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Der Fluch des Kopernikus

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
448 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am16.07.20151. Aufl. 2015
Europa im 16. Jahrhundert. Zwischen dem Steinmetz Leberecht Hamann und dem Jesuiten Christoph Schlüssel entsteht eine tödliche Feindschaft. Denn Leberecht ist in verbotener Liebe zur Mutter seines Rivalen entbrannt, und er kennt ein Geheimnis, das ihm unendliche Macht verleiht. Es ist das verschollene Erbe des großen Astronomen Nikolaus Kopernikus, das die Welt verändern, die Kirche in ihren Grundfesten erschüttern und die Zeit aus ihren Fugen heben wird.mehr

Produkt

KlappentextEuropa im 16. Jahrhundert. Zwischen dem Steinmetz Leberecht Hamann und dem Jesuiten Christoph Schlüssel entsteht eine tödliche Feindschaft. Denn Leberecht ist in verbotener Liebe zur Mutter seines Rivalen entbrannt, und er kennt ein Geheimnis, das ihm unendliche Macht verleiht. Es ist das verschollene Erbe des großen Astronomen Nikolaus Kopernikus, das die Welt verändern, die Kirche in ihren Grundfesten erschüttern und die Zeit aus ihren Fugen heben wird.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732512171
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum16.07.2015
Auflage1. Aufl. 2015
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2191090
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

KAPITEL II
INQUISITION UND LEIDENSCHAFT

Obwohl der Wundarzt sie bereits aufgegeben hatte, konnte Sophie zur Verwunderung aller im folgenden Jahr zum ersten Mal wieder ihre Beine gebrauchen. Sie hatte den Sturz über die Treppe wie durch ein Wunder überlebt und war nach zweitägiger Ohnmacht erwacht. Doch mehr als ein halbes Jahr hatte es gedauert, bis sieben verschiedene Brüche geheilt waren und Sophie die Kraft hatte, sich aus eigenem Antrieb fortzubewegen.

Dies ging nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten, weil bei Sophie, ausgelöst durch den verheerenden Sturz, der kaum äußere Verletzungen erkennen ließ, während der Genesung eine seltsame Erscheinung zutage trat, von der Andreas Vesalius, Leibarzt des Kaisers Karl, in seinem Werk De humani corporis fabrica behauptet, sie treffe nur einen unter fünf Millionen Menschen, eine Krankheit - so man sie überhaupt so nennen will - ohne Namen. Andries van Wesel, so sein richtiger Name, der während seiner Zeit als Wundarzt in Padua die Leiche eines Gehenkten entführte, um sein Skelett zu präparieren - was jedoch nicht zur Unterhaltung anderer geschah, wie in Italien üblich, sondern zur Erkenntnis der Anatomie -, dieser flämische Arzt behauptete mit großen lateinischen Worten, im menschlichen Gehirn stehe eine eigene Drüse bereit, um das Wachstum zu steuern. Ein Sturz oder eine äußere Verletzung könne durchaus die Ursache dafür sein, dass ein mit normalen Proportionen geborener Mensch sich mit einem Male zum Zwerg oder - in der anderen Richtung - zum Riesen verwandle.

So kam es, dass Sophie, allen Gebeten zur kleinwüchsigen Jungfrau Maria zum Trotz, auf einmal wieder zu wachsen begann, obwohl sie die Jugend, der das gemeinhin vorbehalten bleibt, längst hinter sich gelassen hatte, dass sie sich dehnte und streckte und in der Breite und Höhe zunahm, eine bösartige Laune der Natur. Aus dem zarten Mädchen Sophie, das einmal den Namen »Veilchen« trug und das zu Leberecht aufgeschaut hatte, wuchs ein Riesenfrauenzimmer, größer als der größte Mann in der Stadt und bestaunt wie das Grabmal von Kaiser Heinrich und seiner Frau Kunigunde im Dom.

Selbst Leberecht, dem seine Schwester lieb war wie das eigene Leben, erschrak vor dem unerklärlichen Auswuchs. Anders als vor dem Treppensturz, zeigte er sich nur ungern in ihrer Begleitung, und er war sogar froh, als Martha Sophie eine eigene Kammer zuwies, im Hinterhaus bei den Knechten mit einem eigens für sie gezimmerten Kasten als Liegestatt. Ohne zu murren, erledigte sie dort Arbeiten, die ihr früher ein Gräuel waren, und sie lebte zurückgezogen wie eine Nonne.

Nur den sonntäglichen Kirchgang, der Leberecht seit jener Bußpredigt des Athanasius Semler zuwider war, erledigten sie noch gemeinsam. Er kam ein um das andere Mal einem Spießrutenlaufen gleich. Hinter ihrem Rücken wurde getuschelt, Kinder verhöhnten sie, und Leberecht verteilte Ohrfeigen, wenn sie das Riesenfrauenzimmer als Weltwunder oder Braut des Leibhaftigen verspotteten und Bocksprünge machten, um ihren Schmährufen Nachdruck zu verleihen.

Im Hause verrichtete Sophie die Arbeit eines Knechts und einer Magd zugleich; sie tat es ohne Murren und scheute sich nicht vor niedrigsten Tätigkeiten. Dazu gehörte das Ratzen vertreiben aus Kammern und Kellern; Ratzen, die sich bis zur Größe einer Katze auswuchsen und diese mit tödlichen Bissen bekämpften. Verursacht durch die Nähe des Flusses, gab es Tausende dieser Nager in den Häusern im Sand, und Sophie hatte den Auftrag, möglichst viele bei lebendigem Leibe zu fangen, an einem Bein festzubinden und sie auf diese Weise durch eine Pfanne mit einem Gemisch aus Fischtran und flüssiger Wagenschmiere zu ziehen, bis ihr Fell eher der Haut eines Fisches als der eines Nagetieres glich. Freigelassen rannten sich so behandelte Ratzen zu Tode, so unerträglich war ihnen der Geruch ihres Fells. Doch geschah dies nicht ohne einen willkommenen Nebeneffekt, denn alle Löcher und Gänge, durch die ein getrantes Tier gelaufen war, wurden für lange Zeit von allen anderen Ratzen gemieden.

Der schlimmste von allen niederen Diensten, die Sophie zu verrichten hatte, war die Pflege der Gicht des alten Schlüssel, die dem Wirt vom Sand von der Wunderheilerin Nüsslein empfohlen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit für einen Goldgulden verkauft worden war. Ein Heilbrief, den Leberecht mit eigenen Augen gesehen hatte, enthielt neben der genauen Anweisung auch einen Fluch gegen jene, die das Geheimnis ohne Erlaubnis weitergaben. Und mochte das Mittel noch so fragwürdig erscheinen, so brachte es dem Wirt vom Sand zwar keine Erlösung, aber doch Linderung seiner Schmerzen. Angewidert holte Sophie einmal pro Woche eine junge Taube aus dem Schlag unter dem Dach, rieb dieselbe heftig am zuvor gereinigten Hinterleib des Kranken, und zwar so, dass der After der Taube genau auf den von Schlüssel zu passen kam. Während die Taube in starke gichterische Bewegungen verfiel, ließ Sophie erst ab, wenn der Vogel kein Zeichen von Leben mehr von sich gab. Dazu murmelte sie die Worte: »Geist der Taube, Geist der Taube. Nimm hinweg die Schmerzenspein!«

Weder Schlüssels Ehefrau Martha noch eine der Mägde erklärte sich bereit, diese obskure Prozedur freiwillig auszuführen. Dadurch geriet Jakob Heinrich Schlüssel in eine gewisse Abhängigkeit von Sophie, und es kümmerte ihn nicht, wenn die Leute spotteten, der Wirt vom Sand halte sich eine Satansbraut unter seinem Dach oder sogar ein Zwitterwesen, Mann und Frau zugleich in Gestalt eines riesigen Dämons. Selbst als der Domprediger Athanasius Semler von der Kanzel wetterte, man müsse die Braut Satans - so nannte er Sophie, ohne mit ihr ein Wort gewechselt zu haben - exorzieren, hielt der einflussreiche Schlüssel seine Hand über das groß gewachsene Mädchen und beschimpfte Semler in aller Öffentlichkeit als Volksverhetzer.

Von diesem Ereignis wurde die fromme Stadt in zwei Lager gespalten, wobei das eine nicht frommer war als das andere; denn im Grunde waren die einen so käuflich und korrupt, hinterhältig und böse und der Magie zugetan wie die anderen. Wunder sind der Frommen liebste Kinder, und es gab auch in dieser Stadt keinen Christenmenschen, der dem Unerklärlichen nicht insgeheim verfallen war wie Herodes Antipas der tanzenden Salome.

Sophies Wachstum jedenfalls trug in hohem Maße dazu bei, die verteufelten Gerüchte um ihren toten Vater zu schüren, und als schließlich eine Nonne vom nahen Frauenkloster verkündete, im Kreuzgang sei ihr der Leibhaftige in Gestalt eines kahlköpfigen Mannes mit einer Schaufel in der Hand begegnet, da wurden die ersten Rufe nach der heiligen Inquisition laut.

Seit Verkündung der Bulle Summis desiderantis affectibus durch Innozenz VIII. vor über siebzig Jahren, wetteiferte die Stadt um den zweifelhaften Ruf, die Erste zu sein im Hexenbrand; jedenfalls versuchte sie den sächsischen Fürstentümern, dem Herzogtum Westfalen, Würzburg und Eichstätt, den Rang abzulaufen. Der Dominikaner Bartolomeo, der die Stelle des Inquisitors einnahm, hatte eines Tages die Stadt heimgesucht, ein Schreiben der Kurie vorgewiesen und sich in einem Nebengebäude der alten Hofhaltung niedergelassen. Bartolomeo, der seine gefürchteten Prozesse mit einem dreifachen Kreuzzeichen auf alle erreichbaren Körperteile begann und dazu die Worte flüsterte: »Ich bekenne und glaube, dass die heilige römische Kirche die wahre Gemeinschaft der Gläubigen ist, ohne die es kein Seelenheil gibt«, war Kläger und Richter zugleich, und aus demselben Grunde waren seine Nachforschungen gefürchtet. Diese bezogen sich auf weise Männer ebenso wie auf weise Frauen, und sie machten auch nicht vor den gedruckten Büchern des seligen Albrecht Pfister halt und jenen des Johann Sensenschmid, welche jenseits des Flusses weitgerühmte Druckwerkstätten unterhielten und neben Missalen und Bibeln angeblich auch Schriften druckten wie das Buch Belial, was, wie Paulus sagt, ein heimlicher Name des Teufels sei.

So wie Jakob Heinrich Schlüssel die Geweihe des von ihm erlegten Wildes an den Wänden seiner Wirtsstube ausstellte, hatte der Inquisitor Bartolomeo, wohl zur Abschreckung, neben dem Eingang zum Gebäude der Inquisition eine hölzerne Tafel angebracht, auf der er mit Rötel die Blutspur seines Wirkens festhielt. Wenngleich die meisten des Lesens unkundig waren, so genügte der regelmäßige Vortrag durch Schriftkundige zur Furchteinflößung und Ansporn zum frommen Glauben im Sinne der heiligen Mutter Kirche. Wer lesen konnte, las:

VERZEICHNIS DER HEXEN-LEUT SO MIT DEM SCHWERT GERICHTET UND VERBRANNT

Im ersten Brand fünf Personen

Die schielende Anne

Die Hübschlerin vom Kranen

Die alte Bürstenbinderin

Zwei reisende Männer der Magie Satans

Im zweiten Brand zwei Personen

Der Schiffsmeister Gabriel, dem Glauben abgeschworen

Die Vogtin des Hw. Herrn Domprobst

Im dritten Brand vier Personen

Der Vogt des Hw. Herrn Domprobst

Ein besessener Knabe von sechs Jahren

Das Apothekermägdelein

Der Kolber, ein gar reicher Mann, welcher behauptet, die Hostie sei eine Nahrung, die man in den Mund steckt und beim Arsch wieder herauskommt

Im vierten Brand fünf Personen

Zwei unbekannte hübsche Weiber, welche das Jesulein verkauften

Ein Edelknabe von Burg Lesau

Die Metzgerin Roth, welche sich zuvor selbst erdolcht

Franziskus Baumgartner, Vicarius im Domstift, nachdem er einen Alumnus geschwängert und gesagt, dass er ihn mehr liebe als Gott, den Herrn

Im...

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