Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Nacht, Tag und Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am28.07.20211. Auflage
Der Wissenschaftler Antoni erzählt einer Schweizer Journalistin seine Lebensgeschichte, schildert seine große Liebe zur schönen Widerstandskämpferin Justyna, die ihm in langen Jahren der Gefangenschaft kreuz und quer durch das Land nachreist. In einem zweiten Bogen werden die Geschehnisse aus anderer Sicht dargestellt, neue Gestalten tauchen auf, die alle auf ihre Weise zum Lauf der Dinge beitragen.

Andrzej Szczypiorski, geboren 1928 in Warschau, nahm 1944 am Aufstand dieser Stadt gegen die deutsche Besatzung teil, kam ins KZ, betätigte sich nach dem Krieg als Schriftsteller und Publizist und wurde Mitglied des Vorstandes des polnischen PEN-Clubs und des Schriftstellerverbandes. 1989 wurde er von Solidarnosc als Kandidat aufgestellt und vom Volk in den polnischen Senat gewählt. Er erhielt den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Szczypiorski starb 2000 in Warschau.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDer Wissenschaftler Antoni erzählt einer Schweizer Journalistin seine Lebensgeschichte, schildert seine große Liebe zur schönen Widerstandskämpferin Justyna, die ihm in langen Jahren der Gefangenschaft kreuz und quer durch das Land nachreist. In einem zweiten Bogen werden die Geschehnisse aus anderer Sicht dargestellt, neue Gestalten tauchen auf, die alle auf ihre Weise zum Lauf der Dinge beitragen.

Andrzej Szczypiorski, geboren 1928 in Warschau, nahm 1944 am Aufstand dieser Stadt gegen die deutsche Besatzung teil, kam ins KZ, betätigte sich nach dem Krieg als Schriftsteller und Publizist und wurde Mitglied des Vorstandes des polnischen PEN-Clubs und des Schriftstellerverbandes. 1989 wurde er von Solidarnosc als Kandidat aufgestellt und vom Volk in den polnischen Senat gewählt. Er erhielt den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Szczypiorski starb 2000 in Warschau.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257612240
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum28.07.2021
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse910 Kbytes
Artikel-Nr.5864251
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Zu Beginn unseres Gesprächs haben wir festgelegt, daß wir es nicht auf Band nehmen. Ihre Erklärung, es gebe keine Bandaufnahme, und alles, was in der schweizerischen Presse gedruckt wurde, sei Ihr eigener, auf Grund kurzer Notizen entstandener Text, halte ich nicht für überzeugend. Wäre ich zwanzig Jahre jünger und wären Sie - auch das muß ich hinzufügen - keine so bezaubernde Frau, würde ich ein derartiges Vorgehen weniger großmütig behandeln.

Was nun diesen Text betrifft, so ist er zwar hübsch geschrieben, enthält aber gewisse Ungenauigkeiten.

Ich habe geglaubt, Sie machten sich Notizen im Hinblick auf eine zum Teil wissenschaftliche Arbeit, hatten Sie sich doch auf Professor Bichl berufen. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen, wäre der Nutzen allerdings gering. Sie schreiben zum Beispiel, ich hätte meine erste Frau »im Feuer des Krieges« kennengelernt. So haben Sie geschrieben: »Im Feuer des Krieges«.

Das ist äußerst aufschlußreich.

Nie und nimmer wäre mir eine solche Metapher eingefallen. Sie klingt recht pathetisch, recht erhaben und soll wohl den Menschen adeln, er sei nämlich durchs Feuer gegangen, doch wenn ich schon unbedingt ein Bild für jene Zeit finden müßte, so würde ich lieber sagen: Nebel des Krieges, denn für mich war das ein Nebel, vielleicht eine Wolke, vielleicht die Dämmerung, aber nie das Feuer. Nehmen Sie sich übrigens diese Bemerkungen nicht zu Herzen, wir haben ja vereinbart, daß Ihr Artikel eine Ausnahme bleibt.

Eine andere Ungenauigkeit besteht darin, daß ich nach Ihren Worten meine Frau während des Rückzugs der Aufständischen aus der Altstadt in die Stadtmitte kennengelernt habe, das heißt während des Warschauer Aufstands, als wir gemeinsam auf der Barrikade kämpften. Stimmt, wir kämpften! Doch Justyna habe ich sehr viel früher kennengelernt, schon vor dem Kriege; sie war fast noch ein Kind, und ich dachte überhaupt nicht an Frauen, sondern eher an Indianer oder an Hochsee-Expeditionen. Natürlich, ich verstehe Ihre Idee. Es geht Ihnen um die Darstellung einer romantischen Liebe in diesem Feuer des Krieges, um eine Synthese des Polentums, möchte ich sagen. Vielleicht ist das so sinnlos nicht, vielleicht war es damals wirklich so, vielleicht habe ich es damals tatsächlich so empfunden. Wer weiß das schon? Heute holen wir die Wahrheit nicht mehr ein ...

Alles wirkt anders aus der Perspektive meines Alters. Die Barrikade zum Beispiel. Als Sie vor zwei Jahren mit Ihrer komischen japanischen Kamera, die alles von selbst fotografiert, man muß nur auf ein Knöpfchen drücken, in Warschau waren, wollten Sie sehr gern sehen, wo ich auf der Barrikade gekämpft habe. Erinnern Sie sich - die Mostowa-Straße? Dort haben Sie viel geknipst. Ich zweifelte damals, ob mein Gedächtnis in Ordnung sei. Wir gingen bergauf, von der Weichsel in Richtung Freta-Straße. Für mich war das sehr anstrengend, eine richtige Kletterei. Wenn ich seitdem an den Aufstand denke, sehr selten übrigens, nur ausnahmsweise, wie zum Beispiel jetzt, weil Sie mich dazu zwingen, dann erinnere ich mich an furchtbare Erschöpfung, an eine Überbelastung des Organismus, an Atemlosigkeit. 1944 kann es nicht so gewesen sein, damals war ich ein junger Mann, vermutlich lief ich ohne jede Anstrengung bergan, vielleicht sogar fröhlich. Aber heute weiß ich das nicht mehr mit Sicherheit, weil Sie mit Ihrer japanischen Kamera die Wochen des Aufstands geprägt haben.

Ich bitte Sie, die Häuser standen in Flammen. Nicht das Feuer des Krieges, sondern die Häuser im Feuer. Eine realistischere Bezeichnung, möchte ich sagen. Es war heiß. Ich habe keine Ahnung, weshalb ich um die Schultern eine Lammfelljacke trug oder eine warme Winterjoppe. Unerträgliche Hitze, ringsum stehen Häuser in Flammen, Bäume brennen wie Fackeln, das werde ich nie vergessen, die Bäume im Feuer, ihre Kronen in Flammen, so sieht wohl die Hölle aus, denn es gibt keine Teufel in der Hölle, dessen bin ich sicher, auch keine Menschen, es gibt nur eine Flamme, die reine, rot-gelb-grüne Flamme des Bösen. Furchtbare Hitze, die Luft glasig, von Beben erfüllt, brennende Blätter wirbeln herum, die brennenden Stämme prasseln, dazu ein seltsames Rauschen, mehr das eines Baches als eines Feuers, vollkommene Leere, ich allein auf der Straße, das klingt heute unglaubwürdig, so kann es nicht gewesen sein, ich versichere Ihnen, daß damals jemand bei mir war in diesen Flammen, doch in meiner Erinnerung bin ich ganz allein, es war mein erstes großes Sterben, so möchte ich das bezeichnen, aber notieren Sie das bitte nicht, es klingt zu pathetisch, und beim Sterben gibt es keinerlei Pathos, nur Einsamkeit.

Nein, damals war meine Frau nicht dabei, sie hatte sich schon mit einer anderen Gruppe zurückgezogen, wir verloren für längere Zeit jeden Kontakt, erst nach dem Aufstand traf ich sie wieder, in einer kleinen Provinzstadt, als die Front sich näherte. Winter, Januar 1945.

Sehr schade, keine japanische Kamera hat das festgehalten. Nein, nein, Sie müssen es nicht bedauern, denn was es heute dort zu sehen gibt, wirkt völlig banal.

Also, ein Haus im Garten am Stadtrand. Die Stadt nicht groß, polnische Provinz zu jener Zeit, ein paar Mietshäuser an der Hauptstraße, auf dem Marktplatz das Rathaus, aber nicht so, wie Sie es kennen, wir in Polen hatten nie Eure Städte, die Städte in der Schweiz sehen aus wie alte, lebendig gewordene Kupferstiche.

Der Rest, das waren Häuschen in kleinen Gärten, verschneite Obstbäume, manche gegen den Frost mit Stroh umwickelt, doch die Leute hatten andere Sorgen als ihre Gärten, seit einigen Jahren stürzte die Welt ein, davon habe ich Ihnen bereits etwas erzählt. Ich fand bei einem Eisenbahner Unterschlupf, einem guten Menschen, der mehrere Gestrandete aus Warschau bei sich aufgenommen hatte. Wir hungerten ein bißchen, erinnere ich mich. Eines Tages hörten wir ganz plötzlich gegen Abend Motorradgeräusche. Zunächst wollten wir uns verstecken oder fliehen. Doch gelang das nicht mehr, zudem waren die Menschen damals voller Resignation, sie fühlten sich sehr erschöpft, was geschehen sollte, mußte offenbar geschehen, sie nahmen Schicksalsschläge entgegen ohne die Auflehnung von früher, ohne sich zu sträuben. Das war eine Folge der Warschauer Niederlage, die uns zu Boden gedrückt hatte. Das Motorrad fuhr vor, es erschreckte uns, doch nichts Besonderes passierte. Wie sich zeigte, wollten drei deutsche Offiziere ein Zimmer als Nachtquartier requirieren.

Wir mußten uns in Küche und Kohlenkammer zusammendrängen, andere Räume gab es nicht bei dem Eisenbahner. Die Offiziere verhielten sich ziemlich zurückhaltend, immerhin wußten sie, daß der Krieg verloren war, sie befanden sich auf dem Rückzug, keiner von ihnen hegte die Hoffnung, sie könnten die Russen wieder nach Osten zurückwerfen.

Diese Deutschen hatten erschöpfte Gesichter. Zwei legten sich sofort schlafen, der dritte wachte. Er saß am Fenster und blickte hinaus in Nacht und Dunkelheit. Nach einer bestimmten Zeit lösten sie sich am Fenster ab. Ich war jung, ich brauchte nicht zu schlafen wie sie, blieb in der dunklen Küche wach bis zum Morgengrauen und schaute durch die halboffene Tür in das Zimmer. Ich hörte ihre Atemzüge, sah ihre Schatten an der Wand, ins Riesenhafte vergrößert und flackernd, weil die Flamme der Petroleumlampe zitterte und blakte. Der Wache haltende Offizier ging manchmal im Zimmer hin und her, dann ächzte der Fußboden unter seinem Gewicht, und meine Warschauer Kameraden im Unglück blickten sich, vom Lärm aufgestört, unsicher um, jemand murmelte einen Fluch, jemand stöhnte im Schlaf. Im Küchenherd glühte noch die heiße Asche.

Eine sehr seltsame, geheimnisvolle Nacht, solche Nächte gehen später in Märchen ein oder in Legenden. Stellen Sie sich bitte die Szenerie vor. Das einsame, kleine Haus im Garten, dunkle Nacht rundum, durch die bereiften Scheiben sieht man schneebedeckte Bäume, im Herd glüht der Rest des Feuers, im Zimmer nebenan flackert die Flamme der Petroleumlampe, man hört die Atemzüge von mehreren Menschen, Deutschen und Polen, getrennt durch die Schwelle der Stube, die Tür steht halb offen, die Feinde schlafen unter demselben Dach, so hat mein Gedächtnis das Kriegsende festgehalten oder vielmehr den Anfang vom Ende, wir nähern uns erst dem nächsten Morgen, erst am Morgen ging der Krieg zu Ende.

Vermutlich gegen sieben Uhr, vor dem Fenster begann es grau zu werden, vernahmen wir das erste Bellen der Maschinengewehre. Dann wuchs das Getöse von Minute zu Minute. Die deutschen Offiziere fuhren aus dem Schlaf, wir ebenfalls. Alle lauschen. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen denen in der Küche und denen im Zimmer, alle stehen wir an den Fenstern und blicken in die graue Dämmerung. Doch sieht man nichts, deshalb gehen wir vor das Haus, dort liegt der Schnee kniehoch, scharfer Frost. Jeder von uns schaut angestrengt in Richtung der nahen Wälder.

Vielleicht war ich der erste, vielleicht nicht, ich schrie plötzlich oder hörte einen Schrei. Sie kommen! Sie nähern sich! Ich erblickte sie. Noch sehr weit entfernt, ich bildete mir eher ein, sie zu sehen, so weit weg waren sie. Kleine Punkte vor dem Hintergrund der schwarzen Linie des Waldes.

Jemand neben mir hustete. Ich schaute hin. Es war einer der deutschen Offiziere. Er hustete und kehrte zurück in die Stube. Die beiden anderen hielten noch eine Weile Ausschau und gingen dann auch hinein.

Vollkommene Stille, nur das Knattern der Maschinengewehre in der Ferne. Sie kamen vom Wald her. Über die riesige, weiße Fläche der schneebedeckten Felder kamen sie in breiter Front, unzählige...
mehr

Autor

Andrzej Szczypiorski, geboren 1928 in Warschau, nahm 1944 am Aufstand dieser Stadt gegen die deutsche Besatzung teil, kam ins KZ, betätigte sich nach dem Krieg als Schriftsteller und Publizist und wurde Mitglied des Vorstandes des polnischen PEN-Clubs und des Schriftstellerverbandes. 1989 wurde er von Solidarnosc als Kandidat aufgestellt und vom Volk in den polnischen Senat gewählt. Er erhielt den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur und das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Szczypiorski starb 2000 in Warschau.