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Schussfahrt

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
288 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am12.12.20111. Auflage
Als Leiche am Ufer des idyllischen Soiener Sees zu enden war wohl kaum jene bessere Zukunft, die sich die junge Frau erträumt hatte, als sie zusammen mit ihrer Mutter 1992 aus der Uckermark ins Allgäu gekommen war. Kommissar Gerhard Weinzirl, ein Mann mit Faible für Weißbier und Schweinsbrat'n und einem Hang zu den falschen Frauen, sowie seine clevere und bildhübsche Kollegin Evi Straßgütl stöbern im Leben der Toten: Sie wechselte ihre Jobs auffallend häufig und besaß eine Marotte - sie ging nächtelang spazieren. Musste sie sterben, weil 'es sich einfach nicht gehört', dass man die Nacht zum Tag macht? Hatte sie etwas gesehen, was sie besser nicht gesehen hätte? Gerhard und Evi geraten in ein Netz aus Andeutungen und Halbwahrheiten. Verstockte Dorfbewohner, gar nicht waidgerechte Jäger und bauernschlaue Waldbesitzer führen den Beweis: Auf der Alm gibt's eben doch a Sünd und jede Menge böse Buben.

Nicola Förg, Jahrgang 1962, arbeitet als freie Reisejournalistin für namhafte Tageszeitungen, Publikumsmagazine und Fachmagazine - vor allem für solche, die Bergtourismus, Skispass und Reiterreisen zum Thema haben. Sie hat zudem ein Dutzend Reiseführer und Bildbände verfasst. Sie lebt im Ammertal in Bad Bayersoien.
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Produkt

KlappentextAls Leiche am Ufer des idyllischen Soiener Sees zu enden war wohl kaum jene bessere Zukunft, die sich die junge Frau erträumt hatte, als sie zusammen mit ihrer Mutter 1992 aus der Uckermark ins Allgäu gekommen war. Kommissar Gerhard Weinzirl, ein Mann mit Faible für Weißbier und Schweinsbrat'n und einem Hang zu den falschen Frauen, sowie seine clevere und bildhübsche Kollegin Evi Straßgütl stöbern im Leben der Toten: Sie wechselte ihre Jobs auffallend häufig und besaß eine Marotte - sie ging nächtelang spazieren. Musste sie sterben, weil 'es sich einfach nicht gehört', dass man die Nacht zum Tag macht? Hatte sie etwas gesehen, was sie besser nicht gesehen hätte? Gerhard und Evi geraten in ein Netz aus Andeutungen und Halbwahrheiten. Verstockte Dorfbewohner, gar nicht waidgerechte Jäger und bauernschlaue Waldbesitzer führen den Beweis: Auf der Alm gibt's eben doch a Sünd und jede Menge böse Buben.

Nicola Förg, Jahrgang 1962, arbeitet als freie Reisejournalistin für namhafte Tageszeitungen, Publikumsmagazine und Fachmagazine - vor allem für solche, die Bergtourismus, Skispass und Reiterreisen zum Thema haben. Sie hat zudem ein Dutzend Reiseführer und Bildbände verfasst. Sie lebt im Ammertal in Bad Bayersoien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863580377
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum12.12.2011
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.1
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3297 Kbytes
Artikel-Nr.3045440
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

 
 
 
1.

»Wir sind doch hier nicht in Disneyland! Interaktives Mountainbike-Downhill-Race am Nebelhorn in einem Event Castle , ich glaube es nicht! Die sollten sich lieber mal live bewegen und ihren Gehirnen echten Sauerstoff zuführen«, grummelte Jo vor sich hin. »Am End´ haben wir computeranimierte Sennerinnen, die auf Knopfdruck ein Allgäuer Liedchen trällern und dabei strippen, oder was sagst du dazu, Falco?«

Jos sechsjähriger Fjordwallach Falco hatte wie immer mit freundlich nach hinten geklappten Ohren zugehört, ab und an zustimmend geprustet und ansonsten die Unaufmerksamkeit seiner Reiterin dazu genutzt, Tannenzweige vom Baum zu zupfen. Selbst ein dicker, kurzer Norwegerhals erreicht giraffenartige Länge, wenn es ums Essen geht. Wieder schnappte er zu, und eine Ladung Schnee rieselte in Jos Halsausschnitt.

»Rübennase!«, schimpfte Jo und hob drohend ein Ende des Zügels, was Falco mit einem Ohrklapp nach rechts quittierte, um sofort den nächsten Ast zu erhaschen. Jo gab auf, wie fast immer. »In deiner Erziehung bin ich definitiv gescheitert. Ein Psychologe würde mir wahrscheinlich sagen, ich übertrage meinen Freiheitsbegriff auf die Kreatur. Freizeit ist Freiheit - auch für so ein Vieh wie dich.«

Falco waren solche tiefschürfenden Betrachtungen offenbar egal. Während er hurtig durch den Schnee trabte, gelang es dem Norweger immer wieder, Tannenzweige zu pflücken. Der Naturlehrpfad von der Gunzesrieder Säge herauf war im Winter eigentlich gesperrt, aber an einem Montagvormittag, über dem eine archaische Stille lag, kümmerte das niemanden. Kein Mensch weit und breit, und selbst auf dem Ostertalweg war der Schneepflug noch nicht gefahren. Jo lenkte nach rechts, um im Hohlweg zur Geißrücken Alpe etwas an Höhe zu gewinnen - sie liebte den Blick auf den Stuiben und Buralpkopf auf der gegenüberliegenden Seite des Tals. Das winterliche Licht zauberte der Natur sanfte Konturen, ein watteweiches Winterwunderland. Nach einer klirrend kalten Nacht übernahm die Sonne das Zepter. Der Frühling ließ sich jetzt, Anfang März, bereits erahnen.

Falco hatte etwas Neues, möglicherweise Essbares, entdeckt, auf das er jetzt zustrebte. Eine bunte Jacke, die an einer Fichte hing. Er schnappte zu, und mit einem Schneeschauer fiel der Anorak zu Boden.

Jo wollte wegen der neuerlichen Dusche gerade fluchen, als ihr der Satz in der Kehle stecken blieb. Falco riss den Kopf hoch, seine Nüstern waren weit aufgebläht. Dann erstarrten beide zu einer Art Reiterstandbild.

Im Schnee saß ein Mann, friedlich an einen Baum gelehnt, was bei der Kälte ungewöhnlich genug war. Weit verblüffender fand Jo jedoch die Tatsache, dass er keine Schuhe, sondern nur dicke gelbe Socken trug. Das eigentlich Irritierende aber war das Loch in seinem Kopf: mitten auf der Stirn. Ein rotes Rinnsal war zur Nase gelaufen, hatte sich dort geteilt und war über beide Wangen geronnen; das eine Blutbächlein war weiter bis zum Kragen vorgedrungen, das andere im Mundwinkel versiegt.

Das alles registrierte Jo eher interessiert als panisch. Sie hätte wohl noch lange so auf den Mann gestarrt, aber Falco machte einen jähen Satz zur Seite. Mechanisch klopfte sie seinen Hals, so wie sie es immer tat, wenn das Pony wegen eines Traktors oder einer übermütig über eine Koppel buckelnden Kuh erschrak. Das hier war allerdings weder ein Traktor noch eine Kuh! Das war ein Toter!

Jetzt wagte Jo es nicht mehr, hinzusehen. Mit zitternden Fingern suchte sie nach dem Handy in der Innentasche ihrer Fleecejacke.

»Mist, kein Netz, verfluchte Telekom«, stöhnte sie. Sie wendete Falco vorsichtig, trabte an und wurde plötzlich von einem wilden Fluchtreflex erfasst. Sie hieb dem Fjordwallach die Hacken in die Seite und galoppierte den verschneiten Weg bergab.

Jo riss an den Zügeln, und Falco rutschte mit weggeknickter Hinterhand vor die Tür des Anwander Hofs am Ortsrand von Gunzesried.

Der Anwander Bauer stand auf eine Schneeschaufel gestützt und lächelte gutmütig. »Dua hofele, Frau Doktr, pressiert´s so arg?«

Jo schaute ihn an, als würde sie sein Gesicht zum ersten Mal sehen. Ein Gesicht, in das harte Bergbauernarbeit ihre Furchen gezogen hatte, ein Gesicht, aus dem braune Augen blickten, die viel jünger zu sein schienen als der zähe, kleine Mann. Sekundenlang passierte nichts. Dann legte der Anwander die Schneeschaufel weg, streckte die Arme aus und hob Jo fast vom Pferd. Sie sackte zu Boden und kam nur langsam wieder hoch.

»Wahrscheinlich pressiert´s wirklich nicht mehr.« Jo versuchte, zu ihrer sonst üblichen Ironie zu finden. »Da draußen sitzt einer ohne Schuhe, nur in Socken!«

Der Anwander Bauer schaute erstaunt. »Frau Doktr Johanna? Ja meh, und?«

Jo riss sich zusammen. »Der ist tot, glaub ich. Du solltest die Polizei anrufen.«

Der Bauer hatte Jo noch immer fest umfasst und rief über den Hof: »Zenta, Zenta!«

Seine Frau in Kittelschurz und einer viel zu großen Lammfellweste streckte den Kopf aus der schweren Holztür. »Häh?«

»Bring dr Frau Doktr an Obschtler und ruaf dia Polizei in Kempta a. Mir hend a Leich. Schick di, fei glei sofort!«

Wenn der Anwander Bauer »fei glei sofort« sagte, dann war´s ernst; »glei sofort« war schon brenzlig, aber in der Verstärkung mit »fei« nun wirklich todernst!

Als das Polizeiauto in den Hof gefahren kam, saß Jo in der Stube, hatte zwei Obstler getrunken und begann langsam, wieder klar zu denken.

»Griaß eich mitanand!« Polizeihauptkommissar Gerhard Weinzirl und sein junger Kollege, Polizeiobermeister Markus Holzapfel, traten in den Raum. Gerhard nickte den Anwanders zu und rutschte neben Jo auf die Eckbank unter dem Herrgottswinkel. Er sah sie scharf an und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Mädel, was ist los?«

Jo blickte Gerhard an und sagte leise: »Da draußen sitzt der Rümmele im Schnee, ohne Socken und so ... so blass.« Jo stockte und horchte dem Klang der Stimme nach. Jemand hatte Rümmele gesagt. Sie selbst! Natürlich, sie hatte ihn von Anfang an erkannt. Das war der Rümmele gewesen, aber so fahl, so reduziert - wo der große, feiste Mann doch sonst immer so rote Backen, eine von feinen roten Äderchen durchzogene Nase und flackernde dunkle Augen gehabt hatte!

Gerhard pfiff durch die Zähne. »Du meinst Hans Joachim Rümmele, den Rümmele?«

Jo nickte. »Er war so, er wirkte so, er ...«

Gerhard verstärkte den Druck seiner Hand. Es ging etwas Beruhigendes von ihm aus - eine Eigenschaft, die ihm Jo früher nicht attestiert hätte.

Gerhard war der Local Hero ihrer Jungmädchenträume gewesen, der geheimnisumwitterte Schwarm in ihrer Stammdiskothek, dem »Pegasus«. Diese Diskothek in Kemptens Altstadt war eine Institution für Jo gewesen, eine bessere Heimat als ihr Elternhaus. Hier hatten alle ihre pubertierenden Freundinnen Zuflucht gefunden. Im ständigen Reigen begegnete man sich, ging ein Stück gemeinsam, gehörte zu Cliquen mit wechselnder Besetzung, verleumdete sich, hasste und liebte sich - und feierte.

Die endlosen Nächte waren vielleicht gar nicht so spannend gewesen, und die Rauschgiftorgien, die man dem »Pega« nachsagte, hatte es nie gegeben. Aber Jo hatte zum Zirkel der Erlesenen gehört. Sie durfte an der Getränkeausgabe oder beim DJ stehen. Der Rock kurz, das Dekolleté tief, ein Jungmädelvamp im Banne einer ebenso banalen wie aufregenden Kleinstadt. Es waren Nächte mit ewig gleichen Ritualen gewesen. »Stairway to heaven« lief als letztes Lied, und stets schickte Jo sehnsüchtige Blicke zu Gerhard hinüber. Ob er sie noch zum »Kaffee« einladen würde? Acht von zehn Malen war er schon weg, wenn das unbarmherzige Licht den Raum erleuchtete und Jo von ihren Drehungen über die fast leere Tanzfläche wieder aufsah.

Nur manchmal hatte er sich die Ehre gegeben und war als Liebhaber eigentlich keine Offenbarung gewesen. Aber dieses Spiel von Kommen-Lassen und sich Entziehen, das beherrschte er meisterlich. Außerdem waren Frauen für ihn wohl eher sekundär, er hätte eine Bergtour mit seinen Kumpels jederzeit einer Nacht mit Jo vorgezogen. Aber genau das machte ihn interessant. Selbst wenn Jo andere, feste Freunde hatte und Gerhard immer erst sehr spät, plötzlich wie ein Spuk, in seinem Trenchcoat und mit herrlich zerknittertem Gesicht, schlaksig und provokant neben der Tanzfläche auftauchte, war es um Jo geschehen: Herzrasen! Stairway to hell!

Etwas wie ein unzertrennbares Band hatte zwischen ihnen existiert, und es hatte bis heute gehalten. Die alten Cliquen hatten sich mittlerweile über die Welt verstreut. Nur wenige der früheren Freunde waren aus dem Studienexil zurückgekommen: als aufstrebende Junganwälte, Mediziner oder Journalisten. Man sah sich selten. Jo war so viel unterwegs, dass sie am Abend oft nur noch todmüde aufs Sofa sank. Gerhard ging es ganz ähnlich. Für Jo war Gerhard ein Rettungsanker aus einer Zeit, die weder besser noch einfacher gewesen war, aber eine Zeit, die sie längst verklärt hatten. Wenn sie sich heute trafen, lud Gerhard nicht mehr zum Kaffee, sondern in seinen Weinkeller ein - und wirklich nur des Weines wegen! Nach langen Arbeitstagen tranken sie Barolo statt des Teenie-Asti und dekantierten ihn kunstvoll. Sie verwendeten Riedelgläser statt Pappbechern, und natürlich hatte Gerhard immer Ciabatta und Grana vorrätig. Hinterher gab es Grappa von Poli, den Stoff, aus dem die Grappaträume sind.

»Früher haben wir Apfelkorn gesoffen«, sagte Gerhard jedes Mal grinsend, »wir sind richtig spießige Snobs geworden.«

»Stimmt!«, pflegte Jo dann zu sagen. »Aber wir haben wenigstens kein Reihenhaus gebaut.«

Jetzt lächelte Gerhard Jo...
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