Stadt sein, ein Haus, eine Wohnung, ganz egal. I spür´s sofort. Die Energie. Des Karma. Ob des Eis trägt, verstehst? I spür des einfach.«

Bloß eben bei keinem Haus, das die Tanten für sie aussuchten. Das Eis trug nie, und das machte selbst Onkel Martino allmählich mürbe, was etwas heißen will, denn der wird sonst mit jeder Stunde hinter dem Lenkrad frischer, lehnt Klimaanlagen ab, trinkt selbst im August aus Prinzip nie einen Schluck Wasser, raucht dafür aber etwa so viel wie er atmet.

Ich erinnere mich an Ausflüge mit Onkel Martino in den Sommerferien, wenn ich wegen des ersten Sonnenbrandes eine kleine Strandpause einlegen musste. Ausflüge! Zwölfstündige Autofahrten durch Dantes Inferno, durch Luft wie geschmolzenes...


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