Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Struwwelpeter-Morde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
252 Seiten
Deutsch
neobookserschienen am23.06.2022
Ausgerechnet auf dem Christkindlesmarkt von Nürnberg verbreitet ein offensichtlich Geistesgestörter als Struwwelpeter verkleidet die Botschaft, zwei Menschen getötet zu haben. John G. Wattsen, der Leiter des Spielzeugmuseums, der von der Polizei als externer Berater hinzugezogen wird, hält das Ganze zunächst für einen üblen Streich. Doch es geschehen weitere Morde nach Vorbildern des alten Kinderbuches. Dahinter steckt eines der genialsten Verbrechen der Kriminalgeschichte - die Struwwelpeter-Morde.

1956 in Bayern geboren. Studium und Promotion in Kunstgeschichte. Tätigkeit am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, zuletzt Direktor zweier Museen in Norddeutschland.
mehr

Produkt

KlappentextAusgerechnet auf dem Christkindlesmarkt von Nürnberg verbreitet ein offensichtlich Geistesgestörter als Struwwelpeter verkleidet die Botschaft, zwei Menschen getötet zu haben. John G. Wattsen, der Leiter des Spielzeugmuseums, der von der Polizei als externer Berater hinzugezogen wird, hält das Ganze zunächst für einen üblen Streich. Doch es geschehen weitere Morde nach Vorbildern des alten Kinderbuches. Dahinter steckt eines der genialsten Verbrechen der Kriminalgeschichte - die Struwwelpeter-Morde.

1956 in Bayern geboren. Studium und Promotion in Kunstgeschichte. Tätigkeit am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, zuletzt Direktor zweier Museen in Norddeutschland.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783754194270
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.06.2022
Seiten252 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1364 Kbytes
Artikel-Nr.9637373
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 3







24. Dezember, Heiligabend




Eigentlich mag ich keine Weihnachtsmärkte. Man wird zum Kauf von blendendem aber letztlich wertlosem Tand verleitet, den man das ganze Jahr über nicht braucht (ja, nicht einmal an Weihnachten) oder man wird förmlich gezwungen, Dinge zu konsumieren, die man eigentlich aus verschiedensten Gründen lieber nicht essen sollte, schon gar nicht in dieser Menge und Kombination (beispielsweise Zuckerwatte/Steckerlfisch, vor allem in dieser Reihenfolge). Woran man sich aber nicht hält, mit der fadenscheinigen Begründung, es sei ja nur einmal im Jahr Weihnachten. Als ob es eine religiöse Verpflichtung zu Magenschmerzen an Festtagen gäbe. Allerdings konnte ich als großer Freund von Süßigkeiten an manchem Angebot einfach nicht vorübergehen - vor allem nicht an den gebrannten Mandeln, an denen meine Zahnärzte wahrscheinlich schon mehr verdient haben als die Standbetreiber während des gesamten Weihnachtsmarktes. Und wenn ich etwas Süßes gegessen hatte, musste ich unbedingt etwas Pikantes nachessen (ich nenne es kontern ) und umgekehrt, was eine teuflische Spirale in Gang setzte. Je höherrangig das Eine umso gehaltvoller musste das Andere sein, beispielsweise musste ein gebackener Karpfen unbedingt mit Nougat gekontert werden - einfache Schokolade reichte höchstens für einen blauen.




Seit ich von Markt Essing nach Nürnberg gezogen war, gehörte der Christkindlmarkt - oder besser Christkindlesmarkt , wie man hier sagt - aber auch zu meinem Pflichtprogramm, vor allem heute, am Heiligabend, dem letzten Tag, an dem er geöffnet war.




Markt Essing. Wieder überrollte mich, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, eine wahre Woge von Gefühlen, positive wie negative, wenn ich an die turbulenten Tage und grauenvollen Ereignisse in dem kleinen niederbayrischen Ort zurückdachte, die für mich teilweise so erschütternd gewesen waren, dass ich danach mehrere Monate psychiatrische Behandlung über mich ergehen lassen musste. Natürlich lag es auch an meiner ererbten Veranlagung, dass mir solche Geschehnisse mehr aufs Gemüt schlugen, als anderen - aber derartig mit Gewalt und Tod konfrontiert zu werden, hätte wohl auch robusteren Kalibern als mir zugesetzt.




Als Mensch, den die Psychologen als Highly Sensitive Person bezeichneten, nahm ich Sinneseindrücke stärker wahr als andere, kompliziert ausgedrückt: Mein Thalamus im Gehirn funktioniert anders - viel mehr Reize werden als wichtig eingestuft und erreichen mein Bewusstsein. Menschen wie ich besitzen sehr hohe Mengen an Neurotransmittern, so dass beim Transport innerhalb der Nervenbahnen geringere Übertragungsverluste auftreten. So erreichen auch sensorische Reize mein Bewusstsein, die bei anderen Menschen erst gar nicht im Gehirn ankommen. Oder einfacher ausgedrückt: Ich sah, hörte und vor allem roch viel besser oder anders gesagt: viel mehr als die meisten Menschen, die viele Dinge übersahen, überhörten oder überrochen. Überrochen? Die Wortwahl bei dieser Aufzählung zeigt schon, dass man den Geruchssinn stark unterschätzt, obwohl diese Sinneseindrücke direkt in das Limbische System gelangen, wo die Emotionen gespeichert sind. Darum kann sich auch niemand der Faszination eines Weihnachtsmarktes mit seinen vielfältigen Gerüchen völlig entziehen, wenn er in seiner Kindheit diese mit positiven Erlebnissen verknüpft hat. Oder abermals einfach ausgedrückt: Wir fallen immer wieder darauf rein, haben das gekaufte Zeug dann zuhause herumstehen oder gehen mit Magen- und Zahnschmerzen ins neue Jahr. Friede auf Erden und den Händlern ein Wohlgefallen.




Es war für mich kaum möglich, Außenstehenden zu vermitteln, dass ich die Gerüche, die mich umgaben, wahrnahm, wie andere Menschen die Farben eines Bildes sahen: Der Markt war für mich überflutet von einer Wolke aus einem von mir als dunkelrot empfundenen, süßen Geruchsgemisch: als Grundton klebrige Zuckerwatte, darüber gebrannte Mandeln und der etwas künstlich wirkende Duft dieser roten Glasur, in die man die geschälten Äpfel tauchte. In diesen Geruch mischte sich mit gleicher Vehemenz der harzig-würzige Duft von frischen Tannenzweigen - für mich durchaus ein dunkelgrüner Ton. Die oft für Weihnachtsartikel verwendeten Farben Rot und Grün fanden hier auch ihre olfaktorische Entsprechung. Wenn der Wind etwas auffrischte, wurden die Düfte durch einen frischen Hauch von kaltem Schnee vertrieben, um kurz danach wieder ihr angestammtes Territorium zurückzuerobern. Fein nuanciert dagegen nahm ich die Komponenten aus den Backwaren wahr. Zimt, Anis, Mandeln, Lebkuchengewürz. Nürnberger Lebkuchen. Wenn man sich durch die Gassen des Marktes zwischen den bunt beleuchteten (oft etwas kitschig und billig anmutenden) Buden hindurchzwängte, wechselten die Geruchseindrücke von Meter zu Meter: Hier plötzlich eine starke Note vom heißen Glühwein Nelken, Lorbeer, Koriander, dort ein säuerlicher, heller Duft von heißen Bratäpfeln. Der süßfaulige, dunkle Geruch der Zwetschgenmännla vermischte sich mit Stollen, der sich wiederum aus den Aromen von Rosinen, Marzipan, Zitronat und Gewürzen zusammensetzte und dessen Puderzucker in süßlichen Schwaden durch die Luft wehte. Wie braun-goldene Linien durchzog der scharfe, aromatische Duft von Gebratenem die rot-grüne Wolke: Nürnberger Rostbratwürste, die hier Drei im Weggla hießen (weil drei der kleinen Würste gerade in ein Brötchen passten). Sie wetteiferten mit saftigen Steaks von rustikalen Holzkohlengrills in Nachbarschaft zu den langen, groben Thüringer Bratwürsten, die ich am liebsten fast schwarz gebraten mochte. All das konkurrierte mit einer beißenden Komponente, die ich als stahlblau empfand: der stechend scharfe Geruch von Steckerlfisch, in den sich auch noch der Uringestank aus den im Schatten der Lichter aufgestellten Dixi-Klos und ein undefinierbares Konglomerat aus den überquellenden Abfalleimern mischte.




Es war schon Nachmittag - der Markt würde bald schließen, eigentlich war er bereits vor einer Stunde offiziell zuende gegangen, was aber dem Publikumsaufkommen noch keinen Abbruch tat. Die Dunkelheit hatte heute bereits früh eingesetzt und breitete sich wie eine wohltuende Camouflage über die vielen Kabel, verschmutzten Mülltonnen und die auf dem Kopfsteinpflaster herumliegenden Abfälle, ließ die kitschigen Effektbeleuchtungen vor der blauschwarzen Kulisse des Himmels zu einem wundervollen Gesamtkunstwerk werden, das trotz seiner billigen Belanglosigkeit dennoch nicht nur Kinderherzen höher schlagen ließ.




Auch ich konnte mich dem Zauber des Ambientes zwischen der gotischen Frauenkirche und dem Schönen Brunnen nicht entziehen und ließ mich einfach in der Masse der Marktbummler treiben, obwohl mir Menschenansammlungen stets ein unangenehm klaustrophobisches Gefühl bescherten und ich mich gerade in einer Ecke befand, die sich der Menge und Nationalität des Publikums nach auch in Nagasaki oder Tokio hätte befinden können.




Der Himmel verdunkelte sich ganz und es begann leicht in dicken Flocken zu schneien, der weiße, weiche Flor deckte nun auch noch die letzten Unzulänglichkeiten gnädig zu und knirschte bald angenehm unter meinen Stiefeln, was mich stets an meine Kindheit in Bad Tölz erinnerte, wo ich von meinen bayrischen Freunden Johann genannt wurde, obwohl mein Name eigentlich nach meinem Großvater John lautete. Damals war Weihnachten für mich vor allem ein Fest kindlicher Sorglosigkeit gewesen. Man selbst bekam nur wenig mit von der Hektik und der Arbeit der Erwachsenen, alles was man zu tun hatte (und das erschien schwer genug), war, in erwartungsvoller Freude auf den großen Tag zu warten, begleitet von dem glitzernden Adventskalender, dessen simple, bunte Bildchen hinter den mittlerweile ausgeleierten Pappfensterchen man schon seit Jahren auswendig kannte, was der Freude und Erregung beim Öffnen aber keinen Abbruch tat.




Langsam wurde mir die beängstigende Postkartenromantik doch zuviel, zumal ich etwas wehmütig daran dachte, dass ich den Heiligabend alleine verbringen würde. Noch hatte ich an meinem neuen Arbeitsplatz, dem Nürnberger Spielzeugmuseum, keine Bekanntschaften oder gar Freundschaften geknüpft, die so eng gewesen wären, eine Einladung an diesem Tag zu rechtfertigen.




Mein nächster Gedanke hätte wohl weiterhin früheren Weihnachtsfesten mit meinen Eltern gegolten, doch das Handy in meiner Manteltasche meldete sich bereits mit der Kufstein-Melodie ( Kennst Du die Perle, die Perle Tirols ... ), die ich meiner Mutter zugeordnet hatte. Sie begann aus Kostengründen ihre Gespräche stets ohne Anrede.




A merry christmas winsch i der! Und von deim Daddy glei a. Der is scho beim Schneeschippn. In gonz Chicago schneits. Schneits bei eich a?




Meine Mutter stammte aus Bad Tölz, hatte einen Amerikaner geheiratet, mit dem sie nun seit einigen Jahren in den Staaten lebte, ohne je ihren bayrischen Dialekt aufgegeben zu haben. Vielmehr mischte sie ihn mit englischen Vokabel, was beim Zuhörer eine gewisse Aufmerksamkeit erforderte.




Ja, antwortete ich, bin grad auf dem Christkindlesmarkt.

Ja, schee! Host a bissl a nice Maderl dabei?

Ich musste erst überlegen, ob sie ein nettes (amerikanisch) oder ein neues (bayrisch) Mädchen meinte, wobei ich derzeit keines von beiden zu bieten hatte. Ich wusste, dass dieses Thema wie stets kommen würde, hatte aber nicht ganz so schnell damit gerechnet.

⦠Ja, ⦠ich ⦠ich bin gleich...
mehr