Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Zeit der Schuld

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am24.05.2021
Als Anwalt kämpft Guido Guerrieri für das Recht der Unschuldigen. Doch in diesem Fall geht es um weit mehr als Gerechtigkeit ...
In ihrer Jugend war Lorenza der Schwarm aller Männer: schön, klug und weltgewandt. Doch als sie dem italienischen Anwalt Guido Guerrieri eines späten Nachmittags in seinem Büro in Bari gegenübersteht, hat sie nichts mehr von der einst so faszinierenden Frau. Trotzdem ist er sofort bereit, Lorenzas Sohn Jacopo vor Gericht zu vertreten, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt. Doch die Beweislage ist erdrückend, und bald muss sich Guerrieri fragen, ob sein nostalgisches Gefühl für seine Vergangenheit mit Lorenza nicht nur seine Urteilskraft beeinträchtigt, sondern auch seinen Ruf als Anwalt zerstören wird ...

Gianrico Carofiglio wurde 1961 in Bari, Italien geboren und arbeitete in seiner Heimatstadt viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. 2007 war er als Berater des italienischen Parlaments für den Bereich organisierte Kriminalität tätig. Von 2008 bis 2013 war Gianrico Carofiglio Mitglied des italienischen Senats. Berühmt gemacht haben ihn vor allem seine Romane um den Anwalt Guido Guerrieri. Carofiglios Bücher feierten sensationelle Erfolge, wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen literarischen Preisen geehrt, u.a. mit dem Radio Bremen Krimipreis 2008. Er lebt mit seiner Familie in Bari.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextAls Anwalt kämpft Guido Guerrieri für das Recht der Unschuldigen. Doch in diesem Fall geht es um weit mehr als Gerechtigkeit ...
In ihrer Jugend war Lorenza der Schwarm aller Männer: schön, klug und weltgewandt. Doch als sie dem italienischen Anwalt Guido Guerrieri eines späten Nachmittags in seinem Büro in Bari gegenübersteht, hat sie nichts mehr von der einst so faszinierenden Frau. Trotzdem ist er sofort bereit, Lorenzas Sohn Jacopo vor Gericht zu vertreten, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt. Doch die Beweislage ist erdrückend, und bald muss sich Guerrieri fragen, ob sein nostalgisches Gefühl für seine Vergangenheit mit Lorenza nicht nur seine Urteilskraft beeinträchtigt, sondern auch seinen Ruf als Anwalt zerstören wird ...

Gianrico Carofiglio wurde 1961 in Bari, Italien geboren und arbeitete in seiner Heimatstadt viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. 2007 war er als Berater des italienischen Parlaments für den Bereich organisierte Kriminalität tätig. Von 2008 bis 2013 war Gianrico Carofiglio Mitglied des italienischen Senats. Berühmt gemacht haben ihn vor allem seine Romane um den Anwalt Guido Guerrieri. Carofiglios Bücher feierten sensationelle Erfolge, wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen literarischen Preisen geehrt, u.a. mit dem Radio Bremen Krimipreis 2008. Er lebt mit seiner Familie in Bari.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641274788
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum24.05.2021
Reihen-Nr.6
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1692 Kbytes
Artikel-Nr.5425235
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1.

»Was haben wir heute, Pasquale?«, fragte ich, als ich die Kanzlei betrat, und dachte einmal mehr, wie satt ich dieses Ritual hatte.

»Mal sehen ... Signora Colella sollte endlich vorbeikommen und ihre Rechnung bezahlen. Dann ist da der Sachverständige im Moretti-Prozess, die Sache mit der Parzellierung. Er will die Unterlagen abholen und fragt, ob er dann gleich fünf Minuten mit Ihnen reden könnte. Und um sieben eine neue Klientin.«

»Wer denn?«

Mit der üblichen, fast ein wenig feierlichen Gebärde blätterte Pasquale durch seinen unvermeidlichen Spiralblock. Wir alle haben etwas an uns, das typisch für uns ist oder das wir, sofern es uns bewusst ist, als für uns typisch empfinden. Bei Pasquale ist es der Notizblock. Er kauft sich die Blöcke selbst, ohne sie als Büromaterial über die Kanzlei abzurechnen, und nimmt immer den gleichen: ein altmodisches Modell mit rauem schwarzem Deckel und mattroter Schnittkante, wie es schon mein Großvater benutzt hatte und wie man es heute nur noch nur noch in einem rührend angestaubten Schreibwarenladen im Viertel Libertà erhielt.

»Sie heißt Delle Foglie. Hat gestern Nachmittag angerufen und um den nächstmöglichen Termin gebeten. Sie meinte, es sei dringend und betreffe ihren Sohn.«

»Delle Foglie und weiter?«

»Inwiefern, Avvocato?«

»Hat sie nur ihren Nachnamen genannt?«

»Ja, nur den Nachnamen.«

Vor etlichen Jahren - es waren so viele, dass ich sie gar nicht zählen mochte - hatte ich über ein paar Monate hinweg ein Mädchen dieses Namens gekannt. In meiner Erinnerung kam es mir wie eine Ewigkeit vor, und ich hatte lange nicht mehr an sie gedacht. Während ich Pasquale wie von fern reden hörte, durchzogen diffuse und unwirkliche Bilder meinen Kopf; fast so, als beträfen sie gar nicht mich und kämen mir nur deshalb bekannt vor, weil jemand mir von ihnen erzählt hatte.

»Sie kommt um neunzehn Uhr. Aber wenn Sie anderweitig verpflichtet sind«, schob Pasquale nach, als hätte er mir angesehen, dass etwas nicht stimmte, »kann ich sie anrufen.«

»Nein, nein. Neunzehn Uhr ist wunderbar.«

Pasquale kehrte auf seinen Platz im Vorzimmer zurück. Ein paar Minuten lang dachte ich über diese neue Mandantin nach und kam zu dem Schluss, dass es nicht die Delle Foglie von damals sein konnte. Wie auch, überlegte ich lapidar und setzte schließlich einen Haken dahinter.

Eigentlich hätte ich mir die Verhandlungsakten des nächsten Tages vornehmen sollen, verspürte dazu aber nicht die geringste Lust. Das war nichts Neues: Seit ein paar Jahren verursachten mir Prozessunterlagen eine schleichende, jedoch stetig wachsende Übelkeit.

Irgendjemand hat einmal geschrieben, man sollte es verstehen, jung zu sterben. Damit war natürlich nicht der wahrhaftige Tod gemeint, vielmehr ging die Empfehlung dahin, vom üblichen Geschehen abzulassen, sobald Lust und Kraft nachließen oder ein Talent - sofern man jemals eines besessen hatte - schlichtweg ausgereizt war. Alles Weitere sei Wiederholung. Man sollte es verstehen, jung zu sterben, um letztendlich am Leben zu bleiben. Doch wem gelang das schon? Bereits des Öfteren war mir der Gedanke gekommen, dass ich dank des Geldes, das ich verdient und nur zu Bruchteilen ausgegeben hatte, die Kanzlei aufgeben und etwas Neues anfangen könnte. Reisen, Studieren, Lesen. Mich endlich ans Schreiben wagen vielleicht. Im Grunde war es gleichgültig. Hauptsache, es riss mich aus dem Klammergriff der ewig gleich verstreichenden Zeit, die im täglichen Einerlei fast zum Stillstand kommt und doch im Nu verfliegt.

Es heißt, mit dem Alter vergeht die Zeit schneller.

Das war kein neuer Gedanke, doch an jenem Tag ging er mir unangenehm oft im Kopf herum.

Am Morgen hatte ich im Berufungsgericht einen befreundeten Kollegen getroffen. Enrico Garibaldi, Fachanwalt für Zivilrecht, »nicht mit dem General verwandt« - so hatte er sich als Junge gern vorgestellt.

Ein netter Kerl, mit dem man Spaß haben konnte. Obendrein ein anständiger Mensch und fähiger Anwalt. Hin und wieder unternahmen wir etwas zusammen.

»Alles in Ordnung, Enrico?«, hatte ich gefragt und ihm lächelnd die Hand gedrückt. Das war keine richtige Frage. Man sagt das so: Alles in Ordnung? Ja, alles in Ordnung, und bei dir? Alles in Ordnung, wir müssen uns mal wieder treffen. Klar, lass uns demnächst mal abends treffen, ciao, ciao, bis dann.

»Ehrlich gesagt, nicht wirklich«, hatte er diesmal geantwortet und nach einer kurzen Pause, in der ich weder nachhaken noch mich seiner Antwort mimisch oder stimmlich anpassen konnte, hinzugefügt: »Vor zwei Tagen ist meine Mutter gestorben.« Für einen Augenblick blieb mir die Luft weg wie nach einem Fausthieb in die Magengrube.

»O Gott, entschuldige, Enrico, das wusste ich nicht. Das tut mir wahnsinnig leid, verzeih ...«

»Schon gut, Guido. Konntest du ja nicht ahnen. Und ich schäme mich zwar, es zu sagen, aber es ist eine Befreiung. Ein Jahr Krankheit hatte uns sämtliche Würde genommen, ihr ebenso wie uns.«

Er verstummte. Seine Augen wurden feucht. Ich sagte nichts, auch weil ich nicht wusste, was. Nach einem kurzen Zaudern gab er sich einen Ruck. Möglicherweise hatte er nur darauf gewartet, mich zu treffen - vielleicht nicht ausgerechnet mich, sondern irgendjemanden und mich hatte es eben getroffen -, um sich das Herz ein wenig zu erleichtern.

»Weißt du«, fuhr er fort, »dass die Würde flöten geht, bemerkt man an der eigenen Gereiztheit, den brüsken Gesten, mit denen man einem Menschen begegnet, den Alter und Krankheit bereits erniedrigt haben. Einem Menschen, der nicht begreifen kann, warum seine Kinder so grob mit ihm umspringen.« Im versagte die Stimme. »Ach, Scheiße«, brachte er noch heraus, dann begannen seine Lippen zu zittern, und er fing an zu weinen. Ich unterdrückte den Impuls, mich umzusehen, ob uns womöglich jemand beobachtete und sich fragte, was los war. Zeit meines Lebens schlug ich mich mit dem Gedanken herum, was andere wohl denken mochten.

»Sollen wir einen Kaffee trinken gehen?« Verdutzt blickte er mich an. Dann zog er die Nase hoch und nickte mit einem dankbaren Schimmer in den Augen. Wir verließen das Gericht, und er begann zu erzählen.

»Weißt du, was das Schlimmste war, Guido? Ehe sie gestorben ist, hat sie zehn Tage lang nicht geschlafen. Als ihr klar wurde, dass sie im Sterben lag. Achtundachtzig Jahre, aber wie jeder hatte sie Angst vor dem Tod. So erklärte es uns die Psychologin, die uns begleitet hat, meinen Bruder und mich. Meine Mutter hatte Angst, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Darum hat sie kein Auge zugetan. Ich komme einfach nicht darüber hinweg, es macht mich fertig. Ich war immer der Überzeugung, in so einem Alter hätte man sich mit dem Tod abgefunden.«

»Vielleicht findet man sich nie damit ab ...«

»Nein, man findet sich nie damit ab.«

»Es gibt diesen Satz von Marcello Mastroianni ... er hat ihn in einem Interview gesagt, als er schon alt war. Er lautet ungefähr so: Ich esse gern mit meinen Freunden zu Abend. Warum muss ich also sterben? «

Enrico lächelte mit einem zustimmenden Nicken. Der Satz klang bitter, doch vielleicht hatte er für ihn etwas Tröstliches.

Wir setzten uns in ein Café unweit des Gerichts. Ein ziemlich hässliches Lokal, in dem sich genau deshalb fast immer ein freies, ruhiges Tischchen fand.

»Guido, ist dir schon mal aufgefallen, dass das Leben mit dem Alter immer schneller zu werden scheint?«

»Das fällt mir fast jeden Tag auf.«

»Ehe sich ihr Zustand verschlechterte, sagte Mama das oft: Ich denke wie ein junges Mädchen und habe den Körper einer Greisin. Wieso?«

Ich musste an meine Eltern denken. Sie waren recht jung gestorben, mit kurz vor sechzig, wenige Monate nacheinander. Fast wie in der Sage von Philemon und Baucis, die meine Mutter geliebt hatte. Ich hatte es versäumt, wirklich mit ihnen zu reden, und wusste kaum etwas über meinen Vater und meine Mutter. Ich hatte nie erfahren, ob es jemand anderen in ihrem Leben gegeben hatte, ehe sie einander begegnet waren, sich verlobten und geheiratet hatten. Eine verzweifelte, tragisch geendete Liebe; zahlreiche kurze Beziehungen; irgendetwas anderes. Als ich klein war, hatte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass mein Vater eine andere Frau als meine Mutter berührt haben könnte; und noch unvorstellbarer war es, dass meine Mutter einen anderen Mann als meinen Vater berührt hatte. Bei gewissen Themen waren beide äußerst verklemmt. Als ich acht Jahre alt war und von Sex und Fortpflanzung keine Ahnung hatte, hielt mein Vater mir einen Vortrag. Ich hatte irgendetwas über Eier wissen wollen. Warum es Eier gab, die man essen konnte - und ich aß sie besonders gern -, und...

mehr

Autor

Gianrico Carofiglio wurde 1961 in Bari, Italien geboren und arbeitete in seiner Heimatstadt viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. 2007 war er als Berater des italienischen Parlaments für den Bereich organisierte Kriminalität tätig. Von 2008 bis 2013 war Gianrico Carofiglio Mitglied des italienischen Senats. Berühmt gemacht haben ihn vor allem seine Romane um den Anwalt Guido Guerrieri. Carofiglios Bücher feierten sensationelle Erfolge, wurden bisher in 27 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen literarischen Preisen geehrt, u.a. mit dem Radio Bremen Krimipreis 2008. Er lebt mit seiner Familie in Bari.