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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am15.04.20211. Auflage
»Grünberg ist auf dem Gipfel seines Könnens.« NRC Handelsblad. Der fünfzehnte Roman des niederländischen Bestsellerautors Arnon Grünberg wird von Kritik und Publikum als Höhepunkt seines schon vielfach preisgekrönten Werkes gefeiert. Ein schockierender und humorvoller Roman über einen »unmenschlich guten« Psychiater. Wegen einer fehlgelaufenen Liebesgeschichte und falschen Anschuldigungen verliert Otto Kadoke seine Approbation als Psychiater in Amsterdam. Vor dem Nichts stehend, beschließt er, die Einladung seiner Verwandten Anat, einer fanatischen Zionistin, ins Westjordanland anzunehmen. Als der überzeugte Atheist und Anti-Zionist dort ankommt, muss er sich der Etikette halber zunächst als Anats Verlobter ausgeben, verliebt sich aber schließlich ernsthaft in sie. Sie willigt jedoch nur ein, ihn zu heiraten, wenn die beiden eine gottgefällige Ehe - das heißt mit vielen Kindern - führen, um das Heilige Land zu bevölkern und den Holocaust wettzumachen. Auf Kadoke warten viele Prüfungen. Ein Roman mit fast wahnwitzigen Wendungen und urkomischen Szenen, der zeigt, wie sehr die Vergangenheit unser Verhalten bestimmt. Die tragischkomische Liebesgeschichte des Antihelden Kadoke verwebt schonungslose Gesellschaftskritik, historische Analyse und die Untersuchung tiefmenschlicher, existenzieller Fragen. Ein Buch, das in den Niederlanden Begeisterungsstürme auslöste und auch in Deutschland seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York, Amsterdam und Berlin. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, 2002 erhielt er den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurt Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

Klappentext»Grünberg ist auf dem Gipfel seines Könnens.« NRC Handelsblad. Der fünfzehnte Roman des niederländischen Bestsellerautors Arnon Grünberg wird von Kritik und Publikum als Höhepunkt seines schon vielfach preisgekrönten Werkes gefeiert. Ein schockierender und humorvoller Roman über einen »unmenschlich guten« Psychiater. Wegen einer fehlgelaufenen Liebesgeschichte und falschen Anschuldigungen verliert Otto Kadoke seine Approbation als Psychiater in Amsterdam. Vor dem Nichts stehend, beschließt er, die Einladung seiner Verwandten Anat, einer fanatischen Zionistin, ins Westjordanland anzunehmen. Als der überzeugte Atheist und Anti-Zionist dort ankommt, muss er sich der Etikette halber zunächst als Anats Verlobter ausgeben, verliebt sich aber schließlich ernsthaft in sie. Sie willigt jedoch nur ein, ihn zu heiraten, wenn die beiden eine gottgefällige Ehe - das heißt mit vielen Kindern - führen, um das Heilige Land zu bevölkern und den Holocaust wettzumachen. Auf Kadoke warten viele Prüfungen. Ein Roman mit fast wahnwitzigen Wendungen und urkomischen Szenen, der zeigt, wie sehr die Vergangenheit unser Verhalten bestimmt. Die tragischkomische Liebesgeschichte des Antihelden Kadoke verwebt schonungslose Gesellschaftskritik, historische Analyse und die Untersuchung tiefmenschlicher, existenzieller Fragen. Ein Buch, das in den Niederlanden Begeisterungsstürme auslöste und auch in Deutschland seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York, Amsterdam und Berlin. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, 2002 erhielt er den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurt Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462302714
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum15.04.2021
Auflage1. Auflage
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2262 Kbytes
Artikel-Nr.5425740
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis 8

Wenn es in den nächsten Tagen zu unüblicher Zeit an der Tür klingelt, fürchtet Kadoke immer, es könnte Michette sein, doch meist ist es einfach ein Hausierer oder ein Bote mit einem Päckchen für die Nachbarn. Oder hofft er insgeheim doch, sie könnte vor der Tür stehen? Sehnt er sich nach ihrer unberechenbaren Anwesenheit? Einmal war sie noch hier, an einem Vormittag, zum Glück allein, und für ihre Verhältnisse relativ ausgeglichen, sie sagte, sie wolle sich entschuldigen, dass sie Mutter so plötzlich im Stich gelassen hat. Sie hatte eine Schachtel Pralinen dabei, die Kadoke annahm. Er sagte: »Mutter ist wieder Vater geworden. Er hat noch einmal eine radikale Entscheidung getroffen, könnte man sagen. Im Beisein von diesem Mann wollte ich dir das nicht erzählen.«

Kadoke sah Tränen in ihren Augen. »Mutter fehlt mir«, sagte Michette und nahm seine Hand.

So blieben sie einen Moment stehen, etwas in ihm hatte mehr sagen, aus dem Psychiater-Tonfall ausbrechen wollen, der ihn vor einem weiteren Fehltritt bewahren sollte.

Doch um die professionelle Distanz zu wahren, schon in Michettes Interesse, sagte er nicht, was er noch sagen wollte. Er wusste, wer sie war, dass, wer die Versuchung der Selbstzerstörung kennengelernt hat, vor dieser Gefahr nie mehr völlig gefeit ist. Darum hatte er seine Hand losgerissen und erwidert: »Du hast dich entschlossen, die Therapie abzubrechen, weil du sie nicht mehr bräuchtest. Du musst diesem Entschluss eine Chance geben. Du wirst Vater bestimmt noch mal sehen, aber jetzt ist nicht der richtige Moment.«

»Ich hab immer gedacht«, entgegnete sie, »betreutes Wohnen wäre für mich das Höchste, was ich im Leben erreichen könnte, aber seit ich den Schriftsteller kenne, glaube ich, es ist mehr für mich drin. Ich hab die Gitarre bei meinen Eltern abgeholt. Manchmal mache ich den halben Tag nur Musik.«

»Die Gitarre tut dir gut«, antwortete Kadoke, und mit diesen Worten beendete er das Gespräch.

 

An einem späten Sonntagabend klingelt es zweimal Sturm. Kadoke eilt zur Haustür mit der festen Absicht, jetzt endlich Grenzen zu setzen. Er wird sagen, nun sei es aber genug. Genug für heute. Es ist spät, beinah zehn Uhr, Vater darf unter Michettes Anfällen nicht leiden. Außerdem ist er um Kontakt mit seiner ehemaligen Betreuerin nicht mehr verlegen. Sie hat die alternative Therapie selbst beendet, damit ist auch die Zuneigung futsch. Vater hat einen symbolischen Strich unter ihre Beziehung gezogen. Sich an jemanden binden und diese Bindung wieder durchtrennen, das geht bei ihm rasend schnell, auch wenn Kadoke das Michette noch nicht hat mitteilen wollen.

Um Vater ist es immer stiller geworden. Dabei war er kein einsamer Mann, in Kadokes Erinnerung jedenfalls nicht. Er schrieb massenhaft Leserbriefe an Zeitungen und Zeitschriften, die selten abgedruckt wurden, die zu schreiben ihm aber gefiel. In manchen Läden kannte er die Angestellten und hielt mit ihnen ab und zu ein Schwätzchen, das ihn für einen Moment mit dem Leben versöhnte. Er hatte einen Freund, mit dem er einmal pro Woche spazieren ging, bis sie sich von heute auf morgen zerstritten. Was genau vorgefallen war, wollte Vater nie sagen. Er hatte zu allem eine Meinung und redete viel, außer über sich, als fiele ihm ausgerechnet zu seinem eigenen Leben nichts ein.

Vor der Tür jedoch steht nicht Michette, sondern eine Frau mit rotblondem Haar, die ihn auf Englisch fragt, ob Familie Kadoke hier wohne. Sie trägt einen Rucksack.

Eine heimliche Enttäuschung, trotz allem. »Ja ...«, antwortet Kadoke argwöhnisch.

»Dann sind wir verwandt!«, sagt die Frau und breitet begeistert die Arme aus, doch Kadoke weicht erschrocken zurück.

Die Frau umarmt Luft, gerät aber nicht aus der Fassung. »Ich bin die Enkelin der Cousine deiner Mutter. Ich hab schon ein paarmal angerufen.«

»Mutter ist tot«, sagt Kadoke. »Tut mir leid.«

Vielleicht ist Mutters Tod schwerwiegend genug, diese Frau einsehen zu lassen, dass sie für Familienbesuch zu spät kommt und wieder gehen muss. Wie Vater ist Kadoke auf Besuch von Verwandten wenig erpicht, vor allem jetzt nicht. Der Familiensinn kommt zu spät, die Kadokes haben kein Bedürfnis mehr nach Familie. Kadoke ist der letzte Rest, und dabei soll es bleiben.

»Entschuldigung, dass ich so spät noch vorbeikomme«, sagt sie, »aber ich konnte es nicht finden, und ich wollte unbedingt sehen, wo meine Großmutter nach dem Krieg gewohnt hat. Und auch euch wollte ich sehen. Meine Familie. Du gehörst doch dazu?«, fragt sie, als sei sie plötzlich unsicher und Kadoke vielleicht doch nur der dürre Hausdiener.

»Ich weiß nicht so recht, was du meinst«, erklärt er, »ich dachte, wir hätten überhaupt keine Verwandten mehr. Mutters Cousine ist tot, haben wir irgendwann gehört ... Es ist natürlich nett, dass du mal vorbeischauen wolltest ...« Nett, was ist nett? Er möchte noch eine freundliche Floskel hinzufügen, aber sie unterbricht ihn.

»Die Kinder der Cousine deiner Mutter leben noch und auch ihre Enkel. Ich lebe noch. Ich bin eins dieser Enkelkinder. Ich heiße Anat.«

Anat spricht Englisch mit einem lustigen Akzent. Weil sie ihn nicht umarmen konnte, schüttelt sie ihm jetzt die Hand, und auch das tut sie mit einer für Kadoke befremdlichen Begeisterung. Er fragt sich, wie er dieses Gespräch höflich beenden kann, ohne die Frau ins Haus zu bitten und als Grobian rüberzukommen.

»Vater schläft schon«, erklärt er, »ich pflege ihn. Wir hatten nie viel Kontakt mit der Familie ...«

Er will sagen: Ihr habt euch nie um uns gekümmert, nicht um Mutter, als sie noch lebte, nicht um Vater, als er Mutter wurde, aber das tut er nicht. Die Höflichkeit ist sein Keuschheitsgürtel, obwohl er manchmal sehr gerne unkeusch wäre, insgeheim, für einen Abend. Stattdessen sagt er: »Wir hatten nie Familie, so fühlte es sich für uns jedenfalls an, und das war in Ordnung so, glaub mir. Wenn du morgen noch in Amsterdam bist und Vater sehen möchtest, ist das im Prinzip möglich, aber ich muss dich warnen: Es geht ihm nicht gut. Er ist alt und krank. Und im Grunde kein Blutsverwandter von dir, wenn es dir darum geht, er ist angeheiratet, Mutter war deine Verwandte, aber die ist tot, wie gesagt. Eine ganze Weile schon.«

»Du bist mein Blutsverwandter«, sagt sie. »Du.«

Sie geht an ihm vorbei und hängt ihre Jacke an die Garderobe, eine Jacke, die ihr etwas zu groß ist. Erst jetzt sieht er, dass sie schlanker und kleiner ist, als sie zuerst wirkte.

»Für die Toten komme ich zu spät, aber die Lebenden möchte ich gern kennenlernen. Meine überlebende Familie. Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie mal hier war, vor langer Zeit, du musst noch ein Kind gewesen sein, der Besuch hat sie sehr beeindruckt. Du warst auch mal bei ihr. Sie redet noch oft davon.«

Kadoke überlegt fieberhaft, wohin im Haus er die späte Besucherin führen könnte. Instinktiv geht er mit ihr in die Küche, dort sagt sie: »Ich war in England zu einem Kongress, ich bin Stochastikerin, mathematische Statistik und so, und bei der Gelegenheit wollte ich die Niederlande besuchen. Aber meine Airbnb-Unterkunft liegt in Alphen aan den Rijn. Ich dachte, das wäre ein Vorort von Amsterdam, auf der Website hatten sie den Eindruck erweckt.«

»Ein Vorort«, murmelt Kadoke, »nein, ein Vorort von Amsterdam ist Alphen aan den Rijn nicht.« Er ist erleichtert, dass Anats Unterkunft relativ weit von Amsterdam entfernt liegt.

»Hast du ein Glas Wasser für mich?«

Er reicht es ihr, sie trinkt schweigend, an die Anrichte gelehnt.

»Wie heißt du eigentlich?«

»Oscar, aber alle nennen mich Kadoke. Die Betonung liegt auf dem e wie in adé oder juchhe , nicht auf der vorletzten Silbe, Kadóke. Manche Leute sprechen es hartnäckig falsch aus. Unbelehrbar.«

Sie nickt, füllt ihr Glas selbst nach und trinkt gierig. Offenbar fühlt sie sich zu Hause.

»Wir haben so wenig Familie. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich euch gefunden habe. Ich bin nur noch ein paar Tage im Land. Dann fliege ich wieder nach Israel.«

»Eine große Familie kann auch ein Fluch sein«, sagt Kadoke. »Eine Last. Eine Verantwortung.«

Sie schaut ihn an, als habe er einen geschmacklosen Witz gemacht. Familie ist für sie offenbar nie eine Last.

»Vor ein paar Jahren habe ich mich scheiden lassen«, gesteht sie. »Mein Mann, nun ja, das ist ein lange Geschichte ... Danach hab ich ein Studium angefangen, ein ganz neues Leben. Ich musste ja, wohl oder übel. Ich weiß nicht, warum ich dir das alles erzähle, ich kenne dich nicht, aber du gehörst zur Familie. Meine Mutter kann sich noch gut an dich erinnern. - Hab ich schon gesagt, nicht? Dieser Besuch ist für mich so bewegend, mit so vielen Emotionen verbunden. Wie dieses ganze Europa ... Faschismus und Tod ...«

»Europa ist Europa«, sagt Kadoke. »Alle tun, als wäre Europa todkrank, aber irgendwie zieht es sich immer aus der Affäre, es rettet sich selbst. Europa ist schon todkrank seit seiner Entstehung.«

»Europa hat uns nicht gerettet.«

»Vielleicht meine ich das«, sagt Kadoke. »Europa rettet nicht jeden, aber auf jeden Fall sich selbst. - Ich muss morgen früh raus, nicht dass ich diese fesselnde Konversation beenden möchte ...«

»Was arbeitest du?«

»Ich bin Psychiater - Krisendienst.«

»Darf ich dich was fragen, Kadoke? - Sag ich es richtig? Kadoké ?«

»Perfekt.«

»Kadoke, darf ich dich was fragen? Kann ich hier übernachten? Die Unterkunft in Alphen ist so...
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Autor

Arnon Grünberg, geboren 1971 in Amsterdam, wohnt in New York, Amsterdam und Berlin. Seine Bücher wurden mit allen großen niederländischen Literaturpreisen ausgezeichnet, 2002 erhielt er den NRW-Literaturpreis für sein Gesamtwerk. Neben seinen literarischen Arbeiten schreibt Arnon Grünberg für internationale Zeitungen und Magazine. 2016 hielt er die Eröffnungsrede auf der Frankfurt Buchmesse zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flandern. Sein Werk erscheint in 27 Sprachen.Rainer Kersten, geboren 1964, übersetzt aus dem Niederländischen, u.a. Werke von Tom Lanoye, Dimitri Verhulst und Arnon Grünberg. 2016 wurde er mit dem Else-Otten-Übersetzerpreis ausgezeichnet.