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DUNKELKAMMER

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am22.03.2021
Es ist Winter in Innsbruck. Ein Obdachloser rettet sich in eine seit langem leerstehende Wohnung am Waldrand. Im Schlafzimmer findet er eine Leiche, die dort seit zwanzig Jahren unentdeckt geblieben war. Ein gefundenes Fressen für Pressefotograf David Bronski. Gemeinsam mit seiner Journalistenkollegin Svenja Spielmann soll er vom Tatort berichten und die Geschichte der Toten recherchieren. Dass dieser Fall jenseits des Spektakulären aber auch etwas mit ihm zu tun hat, verschweigt er.
Seit er denken kann, fotografiert Bronski das Unglück. Richtet seinen Blick auf das Dunkle in der Welt. Dort wo Menschen sterben, taucht er auf. Er hält das Unheil fest, ist fasziniert von der Stille des Todes. Es ist wie eine Sucht. Bronski ist dem Tod näher als allem anderen, er lebt nur noch für seine Arbeit und seine geheime Leidenschaft. Das Fotografieren, analog. Dafür zieht er sich zurück in seine Dunkelkammer. Es sind Kunstwerke, die er hier schafft. Porträts von toten Menschen. Es ist sein Versuch, wieder Sinn zu finden nach einem schweren Schicksalsschlag.

Bernhard Aichner (1972) lebt als Schriftsteller und Fotograf in Innsbruck. Er schreibt Romane, Hörspiele und Theaterstücke. Für seine Arbeit wurde er mit mehreren Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt mit dem Burgdorfer Krimipreis 2014, dem Crime Cologne Award 2015 und dem Friedrich Glauser Preis 2017.
Die Thriller seiner 'Totenfrau'-Trilogie standen monatelang an der Spitze der Bestsellerlisten. Die Romane wurden in 16 Länder verkauft, u.a. auch nach USA und England. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt, u.a. seine Totenfrau-Trilogie für Netflix/ORF.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR17,00
HörbuchCompact Disc
EUR17,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextEs ist Winter in Innsbruck. Ein Obdachloser rettet sich in eine seit langem leerstehende Wohnung am Waldrand. Im Schlafzimmer findet er eine Leiche, die dort seit zwanzig Jahren unentdeckt geblieben war. Ein gefundenes Fressen für Pressefotograf David Bronski. Gemeinsam mit seiner Journalistenkollegin Svenja Spielmann soll er vom Tatort berichten und die Geschichte der Toten recherchieren. Dass dieser Fall jenseits des Spektakulären aber auch etwas mit ihm zu tun hat, verschweigt er.
Seit er denken kann, fotografiert Bronski das Unglück. Richtet seinen Blick auf das Dunkle in der Welt. Dort wo Menschen sterben, taucht er auf. Er hält das Unheil fest, ist fasziniert von der Stille des Todes. Es ist wie eine Sucht. Bronski ist dem Tod näher als allem anderen, er lebt nur noch für seine Arbeit und seine geheime Leidenschaft. Das Fotografieren, analog. Dafür zieht er sich zurück in seine Dunkelkammer. Es sind Kunstwerke, die er hier schafft. Porträts von toten Menschen. Es ist sein Versuch, wieder Sinn zu finden nach einem schweren Schicksalsschlag.

Bernhard Aichner (1972) lebt als Schriftsteller und Fotograf in Innsbruck. Er schreibt Romane, Hörspiele und Theaterstücke. Für seine Arbeit wurde er mit mehreren Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt mit dem Burgdorfer Krimipreis 2014, dem Crime Cologne Award 2015 und dem Friedrich Glauser Preis 2017.
Die Thriller seiner 'Totenfrau'-Trilogie standen monatelang an der Spitze der Bestsellerlisten. Die Romane wurden in 16 Länder verkauft, u.a. auch nach USA und England. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt, u.a. seine Totenfrau-Trilogie für Netflix/ORF.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641225032
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum22.03.2021
Reihen-Nr.1
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2367 Kbytes
Artikel-Nr.5425179
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


EINS

Er wäre beinahe erfroren in dieser Nacht.

Keine Stunde länger hätte er die Kälte ertragen, sie hätte sich ganz tief in ihn hineingeschlichen, ihn langsam und leise kaputt gemacht.

Der Schnaps wäre seine vermeintliche Rettung gewesen. Er hätte so lange weitergetrunken, bis er nichts mehr gespürt hätte. Er wäre für immer eingeschlafen. Ein Spaziergänger hätte ihn am nächsten Tag in seinem Zelt gefunden.

Am Boden festgefroren.

Nur noch ein Klumpen kaltes Fleisch.

Ein stilles Ende wäre es gewesen.

Kurt Langer.

Verstorben am 21. Jänner 2021.

Ein obdachloser Spinner, der eineinhalb Wochen am Waldrand in einem Zelt geschlafen hatte. Kurt Langer war überzeugt davon gewesen, dass ihm der Winter nichts anhaben konnte. Doch die Minustemperaturen hatten ihm wehgetan, er war den Steilhang hinuntergerutscht und schließlich über die Brüstung geklettert. Er zweifelte nicht daran, dass es der einzige Weg war, die Pechsträhne in seinem Leben zu beenden. Er tat endlich, wozu er sich seit Tagen zu überreden versuchte. Kurt traf die Entscheidung gerade noch rechtzeitig, bevor er erfror.

Er nahm einen Stein und schlug das Fenster ein.

Wenig später wäre er bereits zu betrunken dafür gewesen, sich aufzuraffen und in dieses Penthouse einzubrechen.

Das Timing war perfekt.

Seit er sein Zelt nahe des Hangs aufgestellt hatte, war niemand in dieser Wohnung gewesen. Kurt hatte immer wieder hinübergeschaut, an keinem der zehn Tage hatte Licht gebrannt. Der Wohnblock schmiegte sich an den Hang, von der Straße konnte man die oberste Terrasse nicht einsehen. Ohne Blicke auf sich zu ziehen, schaffte Kurt es über die Brüstung. Ohne zu zögern, schlug er die Scheibe ein.

Das Glas brach.

Er war in Sicherheit.

Endlich hatte er ein Dach über dem Kopf.

Kein Wind, kein Schnee.

Doch es war kühl.

Mehrere Fenster waren gekippt, ein eisiger Luftzug wehte.

Schnell schloss Kurt die Fenster. Er bewegte sich beinahe lautlos. Obwohl er betrunken war, gelang es ihm, bedacht und vorsichtig vorzugehen. Das Adrenalin steuerte ihn. Er zog seine Schuhe aus, um keine Spuren zu hinterlassen. Er behielt seine Handschuhe an, nahm ein Kissen vom Sofa und schloss das Loch, durch das er seine Hand gestreckt hatte, um die Terrassentür von innen zu öffnen. Er klemmte das Kissen zwischen Scheibe und eine Stuhllehne.

Kurt machte alles richtig.

Er stand im Dunklen.

Nur ein bisschen Mondlicht erhellte den großen Raum.

Er drehte an den Reglern der Heizkörper, hörte das Wasser in den Leitungen, spürte, wie sie sich langsam erwärmten, dann setzte er sich. Holte die Schnapsflasche aus seinem Rucksack und trank. Für den Moment war er einfach nur zufrieden, weil er die Nacht im Warmen verbringen durfte. Er breitete sich einfach auf dem herrlich weichen Sofa aus und deckte sich mit einer Decke zu.

Trank die Flasche leer und schlief ein.

Vierzehn Stunden lang rührte er sich nicht.

Die Sonne schien ihm ins Gesicht, als er aufwachte. Ihm war heiß, er hatte immer noch die Handschuhe an, seine Winterjacke, er schwitzte, zog sich aus. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich zu erinnern, wie er in diese Wohnung gekommen war. Der Einbruch, der Schnaps, dieses schöne Gefühl, endlich wieder einmal in Geborgenheit schlafen zu können.

Kurt schaute sich um.

Alles, was in der Nacht in Schwarz getaucht war, zeigte sich jetzt im Licht. Die cremefarbene Ledercouch, auf der er lag, der große Esstisch, eine Jugendstilkommode, ein imposanter Gläserschrank, alle Möbel schauten so aus, als wären sie von Wert. Genauso wie die Bilder an den Wänden. Antiquitäten und Kunst. Kurt ließ sich Zeit, studierte alles im Detail. Seine Blicke blieben an der Silberkaraffe und den Bechern auf der Kommode hängen, er überlegte, wem er all die Dinge verkaufen könnte, die er gleich in seinen Rucksack packen würde. Er schätzte den Wert der Halskette, die auf dem Couchtisch lag, und er malte sich aus, was er noch alles finden würde in dieser Wohnung. In Schubladen und Schränken.

Kurt freute sich.

Er sah es nicht sofort.

Dass irgendetwas nicht stimmte an diesem Ort. Es war ihm zuerst nicht aufgefallen. Dass da überall Staub war. Zentimeterhoch.

Der gedeckte Frühstückstisch. Vertrocknetes Essen.

Ein verdorrter Strauß Rosen.

Kurt versuchte es zu begreifen. Das unnatürliche Bild, das sich ihm bot, zu verarbeiten. Er nahm es wie in Zeitlupe in sich auf. Schüttelte den Kopf. Leckte sich mit der Zunge die Lippen ab. Im ersten Moment schob er es auf den Alkohol, machte seine Kopfschmerzen dafür verantwortlich, er schlug sich sogar ins Gesicht. Dann beugte er sich über die Titelseite der Zeitung, die vor ihm lag. Kurt schloss die Augen. Öffnete sie wieder.

Er fragte sich, ob er verrückt geworden war.

Es war das Datum.

Es waren die Fotos.

Ein Politiker, der schon lange nicht mehr im Amt war, schaute betroffen in die Kamera. Er stand zwischen Trümmern und sprach mit Journalisten. Kurt konnte sich noch an alles ganz genau erinnern. Diese Bilder hatten sich in seinem Kopf eingebrannt. Das Lawinenunglück in Galtür.

Die Zeitung war vom 27.02.1999.

Vier Tage vorher waren in einem Tiroler Bergdorf einunddreißig Menschen gestorben. Schneemassen hatten alles unter sich begraben, Häuser wurden zerstört, Familien auseinandergerissen, das Urlaubsparadies war über Nacht zum Inferno geworden. Überall nur Zerstörung und Schmerz. Die ganze Welt hatte damals darüber berichtet.

Reporter, Kameraleute und Fotografen.

Und Kurt war einer von ihnen.

Mit den ersten Journalisten war er ins Tal geflogen. Wie die Geier waren sie über das Dorf hergefallen, hatten gefilmt, Fotos gemacht, die Angehörigen der Toten vor die Linse gezerrt.

Kurt zitterte.

Der Blick auf die Zeitung katapultierte ihn zurück.

Damals war er ein erfolgreicher Pressefotograf gewesen.

Jetzt war er kaputt. Betäubte sich mit Alkohol. Gierte danach.

Er ging in die Küche.

Öffnete Vorratsschränke, suchte nach Schnaps.

Aber da war keiner.

Nur Frauenkleider, die am Boden lagen.

Ein Rock.

Eine Bluse.

Unterwäsche.

Fallen gelassen vor einundzwanzig Jahren und fünf Tagen.

Niemand hatte die Kleider aufgehoben. Keiner hatte den Tisch abgeräumt. Tassen und Teller abgespült. Unheimlich war es. Am liebsten wäre er davongelaufen, doch er blieb. Er hasste sich dafür, dass er sich auf all das eingelassen hatte. Hektisch riss er die restlichen Schränke auf, suchte weiter nach Schnaps, doch da waren nur abgelaufene Lebensmittel.

Nudeln. Thunfisch. Cornflakes.

Nüsse. Haltbar bis 12/1999.

Das kann doch alles nicht sein, flüsterte er.

Bis zum Schluss wollte er es nicht wahrhaben.

Es nicht sehen. Dass vermutlich außer ihm noch jemand in der Wohnung war.

Ganz in seiner Nähe.

Kurt betrat das Schlafzimmer.

Er setzte einen Schritt vor den anderen.

Ging auf das Bett zu.

Er sah die vielen braunen Flecken auf den Laken.

Blut.

Ein Massaker musste es gewesen sein.

Kurt starrte den Körper an. Die ledrig braune Haut, die hervorstehenden Knochen. Für einen Moment vergaß er den Alkohol, er stand da, über der Leiche, und würgte. Zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde wurde er in seine Vergangenheit zurückgeworfen. Es war so, als würde ihn das Schicksal mit Gewalt daran erinnern wollen, dass er früher ein besseres Leben geführt hatte.

Da waren glückliche Tage, die Fotografie, ein gefülltes Bankkonto, der Journalismus, für den er einmal brannte. Alles war wieder da. Denn der Anblick war ihm vertraut.

Anfang der neunziger Jahre in den Ötztaler Alpen.

Ein deutsches Ehepaar war beim Wandern über die Mumie gestolpert. Kurt war einer der Ersten, der von dem über fünftausend Jahre alten Körper Bilder machte. Ötzi. Die wohl bekannteste Leiche aller Zeiten. Kurt war hautnah dabei, verdiente ein Vermögen damit, seine Aufnahmen gingen um die ganze Welt.

Die Mumie von damals war gut für ihn.

Die Mumie, die jetzt vor ihm lag, war es nicht.

Sie hatte keinen Kopf mehr.

Jemand hatte ihn abgeschnitten.

Kurt verfluchte sich. Diese Nummer war eindeutig zu groß für ihn. Man würde zuerst die Wohnung auseinandernehmen und dann ihn, man würde ihn wegen Einbruchs belangen, ihm endlos Fragen stellen und ihn am Ende auf die Anklagebank zerren.

Kein Schnaps mehr, Gefängnis vielleicht.

Damit hatte er nicht gerechnet. Er geriet in Panik. Verzweifelt versuchte er ein paar klare Gedanken zu fassen.

Da waren nur Fragen.

Keine Antworten.

Wer war diese Frau?

Was war mit ihr passiert?

Warum war ihr Körper nicht verwest?

Warum hatte niemand sie vermisst?

Warum hatte sie in all den Jahren niemand gefunden?

Wer schneidet jemandem einfach den Kopf ab?

Wie war das alles nur möglich?

Kurt erinnerte sich daran, wie gut er einmal darin gewesen war, Schlüsse zu ziehen, den richtigen Antworten hinterherzujagen. Jetzt aber war er nur noch ein versoffener alter Sack. Träge und leer, er hatte keine Energie mehr, der Wunsch zu trinken war stärker als alles andere. Er stahl, log und betrog, wenn es nötig war, er hatte jedes Gespür für sich und die Welt...

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Autor

Bernhard Aichner (1972) lebt als Schriftsteller und Fotograf in Innsbruck. Er schreibt Romane, Hörspiele und Theaterstücke. Für seine Arbeit wurde er mit mehreren Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet, zuletzt mit dem Burgdorfer Krimipreis 2014, dem Crime Cologne Award 2015 und dem Friedrich Glauser Preis 2017.
Die Thriller seiner "Totenfrau"-Trilogie standen monatelang an der Spitze der Bestsellerlisten. Die Romane wurden in 16 Länder verkauft, u.a. auch nach USA und England. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt, u.a. seine Totenfrau-Trilogie für Netflix/ORF.
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