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Hinterland

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am01.03.20211. Auflage
Mörderische Idylle an der Dove Elbe Eine Muschel mit einem Kreuz. Eingeritzt in ein Holzscheit in ihrem Garten im dörflichen Hamburger Stadtteil Ochsenwerder an der Elbe. Die ehemalige Kommissarin Bette Hansen, 53, ist alarmiert. Das Zeichen hat sie schon einmal gesehen. Auf einem Hochstand, von dem aus ein Unternehmensberater und seine Trainerin beim Bogenschießen regelrecht hingerichtet wurden. Die Wut, mit der der Täter vorgegangen sein muss, hat selbst der erfahrenen Ermittlerin einen Schreck versetzt. Der Muschelmörder war Bettes letzter Fall. Bis heute ist er ungelöst. Sie musste den Job aufgeben, da sie an unkontrollierbaren Schlafattacken leidet, die sie auch im Dienst überfielen. Von ihrer Krankheit weiß auch der Täter, der nun immer engere Kreise um sie zieht. Band 1 der Krimiserie um Ermittlerin Bette Hansen aus Hamburg-Ochsenwerder.

Nora Luttmer, geboren 1973 in Köln, lebt in Hamburg und arbeitet als Autorin und freie Journalistin. Sie hat Südostasienkunde in Passau, Hanoi und Paris studiert. Ihr Roman  «Schwarze Schiffe» wurde für den Glauserpreis in der Sparte Debüt nominiert.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextMörderische Idylle an der Dove Elbe Eine Muschel mit einem Kreuz. Eingeritzt in ein Holzscheit in ihrem Garten im dörflichen Hamburger Stadtteil Ochsenwerder an der Elbe. Die ehemalige Kommissarin Bette Hansen, 53, ist alarmiert. Das Zeichen hat sie schon einmal gesehen. Auf einem Hochstand, von dem aus ein Unternehmensberater und seine Trainerin beim Bogenschießen regelrecht hingerichtet wurden. Die Wut, mit der der Täter vorgegangen sein muss, hat selbst der erfahrenen Ermittlerin einen Schreck versetzt. Der Muschelmörder war Bettes letzter Fall. Bis heute ist er ungelöst. Sie musste den Job aufgeben, da sie an unkontrollierbaren Schlafattacken leidet, die sie auch im Dienst überfielen. Von ihrer Krankheit weiß auch der Täter, der nun immer engere Kreise um sie zieht. Band 1 der Krimiserie um Ermittlerin Bette Hansen aus Hamburg-Ochsenwerder.

Nora Luttmer, geboren 1973 in Köln, lebt in Hamburg und arbeitet als Autorin und freie Journalistin. Sie hat Südostasienkunde in Passau, Hanoi und Paris studiert. Ihr Roman  «Schwarze Schiffe» wurde für den Glauserpreis in der Sparte Debüt nominiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644006348
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.03.2021
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1683 Kbytes
Artikel-Nr.5168922
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

3. Hannah

Die Klimaanlage lief auf Hochtouren, brachte aber so gut wie keine Kühlung, und die Sonne, die durch die Lamellen des Vorhangs fiel, blendete. Hannah hatte einen unangenehmen Druck auf den Ohren. Ihre Schläfen pochten. Der Lärmpegel strengte sie heute noch mehr an als sonst. Alle zwanzig Rechner im Büro waren besetzt, und einer der Call-Center-Agenten redete extrem laut, was alle anderen dazu brachte, ebenfalls ihre Stimmen zu heben.

Der Mann am anderen Ende der Leitung schimpfte wütend. «Wie bitte? Wegen einem Computerfehler wurde der Versand zurückgestellt? Das meinen Sie ja wohl nicht ernst.»

«Ich verstehe Ihren Ärger», sagte Hannah. «Es tut mir sehr leid. Ich werde mich jetzt persönlich um Ihr Anliegen kümmern.» Das waren die Standardsätze aus dem Gesprächsleitfaden. Die wichtigsten hatte sie mit fettem rotem Stift auf gelbe Post-its geschrieben und an den Sichtschutz rechts vom Bildschirm geklebt. Nicht dass sie die Sätze nicht auswendig konnte, sie sagte sie Dutzende Male pro Tag auf, immer und immer wieder. Aber nach mehreren Stunden am Telefon schwirrten die Worte irgendwann so wirr durch ihren Kopf, dass ihr die leichtesten Sätze nicht mehr einfielen. Manchmal bekam sie kaum noch ihren eigenen Namen gerade heraus.

«Und jetzt?», hakte der Mann in genervtem Ton nach. «Wann bekomme ich meine Ware?»

«Ich werde alles tun, damit Sie sie so schnell wie möglich in Empfang nehmen können.»

«Das Paket sollte gestern schon da sein.»

«Es tut mir wirklich sehr leid. Sie haben natürlich völlig recht.»

«Das kann nicht wahr sein. Was ist das für ein beschissener Kundenservice. Ich hatte ein garantiertes Lieferdatum.»

«Ich werde Ihre Bestellung jetzt manuell bearbeiten.» Hannah öffnete eine neue Maske auf ihrem Bildschirm und ließ sich noch einmal die Paketnummer durchgeben. Jetzt sah sie nicht mehr nur die Information zum Verbleib des Paketes, sondern alle Daten zum Kunden. Er hieß Mark Hoyer und wohnte im Leinpfad. Beste Hamburger Villengegend. Der Absender des Paketes war Spatenspezialist Brackwede. Was bitte war an einem Spaten so wichtig, dass dieser Kerl so einen Stress machen musste?

Sie klickte das Kästchen Neu versenden an, wodurch eine automatische Mail an den Verkäufer rausgegeben wurde, um die Versandprozedur ein zweites Mal zu starten. «Sie werden Ihre Ware in Kürze erhalten», sagte sie und fuhr sich mit einem Fettstift über die aufgesprungenen Lippen. Sie konnte es einfach nicht lassen, darauf herumzubeißen.

«In Kürze? Und was, bitte, heißt das? Heute, morgen, nächste Woche?»

Hannah rieb ihre Lippen übereinander, um die Creme zu verteilen, und drehte den Fettstift ein. «Darüber liegt mir noch keine Information vor.»

«Sie sind doch echt ´ne blöde Schnepfe.» Damit legte Mark Hoyer auf.

Hannah riss sich ihr Headset vom Kopf. Sie konnte nicht mehr. Während der Einarbeitung im Call-Center hatte der Workshop-Leiter ihr eingeschärft, derartige Beschimpfungen nicht persönlich zu nehmen. Sie müsse nur lernen, sie an sich abprallen zu lassen. Von wegen. Mit einem Taschentuch wischte sie sich den Schweiß vom Gesicht, dann von den Kopfhörern, griff nach ihrer Flasche und trank den letzten Schluck. Sie brauchte dringend mehr Wasser, aber sie musste noch mindestens vier Anrufe tätigen, bevor sie auch nur daran denken konnte, Pause zu machen. Ihr Soll lag bei zwanzig Gesprächen die Stunde, davon war sie heute weit entfernt.

Auf ihrem Bildschirm ploppte ein Chatfenster auf. Von der Chefin. Zurück in die Schleife! Sofort!

Konnte sie nicht mal was trinken, ohne dass die Brandt gleich dazwischenging? Unauffällig schielte sie zu ihr hinüber. Susanne Brandt saß hinter ihrem Schreibtisch mit den beiden großen Monitoren, der erhöht auf einem Podest am Kopfende des Raumes stand. Auch wenn sie Hannah eben noch im Visier gehabt haben musste, war sie jetzt wieder ganz auf ihre Monitore konzentriert.

Susanne Brandt war um die sechzig. Fransig geschnittene dunkle Haarsträhnen umrandeten ihr rundes Gesicht. Ihre Augen, die zu klein für ihren Kopf waren, und die gewölbte Stirnpartie erinnerten Hannah an einen Bullterrier. Sie trug selbst bei dieser Hitze ein Kostüm mit enganliegendem Jackett, das über ihrer Brust spannte. Als ob erst das Jackett sie zur Chefin machen würde.

Die Brandt war der totale Kontrollfreak. Ständig überwachte sie die Anruf-Statistiken, hörte Gespräche mit an und scheuchte ihre Mitarbeiter durch die Schichten. Und obwohl niemals Kunden in das Großraumbüro kamen, war sie stets darauf erpicht, dass alles ordentlich war. Neben der Tür hatte sie ein Regalsystem mit bunten Plastikboxen für die Habseligkeiten der Mitarbeiter aufstellen lassen. Wie im Kindergarten. Man durfte nicht mal eine Kaffeetasse neben dem Computer abstellen.

Aber Hannah sagte sich, dass sie hier immerhin ihre Arbeitszeiten flexibel einteilen konnte. Besser, als irgendwo beim Bäcker hinter der Theke zu stehen.

In zwei Stunden war ihre Schicht zu Ende. Dann würde sie endlich mit dem Bücherbus rausfahren und ihre Leseecke aufbauen. Vielleicht kam der Eiswagen vorbei, und sie würde sich eine riesige Portion Stracciatella mit Sahne gönnen. Und danach würde sie schwimmen gehen. Bei dem Wetter war abends an der Dove-Elbe immer noch viel los. So gerne sie ganz alleine am Wasser war, dem Typen von neulich wollte sie nicht noch mal begegnen, wenn da sonst niemand war.

Sie setzte ihr Headset wieder auf und nahm ihren nächsten Anruf entgegen. Dabei sah sie auf die Uhr. Karl, der neben ihr saß, grinste in seinen Hörer. Hannah hatte immer das Gefühl, ihm mache das unablässige Telefonieren wirklich Spaß.

Karl war ein Mann mit aufgeschwemmtem Gesicht und dünnen, fettigen Haaren. Sein weißes T-Shirt war dermaßen mit Schweiß vollgesogen, dass man seine Haut und seine üppige Brustbehaarung durch den Stoff sehen konnte.

Unappetitlicher ging es kaum, wobei Hannah grundsätzlich nichts gegen Karl hatte. Er war weder gemein noch arrogant, noch dumm. Letztlich war er einfach ein armer Kerl. Bei jedem anderen Job hätte er keine Chance gehabt, über das Bewerbungsgespräch hinauszukommen. Aber im Call-Center war das Einzige, was zählte, die Stimme. Und Karls Stimme war warm und tief mit einem leicht sonoren Brummen. Körper und Stimme passten bei ihm einfach nicht zusammen.

Hannah dachte manchmal, dass es bei ihr ähnlich war. Bei ihr passte das Innen nicht zum Außen. Sie fühlte sich nicht wie die zierliche junge Frau, in deren Körper sie steckte, und auch nicht wirklich wie das schüchterne Mädchen, als das alle sie sahen. Sie wusste nicht, ob dieser Zwiespalt normal war. Ob es anderen ähnlich ging. Sie war niemand, die sich anderen anvertraute und über ihre Empfindungen sprach. Vielleicht fühlte Karl sich ja wie ein Superheld und sah eben nur nicht so aus. Bei der Vorstellung musste sie kichern.

Sie hatte schon mitbekommen, wie Kundinnen versucht hatten, sich mit Karl zu verabreden. Wenn sie seine Stimme hörten, stellten sie sich wahrscheinlich einen gutaussehenden Mann vor. Hannahs Stimme war eher durchschnittlich. Dafür kannte sie sich mit Computern aus, weshalb ihre Chefin sie für die Hotline der Hamburger Aalsen-Reederei freigeschaltet hatte. Sie betreute die Mitarbeiter bei ihren PC-Problemen. Das war immer noch besser, als sich den ganzen Tag ausschließlich mit den Anrufen rumzuschlagen, die über die Beschwerdehotline des Paketdienstleisters reinkamen, dem Hauptauftraggeber des Hansa-Call-Centers. Heute hatte Hannah jedoch kein Glück. Heute ging es auch bei ihr nur um Pakete.

Zwei Telefonate später gab sie auf. Ihre Kehle war schon ganz ausgetrocknet. Sie tippte Pause in das Chatfenster mit der Brandt und stand auf. Die Brandt sah zu ihr herüber und hob acht Finger in die Luft. Acht Minuten. Die hatte doch echt einen Schuss.

 

Die Pausenküche lag am Ende eines langen Flurs und sah aus wie Büroküchen immer aussahen: grauer PVC-Boden, Tisch, Küchenzeile. Auf der Ablage standen benutzte Gläser und Tassen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie in die Spüle zu stellen. Und bis hierher reichte der Kontrollwahn der Brandt dann doch nicht.

Ihre Kolleginnen Sibille und Lena standen verbotenerweise am offenen Fenster und rauchten. Sie waren in ein Gespräch vertieft und beachteten Hannah nicht weiter, was ihr nur recht war. Sie hatte für heute genug gesprochen. Sibille schimpfte gerade über einen Typen, der sie versetzt hatte. Warum auch immer. Sicher nicht wegen ihres Aussehens. Ihre Haare hatte sie zu einem Knoten hochgesteckt, aus dem einzelne Strähnen in ihr Gesicht fielen, und sie trug einen kurzen kanariengelben Jumpsuit, der ihre schlanke Figur betonte. Sie hätte glatt modeln können.

Hannah füllte sich ein Glas mit Leitungswasser. Es war lauwarm und schmeckte metallisch. Während sie gierig trank, betrachtete sie ihr Gesicht in dem angestoßenen Spiegel am Küchenschrank. Sie konnte gar nicht sagen, ob sie hübsch war oder nicht. Ihr Aussehen hatte sie nie sonderlich interessiert. Sie schminkte sich nicht. Trug immer nur Jeans und T-Shirt und einen Hoodie, wenn es kalt war. Ihre schulterlangen Haare band sie zum Pferdeschwanz, einfach weil es am praktischsten war. Sie waren dunkelbraun, genau wie ihre Augen. Auf der Nase hatte sie winzige Sommersprossen, und ihre Haut war so hell, dass sie fast durchsichtig wirkte. Ihre Mutter hatte sie früher immer ihre kleine bleiche Fee genannt.

Hannah biss sich fest auf die Unterlippe. Ihre Mutter. Dass sie aber auch ständig an sie denken musste. Dass ihr Hirn nie aufhörte, sie mit dem Bild zu quälen, wie ihre Mutter aus...
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