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Long John Silver

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am13.02.2017
Der berühmte Held von der »Schatzinsel« muss einiges richtigstellen. Hier erzählt er sein Leben und gibt uns eine schonungslose Einführung in die Welt der Seeleute und Piraten, die ganz und gar anders ist als in romantischen Romanen und heroischen Biografien. Long John Silver berichtet von Kapitänen, Teerjacken und Lügenhälsen, von Freunden und Verrätern, Meuterern und Sklavenhändlern, und nicht zuletzt von einem gewissen Jim Hawkins. Gesetze werden zu Richtlinien, und Silver selbst vom Glücksritter zum Feind der Menschheit.

Björn Larsson, 1953 in Schweden geboren, ist Professor für Französisch, seine Leidenschaft ist aber das Segeln, das er mit der Schriftstellerei verbindet. Im Sommer lebt er auf einem Segelboot in Dänemark. Björn Larsson wurde u. a. 2004 mit dem schwedischen Literaturpreis Östrabopriset ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDer berühmte Held von der »Schatzinsel« muss einiges richtigstellen. Hier erzählt er sein Leben und gibt uns eine schonungslose Einführung in die Welt der Seeleute und Piraten, die ganz und gar anders ist als in romantischen Romanen und heroischen Biografien. Long John Silver berichtet von Kapitänen, Teerjacken und Lügenhälsen, von Freunden und Verrätern, Meuterern und Sklavenhändlern, und nicht zuletzt von einem gewissen Jim Hawkins. Gesetze werden zu Richtlinien, und Silver selbst vom Glücksritter zum Feind der Menschheit.

Björn Larsson, 1953 in Schweden geboren, ist Professor für Französisch, seine Leidenschaft ist aber das Segeln, das er mit der Schriftstellerei verbindet. Im Sommer lebt er auf einem Segelboot in Dänemark. Björn Larsson wurde u. a. 2004 mit dem schwedischen Literaturpreis Östrabopriset ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293309692
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum13.02.2017
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3426 Kbytes
Artikel-Nr.3421508
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



2


Ich spüre noch, wie mir das Messer des Feldschers ins Fleisch schneidet, als sei es Butter. Vier Mann sollten mich festhalten, aber ich sagte ihnen, kümmert euch um eure Angelegenheiten. Sie machten große Augen und sahen den Feldscher an, aber nicht einmal da wagten sie zu widersprechen. Der Feldscher legte das Messer weg und griff zur Knochensäge.

»Du bist kein Mensch«, sagte er, als er fertig war und mir das Bein abgesägt hatte, ohne dass auch nur ein Laut über meine Lippen gekommen wäre.

»Nicht?«, fragte ich und raffte meine letzten Kräfte zusammen, zu einem Lächeln, das ihn mehr erschreckt haben dürfte als alles andere.

»Was soll ich denn sonst sein?«, fragte ich.

Am nächsten Morgen kroch ich hinauf an Deck. Ich wollte leben. Ich habe zu viele gesehen, die verfault sind im Kielschweindunst, in Erbrochenem, in Blut und am Kaltbrand. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie mein Kopf über den Schandeckel ragte. Die Arbeit stockte, als hätte Flint mit seiner heiseren, durchdringenden Stimme einen Befehl gebrüllt. Manche, das wusste ich, denn so dumm war ich nicht, hatten gehofft, dass ich sterbe. Vor allem ihnen zwinkerte ich zu, bis sie den Blick abwandten oder zurückwichen. Charlie Hangpitt, der seinen Namen bekommen hatte, weil er die entschieden größte Rute an Bord hatte, legte ein solches Tempo vor, dass er gegen die Reling flog und über Bord fiel und mit den Armen wedelte wie eine Windmühle. Ein Gelächter stimmte ich an, das sich sogar in meinen Ohren anhörte, als komme es aus der Unterwelt oder von jenseits des Grabes. Ich lachte, bis mir die Tränen herunterliefen. Ein ordentliches Lachen verlängert das Leben, heißt es. Vielleicht. Dann muss man aber auch lachen, bevor es so weit ist. Liegt man erst auf der Bank und bekommt das Bein abgesägt, ist es zu spät.

Dann fiel mir auf, dass nur ich lachte und sonst niemand. Dreißig furchterregende Piraten standen wie Statuen überall auf dem Schiff herum und glotzten, dass ihnen die Augen fast aus den Höhlen quollen.

»Los, lacht, ihr Memmen!«, brüllte ich, und alle dreißig fingen an zu lachen.

Das klang wie dreißig Mäuler, die einander niederbrüllen wollten. So verdreht war das, dass auch ich wieder zu lachen anfing. Vielleicht habe ich nie im Leben so viel Spaß gehabt. Zu guter Letzt blieb mir ihr Gekrächze im Hals stecken.

»Zum Teufel, hört auf und belegt!«, brüllte ich, und alle Mäuler klappten zu.

Im selben Augenblick stieg Flint vom Achterdeck herunter. Er hatte alles, ohne eine Miene zu verziehen, mit angesehen und kam mit einem vergnügten, aber doch respektvollen Grinsen auf mich zu.

»Schön, Euch wiederzusehen, Silver«, sagte er.

Ich gab keine Antwort. Es war nie gut, wenn man Flint persönlich zu sehen bekam. Er drehte sich zur Mannschaft um und sagte: »An Bord brauchen wir richtige Kerle.«

Und dann bückte er sich, packte, sodass alle es sehen konnten, das Ende meines Beinstumpfs und presste es zusammen.

Mir wurde schwarz vor Augen, aber ohnmächtig wurde ich nicht, und ich gab keinen Ton von mir.

Flint richtete sich wieder auf und sah seine Männer an, die vor Schreck in eigentümlichen Grimassen und Posituren dastanden.

»Da seht ihr es«, sagte Flint gelassen. »Silver ist ein richtiger Kerl.«

Das war bei Flint Freundlichkeit und menschliche Wärme. Mehr war nicht möglich.

Den ganzen Tag saß ich in der Sonne. Der Schmerz kam und ging, er pulsierte wie ein Herz. Aber ich lebte.

Nur dass ich lebte, zählte. Israel Hands hatte mir eine Flasche Rum hingestellt, als sei Rum die Quelle des Lebens, aber die rührte ich den ganzen Tag nicht an. Rum habe ich nie gebraucht, und gewiss nicht an diesem Tag.

Später, am Abend, bat ich John, den Schiffsjungen, eine Lampe zu bringen und sich neben mich zu setzen. Ich hatte immer eine Schwäche für junge Männer. Nicht um sie anzurühren. Im Gegenteil. Für Körper und Haut habe ich nicht viel übrig, ganz gleich, wem sie gehören. Wenn ich mit Frauen geschlafen habe, und das muss man, um nicht verrückt zu werden, dann habe ich es, mit Verlaub, immer so schnell wie möglich hinter mich gebracht. Mit Jungen ist das anders. Die sind sauber wie ein frisch gekratzter Schiffsrumpf, glatt wie geputztes Messing, unschuldiger als Nonnen. Als könnte ihnen nichts etwas anhaben, auch das Allerschlimmste nicht. Nehmt nur Jim, Jim Hawkins von der Hispaniola. Er hat Israel Hands erschossen, das war gut so, und er stand dabei, als die Leute um ihn herum vor Schmerzen brüllten und starben. Und doch schien eigentlich nichts geschehen zu sein, als wir diese verdammte Insel verließen. Er glaubte trotzdem, er hätte noch das ganze Leben vor sich.

John war genauso. Er wich nicht zurück, als ich ihm in der lauen karibischen Nacht wie einem alten Freund den Arm um die Schultern legte.

»Herr Silver, habt Ihr Schmerzen?«, fragte er sogar.

Danke der Nachfrage, dachte ich. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Wie hätte ich erklären können, dass ich Schmerzen in einem Fuß hatte, den es nicht mehr gab oder der irgendwo in der Nähe der alten Walrus herumschwamm, wenn die Haie ihn noch nicht gefressen hatten. Ich bedauerte, dass ich den Feldscher nicht gebeten hatte, er möchte mein Bein für mich aufheben. Ich hätte das Fleisch abgekratzt und die Knochen zur Erinnerung behalten, genau das. Stattdessen hatte ich jetzt vor Augen, wie irgendein Schwarzer es am Strand fand und keine Ahnung hatte, dass es einmal mir gehört hatte, mir, Long John Silver, keinem anderen.

»Nein«, sagte ich zu John nur, »Herr Silver hat niemals Schmerzen. Wie sähe das denn aus? Wer hätte Respekt vor mir, wenn ich wegen eines Beines heulen würde?«

John sah mich an, bis oben hin voll Bewunderung. Und natürlich glaubte er mir.

»Jetzt musst du mir vom Gefecht erzählen«, sagte ich zu ihm.

»Aber Ihr seid doch selbst dabei gewesen, Herr Silver?«

»Ja, das stimmt. Aber ich will, dass du erzählst. Ich hatte sozusagen nicht die Zeit, alles genau zu verfolgen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, sozusagen.«

John schien das zu verstehen. Natürlich wusste er nicht, worauf ich hinauswollte.

»Wir haben Geiseln gemacht«, sagte er. »Eine Frau ist auch dabei.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Ich glaube, Flint hat sie.«

Was ganz sicher der Fall war. Flint war vernarrt in Frauen, nie konnte er die Finger von ihnen lassen. Ich habe viele Kapitäne gekannt und bin mit einer ganzen Menge gesegelt, einer schlimmer als der andere. Keiner aber, kein Einziger, hat sich herausgenommen, eine Geisel persönlich mit Beschlag zu belegen. Manche sind abgesetzt worden, weil sie versuchten, sich eine Dame zur privaten Verfügung zu halten. Ich selbst habe in die Statuten geschrieben, dass keiner eine Frau antasten darf. Flint aber durfte. Ich entsinne mich nicht einmal, was in den Statuten der Walrus stand. Vermutlich gar nichts. Flint hatte seine eigenen Statuten.

»Ach, tatsächlich«, sagte ich zu John. »Und was meinst du, was Kapitän Flint mit ihr macht?«

Der arme Junge errötete so stark, dass es mich rührte.

»Und das Gefecht?«, fügte ich hinzu, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. »Du sollst doch erzählen, wie das mit dem Gefecht gewesen ist.«

»Wo soll ich denn anfangen, Herr Silver?«

»Am Anfang. Eine Geschichte beginnt immer am Anfang.«

Er sollte lernen. Alle jungen Männer müssen ihr Sprüchlein kennen, sonst führt man sie immer wieder an der Nase herum.

»In der Morgendämmerung entdeckte der Ausguck ein Schiff«, begann John. »Es war gutes Wetter, und er hatte weite Sicht. Wir setzten volles Zeug, aber erst gegen acht Glasen hatten wir sie eingeholt. Der Untersteuermann hisste die rote Flagge.«

»Und was bedeutet das?«, fragte ich.

»Dass kein Pardon gegeben wird«, antwortete John mit flinker Zunge.

»Und was heißt das?«

John sah verwirrt aus.

»Das weiß ich nicht genau«, sagte er schließlich verlegen.

»Dann will ich es dir sagen. Es heißt, dass es einen Kampf auf Leben und Tod gibt. Und der Gewinner darf bestimmen, ob die anderen am Leben bleiben oder nicht. Verstehst du?«

»Ja, Herr Silver.«

»Erzähl weiter!«

»Israel Hands hat gesagt, Flint ist ein wackerer Kapitän, Flint hätte dafür gesorgt, dass der Feind die Sonne im Gesicht hat und in Lee hinter uns liegt. Hands hat gesagt, die hätten keine Chance, und sie sollten lieber aufgeben und nicht solche wie uns herausfordern. Erst sind wir achtern um sie herumgefahren und haben eine Breitseite abgefeuert. Dann haben wir gehalst und haben noch einmal geschossen, mit allen Kanonen. Sie hatten eine Menge Löcher in ihren Segeln, und einer von ihren Masten ist umgefallen.«

»Umgefallen?«

»Das war freundlich ausgedrückt. Eine Kugel hatte genau ihren Großmast getroffen, der wie Brennholz zersplitterte und mit ohrenbetäubendem Krachen über Bord stürzte. Das Großsegel knallte wie eine Peitsche, als es zerriss. Ein paar von ihren Scharfschützen stießen ihre letzten Schreie aus, als sie mit ins Meer gezogen...


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Autor

Björn Larsson, 1953 in Schweden geboren, ist Professor für Französisch, seine Leidenschaft ist aber das Segeln, das er mit der Schriftstellerei verbindet. Im Sommer lebt er auf einem Segelboot in Dänemark. Björn Larsson wurde u. a. 2004 mit dem schwedischen Literaturpreis Östrabopriset ausgezeichnet.

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