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Meine Berliner Jugend

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Rosenheimer Verlagshauserschienen am22.03.2022
Im Arbeitermilieu im Berlin der 50er Jahre lebt die Jugendliche Helene mit ihrer kranken Mutter und ihren drei jüngeren Schwestern in prekären Verhältnissen. Sie kennt Hunger und Not und wird nicht selten von ihren Kindheitserinnerungen an Kriegs- und Nachkriegszeiten heimgesucht. Hannes, ihr Freund, ist ihr Lichtblick. Mit ihm lernt sie die Liebe kennen und flieht vor dem harten Alltag. Doch sie muss viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen: Da die Mutter nur sporadisch arbeiten kann, und das Amt droht, ihr die Kinder wegzunehmen, muss Helene die Schule abbrechen und eine Lehre im Obst- und Gemüsehandel beginnen. Damit findet sie auch immer weniger Zeit für Hannes. Als die Mutter einen französischen Koch kennenlernt, der die ganze Familie nach Frankreich mitnehmen will, wird die Beziehung zwischen den beiden auf die Probe gestellt: Werden sich Helene und Hannes jemals wiedersehen?

Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschienen bereits die Romane 'Meine Berliner Kindheit', der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht, und 'Mit Erbsen auf Soldaten'.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextIm Arbeitermilieu im Berlin der 50er Jahre lebt die Jugendliche Helene mit ihrer kranken Mutter und ihren drei jüngeren Schwestern in prekären Verhältnissen. Sie kennt Hunger und Not und wird nicht selten von ihren Kindheitserinnerungen an Kriegs- und Nachkriegszeiten heimgesucht. Hannes, ihr Freund, ist ihr Lichtblick. Mit ihm lernt sie die Liebe kennen und flieht vor dem harten Alltag. Doch sie muss viel zu früh viel zu viel Verantwortung übernehmen: Da die Mutter nur sporadisch arbeiten kann, und das Amt droht, ihr die Kinder wegzunehmen, muss Helene die Schule abbrechen und eine Lehre im Obst- und Gemüsehandel beginnen. Damit findet sie auch immer weniger Zeit für Hannes. Als die Mutter einen französischen Koch kennenlernt, der die ganze Familie nach Frankreich mitnehmen will, wird die Beziehung zwischen den beiden auf die Probe gestellt: Werden sich Helene und Hannes jemals wiedersehen?

Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschienen bereits die Romane 'Meine Berliner Kindheit', der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht, und 'Mit Erbsen auf Soldaten'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783475549038
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum22.03.2022
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1031 Kbytes
Artikel-Nr.9068162
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Es war kalt, die Eisblumen am Fenster machten ihrem Namen alle Ehre. Helene drehte den Kopf zur Wand, blinzelte. Das Baby und die Kleinen schliefen noch. Gut. Wer schläft, ist nicht hungrig. Sobald sie wach waren, würde das Gejammer losgehen. Und sie hatte keine Ahnung, was und ob überhaupt etwas im Brotkasten zu finden war.

Behutsam zog Helene die kratzige Wolldecke bis zur Nase des Babys hoch. Sie zögerte. Sein Köpfchen war trotz des dünnen Häubchens kühl. Helene zog die Bettdecke noch ein Stückchen höher. Besser ersticken als erfrieren. Sie hielt inne. Durfte sie das? Durfte sie so etwas denken? Sie betrachtete ihren eigenen, missgestalteten Zeh, der fast erfroren war, als sie ein Kleinkind gewesen war. Es tat so weh, heute noch, ihn auch nur anzusehen. Die nie ganz verheilten Frostbeulen. Nicht einmal richtig schnell rennen konnte sie damit.

»Lahme Ente«, riefen ihr die Kinder in der Straße nach und lachten. Manchmal hatten sie Steine nach ihr geworfen. Das taten sie allerdings nicht mehr, seitdem sie einen der Strolche erwischt und nach Strich und Faden übers Knie gelegt hatte.

Seufzend legte Helene das Gesichtchen des Babys wieder gänzlich frei und achtete dabei darauf, dass die anderen zwei Geschwister ausreichend von der Decke bedeckt wurden, vor allem an den Füßen. Die ollen Wollsocken allein reichten nämlich nicht aus. Im Zimmer war es fast so kalt wie draußen, auf den Berliner Straßen, wo Dutzende frierende Menschen die Bürgersteige entlanghasteten. Jeder mit einem anderen Ziel, alle mit mehr oder weniger gebeugtem Rücken. Der kühle Morgen kroch ihr ins Gesicht. Sie wappnete sich innerlich, sie biss die Zähne zusammen, sie hasste das - diese Kälte, dieses Zimmer, dieses Leben. Aber sie hatte kein anderes. Und sie musste da sein, für die Kleinen, die brauchten sie. Die Mutter würde es nicht allein schaffen. Mühsam stemmte Helene sich vom Bett hoch, peinlich darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, um ja noch keines der kleinen Monster zu wecken.

Bevor sie sich überlegen würde, wo sie ein Frühstück herbekam, musste sie erst einmal den Ofen befeuern. Doch ein Blick in den Kohleneimer daneben ließ sie mutlos zurücksinken. Kein Stückchen war mehr übrig. Auch das noch. Ihre Laune sank, wie sie kaum hätte tiefer sinken können. Gestern hatte sie vergessen, noch welche zu besorgen, zu leihen, notfalls zu stehlen. Missmutig beugte sie sich zum Fenster hin. Das zerkratzte Fensterbrett wies feine Risse, schwarze Linien auf weißem Grund, auf. Sie linste hinaus auf den Hof. Kein Glück. Nichts war da, das brennbar aussah. Kein Brett, kein Papier, nicht einmal Äste hatte der Wind herabgeweht. Sie unterdrückte einen Bierkutscherfluch, der sich gewaschen hatte. Im Gegensatz zu ihr; dazu war es definitiv zu kalt. Sie kramte in den Schubladen herum, fand in der untersten eine fast leere Flasche Braunen, schraubte sie auf, roch daran, überlegte kurz - ob das gegen ihren Hunger half? Aber schon bei dem scharfen Geruch des Alkohols wurde ihr übel und sie legte die Flasche zurück. In der Ecke lag ein altes Hemd, es war weich und musste einmal weiß gewesen sein; sie hob es hoch. Als sie es ausschüttelte, fiel ein vertrocknetes Lavendelsäckchen heraus. Die Motten hatten den Stoff dennoch durchlöchert, der Lavendel hatte nichts genützt. Plötzlich musste sie schlucken. Unangenehm.

Der helle Stoff erinnerte sie an das Totenhemd ihrer Oma. So hatte es ausgesehen damals, irgendwie rührend, beinahe feierlich. Noch immer erinnerte sie sich an den Geruch ihrer Großmutter. Vor allem, wenn sie sie in den Arm genommen, vor- und zurückgewiegt und »Lenchen, mein Lenchen« genannt hatte.

Nun war ihre Oma schon seit einem Jahr tot. Seitdem war viel passiert. Leider wenig Gutes. Die Befürchtungen ihrer Mutter schon damals am Grab, die Erde war hart gefroren und der Wind unerbittlich gewesen, »ick weeß et nich, ick weeß nich, wie wir das ohne Oma schaffen sollen«, hatten sich bewahrheitet. Sie schafften es nicht. Es ging bergab. Tag für Tag schien ihre Situation auswegloser zu werden. Mit Oma war es schwer gewesen, die Familie durchzubringen, nach dem Krieg, das Essen war knapp, die Kohlen waren knapp, der Wohnraum war knapp, alles Wichtige war knapp, aber ohne sie, war es schier unmöglich. Vor allem, seitdem ihre Mutter vor zehn Monaten das neue Baby zur Welt gebracht hatte. Lotta. Knautschig und rot hatte sie ausgesehen, als Helene sie das erste Mal gesehen hatte. Wie eine Puppe, über die man ein zerknittertes Tischtuch gelegt hatte.

Vom Bett her kam ein Geräusch. Susi, die Zweitjüngste, bewegte die Ärmchen im Schlaf, noch hatte sie die Augen fest geschlossen. Um keine weitere Zeit zu verlieren, stopfte Helene das zerschlissene Hemd kurzerhand in den Ofen, nahm Streichhölzer und die Zeitung zur Hand, die sie gestern auf der Parkbank ergattert hatte. Die Flammen fraßen gierig das trockene Papier. Knisternd verbrannte die Schlagzeile »Die Frauenmorde von Moabit« vor ihren Augen. Der gestrige Tag war kalt gewesen, beim Gedanken an den heutigen fröstelte sie schon jetzt.

Dabei hatte die Woche doch so gut angefangen: Frau Schulze aus dem Vorderhaus hatte ihnen ein Mittagessen spendiert, ein richtiges. Mit fettem Kohl und Fleischstückchen in der Suppe - auch wenn Helene lieber nicht zu fragen gewagt hatte, von welchem Tier das sehnige Fleisch in der Suppe stammte. Die Kleinen hatten vor Begeisterung ganz rote Wangen bekommen und zu glucksen und lachen begonnen. Wie sie alle so um den großen Topf herumsaßen, die angestoßenen aber gut gefüllten Teller vor sich, hatte Helene so etwas wie Glück empfunden, zumindest aber Zufriedenheit. Und mit Erstaunen festgestellt, dass sie seit langer Zeit das erste Mal wieder diese Wärme durch den Körper fluten fühlte, die sie bis in die Haarspitzen entspannte. Sie genoss sie noch einige Augenblicke. Dann hatte Susi eine Tasse zu Boden gestoßen und ihre Mutter war in Tränen ausgebrochen. Einfach so. Wenn sie da war, weinte sie. Das war fast schlimmer, als wenn sie nicht da war. Bevor das Gedankenkarussell Fahrt aufnehmen und seine ganze unheilige Macht entfalten konnte, wurde Helenes Aufmerksamkeit auf den Ofen gelenkt. Der Qualm bahnte sich einen Weg durch die Ritzen der Ofenklappe. Er war nicht dicht und schwarz, und doch reizte er Helenes Schleimhäute, sodass sie sich gezwungen sah, das Fenster zu öffnen. Quietschend bewegten sich die Scharniere in den Angeln. Helene fürchtete das Erwachen der Kinder.

Sie schürte das Feuer, doch allzu viel gab es da nicht zu schüren. So gierig die Flammen auch an dem dünnen Baumwollhemdchen emporgezüngelt hatten: Nun leckten sie an den Innenwänden des altersschwachen Ofens vergeblich auf der Suche nach Nahrung. Wie der winzige grau-melierte Spatz auf dem Dach, der jeden Morgen kam, und den sie manchmal heimlich fütterte. Doch heute hatte sie nicht einmal Krümel.

Nichts bleibt nichts, egal, wie man es dreht und wendet, dachte Helene bitter und sah dem Grau des vor ihr liegenden Morgens angstvoll ins Gesicht. Heute war nicht ihr bester Tag.

»Wat jibts zum Frühstück?«, piepste ein Stimmchen in ihrem Rücken.

»Guten Morgen«, antwortete Helene - bang die Antwort schuldig bleibend. Sie ging zu dem kleinen Mädchen, das sich nun aufrecht sitzend eng in die Decke gekuschelt hatte. Es schmiegte sich geschmeidig an ihr Bein, wie eine Katze. Helene ließ sich aufs Bett sinken und genoss noch einige Augenblicke die Ruhe vor dem Sturm. Der warme Körper drängte sich an sie, suchte ihre Nähe und roch so angenehm. Vertrauensvoll schlang Susi die dünnen Ärmchen um Helenes Hals. Helene drückte ihre Schwester fest an sich, doch dann schob sie sie entschlossen fort. Die Pflicht rief. Es war schon spät - zumindest, was das Frühstück anging.

»Steh nicht auf«, bettelte Susi, doch Helene löste sich aus ihrem Griff. Sie gab der Kleinen einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

»Ihr fresst mir noch die Haare vom Kopf. Wenn wir etwas essen wollen, muss ich uffstehen.« Widerwillig gab Susi ihren Widerstand auf. »Ich muss kurz weg«, sagte Helene und Susis Lächeln schmolz augenblicklich dahin.

»Nein, Lene nicht weggehen«, protestierte die Kleine fast panisch. Ihr Protest hatte das Baby aufgeweckt, das sich nun unter den Decken- und Kissenbergen zu bewegen begann. Helene kniff die Augen zusammen. Nun würde es noch schwieriger werden, jetzt musste sie alle drei mitnehmen. Helene fröstelte in ihrem alten Männerhemd, das ihr als Schlafanzug diente. Das Baby beugte und streckte die dicken Beinchen. Oje, gleich würde es weinen.

»Mitkommen«, quengelte Susi. Helene schüttelte den Kopf. Das kleine Mädchen mit den schmalen Schultern gab nicht auf. »Ick will mitkommen.«

»Aber du hast doch noch Matratzenhorchdienst«, versuchte Helene sie zum Liegenbleiben zu überreden.

Prompt schlug Irma nun die Augen auf. »Ich komme auch mit«, verkündete diese sofort erstaunlich...
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Barbara Schilling, geboren in Berlin, schloss zunächst eine Ausbildung zur Werbekauffrau ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Kulturwissenschaften und der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heute ist sie als selbständige Werbetexterin und Autorin tätig und lebt in Potsdam. Neben zahlreichen Kurzgeschichten und Beiträgen in verschiedenen Anthologien erschienen bereits die Romane "Meine Berliner Kindheit", der auf den Erlebnissen ihrer Mutter und Großmutter beruht, und "Mit Erbsen auf Soldaten".

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt