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Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde. Kleine Geschichten für Weiberfeinde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.06.20201. Auflage
Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde ein neues Tierleben, verfaßt nicht von Brehm, sondern von Highsmith, von Beruf subtile Analytikerin des menschlichen Mordes, privat faszinierte Schneckenforscherin und zärtliche Katzenfreundin.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextKleine Mordgeschichten für Tierfreunde ein neues Tierleben, verfaßt nicht von Brehm, sondern von Highsmith, von Beruf subtile Analytikerin des menschlichen Mordes, privat faszinierte Schneckenforscherin und zärtliche Katzenfreundin.

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling ?Zwei Fremde im Zug?, dessen Verfilmung von Alfred Hitchcock sie über Nacht weltberühmt machte. Patricia Highsmith starb 1995 in Locarno.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257608359
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum24.06.2020
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse997 Kbytes
Artikel-Nr.5234937
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Der allerletzte Auftritt

Tanzmädchen nennen sie mich - »Tanzmädchen« rufen sie, wenn ich im Stehen das linke Bein schwenke und dann das rechte und so weiter. Früher, vor zehn oder zwanzig Jahren, hieß ich Jumbo junior oder einfach Jumbo. Jetzt heiße ich nur noch Tanzmädchen. Mein Name steht offenbar neben dem Wort Afrika auf dem Holzschild vorne an meinem Käfig. Die Leute starren auf das Schild, sagen manchmal: »Afrika« und rufen dann: »Tanzmädchen! He, Tanzmädchen!« Und wenn ich die Beine schwenke, gibt es ein bißchen Applaus.

Ich lebe allein. Ich habe nie ein Wesen wie mich zu sehen bekommen, jedenfalls nicht hier. Als ich klein war, daran erinnere ich mich, folgte ich meiner Mutter überallhin, und es gab viele Wesen wie mich, die viel größer waren, und einige, die noch kleiner waren als ich. Ich erinnere mich, daß ich meiner Mutter über eine schiefe Holzplanke auf ein Boot gefolgt bin, das ein wenig schaukelte. Meine Mutter wurde über diese Planke zurückgeführt, zurückgetrieben, und ich war auf dem Boot. Meine Mutter hob den Rüssel und trompetete, damit ich ihr folgte. Ich sah, wie Seile um sie geschlungen wurden, wie zehn oder zwanzig Männer daran zogen, um sie festzuhalten. Irgend jemand schoß mit einem Gewehr auf sie. War es ein tödlicher Schuß oder ein Betäubungsschuß? Das werde ich nie erfahren. Der Geruch ist verschieden, aber an jenem Tag wehte der Wind nicht in meine Richtung. Ich weiß nur, daß meine Mutter kurz darauf zusammenbrach. Ich war auf dem Deck und schrie gellend wie ein Säugling. Dann schoß man mit einem Betäubungsgewehr auf mich. Zuletzt fuhr das Boot ab, und nach sehr langer Zeit, die ich im Halbdunkel eines Verschlags hauptsächlich schlafend und fressend verbrachte, erreichten wir ein anderes Land, in dem es keine Wälder und kein Gras gab. Ich gelangte in einen neuen Verschlag, dann ging es weiter, und dann gelangte ich an einen Ort mit Zementboden, hartem Stein überall, Gittern und übelriechenden Leuten. Am schlimmsten war, daß ich allein war. Keine kleinen Geschöpfe in meinem Alter. Keine Mutter, kein netter Großvater, kein Vater. Kein Spielen. Keine Bäder im schlammigen Fluß. Nur Gitterstäbe und Zement.

Das Fressen war reichlich und in Ordnung. Und ein netter Mann kümmerte sich um mich, ein Mann mit Namen Steve. Er hatte eine Pfeife im Mund, die er fast nie anzündete, nur zwischen den Zähnen hielt. Auch mit Pfeife im Mund konnte er sprechen, und ich konnte bald verstehen, was er sagte beziehungsweise meinte.

»Runter, Jumbo!« bedeutete zusammen mit einem Schlag gegen meine Knie, daß ich niederknien sollte. Wenn ich den Rüssel hochhielt, klatschte Steve einmal anerkennend und warf mir Erdnüsse oder einen kleinen Apfel ins Maul.

Es gefiel mir, wenn er sich auf meinen Rücken setzte, bevor ich mich aufrichtete, und wir dann im Käfig umherspazierten. Die Leute, die uns zuschauten, applaudierten dann, vor allem die Kinder.

Steve setzte mir ein Fransenstirnband auf, das mir im Sommer die Fliegen von den Augen fernhielt. Und er spritzte den schattigen Teil des Zementbodens mit dem Wasserschlauch ab, damit ich mich hinlegen und abkühlen konnte. Er spritzte auch mich ab. Als ich größer wurde, setzte Steve sich auf meinen Rüssel, und ich hob ihn in die Luft, wobei ich aufpaßte, daß er nicht das Gleichgewicht verlor, denn festhalten konnte er sich nur am Ende meines Rüssels. Auch im Winter kümmerte Steve sich um mich - er sorgte dafür, daß ich genug Stroh hatte, und brachte mir sogar Decken, wenn es richtig kalt war. In einem besonders kalten Winter brachte Steve mir einen kleinen Kasten mit einer Schnur daran, aus dem warme Luft auf mich geblasen wurde. Steve pflegte mich, als ich vor Kälte krank geworden war.

Die Leute hierzulande haben große Hüte auf. Manche der Männer tragen kurze Gewehre am Gürtel. Ab und zu zieht einer seine Waffe und schießt damit in die Luft, um mich zu erschrecken oder die Gazellen, die neben mir wohnen und die ich durch die Gitterstäbe sehen kann. Die Gazellen reagieren verstört, machen Luftsprünge und kauern sich aneinandergedrängt in die hinterste Ecke ihres Käfigs. Ein erbarmungswürdiger Anblick. Bis Steve oder ein anderer Wärter erscheint, hat der Verursacher des Aufruhrs seine Waffe wieder im Gürtel verstaut und sieht aus wie alle anderen, und die anderen lachen und verraten den Täter nicht.

Das erinnert mich an eines meiner erfreulicheren Erlebnisse. Vor etwa fünf Jahren hat ein dicker rotgesichtiger Bursche an mehreren Sonntagen hintereinander mit seiner Waffe in die Luft geschossen. Ich war verärgert, obwohl ich mir meine Verärgerung nie anmerken ließ. Aber als dieser Bursche seine Waffe zum dritten- oder viertenmal abfeuerte, nahm ich ganz ruhig einen Rüssel voll Wasser aus meiner Tränke und verpaßte ihn dem Kerl mit aller Kraft durch das Gitter. Der Strahl traf ihn so fest, daß er auf den Rücken fiel und mit seinen Cowboystiefeln strampelte. Die meisten Zuschauer lachten. Ein paar Leute waren überrascht oder wütend. Einige warfen mit Steinen nach mir - die mir nichts ausmachten oder mich verfehlten oder gegen die Gitterstäbe prallten und wegsprangen. Dann trabte Steve an, und mir war klar, daß er den Schuß gehört hatte und genau wußte, was passiert war. Steve lachte und tätschelte dem nassen Mann die Schulter, um ihn zu beruhigen. Der Mann leugnete wahrscheinlich, daß er geschossen hatte. Aber ich sah, daß Steve mir zunickte, und wußte, daß er ihm nicht glaubte. Die Gazellen kamen verschüchtert zurück und starrten durch ihre Gitterstäbe das Publikum und auch mich an. Ich bildete mir ein, daß sie meine Tat guthießen, und war an diesem Tag sehr zufrieden mit mir. Ich malte mir sogar aus, daß ich den nassen Mann oder jemand ähnliches packte, um seinen weichen Körper zu erdrücken, bis er tot war, und ihn dann zu zertrampeln.

Solange Steve bei mir war - annähernd dreißig Jahre lang -, gingen wir ab und zu in dem Park spazieren und ließen Kinder auf meinem Rücken reiten, manchmal drei auf einmal. Das war wenigstens ein netter Zeitvertreib, eine Abwechslung. Aber der Park ist alles andere als ein Wald. Es sind nur vereinzelte Bäume auf ziemlich hartem, trockenem Boden. Dort ist es fast nie feucht. Das Gras wird kurz gehalten, und ich durfte nie Grasbüschel ausreißen, obwohl mir danach sowieso nicht zumute war. Steve kümmerte sich um alles, kümmerte sich um mich, stupfte mich mit seinem Stock aus geflochtenem Leder an, damit ich niederkniete, aufstand und mich am Ende unseres Ausflugs auf die Hinterbeine stellte. (Noch mehr Applaus.) Steve benötigte diesen Stock nicht, es war Bestandteil der Show, genau wie der Trick, daß ich mehrere Male im Kreis lief, bevor ich mich zum Schluß auf die Hinterbeine stellte. Ich konnte mich auch auf die Vorderbeine stellen, wenn Steve es verlangte. Ich weiß, daß ich damals besser gelaunt war als heute und daß ich den niedrigen Ästen mancher Bäume von allein auswich, damit die Kinder nicht von meinem Rücken abgeworfen wurden, ohne daß Steve es mir befehlen mußte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich heute noch so umsichtig wäre. Was haben Menschen mir je gegeben bis auf Steve? Nicht einmal Gras unter den Füßen. Nicht einmal die Gesellschaft eines ähnlichen Geschöpfs.

Jetzt, da ich älter bin, meine Beine schwer sind und mein Temperament reizbar geworden ist, gibt es keine Ausritte für Kinder mehr, obwohl die Kapelle an sommerlichen Sonntagnachmittagen noch immer spielt »Take me out to the Ball Game« und seit neuestem »Hello, Dolly!« Manchmal wünschte ich, ich könnte wieder einmal mit Steve spazierengehen, ich könnte wieder jung sein. Und dennoch, wozu? Um noch mehr Jahre an diesem Ort zu verbringen? Inzwischen liege ich mehr, als daß ich stehe. Ich liege in der Sonne, die mir weniger warm vorkommt als früher. Die Kleidung der Leute hat sich ein wenig verändert, weniger Waffen und Stiefel, aber immer noch die gleichen breitkrempigen Hüte bei den Männern und bei einigen Frauen. Immer noch die gleichen Erdnüsse, die man mir zuwirft, nicht immer geschält, für die ich den Rüssel so flink durch die Gitterstäbe steckte, als ich jünger war und mehr Appetit hatte. Immer noch das gleiche Popcorn und die süßen Krachmandeln. Samstags und sonntags mache ich mir oft nicht mehr die Mühe aufzustehen. Das erzürnt Cliff, den neuen jungen Wärter. Er will, daß ich mein Programm abspule wie früher. Und es liegt nicht daran, daß ich so alt und müde bin, sondern daß ich Cliff nicht mag.

Cliff ist groß und jung, rothaarig. Er gibt gerne an und knallt mit einer langen Peitsche nach mir. Er denkt, er könnte mich mit Stößen und Befehlen dazu bewegen, ihm zu gehorchen. Sein Stock hat eine scharfe Metallspitze, was unangenehm ist, obwohl sie meine Haut nicht einmal ritzen kann. Steve hat sich mir genähert wie ein Geschöpf dem anderen, hat die Verständigung mit mir gesucht und sich nicht eingebildet, ich hätte seinen Erwartungen zu entsprechen. Deshalb haben wir uns verstanden. Cliff interessiert sich nicht für mich und hilft mir zum Beispiel im Sommer nicht gegen die Fliegen.

Als Steve pensioniert wurde, habe ich samstags und sonntags noch die Kinder auf meinem Rücken im Kreis spazierengeführt und manchmal auch Erwachsene. An einem Sonntag rammte ein Mann (wieder einer, der angeben wollte) mir seine Sporen in die Seite, woraufhin ich ein bißchen Tempo zulegte und absichtlich auf einen niedrigen Ast zuhielt, ohne mich zu ducken. Der Mann konnte sich nicht rechtzeitig ducken und wurde von meinem Rücken gefegt, landete auf den Knien und schrie vor Schmerzen. Das verursachte viel Aufsehen, der Mann stöhnte eine Zeitlang, und...
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Autor

Patricia Highsmith, geboren 1921 in Fort Worth/Texas, wuchs in Texas und New York auf und studierte Literatur und Zoologie. Erste Kurzgeschichten schrieb sie an der Highschool, den ersten Lebensunterhalt verdiente sie als Comictexterin, und den ersten Welterfolg erlangte sie 1950 mit ihrem Romanerstling >Zwei Fremde im Zug