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Mit Erbsen auf Soldaten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Rosenheimer Verlagshauserschienen am19.12.2014
Herbst 1944, inmitten des kriegsgebeutelten Berlin lebt der 11-jährige Egon. Sein Vater ist vermisst, die Mittel zum Leben sind knapp, die Zukunft ist ungewiss. Die einzige Ausflucht ist das Fußballspiel und die Freundschaft zu Kalle. Gemeinsam träumen sie von besseren Zeiten und einer Karriere in einem erfolgreichen Club. Täglich erleben sie die Einschränkungen, die Zerstörung und das Leid des Krieges. Dazu kommt die Angst, selbst eingezogen zu werden und als Kanonenfutter zu enden. Dann scheint sich ein Ausweg zu öffnen: ein bekannter Verein sucht einen Nachwuchsspieler. Nur ein Junge soll aufgenommen werden, nur ein Junge kann damit dem Kriegsdienst entgehen. Die Freunde stehen plötzlich zwischen Gewissen und Rivalität, Sport und Überlebenskampf.

Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbstständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschien 2011 im Rosenheimer Verlagshaus ihr Roman 'Meine Berliner Kindheit', der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht und 2022 die Fortsetzung 'Meine Berliner Jugend'.
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Produkt

KlappentextHerbst 1944, inmitten des kriegsgebeutelten Berlin lebt der 11-jährige Egon. Sein Vater ist vermisst, die Mittel zum Leben sind knapp, die Zukunft ist ungewiss. Die einzige Ausflucht ist das Fußballspiel und die Freundschaft zu Kalle. Gemeinsam träumen sie von besseren Zeiten und einer Karriere in einem erfolgreichen Club. Täglich erleben sie die Einschränkungen, die Zerstörung und das Leid des Krieges. Dazu kommt die Angst, selbst eingezogen zu werden und als Kanonenfutter zu enden. Dann scheint sich ein Ausweg zu öffnen: ein bekannter Verein sucht einen Nachwuchsspieler. Nur ein Junge soll aufgenommen werden, nur ein Junge kann damit dem Kriegsdienst entgehen. Die Freunde stehen plötzlich zwischen Gewissen und Rivalität, Sport und Überlebenskampf.

Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbstständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschien 2011 im Rosenheimer Verlagshaus ihr Roman 'Meine Berliner Kindheit', der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht und 2022 die Fortsetzung 'Meine Berliner Jugend'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783475542329
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum19.12.2014
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1183 Kbytes
Artikel-Nr.3171530
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe
Kapitel 2

Doch nun zum Anfang der Geschichte, zumindest was meine persönlichen Erlebnisse angeht: Am 21. April 1933 erfuhr ich den Beistand eines wie auch immer gearteten Schutzengels. Ohne diesen hätte mich das gleiche Schicksal ereilt wie meine Mutter. Anna Frieda Emma Hammerschmidt, geborene Petzold, verstarb einen Tag nach der Geburt ihres ersten und einzigen Kindes. Todesursache war eine Eklampsie, eine plötzlich auftretende, schwere Erkrankung: Blutdruckunregelmäßigkeiten, Krämpfe, schließlich Bewusstseinsverlust - nicht selten damals bei Erstgebärenden. Sie fiel ins Koma und starb kurz darauf, ohne mich ein einziges Mal gesehen zu haben. Die Vorboten eines solchen Anfalls waren oft starke Kopfschmerzen; sie hatte seit jeher ständig an diesen gelitten, es existierte kaum ein Foto, auf dem sie sich nicht an die Stirn fasste, aber dies erfuhr ich erst später. Ich durfte leben - sie war tot, dabei hätte ich sie so gern kennengelernt â¦ Das Kopfweh erbte ich von ihr; oft hatte ich schon als Kleinkind unter Schmerzen zu leiden - kalte Wickel verschafften mir ein wenig Linderung. Später wurde es dann besser und die Migräne trat nur noch selten auf.

Mein junger Vater war verstört, traurig und unfähig, einen Säugling zu versorgen. Zudem war das »Frauensache«. Und so kam ich, erst wenige Tage alt, zu meiner Pflegemutter - der ersten von vielen.

Tante Trutchen war die älteste Schwester meines Vaters. Sie lebte wie mein Vater im Bezirk Weißensee in Berlin. Gleich um die Ecke also. Genau genommen waren es nur wenige Häuser, die uns trennten - meinen Vater und mich. Sie selbst hatte keine Kinder, was ihr schwer zu schaffen machte. Und so nahm sie mich mit sehr gemischten Gefühlen auf, aus Mitleid und auch ganz einfach, weil sich sonst niemand fand. Ihr Mann war ein kleiner Kaufmann, genauso wie mein Vater. Er betrieb eine Eisenwarenhandlung, in der sich die Werkzeuge und Nägelschachteln sowie die vielen verschiedenen Schraubenarten bis hinauf zu Decke stapelten. Kein freies Fleckchen Wand war zu sehen. Alles verdeckt von braunen Bretterregalen, die von der Tür mit dem hohen Glöckchen bis hinter zum Vorhang reichten. Dieser Vorhang trennte den schon bescheidenen Verkaufsraum von einem winzigen Ladenhinterzimmerchen ab, das ein Schreibpult mit Stiften, Ordnern und Zetteln und diverse ausrangierte Eisenteile beherbergte. Auf einem niedrigen Hängeboden fanden sich verstaubte Kisten voll Gerümpel und Unmengen von Spinnen - schmal- und dickbäuchige, mit langen und kurzen, beharrten und glatten Beinen. Mein Onkel Herbert war von ruhigem Gemüt und begegnete den Sperenzchen seiner Frau mit so viel Nachsicht wie er aufbringen konnte. Wenn es ihm zu viel wurde, drehte er sich um und verschwand für einige Zeit im Keller, zu dem unter einer schweren Bodenplatte versteckt eine steile Treppe hinunterführte. Meine Tante wurde ob ihrer im Kiez bekannten Häkel- und Backkunst bewundert und ihrer vielversprechenden, ausladenden Hüften wegen gelobt. Doch Kinder bekam sie trotzdem keine, was in ihr zuerst Trauer, dann Neid und schließlich Bitterkeit aufkommen ließ. Da war ich nun, eine kleine Halbwaise und eine relativ junge Frau vom unerfüllten Kinderwunsch heimgesucht, die sich erbarmte, sich eine Zeit lang um mich zu kümmern. »Bis ick wat Eijenes hab â¦« Glücklich wurden wir beide auf Dauer nicht miteinander.

»Dit konnte nich jut jehen, hab ick gleich jesacht«, hatte eine weitere Schwester meines Vaters, Tante Herta später immer verlauten lassen.

»Jar nüscht haste jesacht«, hatte mein Vater stets protestiert. »Von wejen! Jeschwiegen habt ihr. Und später denn - froh, dass ihr noch mal davonjekommen seid, habt ihr eifrig jenickt. Ne jute Idee haste es jenannt. Dann hätte se wenigstens ooch mal wat Kleenet â¦«

Ich mochte Tante Herta. Wenn ich sie später mit meiner Stiefmutter besuchte, bewunderte ich immer ihre Wohnung. Sie lag im Vorderhaus und schien mir sehr vornehm: mit Vorhängen, gutem Porzellan und schweren Holzmöbeln. Obwohl all diese Dinge schon nicht mehr neu waren, schienen sie - wie die Tante selbst - seltsam alterslos zu sein. Seitdem sie verwitwet war, beherbergte Herta einige Untermieter. Herr Ösede hatte ein eigenes schönes Zimmer mit Wasserleitung, das er mir gern zeigte. Genau wie seine Fotoapparatesammlung, vier Laikas, mit denen er vornehmlich kleine Jungs fotografierte, wenn sie ihm vor die Linse kamen. Auch von mir wollte er stets ein Foto machen, aber ich blieb nie lange dort, denn ich fühlte mich in seiner Gegenwart nicht ganz wohl. Sehr gern hingegen quatschte ich mit den anderen beiden Untermietern, einem Pärchen, das sich den Geräuschen nach zu urteilen untereinander blendend, mit dem Haushund allerdings nur schwer vertrug. Die Frau schnürte der Tante jeden Tag das Korsett, das deren verwachsene Wirbelsäule stützte. Im Wohnzimmer stand ein seltsames Gestell, das ich liebend gern als Turngerät benutzt hätte, wenn es nicht strengstens verboten gewesen wäre, denn es diente einzig und allein dazu, dass sich Herta daran auf mysteriöse Weise aushängen und damit ihr Rückenleiden ein wenig lindern konnte. Im gemeinsamen Badezimmer stand das Fahrrad des Mannes. Immer wenn ich »austreten« musste, wie es hier hieß, bewunderte ich es gebührlich und strich manchmal andächtig über den »Brux-Sattel«, einen englischen Rennsattel. Ein paar Mal schlief ich auch bei der Tante in einem eigenen winzigen Zimmerchen, das man sogar abschließen konnte. Es war toll, immer gab es bei ihr warmes Wasser, soviel man wollte, nur das Klappbett musste ich morgens einklappen. Ich fürchtete mich davor, eines Nachts mitsamt dem Bett in die Schrankwand hochgeklappt zu werden und ersticken zu müssen. Darum wanderte ich gern, wenn alle schliefen zu meiner Tante hinüber, wich den knarrenden Flurdielen aus, drückte die geschwungene Klinke der Flügeltür auf und huschte heimlich in ihr Bett, wo es warm und kuschelig war und so gut nach Lavendel roch. Herta schickte mich niemals fort; sie tat stets so, als schliefe sie tief und fest und merke nichts von meinem Besuch, als streichle ihre Hand nur im Traum sanft und liebevoll mein Haar. Sobald die ersten Sonnenstrahlen durch das hohe Fenster drangen und den Stuck an der Decke erhellten, schlich ich mich auf Zehenspitzen wieder zurück in mein Zimmer und wir trafen uns erst zum Frühstück wieder.

Dort bei Tisch ging es immer recht lustig zu, nur ab und zu gab es Unstimmigkeiten, meist wegen des Geldes, denn jeder Untermieter musste aufschreiben, wie viel er an warmem Wasser verbraucht hatte. Es wurde nur mit Gas geheizt, und das war teuer.

Trotz des anfänglichen Entzückens bei meinem Anblick im niedlichen Wollstrampler, war Tante Trutchen nicht wirklich mit mir warm geworden. Im Gegenteil: Nach der ersten Euphorie verdeutlichte ihr mein Babyschreien ihren eigenen Verzicht nur umso stärker. Sie wurde immer deprimierter und machte schon bald einen komplett überforderten Eindruck. Als ihr Mann mich in letzter Sekunde aus dem Badeeimer gefischt hatte, in den sie mich in einem Anflug von stiller Verzweiflung für einen Moment kopfüber hatte gleiten lassen, sodass nichts als zwei blonde Locken noch aus dem Wasser herausschauten, wurde ich schon am nächsten Tag weitergereicht.

Ich sollte mein Glück bei einem anderen Pärchen finden, zumindest dort suchen. Immerhin hatten mich Onkel und Tante gut gefüttert, so brachte ich einige Kilos auf die Waage und war bereits deutlich gewachsen, als ich zu Onkel Franz und Tante Bertha kam, die beide nicht mehr ganz jung waren. Tante Bertha war die ältere der beiden Schwestern meiner Mutter und hatte, wie diese, häufig schlimme Kopfschmerzen.

Tante Trutchen hatte mich gut eingepackt und mir ein dickes Bündel mit Wäsche und Utensilien, manche noch nagelneu, mitgeschickt, doch Onkel Herbert wollte allein fahren. Er brachte mich in eine kühle Kellerwohnung, wo mich meine neuen Pflegeeltern lächelnd in Empfang nahmen. Es wurden nur wenige Worte gemurmelt, hastig Grüße getauscht, dann fuhr Onkel Herbert wieder zu seiner Frau. Mich ließ er in einer uralten Holzwiege unter dem halben Fenster zurück. Wenn Onkel Franz zur Arbeit gegangen war, beobachteten Tante Bertha und ich oft stundenlang die vorbeigehenden Füße. Immer wieder staunte meine Pflegemutti, wie viele Leute barfuß durch die Straßen gehen mussten. Doch meist schlief sie darüber ein. Wenn ihr rollender Husten mich weckte, begann ich zu schreien und hörte lange nicht auf. Häufig gesellten sich dann zu ihren Atembeschwerden auch noch pochende Migräneanfälle, sodass Onkel Franz nach der erschöpfenden Arbeit auch noch den Haushalt machen und seine Frau und ein hungriges Baby versorgen musste. Auch hier war also kein Platz für mich. Nach wenigen Monaten war ich dann wieder bei meinem Vater, der allerdings noch weniger mit mir anzufangen wusste, zumal ich ihn ständig an den Tod seiner geliebten Frau erinnerte. Er konnte oder wollte mich nicht einmal wickeln. Er stach mir in seiner Unbeholfenheit die Sicherheitsnadel in die Haut statt in das Windeltuch und war nach kurzer Zeit so verzweifelt, dass er nicht mehr ein noch aus wusste. Da kam ein rettender Engel, zumindest für eine kurze Zeit: Eine hilfsbereite Nachbarin, deren Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau meinen Vater zusätzlich deprimierte, nahm sich meiner einige Zeit an. Doch auch das war nur eine Zwischenstation. Ich wurde von Freunden zu Verwandten hin- und hergeschoben; keiner konnte oder wollte sich wirklich um mich kümmern, hatte genug eigene Kinder oder Sorgen, nicht selten beides â¦

In den ersten fünf Jahren habe ich bei insgesamt acht verschiedenen Pflegefamilien gelebt; und früh schon wurde mir bewusst: Keiner will mich haben....
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Autor

Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbstständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschien 2011 im Rosenheimer Verlagshaus ihr Roman "Meine Berliner Kindheit", der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht und 2022 die Fortsetzung "Meine Berliner Jugend".

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt