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Die Augen der Mrs. Blynn

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am26.02.20201. Auflage
Die hier unter dem Titel Die Augen der Mrs. Blynn vorgelegten unveröffentlichten Stories aus den 50er bis 70er Jahren sind hauptsächlich psychologische Erzählungen sowie wenige Kriminal- und Tiergeschichten. Einige sind wie Wände aus Reispapier, hinter denen die Schatten der großen menschlichen Untergänge lauern. In anderen sehen die Helden verwundert ihrem eigenen Abgleiten zu, bis sich ihr Schicksal plötzlich himmelwärts dreht und eine Ahnung von Paradies und Glück aufscheinen lässt.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR21,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDie hier unter dem Titel Die Augen der Mrs. Blynn vorgelegten unveröffentlichten Stories aus den 50er bis 70er Jahren sind hauptsächlich psychologische Erzählungen sowie wenige Kriminal- und Tiergeschichten. Einige sind wie Wände aus Reispapier, hinter denen die Schatten der großen menschlichen Untergänge lauern. In anderen sehen die Helden verwundert ihrem eigenen Abgleiten zu, bis sich ihr Schicksal plötzlich himmelwärts dreht und eine Ahnung von Paradies und Glück aufscheinen lässt.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257606799
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum26.02.2020
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse960 Kbytes
Artikel-Nr.5081999
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Stories 1952-1980

Die Augen der Mrs. Blynn

Mrs. Palmer lag im Sterben; sie wußte es ebenso gewiß wie alle anderen im Haus. Der zweiköpfige Haushalt - bestehend aus Mrs. Palmer und Elsie, dem Dienstmädchen - hatte sich in den letzten zehn Tagen verdoppelt. Elsies vierzehnjährige Tochter Liza war hinzugekommen, um ihrer Mutter zur Hand zu gehen, und hatte ihren zottigen Hütehund Princy mitgebracht, den Mrs. Palmer als vierten Hausgenossen betrachtete. Liza, die sich die meiste Zeit in der Küche nützlich machte, schlief in dem niederen Stübchen mit dem Stockbett, nur ein paar Stufen unterhalb von Mrs. Palmers Zimmer. Es war überhaupt ein kleines Cottage: unten Wohnzimmer, Eßnische und Küche, oben Mrs. Palmers Schlafzimmer, der Nebenraum mit dem Stockbett und Elsies winzige Kammer. Alle Räume hatten niedrige Decken, und da Türstöcke und Treppenhaus noch tiefer lagen, mußte man ständig den Kopf einziehen.

Mrs. Palmer würde sich vermutlich nur noch wenige Male ducken müssen, da sie höchsten zwei-, dreimal täglich aufstand, um sich, zum Schutz gegen die Kälte fest in ihren lavendelblauen Morgenrock gewickelt, ins Bad zu schleppen. Sie hatte Leukämie. Von Schmerzen blieb sie verschont, aber sie war sehr geschwächt. Mrs. Palmer war einundsechzig Jahre alt. Ihr Sohn Gregory war als Offizier der Royal Air Force im Nahen Osten stationiert und würde vielleicht noch rechtzeitig kommen, vielleicht auch nicht. Mrs. Palmer hatte ihr Telegramm bewußt nicht dringlich formuliert, denn sie wollte ihn weder aufregen noch ihm Ungelegenheiten machen, und er hatte nur zurücktelegrafiert, er werde alles daransetzen, Urlaub zu bekommen, und sie dann wissen lassen, wann er losfliegen könne. Ihr Telegramm war feige gewesen, dachte Mrs. Palmer jetzt. Warum hatte sie nicht den Mut gehabt, ehrlich zu schreiben: »Habe nur noch etwa eine Woche zu leben. Kannst du zu mir kommen?«

»Mrs. Palmer?« Elsie streckte den Kopf ins Zimmer und stützte sich mit mehlbestäubter Hand gegen den Türpfosten. »Hat Mrs. Blynn für heute halb fünf oder halb sechs gesagt?«

Mrs. Palmer wußte es nicht, und es schien ihr auch völlig unwichtig. »Ich glaube, halb sechs.«

Elsie nickte geistesabwesend, in Gedanken schon bei dem Imbiß, den sie zum Halb-sechs-Uhr-Tee im Gegensatz zu dem eine Stunde früher servieren würde. Ein Halb-sechs-Uhr-Tee brauchte nicht so reichhaltig zu sein, da Mrs. Blynn sich um die Zeit bereits anderswo gestärkt haben würde. »Kann ich noch was für Sie tun, Mrs. Palmer?« fragte sie, und ihre liebevolle Stimme klang ehrlich besorgt.

»Nein danke, Elsie, ich fühle mich soweit ganz wohl.« Mrs. Palmer seufzte, sobald Elsie draußen war. Elsie war willig, wenn auch etwas beschränkt. Mrs. Palmer konnte sich nicht mit ihr unterhalten; nicht, daß sie etwa vertraulich mit ihr hätte werden wollen, aber es wäre doch ein schönes Gefühl gewesen zu wissen, daß sie mit jemandem im Haus plaudern könnte, falls ihr danach war.

Mrs. Palmer hatte keine richtigen Freunde in der Stadt, denn sie war erst seit einem Monat hier. Sie war unterwegs nach Schottland gewesen, als sie, von einem neuerlichen Schwächeanfall heimgesucht, auf einem Bahnsteig in Ipswich zusammengebrochen war. An die lange Reise nach Schottland per Bahn oder selbst mit dem Flugzeug war danach nicht mehr zu denken gewesen, und so hatte Mrs. Palmer auf Anraten eines fremden Arztes hin ein Auto gemietet und sich an die Ostküste chauffieren lassen, in einen Ort namens Eamington, der sich durch sein belebendes Reizklima empfahl und wo der Doktor von einer Krankenschwester wußte, die Hausbesuche machte. Der Arzt hatte offenbar geglaubt, ein paar Wochen Ruhe und Erholung würden sie wieder auf die Beine bringen, doch Mrs. Palmers dunkle Vorahnung sprach von Anfang an dagegen. Zwar hatte sich ihr Befinden während der ersten Tage in dem beschaulichen Städtchen gebessert; sie hatte das Cottage Sea Maiden gefunden und gleich gemietet; allein, der Aufschwung währte nur kurz. Im Sea Maiden war sie erneut zusammengebrochen, und Mrs. Palmer hatte das Gefühl, daß Elsie und auch ein paar andere, deren Bekanntschaft sie gemacht hatte (Mrs. Frowley, die Maklerin, zum Beispiel), ihr ihre faiblesse verübelten. Nicht nur, weil sie eine Fremde war, die ihnen zur Last fiel und Fürsorge beanspruchte, sondern auch, weil ihr Rückfall den Glauben an die heilkräftige Wirkung des Eamingtoner Klimas erschütterte - ein Klima, das gegenwärtig von einem steifen Nordostwind beherrscht wurde, der fast Tag und Nacht in Orkanstärke tobte, einem die Knöpfe vom Mantel zu reißen drohte und die Fenster der Häuser an der Strandpromenade hinter einem klebrig-trüben Schleier aus salziger Gischt erblinden ließ. Mrs. Palmer bedauerte selbst, daß sie anderen zur Last fallen mußte, aber sie konnte die Leute doch immerhin dafür entschädigen. Sie hatte ein ziemlich heruntergekommenes Cottage gemietet, das andernfalls wohl den ganzen Winter leer gestanden hätte, denn es war schon Anfang Februar; Elsie verdiente bei ihr etwas mehr als den Eamingtoner Durchschnittslohn; sie zahlte Mrs. Blynn eine Guinee für eine halbstündige Visite (und den Großteil dieser halben Stunde beanspruchte ihr Tee); und bald würden auch der Bestattungsunternehmer, der Küster und vielleicht noch der Blumenhändler an ihr verdienen. Außerdem hatte sie die Miete bis einschließlich März im voraus entrichtet.

Als der Sturm einen Augenblick aussetzte und eilige Schritte von der Straße heraufklangen, richtete Mrs. Palmer sich im Bett auf. Mrs. Blynn war im Anmarsch. Über Mrs. Palmers fast durchsichtige Stirn huschte ein banger Schatten, dem sie freilich in vorauseilender Höflichkeit rasch ein mattes Lächeln folgen ließ. Sie nahm den langstieligen Handspiegel vom Nachttisch. Ihr fahler Teint hatte aufgehört, sie zu erschrecken oder zu beschämen. Alter und Tod waren nun einmal kein schöner Anblick, damit mußte man sich abfinden. Trotzdem hatte sie immer noch das Bedürfnis, der Welt einen halbwegs passablen Anblick zu bieten. Also strich sie sich das Haar aus der Stirn, befeuchtete die Lippen, überprüfte ihr Lächeln, zupfte die Schulterpartie ihres Nachthemds zurecht und zog die rosa Strickjacke über der Brust zusammen. Ihre blauen Augen wirkten in dem blassen Gesicht viel blauer als früher. Immerhin etwas Erfreuliches.

Elsie klopfte und öffnete im selben Moment die Tür. »Mrs. Blynn, Madam.«

»Guten Tag, Mrs. Palmer«, sagte Mrs. Blynn und kam die beiden Stufen von der Schwelle ins Zimmer herunter. Sie war eine stämmige Frau um die Fünfundvierzig, dunkelblond, mittelgroß und erschien wie gewohnt in ihrem unförmigen schwarzen Kostüm mit einer rosenroten Blütenagraffe am linken Revers. Sie benutzte blaßrosa Lippenstift und trug Schuhe mit ziemlich hohen Absätzen. Sie war die Witwe eines Seemanns, wie viele Frauen in Eamington, und hatte mit vierzig den Beruf der Krankenpflegerin ergriffen. In der Stadt zollte man ihr höchste Achtung als einer tatkräftigen Frau, die der Gemeinde nützliche Dienste leistete. »Und wie geht es Ihnen heute?«

»Guten Tag. Man könnte wohl sagen, den Umständen entsprechend«, antwortete Mrs. Palmer, um einen heiteren Ton bemüht. Dabei nestelte sie schon an ihrer Zudecke, bereit, sie für die tägliche Spritze zurückzuschlagen.

Doch Mrs. Blynn war mitten im Zimmer stehengeblieben, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ließ den Blick mit einem entrückten Lächeln abwechselnd über die Wände und aus dem Fenster schweifen. Mrs. Blynn hatte als Frischvermählte ein halbes Jahr lang mit ihrem Mann hier im Sea Maiden gewohnt, und es verging kein Tag, an dem sie das nicht irgendwie zur Sprache brachte. Mr. Blynn war Kapitän auf einem Handelsschoner gewesen und vor zehn Jahren bei einer Havarie mit einem schwedischen Dampfer, nur fünfzig Seemeilen vor Eamington, mit seinem Schiff untergegangen. Mrs. Blynn hatte nicht wieder geheiratet. Elsie wußte zu berichten, daß in ihrem Haus überall Fotos von dem Kapitän in seiner Uniform und von seinem Schiff stünden.

»Ach ja, ein wunderschönes Häuschen«, sagte Mrs. Blynn, »auch wenn´s ein bißchen reinzieht.« Und als sie sich Mrs. Palmer zuwandte, leuchteten ihre Augen, als wolle sie sagen: »Also dann, noch ein paar von meinen Spritzen, und bald sind Sie wieder wie neu, was?«

Doch kaum, daß Mrs. Blynn in ihrer schwarzen Tasche nach der Spritze kramte und nach dem Fläschchen mit der klaren Flüssigkeit, die wieder nichts bewirken würde, wechselte ihr Gesichtsausdruck. Das Lächeln schwand von ihren Lippen, ihre Mundwinkel erschlafften, und die Falten rechts und links der Nasenwurzel vertieften sich. Und als sie die Nadel in Mrs. Palmers abgezehrten Körper stieß, waren ihre graugrünen Glupschaugen so glasig, als ob sie nichts sähe und auch nichts zu sehen bräuchte: Spritzen zu setzen war ihr Beruf, und damit kannte sie sich aus. Mrs. Palmer war für sie ein Neutrum, das eine Guinee pro Visite zahlte. Das Neutrum lag im Sterben. Und Mrs. Blynns stoischer Gleichmut schien nicht einmal durch die Frage zu erschüttern, wann die Guineen ausbleiben würden, ob in drei Tagen oder erst in acht.

Mrs. Palmer bedeutete Geld an sich nichts, aber angesichts der Tatsache, daß sie schon bald aus dieser Welt würde scheiden müssen, wäre es ihr doch lieb gewesen, wenn Mrs. Blynn eine so...

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Autor

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling >Zwei Fremde im Zug