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Das vergessene Pergament

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
587 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am31.05.20191. Aufl. 2019
Anno Domini 1412: In Köln, Straßburg, Regensburg, Chartres und Amiens stürzen Pfeiler ein, bersten Treppen, lösen sich Schlusssteine aus den Gewölben der Dome und Kathedralen - Strafe Gottes oder Teufelswerk? In einem fulminanten Roman erzählt Philipp Vandenberg die abenteuerliche Geschichte des Dombaumeisters Ulrich von Ensingen und der schönen Bibliothekarstochter Afra, die durch Zufall in den Besitz eines geheimnisvollen Pergaments gelangen. Als die Liebenden begreifen, dass sie mit dieser Schrift ein Dokument in Händen halten, für das der Vatikan zu töten bereit ist, sind sie bereits in Lebensgefahr. Gnadenlos von der 'Loge der Abtrünnigen' verfolgt, beginnt eine wilde Jagd durch die größten Kirchen Europas ...mehr

Produkt

KlappentextAnno Domini 1412: In Köln, Straßburg, Regensburg, Chartres und Amiens stürzen Pfeiler ein, bersten Treppen, lösen sich Schlusssteine aus den Gewölben der Dome und Kathedralen - Strafe Gottes oder Teufelswerk? In einem fulminanten Roman erzählt Philipp Vandenberg die abenteuerliche Geschichte des Dombaumeisters Ulrich von Ensingen und der schönen Bibliothekarstochter Afra, die durch Zufall in den Besitz eines geheimnisvollen Pergaments gelangen. Als die Liebenden begreifen, dass sie mit dieser Schrift ein Dokument in Händen halten, für das der Vatikan zu töten bereit ist, sind sie bereits in Lebensgefahr. Gnadenlos von der 'Loge der Abtrünnigen' verfolgt, beginnt eine wilde Jagd durch die größten Kirchen Europas ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732584345
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum31.05.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten587 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4486342
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Nacht, tiefe Nacht lag über dem Straßburger Münster. Wie der Bug eines gestrandeten Schiffes ragte das Langhaus turmlos in den Himmel. Die Kathedrale war noch immer eine riesige Baustelle. Aus den engen Gassen drang vereinzelt Hundegebell zum Domplatz vor. Selbst der Gestank der Stadt, der während des Tages über den weiten Platz wehte, schien eingeschlafen. Das war die Stunde der Ratten. Fette struppige Tiere krochen hungrig aus ihren Schlupflöchern und huschten durch die Abfälle, die überall reichlich herumlagen. Längst hatten sie zum Inneren des Domes Zugang gefunden durch einen Brunnenschacht im Gebäude. Doch dort, wo die Menschen seelische Labsal suchten, gab es keine Rattenbeute.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht versetzte ein mahlendes Geräusch die Domratten in Unruhe. So schnell es ihre fetten Leiber zuließen, verschwanden sie in ihren Verstecken. Nur hier und da ragte ein kahler Schwanz hervor. Das Geräusch kam näher, wurde lauter. Es hörte sich an, als riebe Stein auf Stein. Dann erneutes Schaben, Kratzen, Scharren - es war, als arbeitete sich der Teufel mit spitzen Krallen an den Wänden hoch. Dann wieder Stille. Man hätte Sand hören können, der zu Boden rieselt.

Plötzlich, als rollte ein gewaltiges Gewitter heran, schien es, als rumpelte ein Wagen durch den dunklen Chorraum der Kathedrale, dann hörte man das Krachen und Bersten zerspringenden Sandsteins. Wie bei einem Erdbeben erzitterten die fein gegliederten Pfeiler. Eine riesige Staubwolke drang bis in die entlegensten Winkel vor. Wieder wurde es still, und bald schon krochen die Ratten aus ihren Löchern hervor.

Eine Stunde mochte vergangen sein, als das Mahlen und Kratzen erneut einsetzte, so als ob ein unsichtbarer Steinmetz sich am Dombau zu schaffen machte. Oder versuchte Luzifer den Dom mit einer riesigen Brechstange zum Einsturz zu bringen? Man konnte geradezu fühlen, wie das Mauerwerk in Bewegung geriet. Stundenlang ging es so, bis im Osten das erste Grau des Morgens heraufzog. Noch hatte keiner von den Straßburger Bürgern, deren ganzer Stolz die Kathedrale war, bemerkt, was in dieser Nacht passiert war.

Am frühen Morgen machte sich der Küster auf den Weg zum Dom. Das Hauptportal war verschlossen, so wie er es am Vorabend zurückgelassen hatte. Er rieb sich die Augen, als er das Langhaus des Münsters betrat. Inmitten des Kirchenschiffs, dort wo sich Langhaus und Querschiff kreuzten, lagen Gesteinsbrocken herum, Teile eines geborstenen Quaders, der sich aus dem Gewölbe gelöst hatte.

Beim Näherkommen entdeckte der Küster linker Hand einen Pfeiler, der zur Hälfte in der Luft hing, weil ihm der Sockel abhanden gekommen war. Gesteinsreste lagen im Umkreis verstreut wie übel riechendes Futter, das von einem gefräßigen Ungeheuer zurückgelassen worden war. Fassungslos betrachtete der Küster das Bild der Zerstörung, unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Schließlich stürzte er schreiend und wie von Furien gejagt aus der Kathedrale und rannte, so schnell ihn seine alten Beine trugen, hinüber zur Dombauhütte, um zu berichten, was er mit eigenen Augen gesehen hatte.

Der Dombaumeister, ein Künstler seines Fachs und über die Grenzen des Landes berühmt für sein Können und die Exaktheit seiner Berechnungen, brachte kein Wort hervor, als er sah, was sich in der Nacht ereignet hatte. Von Natur aus eher den Erkenntnissen der Wissenschaft zugetan, der Physik und Arithmetik, stand er jedem Wunderglauben ablehnend gegenüber. Aber an diesem Morgen kamen ihm ernsthafte Zweifel. Nur ein Wunder war in der Lage, die Kathedrale zum Einsturz zu bringen. Und wenn er den sorgfältig herausgetrennten Schlussstein des Gewölbes betrachtete, dann kam dies einem Wunder gleich, einem teuflischen Wunder allerdings.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, zuerst in der Stadt, schon bald aber im ganzen Land, der Teufel wolle die Kathedrale von Straßburg zum Einsturz bringen, weil sie, ein Menschenwerk, dem Himmel näher komme, als dem Leibhaftigen lieb sein konnte. Und bald darauf meldeten sich die ersten Augenzeugen, die in der fraglichen Nacht dem Teufel von Angesicht zu Angesicht begegnet sein wollten. Unter ihnen der Landvermesser, ein gottesfürchtiger Mann, wenngleich kein Frömmler. Er behauptete öffentlich, er habe des Nachts eine hinkende Gestalt beobachtet mit einem Pferdefuß, die mehrmals mit großen Sprüngen die Kathedrale umrundete.

Seither wagte sich keiner von den Straßburger Bürgern mehr in die stolze Kathedrale, bis Bischof Wilhelm erschien und mit einem Wedel aus feinstem Dachshaar geweihtes Wasser verspritzte im Namen des Allerhöchsten.

Noch während sich die Nachricht rheinabwärts verbreitete, während Maurer, Steinschneider und Steinmetze forschten, ob die Auflösungserscheinungen ihres Domes nicht eine natürliche Ursache haben könnten, geschah auch andernorts das Unfassbare. In Köln, wo Meister Arnold einen Dom errichten wollte nach dem Vorbild der Kathedrale von Amiens, gerieten des Nachts die steinernen Pfeilerfiguren Mariens und Petri, des Apostels, denen der halb fertige Dom geweiht war, in Bewegung. Ächzend, als litten sie unter ihrer eigenen Last, lösten sie sich von ihrem Sockel, drehten sich wie im Tanz um die eigene Achse und stürzten kopfüber in die Tiefe - nicht gleichzeitig wie durch ein Erdbeben verursacht, sondern als hätten sie sich abgesprochen eine nach der anderen in einer einzigen Nacht.

Den Steinmetzen, die nach einer stürmischen Nacht als Erste den Dom betraten, bot sich ein geisterhaftes Bild. Arme, Beine und Köpfe mit jenem Lächeln, das sie unter Anstrengung dem harten Stein abgerungen hatten, lagen am Boden verstreut wie billige Innereien, die auf dem nahen Markt feilgeboten wurden. Obwohl sie bekannt waren für die Härte ihres Charakters, begannen die Männer zu weinen in hilfloser Wut. Andere blickten ängstlich, ob nicht der Satan persönlich hinter einem der Pfeiler hervorträte, mit hämischem Grinsen im Gesicht und krächzender Stimme.

Bei näherem Hinsehen entdeckten die Steinmetze Goldmünzen im Schutt, ein kleines Vermögen wert und für viele der Hinweis, dass der Teufel stets mit barer Münze bezahle. Verächtlich und angewidert blickten die Männer auf das leuchtende Münzgold, und kaum einer wagte sich näher als zehn Fuß an das Teufelsgeld heran.

Endlich traf der Bischof, halb bekleidet und unordentlich, als habe er sich gerade erst aus den Armen einer Konkubine gelöst, am Schauplatz ein. Leise Gebete murmelnd - oder waren es gar Flüche? -, drängte er die Gaffer beiseite und besah sich den Schaden. Als er die Goldstücke erblickte, begann er die Münzen aufzuklauben. Eine nach der anderen verschwand in der Tasche seines Chorrocks. Bedenken der Steinmetze, es handle sich um Teufelsgeld, wischte er mit einer unwilligen Handbewegung beiseite und der Bemerkung, Geld sei Geld, im Übrigen habe nicht der Teufel, sondern er selbst vor Jahr und Tag die Goldmünzen unter dem Sockel des heiligen Petrus einmauern lassen, als Zeugnis für die Nachwelt.

Natürlich glaubte ihm niemand. Denn der Bischof war bekannt für seine Geldgier, und es hätte niemanden erstaunt, wenn er selbst vom Teufel Geld genommen hätte.

Drei Tage später kehrten Kaufleute an den Rhein zurück mit der Nachricht, in Regensburg, wo der Dombau weiter fortgeschritten sei als anderswo, habe der Teufel ebenfalls Einzug gehalten. Die Stadt quelle über von Gerüchten. Angeblich machten die Bürger inzwischen einen großen Bogen um die im Herzen Regensburgs gelegene Kathedrale. Sie fürchteten sogar, am helllichten Tag dem Leibhaftigen zu begegnen. Ja es gab Bürger, die wagten nicht mehr zu atmen, weil sie den pestilenten Gestank, der seit Wochen durch die engen Gassen wehte, für den Atem des Teufels hielten, der, würde er in ihr Innerstes dringen, die Seele zerfräße wie eine beißende Alchimistenlauge.

Auf diese Weise verlor ein Dutzend Regensburger Bürger sein Leben, allesamt gottesfürchtig und im Stand der Sakramente, darunter vier Nonnen des Damenstifts Niedermünster, nur einen Steinwurf von der Kathedrale entfernt, weil sie lieber erstickten als einzuatmen, was Luzifer bereits in seine Lungen aufgesogen hatte.

Im Stift Niedermünster hielten die Nonnen seither eine immerwährende Vigil, ein Chorgebet ohne Unterlass, Tag und Nacht, in der Hoffnung, dadurch den Teufelsatem aus der Stadt zu vertreiben. Dabei verbrannten sie Weihrauch in einem durchlöcherten Kessel, der vom Deckengewölbe ihrer Kirche hing und mit weit ausladenden Schwüngen in pendelnder Bewegung gehalten wurde. Die Rauchentwicklung des zentnerschweren Geräts war so stark, dass sie den frommen Frauen die Sicht nahm und sie hinderte, die Gebete in ihren Stundenbüchern zu lesen. Einigen raubte der auf diese Weise gereinigte Teufelsatem die Sinne. Sie verloren die Orientierung und irrten ziellos auf den Straßen umher. Andere brachen bewusstlos zusammen, für viele der Beweis, dass der Teufel auch im Niedermünster Einzug gehalten hatte.

Auslöser dieser Hysterie, die auch vor gesetzten Bürgern nicht Halt machte, waren wundersame Vorfälle im Dom, deren Wahrheitsgehalt den Chronisten jedoch in Bedrängnis bringt, weil die Wahrheit sich bekanntlich mit zunehmender Entfernung verflüchtigt.

So wollte ein Pelzhändler aus Köln mit eigenen Augen gesehen haben, wie der Südturm des Domes zu Regensburg in einer einzigen Nacht um ein ganzes Stockwerk zusammensank. Ein Wanderschausteller bezeugte beim Leben seiner greisen Mutter, das Westportal der Kathedrale sei, obwohl aus Stein errichtet wie alle Domportale, zusammengeschmolzen, als wäre es aus Wachs....
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