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Gold und Staub

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am06.11.20151. Auflage
In diesem funkelnden, ebenso heiteren wie nachdenklichen Roman führt Galsan Tschinag uns in den innersten Kreis seines Lebens in der mongolischen Steppe. Ein Jahrhundertgedanke hat sich in seinem Hirn festgesetzt: Mit einer Million Bäume will er die Steppe begrünen. Der erste Schritt: Der öde, zerfallene Friedhof der Ahnen soll wieder hergerichtet werden. Doch dabei tun sich zahlreiche Hindernisse auf. Die Stammesleute fürchten die Geister der Toten, es fehlt an Geld, Material und Durchhaltewillen. Da taucht in der Jurte des Stammesführers eine rätselhafte, blonde, berückend schöne Kasachin auf. Ihre Klugheit und Leidenschaft lässt ihn vergessen, dass sie ein eigenes, bedrohliches Ziel verfolgt.

Galsan Tschinag, geboren 26.12.1943 in der Westmongolei, ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa. Von 1962 bis 1968 studierte er Germanistik in Leipzig, seither schreibt er viele seiner Werke auf Deutsch. Er lebt den größten Teil des Jahres in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar und verbringt die restlichen Monate abwechselnd als Nomade in seiner Sippe im Altai und auf Lesereisen im Ausland. Galsan Tschinag wurde mit vielen Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, geehrt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextIn diesem funkelnden, ebenso heiteren wie nachdenklichen Roman führt Galsan Tschinag uns in den innersten Kreis seines Lebens in der mongolischen Steppe. Ein Jahrhundertgedanke hat sich in seinem Hirn festgesetzt: Mit einer Million Bäume will er die Steppe begrünen. Der erste Schritt: Der öde, zerfallene Friedhof der Ahnen soll wieder hergerichtet werden. Doch dabei tun sich zahlreiche Hindernisse auf. Die Stammesleute fürchten die Geister der Toten, es fehlt an Geld, Material und Durchhaltewillen. Da taucht in der Jurte des Stammesführers eine rätselhafte, blonde, berückend schöne Kasachin auf. Ihre Klugheit und Leidenschaft lässt ihn vergessen, dass sie ein eigenes, bedrohliches Ziel verfolgt.

Galsan Tschinag, geboren 26.12.1943 in der Westmongolei, ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa. Von 1962 bis 1968 studierte er Germanistik in Leipzig, seither schreibt er viele seiner Werke auf Deutsch. Er lebt den größten Teil des Jahres in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar und verbringt die restlichen Monate abwechselnd als Nomade in seiner Sippe im Altai und auf Lesereisen im Ausland. Galsan Tschinag wurde mit vielen Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, geehrt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293303515
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum06.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3418 Kbytes
Artikel-Nr.3421100
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Der Anruf, der an eine Lawine rührt


Mitten in einem solchen arbeitsreichen Tag zwischen zwei schlafarmen Nächten geschieht es. Mein Handy wispert. Keine Nummer ist in dem Fensterchen erschienen. Doch eine Frauenstimme, jugendlich und unbefangen, spricht. Sie grüßt und redet mich mit Namen an und meint, ich würde sie noch nicht, dafür aber sie mich gut kennen. Dann sagt sie: »Ich mache Ihnen ein Angebot. Seien Sie bitte am zweiten Maisonntag in Ihrer Altaiheimat. Dort werde ich Sie aufsuchen.«

Ich merke, meine Stirnenhaut zuckt, und mein Hirn fängt an zu arbeiten. Merkwürdig, dass mir eine Wildfremde aus dem Unsichtbaren, dazu noch von einer versteckten Nummer aus, so einen Befehl erteilen will. Aber was vermag man als gewöhnlicher Sterblicher, erst recht als amtloser Rentner, da zu tun? Nichts. Daher ist es am besten, ruhig Blut zu bewahren. Denn es gibt Schlimmeres: dreiste offene Verhöhnungen, grobe Anfälle, aber auch in süße, schmierige Worte verpackte Betteleien, die letzten Endes nichts anderes sind als ein versteckter Versuch, einen für dumm zu verkaufen, um dich am Ende öffentlich ausrauben zu dürfen. Und schließlich gibt es auch noch die blutrünstigen Drohungen und raubtierischen Überfälle.

Also bewahre ich Ruhe und lasse das Gespräch weiterlaufen, anstatt es abzubrechen, wie ich es in früheren Zeiten wohl getan hätte. Frage sachlich, wer sie sei.

»Das brauchen Sie noch nicht zu wissen«, sagt sie bestimmt und fügt sogleich hinzu: »Zum gegebenen Zeitpunkt werde ich vor Ihnen erscheinen. Dann werden Sie gewiss mehr erfahren als nur meinen Namen.«

Ich frage weiter, wozu sie mich braucht.

»Als Millionär und auch als Weisen.«

Da sage ich und versuche, meiner Stimme einen belustigten Ton zu geben, dass ich weder das eine noch das andere bin.

»Das sagen Sie. Bescheidenheit nennt man das wohl. Ein verzeihliches Überbleibsel aus den Zeiten der Zwangserziehung zu grauen, menschlichen Mäusen, die von solchen hohlen Begriffen satt werden mussten.«

Das wurmt mich irgendwie. Daher wohl sage ich, immerhin sei ich ein Dichter mit Namen und Rang, und dann noch ein Mann.

Sie lacht auf, kurz und leise. »Da Sie meinten, mir das sagen zu müssen, nehme ich das mit der Bescheidenheit zurück. Nur, ich brauche den Dichter, der Sie zu sein behaupten, in dieser Sache herzlich wenig und noch weniger den Mann.«

Ich stutze. Vielleicht bin ich, ohne es mir eingestehen zu wollen, in meiner Ehre als Dichter wie als Mann angekratzt worden. Aber in demselben Augenblick stelle ich, wie mir zu einer armselig kleinen Rückenstütze und ihr gleichzeitig zu einem anlastbaren Mangel, etwas fest: Sie ist Kasachin. Eine kleine Unvollkommenheit in der Aussprache hat es mir verraten. In dem Sekundenbruchteil, wie es mir bewusst wird, komme ich mir vor, als hätte ich sie bei einem kleinen Gebrechen erwischt. Worüber ich mich wenig später leise schämen muss, freilich. Doch in jenem Augenblick der neuesten mir zugefügten Wunde, vielleicht der zehn- oder hunderttausendsten, ist damit ein klein wenig geholfen, das dumpfe Zwicken auf der Haut meiner empfindsamen Seele zu ertragen, das will ich gern zugeben.

So rede ich mit dem Anschein betonter Ruhe, dabei aber mit einem Happen Spott, indem ich mich zum Berater aufspiele: »Du scheinst, meine Schönste, eine Geschäftsfrau zu sein. Es gehört einfach zur Geldmacherei, dass einem im Fieber, auf noch höheren Gewinn zu kommen, hin und wieder Fehleinschätzungen unterlaufen. Doch wer Grips genug in seiner Birne hat, versteht es, sich rechtzeitig abzufangen, damit keine Fehleingriffe erfolgen. Gib also den kleinen Flitz, mit mir deine Pimperlinge vermehren zu wollen, auf. Lass uns in Frieden als Unbekannte weiterleben, aber als Gräser einer und derselben Steppe und als Steine eines und desselben Berges.«

Die gute Frau im Unsichtbaren befürchtet wohl, ich würde das Gespräch sogleich abbrechen, denn sie fällt mit einem Mal aus ihrer bisherigen ruhevollen, daher erhaben wirkenden Haltung und ruft mit einer leicht schrillen Stimme: »Bitte, noch nicht. Das Allerwichtigste ist noch nicht gesagt.«

»Nanu?«

Ich vernehme aus dem Unsichtbaren ein erleichtertes Aufatmen. Darauf die wieder beruhigte, selbstsichere Stimme: »Vorher nur noch eine Frage, aus bloßer Neugier. Also. Sie haben mich vorhin Ihre Schönste genannt. Dann noch ein Gras aus derselben Steppe und einen Stein aus demselben Berg wie Sie auch. Nun, meine Frage: Kennen Sie mich etwa doch? Haben Sie mich vorhin an meiner Stimme wiedererkannt?«

»Nein, ich kenne dich nicht. Warum ich dich trotzdem meine Schönste genannt habe? Ganz einfach, weil jede Frau sich für die Schönste hält, bekanntlich.«

»Und jeder Mann hält sich für den Tollsten. Doch gerade haben Sie von mir gesagt bekommen, Sie würden mich als Mann gar nicht interessieren - da müssen Sie, Ärmster, an Ihrer Ehre schwer verletzt worden sein.«

»Quatsch. Aber ich muss meine Schönste loben, denn sie verfügt über ein schnell arbeitendes Hirnchen. Sicher hat sie von manchem Einfaltspinsel von Männchen bereits viel süßes Lob wegen ihrer hohen Intelligenz eingesteckt.«

Sie kichert vergnügt, und ihre Worte, die auch mich schmunzeln lassen, zeugen von einem gehörigen Batzen Stolz: »Ja, ja. Das ist wahr. Alle sagen, ich würde über einen merkwürdig hohen IQ verfügen. Schon in der Schule hatte ich wegen meiner Intelligenz den Spitznamen Die Kleine Lehrerin.« Nach einer kurzen Atempause, benötigt ebenso von mir, fährt sie munter fort: »Und Sie, der Sie die Kehren und Kurven im Lebenshaus so genau kennen, wollen es trotzdem nicht gelten lassen, wenn ich sage: Sie sind ein Weiser?«

Soll nun auch ich der Eitelkeit erliegen? Der Anlass ist gegeben und die Gefahr, ihr im Spaß und daher gut getarnt zu erliegen, reizend nah. Doch diesmal wenigstens scheine ich ihr zu entkommen. Denn mir fällt die Frage ein, die noch beantwortet werden muss. Also sage ich: »Du bist doch eine Kasachin.«

Und das erschlägt sie wohl fast. Denn wieder wird die Stimme schrill: »Woher wissen Sie denn das? Überall, wo ich auftrete, hält man mich für eine gebürtige Mongolin.«

»Ach, Mädchen«, sage ich, »es gibt eben Dinge, die man in meinem Alter und in meiner Lage zu kennen hat. Du hast doch behauptet, du würdest mich ausreichend gut kennen. Wenn das stimmt, dann solltest du doch wissen, was ich noch alles kann.« Daraufhin halte ich inne und muss mir auf die Lippen beißen. Bin ich dabei, der Eitelkeit, der ich vorhin entgangen zu sein glaubte, doch noch zu erliegen?

Da aber meldet sich schon die Frau, die mit dem angekündigten Allerwichtigsten noch nicht herausgerückt ist: »Sie wollten bestreiten, dass Sie ein Millionär sind - gut, Ihre Sache, wenn Sie die Stellung, die in der heutigen Gesellschaft Ihnen zusteht, einer unzeitgemäßen Bescheidenheit opfern wollen, zumindest nach außen. Doch gewiss sind Sie sich Ihres Wertes bewusst. Langer Rede kurzer Sinn - in Zahlen ausgedrückt: Ich kann Ihnen dazu verhelfen, vom Millionär zu einem Milliardär aufzusteigen.«

Nicht, dass ich nach dem Milliardärdasein lechze, aber die Neugier, auf welchem Wege sie das erreichen will, verlockt mich. Also heuchle ich Interesse und rufe leise aus: »Sieh da.«

Sie eilt mir entgegen und legt los: »Sie könnten es schnell, sagen wir, innerhalb eines Sommers werden.«

»Wie denn das?«

»Ja, das ist die Frage. Die Antwort lautet: Sie brauchen mich.«

»Vielleicht wären wir der Wahrheit näher, wenn ich sage, du brauchst mich mehr als ich dich?«

Während ich solches ausspreche, komme ich mir absonderlich vor, etwa so, als wenn ich mir Mühe gebe, neuzeitiges Stadtmongolisch zu reden. Kaum habe ich die fertige, schartige Aussage auf den Weg geschickt, weiß ich: Ich habe mit einer Händlerin in der Sprache der Händler gesprochen. Beklemmend, wie leichthin das geht. Soll das heißen, in mir steckt auch ein Händler? Ganz bestimmt, so wie in jedem Menschen ein kleines, graues Teufelchen neben einer leuchtenden Zwerggottheit hockt.

Meine Gesprächspartnerin bewahrt aber Fassung und lässt sich nichts anmerken von den Scharten der Aussage, die soeben zu ihr hinüberflog. Ist sie eine von jenen berühmt-berüchtigten Händlernaturen des neuen Zeitalters? Kann sie, solange es um ihren Nutzen geht, das Feuer mucksmäuschenstill im Mund brennen und dabei den Rauch aus den Nasenlöchern hinaussprudeln lassen? Denn ihre Stimme klingt ruhig und sachlich, während sie auf meine unüberlegten, aus mir herausgebrochenen und hinübergeschleuderten Worte die Antwort herüberschickt: »Wollen wir nicht lieber sagen, dass wir beide einander brauchen? Denn im Geschäft redet man nicht gern von mehr und weniger, sondern von der Gegenseitigkeit. Sie sind mit dem, was Ihre Person darstellt, der goldene Schlüssel zu einer Schatzkammer. Um das Schloss aufschließen zu können, braucht es aber ein zweites Schlüsselchen, und dieses bin ich.«

Mich beeindruckt die Bildhaftigkeit ihrer Redeweise. Ein weiterer Grund, am Strang zu bleiben? Die Frage schürt die Glut der Unruhe, die ich seit ein paar Pulsschlägen in mir verspüre, und entfacht sie zu einem winzigen, aber deutlich erkennbaren Flämmchen. Unmutig darüber schüttle ich den Kopf und denke: Ach, was solls. Und da halte ich es schon für eine beschlossene Sache, dass ich...


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Autor

Galsan Tschinag, geboren 26.12.1943 in der Westmongolei, ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa. Von 1962 bis 1968 studierte er Germanistik in Leipzig, seither schreibt er viele seiner Werke auf Deutsch. Er lebt den größten Teil des Jahres in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar und verbringt die restlichen Monate abwechselnd als Nomade in seiner Sippe im Altai und auf Lesereisen im Ausland. Galsan Tschinag wurde mit vielen Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, geehrt.

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