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Hannahs Gefühl für Glück

Roman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2020
Wie ein einsames Mädchen das Leben einer ganzen Familie verändert Es herrscht tiefster Winter im Norden Kanadas, als der ehemalige Polizist Eric Nyland ein Mädchen entdeckt, das allein durch den Schnee wandert. Er nimmt das Kind für die Weihnachtstage bei sich zu Hause auf, obwohl seine Frau Ellie nicht gerade begeistert über den unerwarteten Zuwachs ist. Denn die Nylands haben ihre eigenen Probleme. Die Stimmung im Haus ist angespannt. Und alles andere als weihnachtlich. Aber mit Hannahs Ankunft verändert sich etwas, langsam und fast unmerklich. Niemand hätte es für möglich gehalten, niemand könnte es in Worte fassen - doch tatsächlich gelingt es diesem kleinen Mädchen, das völlig allein auf der Welt ist, wieder Wärme und Nähe in die Familie zu bringen.

Fran Kimmel wurde in Calgary (Kanada) geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie hat mehrere Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht und lebt heute in Lacombe, Alberta.
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Produkt

KlappentextWie ein einsames Mädchen das Leben einer ganzen Familie verändert Es herrscht tiefster Winter im Norden Kanadas, als der ehemalige Polizist Eric Nyland ein Mädchen entdeckt, das allein durch den Schnee wandert. Er nimmt das Kind für die Weihnachtstage bei sich zu Hause auf, obwohl seine Frau Ellie nicht gerade begeistert über den unerwarteten Zuwachs ist. Denn die Nylands haben ihre eigenen Probleme. Die Stimmung im Haus ist angespannt. Und alles andere als weihnachtlich. Aber mit Hannahs Ankunft verändert sich etwas, langsam und fast unmerklich. Niemand hätte es für möglich gehalten, niemand könnte es in Worte fassen - doch tatsächlich gelingt es diesem kleinen Mädchen, das völlig allein auf der Welt ist, wieder Wärme und Nähe in die Familie zu bringen.

Fran Kimmel wurde in Calgary (Kanada) geboren und ist auch dort aufgewachsen. Sie hat mehrere Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht und lebt heute in Lacombe, Alberta.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423436083
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum01.07.2020
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2073
Artikel-Nr.4369881
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Aus der Ferne sah es wie ein kleiner Blutfleck auf einer weißen Decke aus. Ein verwundeter Kojote vielleicht, der im unbarmherzigen Wind die Straße entlangwankte. Eric fuhr weiter, das Auto von Schneegestöber umwirbelt. Er hielt sich an die schwache Fahrspur, die er selbst am Tag zuvor hinterlassen hatte. Als er näher kam, wurde der Fleck zu einem welk wirkenden alten Mann, und mit Bestürzung sah Eric, wie er sich auf seinen wackligen Beinen mit dünnen Armen und vorgebeugtem Rumpf dem Sturm entgegenstemmte. Doch damit nicht genug. Denn jetzt erkannte er in der Gestalt ein kleines Mädchen. Diese Straße ging niemand je zu Fuß, nicht hier draußen, mitten im Nirgendwo. Niemand, vor allem kein Mädchen, und schon gar nicht bei diesem Wetter.

Langsam lenkte er das Auto zum Straßenrand, im Schnee entstanden neue Reifenspuren. Dann fuhr er neben ihr her. Das Mädchen ignorierte ihn und ging weiter. Der rote Schal um ihren Hals bedeckte auch die Ohren, langes Haar fiel in feuchten Strähnen den Rücken hinab. Sie sah aus wie zehn, höchstens zwölf. Ihr Mantel war aus schmuddeligem grauem Filz und zu klein, wie aus einem Altkleiderladen, einer von denen, wo jeder kalte Windstoß in die Lücken zwischen den Knöpfen fuhr. Ihre Jeans waren schmutzig und unten ausgefranst. Sie trug Turnschuhe, keine Stiefel.

Eric öffnete das Beifahrerfenster, die hereinfegende Kälte drang ihm bis auf die Knochen. »Hey«, rief er, damit sie ihn bei dem Sturm hörte.

Sie hielt den Kopf entschlossen gesenkt und ging mühsam kämpfend, mit den Händen in den Manteltaschen weiter. Er stellte das Auto am Straßenrand ab und sprang heraus.

Sie blieb auch nicht stehen, als er sie eingeholt hatte und neben ihr herging. »Ich wohne etwas weiter die Straße runter.« Er schluckte die ihm in den Mund fahrende beißende Kälte hinunter. »Du bist nicht richtig angezogen für dieses Wetter. Es ist eiskalt hier draußen. Ich fahre dich, wohin auch immer du willst.«

Er trat ihr in den Weg, sodass sie stehen bleiben musste. Sie stampfte mit den Turnschuhen auf der Stelle und spähte mit erschöpftem Blick um ihn herum, als gäbe es dort etwas zu sehen und er versperrte ihr die Sicht.

»Ich nehme dich im Auto mit. Wohin, kannst du selbst entscheiden.« Wenn ich doch bloß noch Uniform tragen würde, dachte er einen Augenblick lang. »Hör zu, ich weiß, dass du nicht zu Fremden ins Auto steigen sollst, aber es ist â¦«

»Sie sind kein Fremder.« Sie klang benommen, krächzend. »Sie wohnen bei mir gegenüber.«

Sie wohnte bei Wilson? Ein anderes Haus gab es an dieser Straße nicht. »Bist du den ganzen Weg zu Fuß gegangen?« Es waren gut fünf Kilometer bis dorthin zurück, wo ihre Häuser sich zu beiden Seiten der Straße gegenüberlagen. Wer war dieses Mädchen?

Ihr lief die Nase. Sie zog ihre bloße Hand aus der Manteltasche und wischte sie kraftlos ab. Du meine Güte. Sie hatte nicht einmal Handschuhe an. Diese Entscheidung konnte er nicht ihr überlassen. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf sein Auto, dessen Motor noch lief, und trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie zurückweichen musste. Schließlich drehte sie sich um und stapfte zum Auto. Mit ihrer bloßen Hand zog sie am vereisten Griff der Hintertür und ließ sich hineinfallen.

Eric eilte mit schnellen Schritten an die Fahrerseite, stieg ein und drehte die Heizung so hoch wie möglich. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie vorne, näher an der Lüftung gesessen hätte.

Er drehte sich nach ihr um und reichte ihr die Schachtel Taschentücher, die immer unter der Konsole stand. »Ich bin Eric Nyland.«

»Ich weiß«, sagte sie und wischte sich die Nase und die tränenden Augen.

Das musste Nigel Wilson ihr gesagt haben. Was hatte er ihr sonst noch erzählt?

»Wie heißt du?«

»Hannah Finch.«

Eric konnte sich nicht vorstellen, was Wilson mit einem Mädchen namens Finch zu tun hatte. Und auch nicht, was das Mädchen bei dieser bitteren Kälte draußen zu suchen hatte, völlig unpassend angezogen, so als würde sie im September einen Nachmittagsspaziergang machen.

»Okay, Hannah. Wohin also?«

Nach einer furchtbar langen Pause - wohin hatte sie gewollt? - sagte sie: »Ich muss nach Hause. Können Sie mich dahin zurückfahren?«

Irgendetwas stimmte nicht daran, wie sie nach Hause sagte. Ihre Schultern sanken, während sie mit dem Sicherheitsgurt kämpfte. Es sah aus, als könnten ihre Finger jeden Moment zerbrechen, so dünn waren sie.

»Bist du sicher?«, fragte er. »Denn ich kann dich auch in die Stadt fahren. Oder zu einem Freund.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Mandy bei ihm gelassen.«

»Mandy?«

»Meine Katze.«

»Ich habe noch nie eine Katze gehabt«, begann er zu erzählen, als er das Auto wendete. Er hatte in seinen zwanzig Jahren bei der Polizei jede Menge Ausreißer gesehen. Wäre er diesem Mädchen hier im Einkaufszentrum begegnet, hätte er sie für eine von denen gehalten, die sonntags zur Kirche gingen, ihre Hausaufgaben machten und auf ihre Mutter hörten.

Er redete weiter, um ihr die Befangenheit zu nehmen. »In unserer Familie gab s immer Hunde, bis heute. Jetzt ist es Thorn. Er gehört meinem Vater, ein großer dicker Labrador, na ja, eigentlich ein Mischling. Kackt überall hin im Haus. Aber dafür kann er wohl nichts, er ist schon sehr alt und weiß nicht mehr, was er tut. Wenn er mal bellt, fällt er gleich um. Irgendwie traurig. Wuff, wuff, und schon liegt er.«

Sie rutschte ein bisschen auf der Rückbank herum. »Ich habe ihn schon mal gesehen. Er läuft manchmal die Straße entlang.«

Warum hatte er sie dann noch nie gesehen? Er war vor fast einem Jahr mit seiner Familie hierher zurückgekehrt. »Einmal hat Thorn einen ganzen Sack voll Hundefutter verschlungen. Einen von diesen riesigen Zehn-Kilo-Säcken, die man bei Costco kaufen kann. Den hat der dumme Hund beim Herumschnüffeln im Schuppen gefunden. Irgendwie ist es ihm gelungen, ihn umzukippen, und dann hat er an einem Zipfel ein so großes Loch hineingebissen, dass er den ganzen Kopf reinstecken konnte, und alles aufgefressen. Danach kam er völlig bedröppelt aus dem Schuppen gewatschelt, sein Bauch war so aufgebläht, dass er auf dem Boden schleifte. Drei ganze Tage hat es gedauert, bis er alles verdaut hatte. Und es hat so gestunken, dass er auf der Veranda schlafen musste.«

Sie erreichten die Talsenke, jetzt musste er den Blick auf die Straße richten und ihn dort lassen. In den warmen Monaten - in allen beiden - schaute man hier auf senfgelbe Rapsfelder, mit vereinzelten Farmen in der Ferne. Heute sah Eric nichts anderes als Schneegestöber rund um sich herum.

»Hauskatzen sollen ja ziemlich klug sein«, sagte er.

Hannah saß völlig reglos da, die Hände über einem Knopf ihres verschlissenen Mantels gefaltet.

»Die können sich beherrschen. Wenn man ihnen den Futternapf füllt, knabbern sie mal hier ein bisschen und mal dort, den ganzen Tag lang, ganz elegant. Aber ein schwarzer Labrador? Denkste. Stellt man dem seinen Napf hin, hat er nichts anderes im Sinn, als jeden einzelnen Happen ratzfatz zu verputzen. Manchmal vergisst er sogar zu kauen, so eilig hat er es, und dann würgt er alles wieder raus.«

Er drehte die Lüftung auf und hob die Stimme, um das Rauschen zu übertönen. »Erzähl mir von Mandy«, sagte er und schob die wichtigen Fragen auf, bis er ihren Blick auffangen würde.

»Sie frisst elegant.«

»Hab ich mir gedacht«, sagte er. »Hast du sie schon lange?«

»Seit mir die Mandeln rausgenommen wurden. Mom hat mich aus dem Krankenhaus abgeholt und dann gesagt, ich soll mal auf mein Bett schauen. Mandy lag in einem Schuhkarton, und nur ihre rosa Nase hat aus dem Handtuch rausgeguckt. Sie hat gewimmert, aber als ich sie in den Arm genommen habe, hat sie aufgehört.«

»Wie alt warst du, als dir die Mandeln rausgenommen wurden?«

Ihre glänzenden Augen sahen ihn im Rückspiegel direkt an. »Fünf. Jetzt bin ich elf. Fast zwölf.«

Sie lehnte sich in ihren Sicherheitsgurt und setzte sich aufrechter hin. Das Auto kam nur kriechend voran, es war noch ein weiter Weg.

»Wo wolltest du denn eigentlich hin, Hannah?« Sie war diesen ganzen Weg zu Fuß gegangen, ohne umzudrehen. »Deine Mom macht sich bestimmt schon Sorgen, glaubst du nicht?«

Sie sah in den Rückspiegel und fing seinen Blick auf. »Meine Mom ist tot.« Ein leichtes Schaudern durchfuhr sie.

»Das tut mir leid, Hannah. Das muss schwierig sein.«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Dann ist Nigel Wilson also dein Dad?« Oder Stiefvater, wie auch immer.

»Nein. Er war mit meiner Mom zusammen, deshalb bin ich jetzt bei ihm.«

»Ich bin mit Nigel zur Schule gegangen.«

»Ich weiß.«

»Du glaubst doch nicht, dass er Mandy wehtut, oder?«, fragte er nun direkter.

Sie sah auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen.

»Denn das ist verboten, weißt du, richtig vom Gesetz verboten. Man darf einer Katze nicht wehtun. Und einem Kind auch nicht.« Nigel Wilson war ein jämmerliches Exemplar der Gattung Mensch. »Wenn irgend so etwas bei dir zu Hause vorkommt, dann können wir dafür sorgen, dass es aufhört. Ich meine, die Polizei kann dafür sorgen, dass es aufhört. Aber du musst es ihnen erzählen, damit sie helfen können.«

Das Mädchen sagte nichts mehr. Sie hielt den Kopf gesenkt und schwieg, während sie im Schneckentempo die leere Straße entlangkrochen.

»Fast geschafft.« Eric blickte in den Rückspiegel. Ihre Wangen hatten die gräuliche...
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