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Nur die Tiere

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
286 Seiten
Deutsch
Lenos Verlagerschienen am31.03.2021
Évelyne Ducat verschwindet eines Tages spurlos, und das Städtchen im französischen Zentralmassiv rätselt. Es kursieren Gerüchte und Beobachtungen. Doch nicht alles wird der Polizei preisgegeben, denn hier in der abgeschiedenen Bergwelt hüten die Menschen ihre Geheimnisse. Die Sozialarbeiterin Alice hat ein Geheimnis mit ihrem Klienten Joseph, dem einsamen Schafzüchter. Und der verhält sich nach dem Verschwinden der Frau merkwürdig. Und in welcher Beziehung stand die Verschwundene zu der jungen Maribé, die eines Tages im Städtchen auftauchte und alle Blicke auf sich zog? Mit jedem Kapitel erhält eine andere Person das Wort, und ein neues Geheimnis, ein neuer Verdacht taucht auf, bis sich das Puzzle um Évelyne Ducats Verschwinden zusammenfügt. Colin Niels preisgekrönter Roman noir ist mehr als ein raffiniert konstruierter Krimi: Er gibt ebenso fesselnd Einblick in prekäre soziale Milieus und erzählt von der verzweifelten Suche nach Liebe.

Colin Niel, geboren 1976 in Clamart, ist eine der großen Stimmen des französischen Roman noir. Nach einem Studium der Evolutionsbiologie und Ökologie arbeitete er zunächst als Agrar- und Forstingenieur im Bereich Biodiversität, u.a. mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Mit einer vierteiligen guayanischen Serie, die vielfach ausgezeichnet wurde, gelang ihm der Durchbruch als Autor. 2017 erhielt er für 'Seules les bêtes' u.a. den Prix Landerneau Polar und den Prix Polar en séries. Der Roman wurde von Dominik Moll fürs Kino verfilmt. Heute lebt Colin Niel als Schriftsteller in Marseille.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextÉvelyne Ducat verschwindet eines Tages spurlos, und das Städtchen im französischen Zentralmassiv rätselt. Es kursieren Gerüchte und Beobachtungen. Doch nicht alles wird der Polizei preisgegeben, denn hier in der abgeschiedenen Bergwelt hüten die Menschen ihre Geheimnisse. Die Sozialarbeiterin Alice hat ein Geheimnis mit ihrem Klienten Joseph, dem einsamen Schafzüchter. Und der verhält sich nach dem Verschwinden der Frau merkwürdig. Und in welcher Beziehung stand die Verschwundene zu der jungen Maribé, die eines Tages im Städtchen auftauchte und alle Blicke auf sich zog? Mit jedem Kapitel erhält eine andere Person das Wort, und ein neues Geheimnis, ein neuer Verdacht taucht auf, bis sich das Puzzle um Évelyne Ducats Verschwinden zusammenfügt. Colin Niels preisgekrönter Roman noir ist mehr als ein raffiniert konstruierter Krimi: Er gibt ebenso fesselnd Einblick in prekäre soziale Milieus und erzählt von der verzweifelten Suche nach Liebe.

Colin Niel, geboren 1976 in Clamart, ist eine der großen Stimmen des französischen Roman noir. Nach einem Studium der Evolutionsbiologie und Ökologie arbeitete er zunächst als Agrar- und Forstingenieur im Bereich Biodiversität, u.a. mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Mit einer vierteiligen guayanischen Serie, die vielfach ausgezeichnet wurde, gelang ihm der Durchbruch als Autor. 2017 erhielt er für 'Seules les bêtes' u.a. den Prix Landerneau Polar und den Prix Polar en séries. Der Roman wurde von Dominik Moll fürs Kino verfilmt. Heute lebt Colin Niel als Schriftsteller in Marseille.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783857879890
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum31.03.2021
Seiten286 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3082 Kbytes
Artikel-Nr.5687726
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Die Leute wollen immer einen Anfang. Sie bilden sich ein, wenn eine Geschichte irgendwo anfängt, muss sie auch ein Ende haben. Dann ist das Unwetter vorbei, sie können in ihren Alltag zurück, noch mal davongekommen. Ist ja auch verständlich. Und irgendwie beruhigend. So was braucht man auch, denn das, was in dem Jahr passiert ist, hat so manchen verunsichert. Unten im Tal, auf den Wochenmärkten und an den Trödelständen, erzählen sie sich heute noch davon. Die Hälfte ist übrigens gesponnen, jeder hat was dazuerfunden, über Monate zurechtgebastelt. Würd ich auch so machen: Da hat man wenigstens was zu erzählen, jeder will irgendwas zu erzählen haben, sonst existiert man ja nicht. Das ist menschlich. So. Für die Leute ist der Anfang jedenfalls immer die Meldung im Fernsehen.

Der 19. Januar.

Der Tag, an dem Évelyne Ducat verschwunden ist.

Ich hab es am nächsten Morgen erfahren. Der Winter war nun wirklich da, Schnee bedeckte meinen Berg wie ein viel zu weisses Leintuch, und Wind fegte unablässig über die Hänge. Nachts heulte er um den Hof. An dem Morgen fuhr ich sehr vorsichtig, weil die Strassen ja trotz Schneeketten gefährlich waren, bei vollaufgedrehter Heizung, damit meine beschlagene Windschutzscheibe frei wurde. Ich schlich die Serpentinen zwischen den an den Hängen aufgetürmten Granitblöcken hinunter; als Kind hatte ich mir vorgestellt, dass sie bei einem gewaltigen Gewitter vom Himmel gefallen waren. In Gedanken war ich beim Vortag, deshalb achtete ich nicht auf die dunkelblauen Autos an der Landstrasse, genauso wenig wie auf die Polizisten, die mit Karten und Handys mit schlechtem Empfang hantierten. Normalerweise hätte ich herausfinden wollen, was los ist, wäre neugierig gewesen und hätte mir gesagt Ist nicht dein Bier. Aber diesmal bin ich einfach weitergefahren, in den Ort, und hab beim Marktplatz geparkt.

War nicht viel los, oben an der Fussgängerzone drei, vier Stände von Bauern, die sich irgendwie warm hielten. Ich traf ein paar alte Bekannte, Männer, die ich schon von klein auf kannte und nun älter werden sah; wir sagten uns kurz hallo, weil wir schliesslich wussten, wo wir herkamen, obwohl wir kaum noch was gemeinsam hatten. Dort, in der Kälte des Marktes, wurde mir klar, dass es kein normaler Tag war. Die Händler, die sich über Lammkoteletts und Maronenkonfitüre fröstelnd die Hände rieben, die in Parkas eingemummelten Kunden, alle hatten nur ein Thema. Die Gespräche stiegen als eisige Dampfwölkchen auf. Und natürlich war auch Éliane da, den Einkaufskorb voll Gemüse am Arm. Sie überfiel mich gleich, Sieht nicht gut aus, die finden sie doch nie. Dann kapierte sie, dass ich nicht wusste, wovon sie redete, und starrte mich an, als käm ich geradewegs aus dem Winterschlaf.

Also klärte sie mich auf, bei einer Tasse Kaffee im einzigen Bistro der Stadt, das zu dieser Jahreszeit aufhatte. Wir waren die Einzigen.

»Eine Frau wird vermisst. Die Polizei sucht nach ihr. Hast du gestern Abend keine Nachrichten geguckt?«

Nein, ich hatte nicht ferngesehen. Michel schon, die Lokalnachrichten und das Wetter. Klar, wie alle Viehzüchter der Gegend fragte er sich, was das Schicksal in den nächsten Tagen wohl bereithielt für ihn und die Tiere. Aber ich war so mit mir selbst beschäftigt gewesen, ich hatte gar nicht hingehört, was die erzählten.

»Sagt dir Évelyne Ducat was?«

»Ducat ⦠Die sind doch von hier, oder?«

»Ja. Und nicht gerade irgendwer.«

Die Vermisste war die Frau von einem hohen Tier, einer von hier, mit achtzehn ging er nach Paris, und als er im Ausland ein Vermögen gemacht hatte, kam er zurück ins Tal. Der ist halt reich, hatte ich in dem Moment gedacht, deshalb reden alle davon. Wenn einer meiner Bauern, die kurz vor dem Bankrott standen, verschwunden wäre, hätte das doch kaum Aufsehen erregt. Damit sollte man mir lieber gar nicht erst kommen, das konnte sonst Stunden dauern. So.

Der Geschäftsmann hatte seine Frau zuletzt in der gemeinsamen Villa gesehen, als sie nachmittags allein zum Wandern aufbrach. Eine kurze Tour, wie so oft, um dem Winter auf dem Plateau oder drüben am Berg zu trotzen, wo genau, hatte sie nicht gesagt. Und seitdem nichts mehr. Man hatte ihr Auto am Ortseingang gefunden, es stand einfach am Strassenrand.

Ein hübsches Gesprächsthema im eisigen Januar, wo alle auf das Frühjahr warteten. Jeder hatte eine Theorie. Ganz oben auf der Liste stand der Worst Case, und der schwemmte alte Erinnerungen nach oben.

Die tourmente.

Ja, manche sagten, die tourmente habe Évelyne Ducat erwischt, wie einst. Tourmente, so wird der Wintersturm genannt, der manchmal über die Gipfel tobt. Ein Sturm, der Unwetter und heftigen Schneefall mit sich bringt, hinter jedem Felsbrocken Verwehungen anhäuft und den sicheren Tod bedeutet, schlimmer als Wundbrand, wie es früher hiess. In den vierziger Jahren waren zwei Lehrerinnen auf diese Weise ums Leben gekommen, ich kenne die Geschichte, seit ich klein bin. Die beiden jungen Frauen waren zu Fuss in die nur zwei Kilometer von ihrem Dorf entfernte Schule aufgebrochen und hatten sich im Schneesturm verirrt. Man hatte sie aneinandergeschmiegt unter einem eisbedeckten Baum gefunden, erfroren. Unsere Grossväter hatten Glockentürme in den Dörfern gebaut, es wurde geläutet, um Verirrte zu leiten, wenn der Winter mit aller Härte zuschlug. Heute war das nur noch Folklore, ein Relikt aus jener Zeit, als alles ein bisschen schwerer war. Die tourmente brachte heutzutage keinen mehr um. Aber Éliane liess sich weiterhin jedes Jahr Angst einjagen.

Und das war jetzt natürlich ein gefundenes Fressen.

»Oder, was denkst du?«, holte sie mich aus meinen Gedanken.

Ich musterte sie, in ihrer Daunenjacke mit ihren rosigen Wangen, die sie jünger wirken liessen, als sie war. Sie wollte meine Meinung hören, wie immer. Aber diesmal gab ich keine Antwort.

»Du bist ja sehr gesprächig heute. Stimmt was nicht?«

»Nein, alles gut.«

Ich log natürlich. Wenn ich ehrlich war, hatte ich nur die Hälfte von dem mitbekommen, was sie mir da gerade in dem überheizten Café erzählt hatte. Sie rieb sich an der Meldung auf, die tagelang die Schlagzeilen beherrschen sollte, fragte sich, ob es wohl in den landesweiten Nachrichten käme. Aber es half nichts, ich konnte einfach kein Interesse aufbringen. Hätte ich mal machen sollen. Wenn ich früher begriffen hätte, wie sehr die Geschichte auch mich betraf, hätte ich vielleicht verhindern können, was sich da anbahnte. Aber ich war ganz woanders, irrte auf gewisse Weise selbst durch den Schneesturm. Also liess ich Éliane fertigerzählen, stellte der Form halber ein paar Fragen, dann ging ich und fror mir in der Kälte draussen wieder einen ab.

Ich hatte an dem Tag keine Hausbesuche, ging einkaufen und erledigte zwei, drei Sachen in der Stadt, nichts, wo ich allzu viel nachdenken musste. Und abends fuhr ich zurück auf die verschneiten Höhen meiner Berge. Hinauf zu den massiven Granithäusern, dem in den Felsen gehauenen Brunnen; dem Dorf, in dem ich aufgewachsen war, wahrscheinlich würde ich bis zu meinem Tod hier leben. Ich parkte am Hang, der graue Nebelfluss schlängelte sich durchs Tal und verschlang jedes noch so kleine Dorf. Zu Hause stellte ich seufzend alles ab, wenig später kochte ich in der Stille meiner Küche Kartoffeln und zwei Würste.

Michel kam kurz darauf, als das Abendessen fertig war. Ich stand mit dem Rücken zu ihm, hörte, wie er seinen Overall im Flur auszog und zum Duschen ins Bad tapste. Wortlos. Dann setzte er sich mit nassen Haaren an den grossen Holztisch, der den Raum teilte, von Fenster zu Fenster. Unter seinem Pullover guckte das T-Shirt der Jungen Landwirte hervor, das zog er immer an nach harten Tagen. Er schnitt ein Stück von der Wurst ab, kaute eine Weile. Und erst dann sagte er: »Na?«

»Ja«, antwortete ich, als wäre es ein ganz normaler Tag gewesen.

Ich redete, weil ich das am besten kann, erzählte, wo ich gewesen war, wen ich getroffen, was ich eingekauft hatte. Michel hob die Augenbrauen, das hiess Aha. Einen Augenblick lang musterte ich sein stumpfes Gesicht, die durchgehenden Brauen, von einer Schläfe zur anderen, seine Augen, deren Farbe ich noch nie hatte benennen können.

»Und bei dir? Wie war dein Tag?«

Er umklammerte das Messer mit der Faust, zuckte die Schultern. »Sie kalben.«

Sie kalben, das war s, mehr sagte er nicht. Nicht nötig, er wusste, dass ich Bescheid wusste. Weil ich den Beruf kannte, als wär ich selber Bäuerin, seit meiner Kindheit gab das den Takt vor. Kalben, das hiess, er schlief kaum, verbrachte die meiste Zeit im Stall und behielt die Kühe im Auge, reinigte die Krippen, schüttete Heu auf. Ab und zu fuhr er ins Tal, traf sich mit Kunden und regelte technische Probleme. Es war eine harte Zeit für ihn. Daher, nein, er...
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Autor

Colin Niel, geboren 1976 in Clamart, ist eine der großen Stimmen des französischen Roman noir. Nach einem Studium der Evolutionsbiologie und Ökologie arbeitete er zunächst als Agrar- und Forstingenieur im Bereich Biodiversität, u.a. mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Mit einer vierteiligen guayanischen Serie, die vielfach ausgezeichnet wurde, gelang ihm der Durchbruch als Autor. 2017 erhielt er für "Seules les bêtes" u.a. den Prix Landerneau Polar und den Prix Polar en séries. Der Roman wurde von Dominik Moll fürs Kino verfilmt. Heute lebt Colin Niel als Schriftsteller in Marseille.