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Der Traum der Dichterin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
341 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am05.08.20152020
Annette schreibt Verse, die gar nicht so bescheiden sind, wie von ihr erwartet wird. Im Sommer 1820 trifft sie auf Straube, den ersten Mann, der ihr literarisches Schaffen ernst nimmt. Aber auch der Schöne von Arnswaldt ist zu Besuch, dessen strenge Religiosität ihre schwelenden Schuldgefühle weckt, weil sie ihr dichterisches Leben nicht nach Gott ausrichtet. Sie lässt sich auf Vertraulichkeiten ein, die die Männer gründlich missverstehen. Und als ihre Freundin Male noch dazukommt, bahnt sich eine Katastrophe an.

Elke Weigel ist Diplom-Psychologin und Tanztherapeutin und lebt in Stuttgart. Neben ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit verfasst sie Fach- und Sachbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie historische Romane und Krimis. Geschichte wird für sie spannend, wenn sie fragt: Und was war mit den Frauen? In ihren Romanen entwirft sie Sichtweisen, wie es auch gewesen sein könnte, und lässt Frauengeschichte lebendig werden.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAnnette schreibt Verse, die gar nicht so bescheiden sind, wie von ihr erwartet wird. Im Sommer 1820 trifft sie auf Straube, den ersten Mann, der ihr literarisches Schaffen ernst nimmt. Aber auch der Schöne von Arnswaldt ist zu Besuch, dessen strenge Religiosität ihre schwelenden Schuldgefühle weckt, weil sie ihr dichterisches Leben nicht nach Gott ausrichtet. Sie lässt sich auf Vertraulichkeiten ein, die die Männer gründlich missverstehen. Und als ihre Freundin Male noch dazukommt, bahnt sich eine Katastrophe an.

Elke Weigel ist Diplom-Psychologin und Tanztherapeutin und lebt in Stuttgart. Neben ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit verfasst sie Fach- und Sachbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie historische Romane und Krimis. Geschichte wird für sie spannend, wenn sie fragt: Und was war mit den Frauen? In ihren Romanen entwirft sie Sichtweisen, wie es auch gewesen sein könnte, und lässt Frauengeschichte lebendig werden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839247280
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum05.08.2015
Auflage2020
Seiten341 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2430766
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Algeriersklave

Seit sechs Uhr saßen wir in der Kutsche, und ich sehnte mich nach der ersten Poststation. Zwar reisten wir mit dem eigenen Wagen, aber es empfahl sich doch, die üblichen Haltestellen anzufahren. Dort konnte Papa den Kutscher losschicken, damit er sich erkundigte, was eventuell auf der weiteren Wegstrecke zu erwarten war. Die Straßen von Bökendorf nach Kassel waren viel befahren und galten als gut ausgebaut, dennoch litt mein Rücken. Um mich von meinen Schmerzen abzulenken, betrachtete ich die Familienmitglieder, die alle vor sich hindösten. Zehn Stunden Fahrt zogen sich wie eine Ewigkeit.

Papa lehnte neben dem Fenster und hielt die Augen geschlossen. Sicher hatte er die halbe Nacht in einem Geschichtsbuch gelesen und holte nun den fehlenden Schlaf nach. Wir glichen uns in so vielem: Auch ich hatte eine Kerze verschwendet, meine Haut schimmerte so hell und durchscheinend wie seine, und wir trugen beide einen Rubinring am Mittelfinger. Seiner viereckig, meiner rund. Er hatte ihn mir zu meinem 14. Geburtstag geschenkt, und seitdem glaubte ich, dass er mich in besonderer Weise beschützte.

Ein Knirschen, gefolgt von einem Ruck - die Kutsche schwankte, und ich hüpfte auf dem Sitz in die Höhe. Meine über den Ohren aufgesteckten Locken schlugen gegen meine Wangen, und eine Haarsträhne kitzelte meinen Hals. Wie das Gekrause auf dem Kopf meines Vaters war es hell wie Lämmerfell. Und würde er jetzt die Augen aufgeschlagen, dann sähe ich in die gleiche Iris. Ein Hellblau verdünnt mit zu viel Wasser.

Beim nächsten Gerumpel der Kutsche rutschte Jennys Kopf von meiner Schulter, wo sie geschlafen hatte. Sie schreckte hoch, fuhr sich automatisch an den Hals und testete, ob ihr Kragen korrekt saß. Als sei es das Wichtigste auf der Welt.

»Wo sind wir?«, fragte sie.

»Ich weiß es nicht. Ich sehe nur Staub vor dem Fenster.«

Jenny gähnte verhalten hinter der Hand. So war sie: Selbst unbeobachtet vergaß sie nie ihre Manieren. Sie war dunkelhaarig, robuster als ich und geordneter im Kopf. Nur heute nicht, denn sie sah dem Aufenthalt in Kassel nervös entgegen. Ich lächelte sie aufmunternd an und drückte kurz ihre Hand.

August, neben Papa auf dem Sitz, brummte im Schlaf. Es klang wie ein kurzer Schnarcher. Caroline auf meiner anderen Seite kicherte. Sie war Augusts Schwester und durfte mitkommen, weil niemand so recht wusste, was man mit ihr anfangen sollte.

Caroline war zwar die Schwester von Mama, aber nur sieben Jahre älter als ich. August hatte mir nur fünf Jahre voraus. Die Geschwister hatten alle die typische Hakennase der Haxthausens, das dunkle dicke Haar und den kleinen schmalen Mund. Obwohl Caroline und August nur die Halbgeschwister von Mama waren, staunte ich immer wieder über die Ähnlichkeit.

Als August wieder aufschnarchte, kam das Malteserkreuz, das er an einer dicken Kette um den Hals trug, in Bewegung. Er schmückte sich mit dem Zeichen des aufgelösten Ordens, was nicht seinem Stand entsprach, er legte die Perücke nicht ab und trug immer noch altdeutsche Kragen. Mit 26 Jahren war er schon reichlich wunderlich. Vermutlich passte das alles zu seiner vorrevolutionären Gesinnung.

»Seit unser Vater ihm die Verwaltung des Bökerhofes übertragen hat, leidet er unter schlechter Laune«, flüsterte Caroline mir zu.

Auch jetzt runzelte er die Augenbrauen und schob das Kinn vor, was ihn schmollend aussehen ließ. Ich bemerkte, dass ich selbst das Kinn vorgeschoben hatte und eine Schnute zog. Carolin kicherte und steckte Jenny und mich damit an.

Papa und August wachten gleichzeitig auf, und das verschlafene Glotzen der beiden Männer bot einen köstlichen Anblick.

»Ist euch langweilig?« August streckte den Rücken.

»Wir müssten doch bald die Poststation erreichen.« Papa lehnte sich aus dem Fenster und rief dem Kutscher diese Frage zu. Der erwiderte irgendetwas und knallte mit der Peitsche.

»Es dauert noch«, verkündete Papa.

Eine Weile herrschte Schweigen. Ich begann die Sekunden zu zählen und schloss innerlich Wetten ab, wer als Erstes sprechen würde. August kratzte sich unter der Perücke. Ich ahnte, dass er nicht das Gespräch eröffnen würde, denn mit schlechter Laune fand er keine unverfänglichen Themen, und da Papa anwesend war, konnte er die gesellschaftlichen Regeln nicht einfach übergehen und über sein Schicksal schimpfen. Jenny zupfte am Korken der Wasserflasche herum, die sie auf dem Schoß hielt. Die Arme war eindeutig zu aufgeregt für oberflächliches Geplauder.

Caroline wandte sich zu mir. »Erzähle uns doch eine Gespenstergeschichte.«

»Am helllichten Morgen?«

»Ist doch egal. Wir können ja die Vorhänge zuziehen.«

Meine Tante wurde wirklich immer kindischer.

Vater lachte seine junge Schwägerin freundlich an und wandte sich an August: »So, da du nun die Studien aufgegeben hast, fehlt dir Göttingen sehr?«

Er hatte gewonnen! Auch wenn Caroline zuerst losgeplappert hatte, konnte ihre Bitte zum Geschichtenerzählen nicht gewertet werden. Zu einem Gesprächsauftakt gehörte eine Frage oder eine Aussage, die zu weiteren Äußerungen aufforderte. Papa bescheinigte ich außerordentlichen Mut, da er Augusts sensibelstes Thema anschnitt. Dieser schwelgte eine Weile in Erinnerungen an seine Studentenzeit und schwenkte dann aber über zu seinem Lieblingsprojekt: Die Wünschelrute.

»Ist deine Erzählung vom Algeriersklaven schon erschienen?«, fragte Papa.

»Ja, im Frühjahr. Ich muss dir ein Exemplar der betreffenden Ausgabe zeigen, sobald wir zurück sind.«

»Erzähle die Geschichte, bitte!«, rief Caroline.

»Aber du kennst sie doch schon.« August schüttelte den Kopf.

»Die von Herrmann, der einen Mord beging und 20 Jahre verschwunden blieb, bis er wieder zurückkam?«

»25 Jahre. 1807 kam er aus Algier zurück.«

»Das ist ja noch gar nicht lange her«, sagte Jenny. »Was haben sie mit ihm gemacht? Hingerichtet?«

Ich kannte Augusts Veröffentlichung und verfolgte gespannt, wie er darüber sprechen würde.

»Nein â¦«, begann August, aber Caroline fiel ihm ins Wort.

»17 Schläge mit einer Keule hat er bekommen. Es war noch Haut daran!«

August lachte auf. »Du bringst alles durcheinander.«

»Wie war es denn nun?«, fragte Papa. Sicher wollte er es genau wissen, immerhin war es eine Gräueltat, die in direktem Zusammenhang mit der Familie stand.

»Ja erzähle bitte.« Auch Jenny sah August neugierig an.

Er befingerte sein Malteserkreuz. »Es war 1782, da bekam Herrmann Winckelhan vom jüdischen Händler Pinnes Stoff für ein Camisol.«

»Konnte Herrmann sich selbst ein Hemd nähen?«, fragte Caroline.

Alle lachten auf. Ich empfand Mitgefühl mit ihr, weil sie fast zu weinen begann, sie hatte kein Talent dafür, das Wesentliche an einer Geschichte zu erkennen.

»Nein«, sagte ich schnell, damit August sie nicht ausschimpfte. »Hör zu.«

»Er hat den Stoff nicht bezahlt, und der Pinnes hat ihn vor Gericht geschleppt«, fuhr August fort.

Ich bemerkte, wie Papas Augenbrauen in die Höhe schossen. »Vor den Drosten von Haxthausen?«

August nickte. »Ein gerechter Prozess folgte, Herrmann musste die Rechnung bezahlen.«

»Hat er aber nicht!«, rief Caroline. »Jetzt weiß ich es wieder. Er hat einen Knüppel gemacht und den Pinnes erschlagen. Siebzehn mal. Die Haut war noch dran!«

August erklärte bedächtig: »Herrmann sagte nach dem Prozess: Dich mach ich kalt. Aber keiner dachte sich was dabei. Erst als die Frau des Juden ihren Mann tot aufgefunden hatte, da fiel es den Leuten wieder ein. Herrmann war aber bereits verschwunden.«

»Er hat als Matrose angeheuert, da ist es ihm übel ergangen, er wurde gefangen genommen«, rief Caroline.

»Warum ist er zurückgekommen?«, fragte Jenny.

August zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wusste er nicht, wohin sonst. Er hatte aus der Gefangenschaft einen Brief geschrieben und darum gebeten, man möge für seine Freilassung aufkommen. Der Droste beriet sich mit dem Landesherrn, aber sie beschlossen, nichts zu unternehmen.«

»Sie dachten, er stirbt in der Gefangenschaft.« Ich sah in Papas Miene, dass er das für eine gerechte Strafe hielt.

»Als er wieder auftauchte, sprach er keine christliche Sprache mehr. Es war ein Kauderwelsch aus mehreren Dialekten. Es dauerte Monate, bis er sich wieder verständlich machen konnte, und er beteuerte dann, dass er den Juden nur verprügeln wollte«, erzählte August weiter.

»Und keiner hat ihn erkannt«, ergänzte Caroline mit unheilschwangerer Stimme.

»Er war verkrüppelt, krumm und arg alt geworden vom Steineschleppen und den Misshandlungen. Keiner wollte ihn einstellen, denn alle erinnerten sich daran, dass er doch ein Mörder war.«

»Was wurde aus ihm?«, fragte Jenny.

»Er hat sich erhängt«, sagte August, und alle zuckten zusammen. Obwohl Caroline die Geschichte schon kannte, schreckte sie am stärksten hoch.

»Hat man ihn bestattet?« Ich sah Jenny schon für die arme Seele beten, denn Selbstmörder bekommen kein christliches Begräbnis. August nickte, und sie atmete erleichtert auf.

»Du hast den Baum vergessen, du musst noch das von dem Baum erzählen.« Caroline drehte sich zu mir. »Das ist nämlich richtig gruselig.«

»Ach ja, die Buche. Sie wurde zwei Jahre später gefällt.« August...

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Elke Weigel ist Diplom-Psychologin und Tanztherapeutin und lebt in Stuttgart. Neben ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit verfasst sie Fach- und Sachbücher. Seit einigen Jahren schreibt sie historische Romane und Krimis. Geschichte wird für sie spannend, wenn sie fragt: Und was war mit den Frauen? In ihren Romanen entwirft sie Sichtweisen, wie es auch gewesen sein könnte, und lässt Frauengeschichte lebendig werden.