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Das Recht auf Stadt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Edition Nautiluserschienen am01.03.2016
Allerorten wird in den letzten Jahren ein »Recht auf Stadt« eingefordert - von sozialen Protestbewegungen gegen Gentrifizierung weltweit. NGOs und UN-Organisationen postulieren es gleichermaßen. Kritische Stadtforscher wie David Harvey, Peter Marcuse oder Niels Boeing beziehen sich in ihrer radikalen Gesellschaftskritik auf Henri Lefebvre, der das Konzept 1968 entworfen hat - in einer Schrift, die hier nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt. »Recht auf Stadt« ist mehr als die individuelle Freiheit, auf städtische Ressourcen zugreifen zu können. Es ist das Recht auf ein erneuertes urbanes Leben. Angesichts der sozialen Probleme in den desolaten Hochhaus-Vorstädten und anderer Folgen des rasanten Städtewachstums nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Lefebvre schon in den sechziger Jahren fest, dass der Urbanisierungsprozess einhergeht mit einem Verlust der Stadt als Ort der kreativen Schöpfung, zugunsten einer bloßen industriellen Verwertungslogik. Er postuliert aber keine Abkehr von der Stadt - etwa in die zeitgleich entstehenden amerikanischen Mittelklasse-Vororte -, sondern macht in der Stadt ein enormes Potenzial aus, das zu einer emanzipierten urbanen Gesellschaft führen kann. Das Recht auf Stadt ist ein gesamtgesellschaftliches Anrecht auf Begegnung, Teilhabe, Austausch, das große Fest und einen kollektiv gestalteten und genutzten städtischen Raum.

Henri Lefebvre, 1901-1991, französischer Soziologe und Philosoph. 1928 trat er in die KPF ein, aus der er später ausgeschlossen wurde. 1940 ging er in die Résistance. Nach dem Krieg arbeitete er beim Kulturradio und am Centre national de la recherche scientifique (CNRS); seit den frühen 1960er Jahren lehrte er Soziologie an der Universität Straßburg, der Reformuniversität Nanterre und zuletzt am Institut d'Urbanisme in Paris.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextAllerorten wird in den letzten Jahren ein »Recht auf Stadt« eingefordert - von sozialen Protestbewegungen gegen Gentrifizierung weltweit. NGOs und UN-Organisationen postulieren es gleichermaßen. Kritische Stadtforscher wie David Harvey, Peter Marcuse oder Niels Boeing beziehen sich in ihrer radikalen Gesellschaftskritik auf Henri Lefebvre, der das Konzept 1968 entworfen hat - in einer Schrift, die hier nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt. »Recht auf Stadt« ist mehr als die individuelle Freiheit, auf städtische Ressourcen zugreifen zu können. Es ist das Recht auf ein erneuertes urbanes Leben. Angesichts der sozialen Probleme in den desolaten Hochhaus-Vorstädten und anderer Folgen des rasanten Städtewachstums nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Lefebvre schon in den sechziger Jahren fest, dass der Urbanisierungsprozess einhergeht mit einem Verlust der Stadt als Ort der kreativen Schöpfung, zugunsten einer bloßen industriellen Verwertungslogik. Er postuliert aber keine Abkehr von der Stadt - etwa in die zeitgleich entstehenden amerikanischen Mittelklasse-Vororte -, sondern macht in der Stadt ein enormes Potenzial aus, das zu einer emanzipierten urbanen Gesellschaft führen kann. Das Recht auf Stadt ist ein gesamtgesellschaftliches Anrecht auf Begegnung, Teilhabe, Austausch, das große Fest und einen kollektiv gestalteten und genutzten städtischen Raum.

Henri Lefebvre, 1901-1991, französischer Soziologe und Philosoph. 1928 trat er in die KPF ein, aus der er später ausgeschlossen wurde. 1940 ging er in die Résistance. Nach dem Krieg arbeitete er beim Kulturradio und am Centre national de la recherche scientifique (CNRS); seit den frühen 1960er Jahren lehrte er Soziologie an der Universität Straßburg, der Reformuniversität Nanterre und zuletzt am Institut d'Urbanisme in Paris.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960540076
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum01.03.2016
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse382 Kbytes
Artikel-Nr.3956757
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Industrialisierung und Urbanisierung

Erste Übersicht

Um die »städtische Problematik« vorzustellen und darzulegen, drängt sich ein Ausgangspunkt auf: der Prozess der Industrialisierung. Dieser Prozess ist seit eineinhalb Jahrhunderten unbestritten der Motor gesellschaftlicher Veränderungen. Unterscheidet man zwischen Auslöser (Induktor) und Ausgelöstem (Induziertem), lässt sich sagen, dass der Prozess der Industrialisierung der Auslöser ist und zum Ausgelösten die Probleme bezüglich Wachstum und Planung, Fragen zur Stadt und der Entwicklung der städtischen Realität gehören, nicht zu vergessen die wachsende Bedeutung von Freizeit und Fragen zur »Kultur«.

Die Industrialisierung kennzeichnet die moderne Gesellschaft, was aber nicht unbedingt bedeutet, dass sie mit dem Begriff »industrielle Gesellschaft« zu definieren ist. Obwohl die Urbanisierung und die Problematik des Urbanen zu den ausgelösten Folgen und nicht zu den auslösenden Ursachen oder Gründen zählen, verschärfen sich die so bezeichneten Anliegen derart, dass man die um uns entstehende gesellschaftliche Realität getrost als urbane Gesellschaft definieren kann. Diese Definition hält ein Merkmal fest, das wesentlich wird.

Die Industrialisierung bildet den Ausgangspunkt für die Reflexion über unsere Zeit. Die Stadt aber gab es schon vor der Industrialisierung. Eine banale Feststellung, deren Implikationen aber nicht vollständig in Worte gefasst worden sind. Die herausragendsten städtischen Schöpfungen, die »schönsten« Werke des städtischen Lebens (»schön« genannt, weil sie eher Werke als Produkte sind) stammen aus der Zeit vor der Industrialisierung. Es gab die orientalische Stadt (verbunden mit der asiatischen Produktionsweise), die antike (griechische und römische) Stadt (verbunden mit dem Besitz von Sklaven), dann die mittelalterliche Stadt (in einer komplexen Lage: eingebunden in Feudalverhältnisse, aber im Kampf gegen die ländliche Feudalherrschaft). Die orientalische und die antike Stadt waren ihrem Wesen nach politisch; die mittelalterliche Stadt war, ohne ihren politischen Charakter einzubüßen, in erster Linie gekennzeichnet durch Handel, Handwerk und Banken. Sie verleibte sich die zuvor quasi nomadischen, aus der Stadt abgedrängten Händler ein.

Mit Beginn der Industrialisierung und Entstehung des Konkurrenzkapitalismus mit seiner spezifischen industriellen Bourgeoisie hat die Stadt bereits eine reale Machtfülle. Nachdem die antiken Städte in Westeuropa im Zuge des Verfalls des Römertums nahezu verschwunden waren, erlebt die Stadt einen neuen Aufschwung. Die mehr oder weniger umherziehenden Händler haben die Überreste der antiken Stadtkerne zum Zentrum ihrer Aktivitäten erkoren. Umgekehrt, so kann vermutet werden, verliehen diese erodierten Kerne dem, was von der Tauschwirtschaft übrig geblieben war und von Straßenhändlern instand gehalten wurde, Auftrieb. Aus den zunehmenden Überschüssen der Landwirtschaft häufen die Städte auf Kosten der Feudalherren Reichtümer an: Objekte, Schätze, virtuelles Kapital. In diesen städtischen Zentren besteht bereits ein enormer Geldreichtum, der durch Wucher und Handel erzielt wurde. Das Handwerk, eine von der Landwirtschaft deutlich unterschiedliche Produktion, floriert. Die Städte stützen die bäuerlichen Gemeinschaften und die Befreiung der Bauern, nicht ohne selbst davon zu profitieren. Kurzum, es sind Zentren gesellschaftlichen und politischen Lebens, in denen nicht nur Reichtümer, sondern auch Kenntnisse, Techniken und Werke (Kunstwerke, Monumente) angehäuft werden. Diese Stadt ist ihrerseits ein Werk, und dieser Charakter steht im Kontrast zur irreversiblen Orientierung auf das Geld, den Handel, den Tausch, das Produkt. Denn das Werk ist Gebrauchswert und das Produkt Tauschwert. Der höchste Gebrauch der Stadt, d. h. der Straßen und Plätze, der Gebäude und Monumente, ist das Fest (das, ohne einen anderen Nutzen zu bieten als Vergnügen und Prestige, unproduktiv enorme materielle und finanzielle Reichtümer aufbraucht).

Eine komplexe, d. h. widersprüchliche Realität. Die mittelalterlichen Städte auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung sind die Orte, an denen sich die Reichtümer sammeln; die Herrschenden investieren unproduktiv einen großen Teil dieser Reichtümer in der Stadt, die sie beherrschen. Gleichzeitig ist durch den Handels- und Bankenkapitalismus der Reichtum bereits beweglich geworden, sind Tauschkreisläufe entstanden, die den Transfer von Geld erlauben. Mit Beginn der Industrialisierung, in der die besondere Bourgeoisie der »Unternehmer« eine Vormachtstellung einnimmt, ist der Reichtum bereits nicht mehr vorrangig unbeweglicher Natur. Die landwirtschaftliche Produktion und das Grundeigentum sind nicht mehr vorherrschend. Die Ländereien entgleiten den Feudalherren und gehen in die Hände städtischer Kapitalisten über, die durch Handel, Banken und Wucher reich geworden sind. Daraus folgt, dass sich die »Gesellschaft« als Ganzes, bestehend aus der Stadt, dem Land und den deren Beziehungen regulierenden Institutionen, zunehmend zu einem Städtenetz entwickelt, das mit einer gewissen (technischen, sozialen, politischen) Arbeitsteilung zwischen diesen Städten einhergeht, die durch Straßen, Fluss- und Seewege, Handels- und Bankbeziehungen miteinander verbunden sind. Man kann annehmen, dass diese Arbeitsteilung zwischen den Städten aber weder weit genug fortgeschritten noch genügend bewusst war, um stabile Zusammenschlüsse zuzulassen und die Rivalitäten und Konkurrenzen zu beenden. Dieses städtische System setzte sich letztlich nicht durch. Was sich auf dieser Grundlage erhebt, ist der Staat, die zentralisierte Macht. Als Ursache und Folge dieser besonderen Zentralität der Macht setzt sich eine Stadt gegenüber anderen durch: die Hauptstadt.

Ein solcher Prozess findet in Italien, Deutschland, Frankreich, Flandern, England, Spanien statt, wenn auch recht ungleich, recht unterschiedlich. Die Stadt dominiert, und doch ist es anders als im Stadtstaat der Antike. Drei Begriffe sind zu unterscheiden: Gesellschaft, Staat, Stadt. In diesem urbanen System hat jede Stadt wiederum die Tendenz, ein geschlossenes, vollendetes System zu bilden. Die Stadt bewahrt einen organischen Charakter als Gemeinschaft, den sie vom Dorf übernimmt und der in der berufsständischen Organisation zum Ausdruck kommt. Das Gemeinschaftsleben (mit Haupt- und Unterversammlungen) gestattet dabei durchaus Klassenkämpfe. Es gibt sogar heftige Gegensätze zwischen Reichtum und Armut, Konflikte zwischen den Mächtigen und den Unterdrückten, aber sie stehen weder der Verbundenheit mit der Stadt noch einem aktiven Beitrag zur Schönheit des Werks entgegen. In diesem städtischen Rahmen verstärken die Kämpfe zwischen Fraktionen, Gruppen, Klassen das Zugehörigkeitsgefühl. Die politischen Zusammenstöße zwischen dem »minuto popolo«, dem »popolo grosso«, der Aristokratie oder Oligarchie spielen sich vor Ort zu Belangen der Stadt ab. Die Besitzer von Reichtum und Macht ihrerseits fühlen sich immer bedroht. Sie rechtfertigen ihr Privileg gegenüber der Gemeinschaft, indem sie ihr Vermögen luxuriös für Bauwerke, Stiftungen, Paläste, Verschönerungen, Feste ausgeben. Dieses Paradox, diese schlecht erhellte historische Tatsache gilt es zu unterstreichen: Repressive Gesellschaften waren sehr kreativ und reich an Werken. In der Folge hat insbesondere in der Stadt die Herstellung von Produkten die Herstellung von Werken und die mit diesen Werken verbundenen gesellschaftlichen Verhältnisse abgelöst. Wo die Ausbeutung an die Stelle der Unterdrückung tritt, verschwindet die schöpferische Fähigkeit. Der Begriff »Schöpfung« selbst verblasst oder entartet, sich im »Machen« und im »Schöpferischen« miniaturisierend (das »Do-it-yourself« etc.). Das liefert Argumente, um eine These zu untermauern: Die Stadt und die städtische Realität unterliegen dem Gebrauchswert. Der Tauschwert, die allgemeine Durchsetzung der Ware im Zug der Industrialisierung, unterwirft sich tendenziell die Stadt und die städtische Realität und zerstört die Stadt, die Zuflucht des Gebrauchswertes und Keim einer virtuellen Vorherrschaft und einer Aufwertung des Gebrauchs ist.

Im städtischen System, das zu analysieren ich versuche, werden spezifische Konflikte zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, zwischen Mobilisierung des Reichtums (in Geld, in Papier) und unproduktiven Investitionen in die Stadt, zwischen Akkumulation des Kapitals und dessen Vergeudung in Festen, zwischen Ausweitung des beherrschten Gebiets und den Notwendigkeiten einer strengen Organisation des Gebiets rund um eine dominierende Stadt ausgetragen: Letztere schützt sich gegen alle Eventualitäten durch die berufsständische Organisation, die die Initiativen des...
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Autor

Henri Lefebvre, 1901-1991, französischer Soziologe und Philosoph. 1928 trat er in die KPF ein, aus der er später ausgeschlossen wurde. 1940 ging er in die Résistance. Nach dem Krieg arbeitete er beim Kulturradio und am Centre national de la recherche scientifique (CNRS); seit den frühen 1960er Jahren lehrte er Soziologie an der Universität Straßburg, der Reformuniversität Nanterre und zuletzt am Institut d'Urbanisme in Paris.