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Buch der Büßer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.04.20241. Auflage
Walter Nigg spürt im Buch der Büßer die Wirren, Ängste und Probleme im Leben von neun berühmten Persönlichkeiten auf und zeigt in lebendiger Beschreibung, daß es die gleichen Wirren, Ängste und Probleme auch des heutigen Menschen sind. Er zeigt aber auch, wie sie überwunden werden können: durch Einsicht. Auf seinem Gang durch die Jahrhunderte läßt Walter Nigg den Leser an Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen teilnehmen, deren Leben exemplarisch genannt werden kann.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextWalter Nigg spürt im Buch der Büßer die Wirren, Ängste und Probleme im Leben von neun berühmten Persönlichkeiten auf und zeigt in lebendiger Beschreibung, daß es die gleichen Wirren, Ängste und Probleme auch des heutigen Menschen sind. Er zeigt aber auch, wie sie überwunden werden können: durch Einsicht. Auf seinem Gang durch die Jahrhunderte läßt Walter Nigg den Leser an Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen teilnehmen, deren Leben exemplarisch genannt werden kann.

Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257614435
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.04.2024
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse998 Kbytes
Artikel-Nr.13991143
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Die Reihe der Büßer muß mit Maria Magdalena eröffnet werden, auch wenn hundert Einwände vorgebracht würden. Die innere Notwendigkeit ist zwingend, steht doch Maria Magdalena am Anfang aller Büßergestalten. Sie hat die pönitierende Haltung mit einer derart hinreißenden Kraft verkörpert, daß ihr Name für immer damit verbunden bleibt.

Gewiß gab es schon in der Antike große Frauen, die sich dem Gedächtnis der Menschheit für immer eingeprägt haben. Diotima etwa, eine Priesterin aus Mantineia, erwirkte durch ihr Opfer den Athenern zehn Jahre Aufschub von der Pest; Sokrates ging zu ihr, als er sich über den Eros belehren lassen wollte, und Plato legte ihr tiefsinnige Worte in den Mund. Trotzdem bleibt sie eine vom Schleier verhüllte Gestalt, während Maria Magdalena hell vor den Augen der Menschen steht. Diese dem christlichen Raum angehörende Persönlichkeit ist eine faszinierende Frauengestalt. Ihrem Wesen war eine äußere und innere Schönheit eigen, die den Grad einer Offenbarung annimmt. Ist man zu Ende mit der Schilderung Maria Magdalenas, dann möchte man am liebsten wieder von vorn anfangen, weil man sich nur ungern von ihr trennt. Maria Magdalena war keine intellektuelle Frau, sondern wurde allezeit von einem verströmend weiblichen Gefühl geleitet, das der Verstandesklugheit weit vorauseilte. Sie gehört zu den unsichtbaren Begleitern des Lebens und ist eine der ewigen Gefährtinnen der Menschen.

Ist das eine unreife Schwärmerei, wie sie jugendliche Seelen überkommt? Muß man sich schämen, so begeisterte Worte zu gebrauchen? Bestimmt nicht, denn sie sagen noch viel zuwenig aus. Maria Magdalena hat die Christenheit unendlich viel beschäftigt. In der abendländischen Malerei hinterließ sie unauslöschliche Spuren, da die größten Künstler aller Zeiten sie in den verschiedensten Situationen ihres Lebens festgehalten haben. Sie wären nicht alle vom glühenden Wunsch erfüllt gewesen, Maria Magdalena auf ihre Leinwand zu bannen, wenn diese Gestalt sie nicht fasziniert hätte. Eine gewöhnliche Frau vermag nie eine solche Anziehungskraft auszuüben, die ebenso über das unmittelbare Dasein hinausstrahlt. Maria Magdalena genießt nicht nur im Neuen Testament eine Vorzugsstellung - sie ist neben Jesu Mutter die am meisten erwähnte Frau -, sondern auch die Nachwelt ist von ihr nicht losgekommen, da ihre Ausstrahlung in der Kunst und im Brauchtum des Volkes unübersehbar ist. Sie ist durchaus verehrungswürdig, obwohl manche Schriftgelehrte ihr übel mitgespielt haben. Ist das keine Empfehlung für Maria Magdalena, wenn die Künstler sie sichtlich geliebt und die Exegeten über sie die Nase gerümpft haben? Man kann Maria Magdalena unmöglich vom Standpunkt der Gelehrsamkeit aus verstehen, denn hierzu bedarf es ganz anderer Voraussetzungen.

Über Maria Magdalena läßt sich keine Biographie schreiben, sowenig wie über irgendeine andere Gestalt aus den Evangelien. Raymond Bruckberger versuchte es mit innerer Anteilnahme, aber er mußte Begebenheiten hinzuerfinden, wie die Freundschaft zwischen Maria Magdalena und Salome, er beansprucht für sie antike Namen wie Antigone - Annahmen, die nicht aus dem Innern gewonnen wurden, sondern von außen zugetragene Gedankenverbindungen sind. Für eine wirkliche Lebensbeschreibung ist das Material allzu fragmentarisch. Es leuchten nur die Umrisse ihrer Gestalt auf, vieles bleibt unter einem Schleier verborgen und umgibt Maria Magdalena gleich zu Beginn mit einem Geheimnis. Daß sie eine geheimniserfüllte Gestalt ist, macht sie noch schöner, ist es doch immer das Mysterium, das den Menschen ehrfürchtig stimmt. Die verschiedenen Andeutungen der Überlieferung zusammengerafft, ergeben weit mehr als nur ein impressionistisches Porträt. Je länger man auf ihr Tun schaut, um so intensiver beginnt es zu schimmern. Das religiöse Bild, das man von Maria Magdalena zu vermitteln vermag, skizziert nur einige Stationen aus ihrem Lebensweg. Oft ist jedoch eine Tat oder ein einziges Wort aufschlußreicher und sagt mehr aus als zahlreiche belanglose Vorkommnisse. Nur wenige unnachahmliche Szenen sind von Maria Magdalena überliefert, aber in jeder von ihnen ist sie ganz enthalten.

Zunächst erfahren wir aus den Evangelien, daß Maria Magdalena eine von sieben Teufeln besessene Frau war1. Man fährt erschrocken zurück und fragt sich entsetzt: Warum sieben? War dies die heilige Zahl oder war es, weil auch Petrus glaubte, es genüge, wenn man siebenmal seinem Bruder verzeihe? Wir wissen nicht, warum die Zahl sieben bei Maria Magdalenas Besessenheit erwähnt wird. Es ist reine Erfindung, wollte man mit der Aufzählung beginnen: der Teufel des Hochmuts, der Teufel der Eitelkeit, der Teufel der Wollust usw. Die Erwähnung der sieben Teufel hat einen anderen Sinn: Maria Magdalena kam aus dem Dunkel. Sie war ein durch ihre körperlichen Reize bestrickendes Weib und ein dem Bösen verhaftetes Wesen, eine dämonische Frau. Das ist die zutreffende Charakterisierung. Sie war keine naive Gretchen-Natur, mit blonden Zöpfen um den Kopf und im Unglück klagend:« Und alles, was mich dazu trieb, ach, war so gut, ach, war so schön.» Von diesem jungmädchenhaften Kummer ist bei Maria Magdalena nichts wahrzunehmen. Der Dämon ritt diese Frau, und fraglos hing diese Dämonie mit ihrer Sinnlichkeit zusammen. Wahrscheinlich gereicht dieser Hinweis etlichen frommen Seelen zum Ärgernis. Trotzdem muß, um der Wahrheit die Ehre zu geben, gesagt werden, daß Maria Magdalena ein der Wollust ergebenes Weib war, eine Frau, die die erotischen Wonnen über alles geliebt und die Freuden der Buhlerei mit allen Sinnen erlebt hat. Diese Vermutung geht gewiß nicht fehl, denn die Maler haben es mit ihrem künstlerischen Instinkt gespürt und in ihren Gemälden die körperlichen Formen Maria Magdalenas ausgiebig hervorgehoben. Wäre dem nicht so, so wäre nicht einzusehen, warum sie im Evangelium «die Sünderin» genannt wird: sie ist die magna peccatrix. Sie würde nicht so bezeichnet, hätte sie, etwa aus Kleptomanie, bei einem Händler eine Kleinigkeit mitgenommen. Der Name « Sünderin» deutet bei einer Frau immer auf Sinnenfreude hin. Maria Magdalena war den Berührungen und Verschmelzungen über alle Maßen zugetan und hat die Lust des Fleisches bis zur Bewußtlosigkeit genossen. Moralisch beurteilt war sie ein in den Sinnenfreuden gefangener Mensch, der sich über das Gefühl des Schicklichen mit einer tänzerischen Leichtigkeit hinwegsetzte. Einer vornehmen Halbweltdame gleich und nicht wie ein kleines Freudenmädchen, stand sie im Dasein. Doch liebte Maria Magdalena nicht nur den Taumel der Wollust, sondern erlebte auch die Leere, das Zerrinnen des Traumes, den schalen Geschmack auf der Zunge, der mit einem Leben der bloßen Sinnlichkeit unlösbar verbunden ist.

Man braucht sich Maria Magdalena nicht mit gemeinen Gesichtszügen vorzustellen. Ihre Hingabefreudigkeit hatte nichts Ordinäres an sich. Jedenfalls fehlte in ihrem Leben das bei Deklassierten oft vorhandene Haßgefühl. Sie hatte kein Bedürfnis, sich ihrer Erniedrigung wegen an der guten Gesellschaft zu rächen. Die große Sünderin des Evangeliums war von jedem Ressentiment frei, weil Jesus sie von ihrer Dämonie erlöst hat. Es heißt ausdrücklich, er habe die Dämonen aus ihr ausgetrieben. Wie? Wann? Wo? Wir wissen es nicht. Die Evangelien erzählen nichts Näheres. Sie erwähnen die Austreibung nur mit einem kurzen und bestimmten Satz. Es ist kein Zweifel möglich: Maria Magdalena ist der befreite Mensch! Das spürt man stets, wenn man sich mit ihr näher beschäftigt. Nicht das sinnenverstrickte Wesen Maria Magdalenas, das mit dem erotischen Feuer spielt, ist anziehend - diese Sucht teilt sie mit ungezählten weiblichen Wesen, und derartige Geschichten kann man bis zum Überdruß hören -, sondern ihre Erlösung davon. Die Befreiung bildet die tiefere Ursache ihrer seelischen Beschwingtheit. Aus eigener Kraft vermochte sie sich nicht von ihren sinnlichen Banden zu lösen - ein Kampf, der dem Menschen nur sehr selten gelingt. Christus hat sie davon befreit, er hat die Mächte des unersättlichen Verlangens ins Nichts zurückgeschleudert und sie zu einer Frau gemacht, die ihr wahres Selbst gefunden hat. Maria Magdalena besaß keine verwüstete Seele. Durch ein unendliches Dankbarkeitsgefühl blieb sie dem Herrn verbunden. Die gefährliche Verletzung ihres Selbstgefühls hinterließ keine Narben. Sie glich nicht jenen unglücklichen Gestalten, die zwar von ihren Lastern befreit, denen man aber zeitlebens anspürt, daß sie in der Gosse gelegen haben.

Von dieser Verbundenheit erzählt Lukas eine Begebenheit - eines der unfaßlichsten Geschehnisse des Evangeliums. Guardinis Aussage ist wegleitend: «Wer den Text in der rechten Weise liest, bedarf keiner Erklärung.»2 Nie hat man das Gefühl, ihn wirklich zu Ende gelesen zu haben, weil er in die Unendlichkeit hineinreicht. Die erneute Begegnung zwischen Jesus und Maria Magdalena ereignete sich bei einem Gastmahl, das sich sehr von Platons Symposion unterscheidet, obschon auch dort überzeitliche Worte gesprochen wurden. Das bei Lukas erwähnte Gastmahl fand im Hause des Pharisäers Simon statt. Auch hier waren nur Männer anwesend, dennoch ergab sich eine völlig andere Situation. In den Pharisäern bloße Heuchler zu sehen, ist ein überholtes Vorurteil. Sicher waren die Pharisäer strenge Gesetzesmenschen. Sie führten einen untadeligen Lebenswandel, taten keinen Schritt nebenaus und verurteilten jeden Menschen, der sich nur die kleinste Unkorrektheit zuschulden kommen ließ. Scharf war ihr Urteil, gemeißelt wie die Gesetzestafeln auf dem Sinai, nicht das geringste Erbarmen gab es. Das ist das Unsympathische an den...
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Walter Nigg, geboren 1903 in Luzern, war Professor für Kirchengeschichte in Zürich und wirkte als protestantischer Pfarrer im zürcherischen Dänikon, wo er 1988 starb. Neben Heiligen, Ordensgründern, Propheten und Mystikern handeln seine Bücher auch von Künstlern und Dichtern und nicht zuletzt von Ketzern, die er als »verunglückte Heilige« verstand.