Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Morbus Fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am16.08.20181. Auflage
Der zweite Band von Frank Schulz' Hagener Trilogie Für seine Freunde ist Bodo Morten - 38, verheiratet, angestellt - aus dem Gröbsten raus. Wenn da nur nicht immer diese quälende Migräne wäre. Als er eines Tages den Job verliert, gerät sein Leben außer Kontrolle. Er verlässt das Haus und kehrt nicht wieder. Seine Frau macht sich auf die Suche, und sie findet Zeichen eines abenteuerlichen Doppellebens, das Bodo offenbar schon seit Jahren führte ... »Ein Meisterwerk der literarischen Hochkomik. Schulz hat schlicht das beste Buch des Jahres geschrieben.« Süddeutsche Zeitung

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).
mehr

Produkt

KlappentextDer zweite Band von Frank Schulz' Hagener Trilogie Für seine Freunde ist Bodo Morten - 38, verheiratet, angestellt - aus dem Gröbsten raus. Wenn da nur nicht immer diese quälende Migräne wäre. Als er eines Tages den Job verliert, gerät sein Leben außer Kontrolle. Er verlässt das Haus und kehrt nicht wieder. Seine Frau macht sich auf die Suche, und sie findet Zeichen eines abenteuerlichen Doppellebens, das Bodo offenbar schon seit Jahren führte ... »Ein Meisterwerk der literarischen Hochkomik. Schulz hat schlicht das beste Buch des Jahres geschrieben.« Süddeutsche Zeitung

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462318050
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum16.08.2018
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
SpracheDeutsch
Dateigrösse4445 Kbytes
Artikel-Nr.3014136
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Konvoi ins Kaff

Gegen den Strich des Weizenfeldes drang, vom jenseitigen Rain, Schafsblöken herauf. Unentwegt entströmte der Pappelkrone dahinten jene Korona von Gegenlicht, in der das Mückenvolk hier vorn seine rituellen Tänze aufführte, und die beiden Grillen am Rande des Hohlwegs, der den Weizen von dem kleinen Forst trennte, girrten ebenso stetig ihre einsilbigen Verse. Immer noch schwebten Sporendaunen umher und schwirrten, mit unberechenbaren Quantensprüngen, vereinzelt Libellen hindurch - nur der Specht wartete nun in irgendeinem Wipfel ab -, als ein Kuckuck seinen kindischen Ruf aus dem Wäldchen hören ließ.

Schweiß versiegelte Anitas blasse Stirn. Wie in Harz gegossen verharrten sie und die andern vor der nagelneuen Einfriedung des Gehölzes, noch damit befaßt, den Auftritt jenes bizarren Trios zu verarbeiten, das ihren Hamburger Suchtrupp offensichtlich verfolgt hatte - bis auf die niederelbische Geest, bis hierher, die sanfte Anhöhe hinauf zum Wäldchen -, da hörten sie im Dickicht, einen Steinwurf weit hinterm verriegelten Stahlgittertor, das Geräusch zertretenen Gezweigs.

Und erneut. Sie fuhren herum. Gleich darauf ein Kommando, das gedämpft, beinah technisch verzerrt wirkte: »Janus!! Sitz!! Aus!!« Dessenungeachtet huschte ein massiges Phantom über die verschattete Lichtung auf sie zu - der Pfotengalopp kaum hörbar auf dem Nadelteppich, beinah deutlicher der Niederschlag von aufgestobenen Erdbröckchen - und noch im selben Augenblick krallte im Maschendraht des Gatters ein Hund, schwarz und schwer wie ein Kalb. Schußartiges Blaffen krachte aus seinem Rachen.

Mit einem leisen Akkord von Schreckenslauten wichen sie, im Block, ein Stück zurück. »JANUS!! AUS!!« herrschte die Stimme, nun zwar lauthals, nach wie vor aber membranenhaft dumpf, fast wie aus einem Kurzwellenradio. »HIERHER!!« Diesmal schlich das Tier geduckt und mit dem Hintern wackelnd nach seinem Herrn zurück, der unterdessen ebenfalls aus dem Unterholz aufgetaucht war und auf die Pforte zwischen sich und den anderen zu marschierte.

Er war nackt bis auf Gummistiefel und Badehose. Um den Hals trug er ein Lederband mit Schlüssel und auf dem Kopf einen großen schwarzen Motorradhelm (daher die Gedämpftheit der Stimme). Kein Bierbauch mehr, wie verdampft. Die Haut gebräunt, verschwitzt und von Gestrüppkratzern gezeichnet. In der Rechten hielt er waagerecht einen Spaten, dessen Stichblatt mit frischer Erde verschmiert war. Die letzten beiden Schritte seines Anmarschs brachten ihn aus dem Tritt. Wie um sich der vergangenen zehn Tage zu vergewissern, wandte er sich mit erhobenem Kinn halbwegs nach seiner Spur um, schwang den Spaten schließlich linkisch auf die Schulter und schaute mit rückwärtsgeneigtem Helmkopf wieder durchs mannshohe, maschendrahtverschweißte Stahlgitter, schaute her zu Anita und den andern. Und dann ging etwas mit seinen Augen vor - vielleicht beschlugen auch nur, trotz des offenen Visiers, die Brillengläser -, und er senkte das Kinn und machte jene Bewegung, die sie so schnell nicht vergessen sollten, gerade weil sie so unscheinbar war: Er hob die freie Hand, die Finger gekrümmt, an den Hinterkopf, um sich zu kratzen; anscheinend hatte er nicht daran gedacht, daß er diesen Helmballon trug, und als er das glatte, harte, kühle Material an den Fingerkuppen spürte anstatt dünner, warmer Behaarung, ließ er den Arm fallen, so daß die Geste wie ein matter Gruß wirkte.

»Mufti ...«, sagte Anita.

Er inhalierte heftig einen halben Liter Luft durch die Nase - hielt eine Sekunde an - und atmete noch heftiger aus; und dann sagte er in jener gequetschten Stimmlage, durch die er gewöhnlich versuchte, einen cholerischen Anfall aufzuhalten: »Großer Bahnhof. Wa? Ganz großer Bahnhof, wa?«

Ächzend vor unterdrückter Tobsucht versuchte er, den Helm mit einer Hand herunterzureißen, vergeblich; schließlich flogen erst Spaten, dann Helm und Brille davon - und spätestens in dem Moment erkannten sie ihn, hätten ihn auch mit verbundenen Augen erkannt: an seiner Wut.

 

Ganz großer Drecksack, dachte Satschesatsche, obwohl - oder gerade weil - es hart war, ihn da rumoren zu sehn wie Rumpelstilzchen, halbnackt, mit Motorradhelm und Spaten in einem Wald, nachdem er zehn Tage lang verschollen gewesen war: Bodo »Mufti« Morten, sein ältester Kumpel. Ich. »Ganz großer Drecksack«, murmelte Satsche schließlich, denn meinetwegen hatte er - etwa anderthalb Stunden zuvor, im Elbtunnel - einen schlimmen Angstanfall erlitten. Er hatte nur wenige Sekunden gedauert, war ihm aber mit einer derartigen Wucht zugestoßen, daß er noch monatelang innerlich schlotterte, wenn er nur daran dachte.

Seit sieben oder acht Nächten bereits hatte Satsche wegen meines Verschwindens Alpträume gehabt, und sieben oder acht Minuten bevor der kleine Konvoi in den A7-Stau geraten war, hatte ihn seine eigene Schweigsamkeit zu ängstigen begonnen. Dennoch sprach er erst, als die scheunentorgroße Einfahrt des Elbtunnels direkt vor ihnen lag. »Achtung, meine Herrn«, sagte er, als er für ein paar Meter wieder Gas geben konnte, »wir dringen ins Arschloch zur Welt ein.«

Er trieb den Audi im zweiten Gang Leos Volvo hinterher. Während das Raunen des Getriebes rasch an- und knurrend wieder abschwoll, zog er seinen grobschlächtigen Ellbogen ein und drückte auf eine der Armaturen. Wimmernd schloß sich die Fensterscheibe und dämmte den Lärm des Verkehrs ein, der aus der gegenläufigen Tunnelröhre heraus- und Richtung Norden vorbeidröhnte, und nun wirkte das Fauchen des Lüftungsgebläses um so geräuschvoller. Satsche kratzte sich am Hinterkopf. »Mann, ich schwitz wie -«

»Wir dringen bitte wo ein? Mäßigen Sie sich, Herr Bartels!« Heiner hatte sich doch noch entschlossen, auf Satsches erstes seriöses Plauderangebot seit ihrem plötzlichen Aufbruch einzugehen. Heiner pflegt jedes Wort abzuschmecken und würde nie mit vollem Mund reden, und in diesem Fall hatte er besonders lang gebraucht, weil auch er seit Tagen von Grübeleien heimgesucht wurde.

»Wa?« krächzte Satsche. Sein Vater hat ihm eine kräftige, heisere Stimme vererbt, um die ihn manch anderer Rock-´n´-Roll-Amateur beneidet.

Heiner hob die Stirn und beobachtete, wie die Spitze des Dreierkonvois - mein schwarzer 69er Ford Taunus 20m TS mit der Beule hinten rechts, den Anita steuerte - ins schäbige Neonlicht der Weströhre eintauchte, wo dichtgestaffelte Rücklichtpärchen aufleuchteten, weiterglommen und erneut aufleuchteten. Leos Volvo folgte dem Ford, und auch Satsche trat wieder aufs Gaspedal. »Wa? Was hast du gesagt?«

Die Schattengrenze kappte die Helligkeit des Frühsommerabends, und Heiner nahm die Sonnenbrille ab und hakte sie an die Knopfleiste der Hemdbrust. »Ich sagte: Wir dringen bitte wo ein. Ich bat gewissermaßen um Mäßigung, Herr Bartels!«

»Bitte wo ein, bitte wo ein ...! Ins Arschloch zur Welt!« schleuderte Satsche zurück und japste. Die Gemütsaufhellung, die ihm der Juxärger über Heiners Zimperlichkeit verschaffen sollte, blieb jedoch aus. »So hat Morten früher immer den Elbtunnel genannt. Das heißt, nur wenn wir nach Hamburg reinfuhrn. Jedesmal wenn wir aus´m Kaff zurückkamen und wieder nach Hamburg reinfuhrn. Orr, ich schwitz wie ... wie ´ne Bockwurst, sach ich ma.« Er kratzte sich erneut, genau in der Mitte des graumelierten Haaratolls. Auf die Stelle, habe ich in meiner FREUNDSCHAFTSFIBEL einmal notiert, hat der Deubel sein Brennglas gerichtet, als er sich an Satsches Liebeskummer weidete.

Satsche kuppelte aus und rieb die Hände an den Shorts trocken; Pranken, die wohl nichts je lieber als einen Ball anfaßten - bei aller ungebrochenen Libido. Der kürzliche Befund einer Erbkrankheit hatte Hallensport für den Rest seines Lebens unterbunden, und Satsche konnte nicht umhin, darüber zu sinnieren, wie angenehm dieser Samstagabend hätte in weiblicher Gesellschaft verlaufen können, wenn die Sache mit mir, seinem ältesten Kumpel, nicht wäre.

Kai, als Sitzriese, war mit Rücksicht auf Heiners lange Beine und lädierte Bandscheiben in den Fond eingestiegen, obzwar er die Zugluft dort fürchtete. Seit dem Mittag, als er wegen eines Haars in der Speiseröhre unter der Dusche energisch hatte niesen müssen, konnte er seinen Nacken kaum mehr bewegen. Noch währenddessen hatte er gewärtigt, daß ihm der Typ Alltagskamerad, dem er solche Art tückische Unbill traditionell am liebsten erzählte, zu fehlen begann.

Wegen der Ventilation konnte Kai dem Gespräch da vorn nur mühsam folgen. Statt dessen musterte er Satsches perlmuttartige Fingernägel, die Striemen über den nackten Fleck in seiner Kurzhaarfrisur zogen. Kai, der ein paar Jahre jünger ist und für immer volles Haar behalten wird, hielt die Bierflasche zwischen seinen bloßen Oberschenkeln fest und beugte sich vor. »Phantomschmerzen? Beziehungsweise -jucken?«

Satsche legte wieder beide Hände aufs Lenkrad, schwieg und gab Gas.

Kai ließ sich mit dem Schwung des neuerlichen Starts zurückfallen, setzte die Flasche an und kiebitzte in den Innenspiegel. Satsches Lider, so viel sah er, bewegten sich über den blauen Augen mit jener Pseudogelangweiltheit auf und ab, welche, das wußte Kai aus...
mehr

Autor

Frank Schulz, Jahrgang 1957, wurde für seine Romane vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Hubert-Fichte-Preis (2004), dem Irmgard-Heilmann-Preis (2006) und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2015). Zwischen 2012 und 2016 erschienen seine drei Onno Viets-Romane Onno Viets und der Irre vom Kiez, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen und Onno Viets und der weiße Hirsch. Zuletzt erschien der Erzählband Anmut und Feigheit (2018).