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Abendlied für einen Mörder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am16.10.2017
Neapel in den 30er Jahren: In einer dunklen Gasse wird der gutsituierte Signor Irace zu Tode geprügelt. Seine Witwe, die hübsche Concetta, ist untröstlich. Schon bald gibt es einen Verdächtigen: Vincenzo Sannino, einst ein armer Straßenjunge, der unsterblich in Concetta verliebt war, aber keine Chance hatte, sie zu heiraten. Er wanderte nach New York aus, machte Karriere als Boxer. Nun ist er nach Neapel zurückgekehrt, und seine Liebe zu Concetta ist ungebrochen. Der Fall scheint damit klar, zumal Vincenzo kein Alibi hat, und der Justizminister verlangt seine Festnahme. Doch für Commissario Ricciardi ist das eine allzu einfache Lösung. Und sein Kampfgeist ist erwacht.

Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextNeapel in den 30er Jahren: In einer dunklen Gasse wird der gutsituierte Signor Irace zu Tode geprügelt. Seine Witwe, die hübsche Concetta, ist untröstlich. Schon bald gibt es einen Verdächtigen: Vincenzo Sannino, einst ein armer Straßenjunge, der unsterblich in Concetta verliebt war, aber keine Chance hatte, sie zu heiraten. Er wanderte nach New York aus, machte Karriere als Boxer. Nun ist er nach Neapel zurückgekehrt, und seine Liebe zu Concetta ist ungebrochen. Der Fall scheint damit klar, zumal Vincenzo kein Alibi hat, und der Justizminister verlangt seine Festnahme. Doch für Commissario Ricciardi ist das eine allzu einfache Lösung. Und sein Kampfgeist ist erwacht.

Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641212254
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum16.10.2017
Reihen-Nr.9
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse939 Kbytes
Artikel-Nr.2363873
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I

Cettina wich keinen Augenblick vom Fenster. Er hatte ihr gesagt, dass er kommen würde, und noch nie hatte er ein Versprechen nicht gehalten. Doch jetzt hatte er sich bereits verspätet, und sie fürchtete, ihre Eltern würden aus dem Geschäft nach Hause kommen; dann könnte sie nicht mehr mit ihm reden.

Sie war mit dem Abwasch fertig und hatte das Abendessen gekocht. Dann hatte sie sich gekämmt, das lange Haar zu einem Zopf geflochten und ihn am Hinterkopf festgesteckt; das Hütchen lag griffbereit.

Das Wetter verhieß nichts Gutes, doch noch regnete es nicht. So ist das im Oktober, dachte Cettina, ein Tag schön, ein Tag schlecht.

Wohl zum hundersten Mal ging sie vor den großen Spiegel im Flur und überprüfte, ob alles in Ordnung war. Das Kleid aus braunem Musselin, die weiße Bluse. Schlicht genug, damit es nicht aussah, als wollte sie ausgehen, falls die Eltern vor seinem Eintreffen nach Hause kamen, aber elegant genug, um nach draußen zu gehen und ihn zu treffen.

Cettina war fünfzehn und machte sich Sorgen. Denn Cettina war verliebt und fürchtete, ihren Liebsten schon bald zu verlieren. Doch sie war entschlossen, um ihn zu kämpfen.

In den vergangenen anderthalb Jahren hatte der Krieg schon viele Männer von zu Hause weggeholt, und viele andere würde er noch in den Tod reißen. Damit war nicht zu scherzen. Viele würden nie zurückkehren, andere kamen verwundet nach Hause, ob von Granatsplittern oder Mörsern zerfetzt. Für Cettina war dieser Krieg unbegreiflich. Das war er für fast alle Frauen, die zu Hause geblieben waren, um ein halbwegs normales Leben aufrechtzuerhalten, und mit bis zum Halse klopfendem Herzen auf einen bekannten Schritt oder ein Telegramm warteten. In diesem Krieg ging es um ein Land, das viel zu weit entfernt war, um es Heimat nennen zu können, um Orte, für die es sich womöglich gar nicht lohnte, sein Leben zu lassen; und nur die Alten, die einen anderen König und eine andere Nation in Erinnerung hatten, schwärmten in ihren Erzählungen von einer längst verblichenen Größe, was es nur noch schwerer machte, die Gründe für einen Konflikt zu begreifen, der für viele kaum mehr hinnehmbar war.

Cettinas Vater war lungenkrank und deshalb nicht einberufen worden. Ihr Bruder war jünger als sie und folglich ebenfalls nicht in Gefahr, weshalb es Cettina bislang erspart geblieben war, mit vor Angst klopfendem Herzen auf ein Telegramm zu warten.

Vincenzo jedoch war siebzehn. Er war kerngesund, seine schwarzen Augen blickten lebhaft und kühn, und sein sehniger Körper war stark genug, um schwere Getreidesäcke von Karren zu laden oder ganze Schiffsladungen Stoffballen zu löschen. Vincenzo lief Gefahr, an die Front geschickt zu werden, wenn der Krieg noch länger dauerte. Dieser verfluchte Krieg, der einfach nicht enden wollte.

Vincenzo, den sie vor einem Jahr im Sommer kennengelernt hatte, an einem Brunnen, an dem er sich erfrischt hatte, während sie einer Freundin beim Wäschewaschen geholfen hatte. Vincenzo, der sie dort in der Sonne angelacht und mit seinen schneeweißen Zähnen und der dunklen Haut gleich verzaubert hatte. Vincenzo, an den sie auf der Stelle und für immer ihr Herz verloren hatte.

Sie hatten viel geredet. Er hatte ihr versprochen, zu ihrem Vater zu gehen, sobald er die Mittel hätte, um ihr ein Leben zu ermöglichen, wie sie es jetzt führte. Cettina hatte ihm gesagt, sie schere sich um nichts und niemanden und wolle einzig und allein mit ihm zusammen sein, Hand in Hand unter einem Himmel voller Sterne, die des Nachts das Meer zu einer weichen Decke machten. Er hatte sie gebeten zu warten, und sie hatte ihn gebeten, sich zu beeilen.

Und dann jetzt diese Sache mit Amerika.

Diese Geschichten über das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Diese Hirngespinste von Reichtum, für jeden greifbar, der Lust hatte zu arbeiten ...

Lass mir Zeit bis zum Ende des Krieges, sagte er wieder und wieder. Und sie sah sich selbst warten, das Herz bis zum Halse klopfend.

Denn genau dieser Gedanke war der schlimmste von allen. Wer bin ich schon?, fragte sie ihn. Wenn du in den Krieg ziehen würdest, müsste ich deine Mutter vor dem Haus abpassen, um zu erfahren, ob dir etwas zugestoßen ist. Niemand würde zu mir kommen und es mir sagen. Der Gedanke, ausgeschlossen zu sein und niemals etwas zu erfahren, war für sie so schrecklich, dass sie schließlich dieser Idee mit Amerika zugestimmt hatte.

Zum zigsten Mal ging sie zum Fenster und schaute auf die Straße hinaus. Nichts. Immer noch nichts.

Cettina spürte die Blicke ihres Bruders und des Vetters auf sich, die am Tisch saßen und Karten spielten. Sie tat unbeschwert, doch Michelangelo und Guido durchschauten sie.

Mit gespieltem Desinteresse fragte ihr Vetter: »Wartest du auf jemanden, Cettina?«

»Aber nein, wo denkst du hin? Ich schaue, ob Mama und Papa kommen.«

Michelangelo, ihr Bruder, zeigte kichernd auf die Pendeluhr, die an der Wand hing. »Aber dafür ist es noch zu früh. Um sieben machen sie das Geschäft zu, und du weißt ja, dass sie mindestens eine halbe Stunde für die Abrechnung brauchen. Vor acht sind sie nicht zu Hause.«

Guido schaute sie ausdruckslos an und sagte: »Cettina wartet ja gar nicht auf eure Eltern. Wer weiß, auf wen sie wartet.«

Manchmal war ihr Guido unheimlich. Er war ein guter Junge, zwei Jahre älter als sie; erst hatte er seinen Vater verloren, dann die Mutter, Cettinas Tante mütterlicherseits, und seither lebte er bei ihnen. Doch er war schweigsam, immer in Gedanken und mit einem Buch in der Hand; in der Schule war er einer der Besten, aber Freunde hatte er keine.

»Auf niemanden. Ich warte wirklich auf niemanden. Höchstens Maddalena, meine Freundin; sie hat gesagt, sie kommt vielleicht kurz vorbei. Schauen wir mal, ob sie es noch schafft.«

Von einem Moment auf den nächsten. Vincenzo konnte von einem Moment auf den nächsten fort sein. Er hatte ihr gesagt, ein älterer Freund von ihm würde als Matrose auf einem Amerikadampfer anheuern und könne ihn an Bord in die dritte Klasse schmuggeln, sodass er nicht einmal bezahlen müsse. Gewiss, er müsse sich die ganze Überfahrt verstecken, doch der Freund würde ihm zu essen bringen, und so würde er es schaffen. Diese großen Dampfschiffe seien immer überfüllt, niemand würde einen blinden Passagier bemerken.

Jetzt, wo die Abreise in den Bereich des Möglichen gerückt war, wurde sich Cettina bewusst, dass sie nie wirklich daran geglaubt hatte. Es konnte einfach nicht sein, dass Vincenzo wegging. Dass sie ihn monatelang, ja vielleicht jahrelang nicht mehr sehen würde. Und wer garantierte ihr, dass es in Amerika nicht genauso gefährlich war wie im Krieg? Und wenn er in schlechte Kreise geriet? Wenn man ihn zwang, dort zu bleiben, und er nie mehr zurückkonnte? Wenn er auf Indianer traf, von denen es hieß, sie seien blutrünstige Wilde oder, wie manche sagten, sogar Kannibalen?

Und wenn er, was am allerschlimmsten wäre, eine Frau traf, die ihm besser gefiel als sie?

Ein scharfer Pfiff unterbrach sie in genau diesem Gedanken. Cettina konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. In aller Seelenruhe griff sie nach ihrem Hütchen und sagte: »Ich gehe Maddalena schon mal entgegen. In fünf Minuten bin ich wieder da, sie soll mir nur den Titel eines Buches sagen, das ich lesen will. Guido, du bleibst bei Michelangelo, ja?«

Sie öffnete die Tür, ohne sich um die Blicke des Bruders und des Vetters zu scheren, die ihr folgten.

Vincenzo nahm ihre Hände. Es pfiff ein eisiger Wind in der Toreinfahrt. Cettina weinte und weinte.

»Cettina, warum weinst du denn so? Waren wir uns denn nicht einig?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, wir waren uns nicht einig! Du hast das ganz allein beschlossen. Und jetzt kommst du und sagst mir, dass es heute Nacht ist. Wir haben doch so lange über all das geredet, was wir machen wollen: über unsere Träume, ein Haus, Kinder ...«

Er unterbrach sie lebhaft: »Und? Das gilt doch alles immer noch, und wie das gilt! Und wir machen alles zusammen, so wie wir gesagt haben, wie wir es uns geschworen haben. Ich geh doch aus genau diesem Grund dorthin, oder? Um Geld zu verdienen, damit wir ...«

»Aber es gibt doch viele andere Möglichkeiten! Ich kann mit Papa reden, du kannst bei uns im Laden arbeiten, und ...«

Vincenzo lachte. »Ja, ja, Stoffkarren beladen und entladen. Sklavenarbeit.«

»Erst mal ja, aber dann könntest du Verkäufer werden, und in ein paar Jahren vielleicht ...«

Vincenzo drückte ihre Hände noch fester. »Ich werde das Geschäft deines Vaters kaufen. Ich gehe nach Amerika, mache jede Menge Geld, und dann komme ich zurück und übernehme es. Dafür kämpfe ich - um reich zu sein und deiner würdig.«

Cettina schüttelte den Kopf. »Aber begreifst du denn nicht, dass mir Geld überhaupt nicht wichtig ist? Was soll ich denn hier ganz allein machen, ohne dich?«

»Du wartest auf mich. Das machst du. Oder ist es dir lieber, wenn sie mich in den Krieg schicken, und ich komme in einem Sarg zurück oder im Rollstuhl, ohne Beine? Willst du das etwa?«

Cettina schluchzte. »Vielleicht geht der Krieg ja zu Ende. Vielleicht ziehen sie dich nicht ein. Oder sie ziehen dich ein, und es passiert nichts. Don Arturo, der Mann von Rosina, schreibt ihr jede Woche, und es geht ihm blendend; er sagt, so gut hat er noch nie gegessen.«

Vincenzo schnaubte. »Vielen Dank auch, der ist in Bologna stationiert und sieht die Front nicht einmal aus der Ferne, weil er schon alt ist. Solche wie mich schicken sie direkt in den Schützengraben, wo sie von österreichischen Kanonen beschossen...

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Maurizio de Giovanni wurde 1958 in Neapel geboren, wo er auch heute noch lebt. Er hat Literatur studiert, hauptberuflich aber lange Jahre als Banker gearbeitet, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Die Ricciardi-Romane, die auch im Ausland große Erfolge feiern, wurden mehrfach ausgezeichnet.