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Wenn die Sonne glüht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.12.2023
Eine Zeit voller Umbrüche und Veränderung - kann auch die Liebe endlich frei sein?
Klio kann ihr Glück kaum fassen, als sie 1978 die Zusage für die Stelle als Assistentin bei einem renommierten Fernsehsender in Hamburg bekommt. Endlich kann sie, wie ihre Vorgesetzte Anni Winter, über das berichten, was sich gerade in der Welt tut. Doch als Klio ihrem Idol gegenübersteht, ist Anni ganz anders als gedacht: arrogant, kalt, herablassend. Nur langsam legt sie diese Maske ab, vertraut sich Klio an, und die beiden Frauen überschreiten gemeinsam immer mehr Grenzen. Schon lange war Klio bewusst, dass sie lesbisch ist, doch erst mit Anni kann sie ganz sie selbst sein. Trotzdem muss ihre Liebe ein Geheimnis bleiben. Und dann ist da noch die Familienlegende, die Klio eine verbotene Liebe prophezeit, die kein gutes Ende finden wird. Klio und Anni müssen kämpfen. Für ihre Liebe. Und für eine bessere Zukunft.

Sophie Bichon, 1995 in Augsburg geboren, ist Aktivistin, manchmal Podcasterin, am allerliebsten aber Schriftstellerin. Sie spricht über Queerfeminismus, wann immer sich ihr die Gelegenheit bietet, und schreibt die Romane, die sie sich früher selbst gewünscht hätte. Nach ihrem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte verschlug es sie nach Hamburg, wo sie endlich den Mut fand, sich als non-binär zu outen. Seitdem lebt und arbeitet sie als Phibie. Wenn sie nicht gerade in die Tasten haut, dann tanzt sie sich irgendwo die Füße wund, trinkt Aperol mit Blick auf die Elbe oder ist auf der Suche nach einem neuen Tattoomotiv.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextEine Zeit voller Umbrüche und Veränderung - kann auch die Liebe endlich frei sein?
Klio kann ihr Glück kaum fassen, als sie 1978 die Zusage für die Stelle als Assistentin bei einem renommierten Fernsehsender in Hamburg bekommt. Endlich kann sie, wie ihre Vorgesetzte Anni Winter, über das berichten, was sich gerade in der Welt tut. Doch als Klio ihrem Idol gegenübersteht, ist Anni ganz anders als gedacht: arrogant, kalt, herablassend. Nur langsam legt sie diese Maske ab, vertraut sich Klio an, und die beiden Frauen überschreiten gemeinsam immer mehr Grenzen. Schon lange war Klio bewusst, dass sie lesbisch ist, doch erst mit Anni kann sie ganz sie selbst sein. Trotzdem muss ihre Liebe ein Geheimnis bleiben. Und dann ist da noch die Familienlegende, die Klio eine verbotene Liebe prophezeit, die kein gutes Ende finden wird. Klio und Anni müssen kämpfen. Für ihre Liebe. Und für eine bessere Zukunft.

Sophie Bichon, 1995 in Augsburg geboren, ist Aktivistin, manchmal Podcasterin, am allerliebsten aber Schriftstellerin. Sie spricht über Queerfeminismus, wann immer sich ihr die Gelegenheit bietet, und schreibt die Romane, die sie sich früher selbst gewünscht hätte. Nach ihrem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte verschlug es sie nach Hamburg, wo sie endlich den Mut fand, sich als non-binär zu outen. Seitdem lebt und arbeitet sie als Phibie. Wenn sie nicht gerade in die Tasten haut, dann tanzt sie sich irgendwo die Füße wund, trinkt Aperol mit Blick auf die Elbe oder ist auf der Suche nach einem neuen Tattoomotiv.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641276560
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.12.2023
Reihen-Nr.2
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4429 Kbytes
Artikel-Nr.9098783
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1   AUGEN IN DER DUNKELHEIT

Sie stand im Eingang des Lokals, um das ich nun schon die fünfte Nacht in Folge herumschlich. Rote Lippen und Dauerwelle in ähnlichem Feuerton. Die Zigarette elegant zwischen den Fingern und einen weißen Pelzmantel um den ausladenden Körper geschlungen. Oben ein Meer aus Fluffigkeit, unten nackte Beine und glänzende Plateaustiefel.

Meine Mutter hätte hinter vorgehaltener Hand gewispert, die Fremde sehe wie ein leichtes Mädchen aus, doch ich konnte in ihrem Auftreten und der selbstsicheren Pose nur Schönheit erkennen, nur Reizvolles. Unwillkürlich fragte ich mich, wie es sich wohl anfühlen mochte, mit einer Frau zu schlafen.

Mit jemandem wie ihr.

Mit ihr.

Nackte Haut und Körper an Körper.

Die Tür des Ladens schwang auf, woraufhin einige Besucherinnen hinaushuschten. Hinter dem Lachen und den von Alkohol geröteten Wangen bemerkte ich dieselben umsichtigen Blicke zu allen Seiten, die auch meine Schritte zur Madame stets begleiteten. Diesem Lokal, das sich wie so viele andere als Treffpunkt für besonders gute Freunde tarnte. Allein seine Existenz bewies, dass sich längst etwas in Aufruhr befand. Es hätte 1971 begonnen, mit Rosa von Praunheims Dokumentarfilm Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt, raunte man sich zu. Mit Wut und Frustration in Schwarz-Weiß, mit der unterschwelligen Botschaft, dass die Zeit des Versteckens endgültig vorüber war und wir es selbst in der Hand hatten.

Seitdem hatte ich jede mehr oder weniger verschlüsselte Zeitungsannonce intensiv studiert, jedes Flugblatt gesammelt und jeden Hinweis begierig aufgesogen, der von anderen frauenliebenden Frauen zeugte. Und von ersten Zusammenschlüssen, die zu so etwas wie einer Bewegung werden konnten. Alles lief unter der Hand und nur, wenn man jemanden kannte, der jemanden kannte.

Lange Zeit war das genug gewesen, aber nun wünschte ich mir mehr. Deshalb hatte es mich erst vom kleinen Niemstedt in den Hörsaal und jetzt hinaus in die echte Welt getrieben, nach Hamburg.

Ich wollte dorthin, wo Geschichten geschrieben, wo über das Zeitgeschehen berichtet wurde - so wie in der schwulen Zeitschrift Rosa, die vor zwei Jahren in der Hansestadt gegründet worden war. Ich wollte endlich anderen Lesbierinnen begegnen, frei sein und die Einsamkeit niederkämpfen, die mich auch unter Menschen stets befiel.

Unbemerkt war ich einen Schritt aus dem Schatten hinausgetreten. Voller Sehnsucht und kribbeliger Vorfreude, weil ich mich doch nur überwinden musste, nur mutig sein und das tun, weshalb ich vor wenigen Tagen nach Hamburg gezogen war. Weshalb ich seitdem immer wieder die Dunkelheit abwartete, um durch St. Georg zu schleichen.

Die Rothaarige hob den Kopf und blickte in meine Richtung. Ich war einen Atemzug zu langsam, ehe ich einen Satz nach hinten machte - und mit dem Rücken gegen eine Hausfassade stieß. Wie wild schlug mir das Herz gegen die Brust. Ob die Fremde meine widerstreitenden Gefühle gesehen hatte? Ob sie ahnte, dass ich mich am Ende immer nach Hause und in ein neues Buch flüchtete, statt endlich ich selbst zu sein? Auch heute würde ich es nicht mehr wagen, das wusste ich jetzt.

Vielleicht ja morgen.

Oder am Tag danach,

in einer anderen Frühlingsnacht.

Ich sollte gehen, bevor ich mir hier noch weiter die Beine in den Bauch stand. Oder die schöne Frau herüberkam und mich fragte, weshalb ich sie derart gruselig aus der Dunkelheit heraus beobachtete. Ich war alles andere als auf den Mund gefallen, aber was ich darauf erwidern sollte ... keine Ahnung.

Ich nahm den Weg zurück, den ich gekommen war. Und wieder schaute ich mich zu allen Seiten um, ob mich auch ja niemand sah.

Vereinzelt beleuchteten Laternen den Weg. Licht und Schatten wechselten sich ab, doch die Abstände schienen größer zu werden. Hinter schmutzigen Fensterscheiben vernahm ich vereinzelt Gelächter, jemand stöhnte laut auf - ob vor Lust oder Schmerz vermochte ich nicht zu sagen.

Ein Stück an der Alster entlang, deren Wasser tiefschwarz glänzte, dann zurück in die kleinen Häuserschluchten und über die Lange Reihe. Es war eine abschreckende wie faszinierende Atmosphäre, wenn die Drogen zum ersehnten Delirium führten und die Männer erschöpft waren von den Dingen, die sie sich erkauft hatten. Es war die Zeit, in der sogar St. Georg ein bisschen schlief, so kurz vor der ersten Dämmerung, wo Tag und Nacht unaufhaltsam aufeinandertrafen. Schon bald wurde es gespenstisch still. Der Nebel hing tief in den Gassen, nur meine Schritte hallten laut nach. Immer wieder sah ich auf meinem Weg das Plakat mit den Schwarz-Weiß-Bildern. Attentat in Karlsruhe, stand über den drei Gesichtern. Und mit jedem Mal wurde die Gänsehaut auf meinen Armen stärker.

Funk, Fernsehen und Zeitung - sie alle waren voll gewesen von der zunächst so harmlos wirkenden Szene eines Autos an der roten Ampel. Ein Motorrad hielt neben dem Wagen, und ehe das Licht auf Grün springen konnte, zog der Sozius eine Waffe und drückte mehrmals ab. Der Knall von Schüssen. Das Motorrad verschwand, und Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde von Passanten aus dem Auto gezogen. Er starb, genauso wie der Fahrer und seine Begleitung auf der Rückbank.

Sonnenberg. Klar. Folkerts.

Die Namen der mutmaßlichen Täter hatten sich tief in mein Gedächtnis gebrannt, weil der Mord, der Anschlag auf die Bundesrepublik, wie Bundeskanzler Schmidt es nannte, in aller Munde war. Die drei Männer wurden über die Grenzen hinweg gesucht, und immer lauter flüsterte man Rote Armee Fraktion. Innerhalb der letzten zwei Jahre war die Baader-Meinhof-Gruppe nach und nach gefangen genommen worden. Das Ende von Bomben, Terror und Tod. Als man Ulrike Meinhof vor einem Jahr erhängt in ihrer Zelle fand, hatte Mama die Zeitung beiseitegelegt und mich ernst angesehen: »Terrorismus hört nicht einfach so auf.«

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Ich bemerkte erst jetzt, dass ich stehen geblieben war, direkt vor dem Plakat an der Straßenlaterne. Die drei Männer blickten mich direkt an. Unnatürlich fest, Unheil verkündend. Schnell lief ich weiter, und es war, als würden ihre Blicke mir folgen.

Mein Herz schlug fester. Es jagte Blut durch meine Venen und sprach von Gefahr. Natürlich war ich mir darüber im Klaren, dass ich um diese Zeit nicht allein unterwegs sein sollte. Schon gar nicht in solch einer Gegend. Und trotzdem liebte ich die dunklen Stunden, weil sie Schutz für mein Denken und Fühlen boten. Paradox? Vielleicht.

Am Hansaplatz angekommen, atmete ich erleichtert aus. Ich hetzte vorbei an dem Etablissement, in dem Jungen ihre Dienste anboten, den Blick auf den Asphalt gerichtet. Sobald ich die Prostituierten an ihren gewohnten Plätzen stehen sah, wusste ich, dass ich gleich zu Hause war. Der opulente Brunnen in der Mitte warf lange Schatten über den Platz. Die Dunkelheit erschien mir jetzt noch schwärzer, und ich dachte an die Augen auf Papier. Es war Instinkt, ein Urinstinkt ganz tief in mir, der mich antrieb, größere Schritte zu gehen. Ich machte einen großen Bogen um die letzten Menschen, die nach Hause wankten, und huschte in die Rostocker Straße. Jeder Schritt länger als der vorherige. Mit bebenden Fingern umfasste ich den Schlüsselbund in meiner Manteltasche, wie ich es gelernt hatte - meinen Rettungsanker -, nur um ihn einen Wimpernschlag später wie aus weiter Ferne auf dem Asphalt aufkommen zu hören.

Die Welt zersplitterte in einzelne, endlose Sekunden.

Adrenalin flutete meinen Körper. Ich dachte an alles und nichts, spürte bloß die fremden Hände auf mir und einen metallischen Geschmack im Mund. Mit dem Rücken wurde ich grob gegen einen Körper gedrückt, Finger schoben sich über meinen Mund - und schon befand ich mich in einer Nebengasse, weit weg vom rettenden Licht. Wurde in die Dunkelheit geschoben, geschoben, geschoben.

Dunkelgoldenes Feuerhaar tauchte vor meinen Augen auf, die Friedlichkeit meiner Heimat fernab der Großstadt, die Jahre an der Universität und das Diplom, auf das ich hingearbeitet hatte. Alle Entscheidungen, die dazu geführt hatten, dass ich nun hier in Hamburg, in diesem Viertel, in diesem Moment war. Einst mein größter Traum, jetzt ein Nachtmahr.

Ich wollte schreien, doch ich konnte meine Lippen nicht bewegen, brachte sie einfach nicht auseinander. Panik flutete meine Sinne. Ich versuchte mich irgendwie aus dem Griff zu befreien, strampelte und schlug. Meine Brille rutschte ein Stück über die Nase.

»Halt still!«, erklang es dicht an meinem Ohr, schwer und alkoholgetränkt.

Mir gefror das Blut in den Adern. Grob zerrte der Mann an meinem Mantel, betastete das Kleid darunter und fixierte mich mit den Beinen so an der Wand, dass ich mich unmöglich rühren konnte.

Tränen schossen mir in die Augen.

Nein, nein, nein.

Das hier war real, es geschah wirklich. Licht und Schatten spielten mit mir, tanzten um mich herum, bis ich Oben und Unten nicht mehr klar benennen konnte. Alles bloß ein Strudel aus Empfindungen und Angst und Panik und dem Hämmern meines Herzens. Sein Takt begleitete diese eine Erinnerung, die in Wahrheit aus tausend gleichen Augenblicken bestand. Ein Kaleidoskop aus Sommerflirren und Blätterrauschen. Meine Hände waren mit denen meiner Schwestern, die linke mit Kalliopes, die rechte mit Eratos verschlungen. So rannten wir über die Wiesen hinter dem Haus, während die Sonne in unserem Rücken...

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Sophie Bichon, 1995 in Augsburg geboren, ist Aktivistin, manchmal Podcasterin, am allerliebsten aber Schriftstellerin. Sie spricht über Queerfeminismus, wann immer sich ihr die Gelegenheit bietet, und schreibt die Romane, die sie sich früher selbst gewünscht hätte. Nach ihrem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte verschlug es sie nach Hamburg, wo sie endlich den Mut fand, sich als non-binär zu outen. Seitdem lebt und arbeitet sie als Phibie. Wenn sie nicht gerade in die Tasten haut, dann tanzt sie sich irgendwo die Füße wund, trinkt Aperol mit Blick auf die Elbe oder ist auf der Suche nach einem neuen Tattoomotiv.