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Das Wasserwerk

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am06.04.20171. Auflage
New York, 1871. Kriegsgewinnler und Neureiche geben nach dem siegreichen Bürgerkrieg im Leben der Stadt den Ton an. Industrie und Banken florieren, und die Stadt ist dabei, zu einer führenden Metropole in der Welt zu werden. In dieser brodelnden Atmosphäre des Aufbruchs schlägt sich Martin Pemberton mühsam als freier Journalist durch. Bis er eines Tages in einem Pferdeomnibus flüchtig eine Gruppe alter Männer sieht - unter ihnen auch seinen vor kurzem verstorbenen Vater. Ehe Martin auf der Suche nach dem mysteriösen Omnibus und seinen Insassen untertaucht und spurlos verschwindet, erzählt er noch McIlvaine, seinem Redakteur beim Telegram, von der gespenstischen Entdeckung. Auch McIlvaine läßt das Geheimnis keine Ruhe. Auf seiner rastlosen Suche nach den beiden Pembertons gerät er immer tiefer in die düstere Geschichte der Familie. Und schließlich entdeckt er bei seinen Nachforschungen zusammen mit einem New Yorker Polizisten ein stillgelegtes Wasserwerk, in dem der genialisch verrückte Arzt Dr. Sartorius seinen aberwitzigen Experimenten nachgeht.

E.L. Doctorow wurde am 6. Januar 1931 in New York City geboren und wuchs in der New Yorker Bronx auf. Seine Romane »Ragtime«, »Billy Bathgate« oder »Der Marsch« und »Homer & Langley« sind aus dem Kanon der amerikanischen Literatur nicht wegzudenken. Er erhielt für seine Bücher nahezu alle wichtigen Literaturpreise, darunter den PEN/Saul Bellow Award für sein Lebenswerk.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextNew York, 1871. Kriegsgewinnler und Neureiche geben nach dem siegreichen Bürgerkrieg im Leben der Stadt den Ton an. Industrie und Banken florieren, und die Stadt ist dabei, zu einer führenden Metropole in der Welt zu werden. In dieser brodelnden Atmosphäre des Aufbruchs schlägt sich Martin Pemberton mühsam als freier Journalist durch. Bis er eines Tages in einem Pferdeomnibus flüchtig eine Gruppe alter Männer sieht - unter ihnen auch seinen vor kurzem verstorbenen Vater. Ehe Martin auf der Suche nach dem mysteriösen Omnibus und seinen Insassen untertaucht und spurlos verschwindet, erzählt er noch McIlvaine, seinem Redakteur beim Telegram, von der gespenstischen Entdeckung. Auch McIlvaine läßt das Geheimnis keine Ruhe. Auf seiner rastlosen Suche nach den beiden Pembertons gerät er immer tiefer in die düstere Geschichte der Familie. Und schließlich entdeckt er bei seinen Nachforschungen zusammen mit einem New Yorker Polizisten ein stillgelegtes Wasserwerk, in dem der genialisch verrückte Arzt Dr. Sartorius seinen aberwitzigen Experimenten nachgeht.

E.L. Doctorow wurde am 6. Januar 1931 in New York City geboren und wuchs in der New Yorker Bronx auf. Seine Romane »Ragtime«, »Billy Bathgate« oder »Der Marsch« und »Homer & Langley« sind aus dem Kanon der amerikanischen Literatur nicht wegzudenken. Er erhielt für seine Bücher nahezu alle wichtigen Literaturpreise, darunter den PEN/Saul Bellow Award für sein Lebenswerk.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462315264
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum06.04.2017
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1809 Kbytes
Artikel-Nr.2348905
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

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1


Niemand nahm, was Martin Pemberton sagte, für bare Münze - er war ein viel zu melodramatischer oder zerrissener Mann, um sich klar auszudrücken. Frauen zog dies an - sie sahen in ihm so etwas wie einen Dichter, dabei war er doch, wenn überhaupt, Kritiker: ein Kritiker seines Lebens und seiner Zeit. Als er dann überall herumerzählte, daß sein Vater noch am Leben sei, meinten diejenigen unter uns, die es hörten und sich an seinen Vater erinnern konnten, er spreche von der generellen Unausrottbarkeit des Bösen.

Damals stützten wir beim Telegram uns stark auf freie Mitarbeiter. Ich sah mich ständig nach einem guten neuen um und hielt mir immer ein Rudel von ihnen in Rufweite. Martin Pemberton war der weitaus beste, obwohl ich ihm das nie gesagt hätte. Ich behandelte ihn, wie ich sie alle behandelte. Ich blieb ironisch, weil das von mir erwartet wurde, ich war witzig, damit man mich in den Kneipen zitieren konnte, und ich war einigermaßen fair, weil ich nun einmal so bin ... aber ich interessierte mich auch für ihren Stil und wollte, daß sie alle gut schrieben, um ein Lob von mir zu bekommen ... das günstigstenfalls bissig ausfiel.

Natürlich machte nichts davon auf Martin Pemberton besonderen Eindruck. Er war ein schwermütiger, zerstreuter junger Mann, dem sichtlich in Gesellschaft seiner eigenen Gedanken wohler war als unter Menschen. Er hatte hellgraue Augen, die sich auf den kleinsten Reiz hin abrupt weiteten. Seine Brauen wölbten sich, tiefe Furchen bildeten sich dann zwischen ihnen, und für einen Augenblick schien er die Welt nicht anzusehen, sondern in sie hinein. Er litt an der Intensität seiner Wahrnehmung - und lebte anscheinend auf einer so entrückten Ebene, daß man das Gefühl hatte, in seiner Gegenwart zu verblassen, und spürte, ein wie hohler oder hochstaplerischer Mensch man war. Die meisten freien Mitarbeiter sind nervöse, ergebene Geschöpfe - kein Wunder bei dem dürftigen Leben, das sie fristen -, doch dieser hier war stolz, er wußte, wie gut er schrieb, und beugte sich nie, wenn ich anderer Meinung war. Schon dadurch bildete er eine Klasse für sich.

Er war von schmächtiger Gestalt und hatte ein gutgeschnittenes, bartloses Gesicht und schütteres fahles Haar. Er schritt steifbeinig durch die Stadt wie ein weit größerer Mann. Wenn er den Broadway entlangging, wehte sein offener Offiziersmantel wie ein Cape hinter ihm her. Martin gehörte jener Nachkriegsgeneration an, für die Kriegsutensilien ironische Kunst- oder Modeobjekte waren. Er und seine Freunde bildeten kleine soziale Nischen der Ironie. Einmal erklärte er mir, der Krieg habe nicht zwischen der Union und den Aufständischen stattgefunden, sondern zwischen zwei konföderierten Staaten, und eine Konföderation habe eben siegen müssen. Ich bin jemand, der sich als Präsidenten nie einen anderen als Abe Lincoln wird vorstellen können, da können Sie sich denken, wie eine solche Bemerkung bei mir ankam. Aber die Weltsicht dahinter faszinierte mich. Mir selbst war unsere moderne Industriekultur nicht gerade ein Labsal.

Martins bester Freund war ein Künstler, ein riesiger, feister Bursche namens Harry Wheelwright. Wenn er nicht gerade reiche Matronen bedrängte, ihm Porträtaufträge zu geben, zeichnete Wheelwright Kriegskrüppel, die er auf der Straße auflas ... mit gezieltem Blick für ihre Entstellungen. Ich betrachtete seine Zeichnungen als die Entsprechung zu Martins taktlosen, aber kundigen Rezensionen und kulturkritischen Artikeln. Was mich anging, so waren meine Journalistenfühler interessiert aufgerichtet. Mein Thema ist immer schon die Seele der Stadt gewesen, und es ist eine wendige Seele, die sich dreht und Saltos schlägt, sich formt und verformt, sich verdichtet und wieder entfaltet wie treibende Wolkenmassen. Diese jungen Männer waren eine wachsame Generation, illusionslos ... Revolutionäre in gewisser Hinsicht ... wenn auch vielleicht zu verletzlich, um je etwas zu vollbringen. Der Trotz, mit dem sich Martin seinem Leben und seiner Zeit unterwarf, war offenkundig - aber man fragte sich, wie lange er so würde weitermachen können.

Im allgemeinen war ich nicht drauf erpicht, etwas über den Hintergrund eines freien Mitarbeiters zu wissen. In diesem Fall aber wußte ich zwangsläufig Bescheid. Martin kam aus reichem Haus. Sein verstorbener Vater war der berüchtigte Augustus Pemberton gewesen, der alles getan hatte, um seine Nachkommen auf Generationen hinaus zu beschämen und in Verlegenheit zu bringen, indem er ein Vermögen damit erwarb, daß er die Armee der Nordstaaten mit Stiefeln belieferte, die auseinanderfielen, mit Decken, die sich im Regen auflösten, mit Zelten, die an den Ösen rissen, und mit Uniformtuch, das Farbe abgab. Unser Wort dafür war »Schund«. Aber Schund verkauft zu haben war noch nicht die schlimmste Sünde des alten Pemberton. Ein noch größeres Vermögen hatte er als Eigner von Sklavenschiffen gemacht. Man könnte annehmen, der Sklavenhandel wäre ausschließlich über die Häfen im Süden gelaufen, doch Augustus betrieb ihn von New York aus - auch, nachdem der Krieg begonnen hatte, noch im Jahr 62. Er hatte ein paar Portugiesen als Partner, und die Portugiesen waren Spezialisten im Sklavenhandel. Sie ließen ihre Schiffe hier von der Fulton Street aus nach Afrika absegeln und dann zurück über den Ozean nach Kuba, wo die Ladung an die Zuckerplantagen verhökert wurde. Die Schiffe wurden versenkt, weil man den Gestank nicht mehr aus ihnen herausbekam. Doch der Profit war so enorm, daß sie neue Schiffe kaufen konnten. Und danach wieder neue.

Das also war Martins Vater. Verständlich, daß der Sohn wie zur Buße das karge Leben eines freien Journalisten gewählt hatte. Martin hatte von allem gewußt, was der Alte getan hatte, und als sehr junger Mann dafür gesorgt, daß er enterbt wurde - wie, das erläutere ich gleich. Zunächst will ich darauf hinweisen, daß August Pemberton, um von New York aus Sklavenschiffe entsenden zu können, die Hafenmeister in der Tasche haben mußte. Die Laderäume eines Sklavenschiffes waren so gezimmert, daß man so viele Menschen wie möglich, ohne Abstand zwischen Köpfen und Decke, hineinpferchen konnte - niemand konnte an Bord eines Sklavenschiffs gehen, ohne zu erkennen, was es war. Als daher 1870 Augustus Pemberton nach langer Krankheit starb und im Anschluß an einen Trauergottesdienst in der episkopalischen Kirche St. James an der Laight Street bestattet wurde, überraschte es kaum, daß die führenden Würdenträger der Stadt bei der Beerdigung auftauchten, ihnen voran Boss Tweed persönlich samt Angehörigen des Rings - dem Kämmerer, dem Bürgermeister -, mehreren Richtern, Dutzenden von Wall-Street-Dieben ... und daß ihn jede Tageszeitung mit umfänglichen Nachrufen ehrte, einschließlich des Telegram. O mein Manhattan! Die großen Steinstelen der Brücke nach Brooklyn wuchsen auf beiden Ufern des Flusses in die Höhe. Leichterschiffe, Paketboote und Frachter liefen zu jeder Tages- und Nachtzeit in den Hafen ein. Die Piers ächzten unter den Kisten, Fässern und Ballen mit den Gütern der Welt. An welcher Ecke ich auch gerade stand, ich hätte schwören können, daß ich die telegraphischen Botschaften in den Drähten singen hörte. Gegen Ende des Handelstags an der Börse erfüllte das Tickern der Fernschreiber die Atmosphäre wie Grillengezirpe in der Dämmerung. Wir lebten in der Nachkriegszeit. Findet man die Menschheit einmal nicht in den Ketten der Geschichte, dann ist das der Himmel, der ereignislose Himmel.

Ich erhebe keinerlei Anspruch auf seherische Fähigkeiten, aber ich weiß noch, was ich Jahre zuvor geahnt hatte, als Präsident Lincoln starb ... Sie werden einfach darauf vertrauen müssen, daß dies, wie alles, was ich Ihnen erzähle, mit der Geschichte zu tun hat. Im Gleichschritt trugen sie seinen Katafalk den Broadway hinauf zum Eisenbahndepot, und noch Wochen danach flatterten entlang der Strecke an den Fenstern Überbleibsel und Fetzen von Trauerkrepp. Ausgelaufene schwarze Farbe befleckte die Fassaden und die Markisen der Geschäfte und Restaurants. In der Stadt war es unnatürlich still. Wir erkannten uns nicht wieder. Die Veteranen, die vor A. T. Stewarts Kaufhaus standen, sahen die Münzen nur so in ihre Blechschüsseln prasseln.

Aber ich kannte meine Stadt und war auf das gefaßt, was kommen mußte. Es gab hier schließlich keine leisen Stimmen. Man brüllte, Wörter wurden herausgeschleudert wie Bleiklümpchen aus unseren Doppelwalzendruckpressen. Ich hatte über die Tumulte berichtet, die es gab, als der Preis pro Barrel Mehl von sieben auf zwanzig Dollar stieg. Ich hatte die bewaffneten Killerbanden beobachtet, die sich auf den Straßen mit der Armee anlegten und das Heim für farbige Waisen in Brand steckten, nachdem die Wehrpflicht eingeführt worden war. Ich hatte Bandenkriege und Kämpfe mit der Polizei gesehen und war dabei, als auf der Eighth Avenue die Iren-Verbände den Aufmarsch der protestantischen Nordiren angriffen. Ich bin absolut für Demokratie, aber ich habe in dieser Stadt Zeiten erlebt, kann ich Ihnen sagen, in denen ich soweit war, daß ich mich nach dem verdummenden Frieden der Könige sehnte ... nach dem Gleichmut, der durch Verbeugungen und Kratzfüße im blendenden Schein königlicher Autorität entsteht.

Daher wußte ich, daß sich eine höhere Absicht hinter Mr. Lincolns Tod verbarg, doch welche? Irgendein seelenloser gesellschaftlicher Vorsatz mußte seinem Grab entfleuchen und wiederauferstehen. Doch ich sah nicht voraus ... daß dies mein junger freier Mitarbeiter bewirken würde, auf dessen Schultern der Offiziersmantel so schwer lastete wie Friedhofserde und...
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Autor

E.L. Doctorow wurde am 6. Januar 1931 in New York City geboren und wuchs in der New Yorker Bronx auf. Seine Romane »Ragtime«, »Billy Bathgate« oder »Der Marsch« und »Homer & Langley« sind aus dem Kanon der amerikanischen Literatur nicht wegzudenken. Er erhielt für seine Bücher nahezu alle wichtigen Literaturpreise, darunter den PEN/Saul Bellow Award für sein Lebenswerk.Angela Praesent, geboren 1945, gestorben 2009, war Verlagslektorin, Übersetzerin und Schriftstellerin. Neben E.L. Doctorow brachte sie u.a. Harold Brodkey und John Updike ins Deutsche. Für ihre Übersetzungen erhielt sie den Heinrich Maria Ledig-RowohltÜbersetzerpreis und den Paul-Celan-Preis.