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Digitalisierte Gesundheit?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
96 Seiten
Deutsch
Westend Verlagerschienen am12.09.20221. Auflage
Alle Behandlungsdaten an einem Platz, kein Schleppen von Akten mehr von Arzt zu Arzt - die neu eingeführte elektronische Patientenakte soll vieles verbessern und vereinfachen. Allergien, Medikation und andere wichtige Informationen wären im Notfall sofort einsehbar. Aber sind sensible Gesundheitsdaten auf Servern sicher gespeichert? Verbessern sich damit Forschung und die Versorgung der Patienten? Oder bestehen andere Interessen am Datenfluß? Eine solche zentrale Speicherung könnte Leben retten - zugleich aber entscheidenden Einfluss auf die zukünftigen Chancen auf einen Arbeitsplatz oder eine Versicherung nehmen. Und ändert sich unser Blick auf Patienten und Patientinnen nicht durch solche Behandlungen zunehmend, verliert das Gespräch nicht immer mehr an Bedeutung, wird der Behandelte nicht mehr und mehr zur Datensammlung, in der er vollkommen aufgeht?

Prof. Dr. Petra A. Thürmann ist Fachärztin für Klinische Pharmakologie und habilitierte sich in diesem Fach 1997 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. Seit 1997 ist sie Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie am HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal und lehrt an der Universität Witten/Herdecke. Seit 2011 ist sie Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit, der in seinen Gutachten die Themen Unter-, Über- und Fehlversorgung aus verschiedensten Perspektiven betrachtet und Lösungsansätze anbietet. Das jüngste Gutachten befasst sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextAlle Behandlungsdaten an einem Platz, kein Schleppen von Akten mehr von Arzt zu Arzt - die neu eingeführte elektronische Patientenakte soll vieles verbessern und vereinfachen. Allergien, Medikation und andere wichtige Informationen wären im Notfall sofort einsehbar. Aber sind sensible Gesundheitsdaten auf Servern sicher gespeichert? Verbessern sich damit Forschung und die Versorgung der Patienten? Oder bestehen andere Interessen am Datenfluß? Eine solche zentrale Speicherung könnte Leben retten - zugleich aber entscheidenden Einfluss auf die zukünftigen Chancen auf einen Arbeitsplatz oder eine Versicherung nehmen. Und ändert sich unser Blick auf Patienten und Patientinnen nicht durch solche Behandlungen zunehmend, verliert das Gespräch nicht immer mehr an Bedeutung, wird der Behandelte nicht mehr und mehr zur Datensammlung, in der er vollkommen aufgeht?

Prof. Dr. Petra A. Thürmann ist Fachärztin für Klinische Pharmakologie und habilitierte sich in diesem Fach 1997 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a.M. Seit 1997 ist sie Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie am HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal und lehrt an der Universität Witten/Herdecke. Seit 2011 ist sie Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit, der in seinen Gutachten die Themen Unter-, Über- und Fehlversorgung aus verschiedensten Perspektiven betrachtet und Lösungsansätze anbietet. Das jüngste Gutachten befasst sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783864898686
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum12.09.2022
Auflage1. Auflage
Seiten96 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.9928913
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Andreas Meißner: Digitalisierung als Weg zum gläsernen Patienten
Einleitung

Für die Krise in der Humanmedizin gibt es nur eine Medizin: das Humane.

Gerhard Uhlenbruck

Endlich müssen keine dicken Ordner mehr von Arzt zu Arzt geschleppt werden, werden verordnete Medikamente auf Wechselwirkungen geprüft und Doppeluntersuchungen vermieden. Alle nötigen Informationen sind sicher gespeichert und ständig verfügbar in einer elektronischen Patientenakte (ePA), womit Übersicht und Ordnung in das deutsche Gesundheitswesen kommen, der digitale Rückstand im Vergleich zu anderen Ländern aufgeholt wird und Patienten endlich selbst über ihre Behandlungsdaten verfügen. Diese Daten sollen dann, freigegeben für die Forschung, die längst überfällige »Digitalisierung der Gesundheit« befeuern.

Was so gut und zukunftsweisend klingt, sieht in der Realität allerdings oft anders aus. Über die Komplexität und Störanfälligkeit des Projekts sowie seine hohen Kosten bei geringer Praktikabilität wird in Umfragen zur ePA selten aufgeklärt, die daher leicht hohe Zustimmungsraten in der Bevölkerung erreichen. Als niedergelassener Arzt, dem die Patientensichtweise wohl vertraut ist und der die Versorgung kranker Angehöriger miterlebt, möchte ich Ihnen folgend meine Sicht der Dinge näherbringen.1 Sie stellt auch die Sicht vieler Ärzte und Therapeuten dar, die vor allem eines nicht wollen: die sensiblen Daten ihrer Patienten dem Internet überantworten, wo deren »Aufbewahrung« nicht mehr überschaubar ist, wie es im Computer oder Aktenschrank der Praxis der Fall ist. Hier wären bei einem digitalen oder physischen Einbruch - schlimm genug - nur einzelne Patientendaten betroffen, ganz im Gegensatz zu den verheerenden Folgen, die Datenlecks oder Hackerangriffe bei einer zentralen Speicherung der ePA-Daten in Clouds zur Folge hätten. In Finnland mussten im Oktober 2020 Zehntausende Psychotherapiepatienten die Erfahrung machen, mit gehackten Daten erpresst zu werden. Aus Politik und Wirtschaft heißt es indes, man möge es mit Datenschutz und Datensparsamkeit nicht übertreiben. Vieles deutet darauf hin, dass es statt um Gesundheit vor allem um Datenfluss geht, um die Etablierung neuer Geschäftszweige und den Profit einer »industriellen Gesundheitswirtschaft«, von der Politiker heute gern sprechen. Schauen wir also mit kritischem Blick darauf, wie es zur Idee der elektronischen Patientenakte als Kernelement der Digitalisierung im Gesundheitswesen kam, wie diese sich mittlerweile entwickelt hat und darauf, was eigentlich in unserem Gesundheitswesen nötig wäre.
Todbringende Cholesterinsenker

Über hundert Tote weltweit durch die Einnahme des Cholesterinsenkers Lipobay - dies schreckte im Sommer 2001 die Verantwortlichen im Gesundheitswesen auf. Offenbar hatten nicht bedachte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten hier eine entscheidende Rolle gespielt. Rasch wurde zur Verhinderung ähnlicher Katastrophen ein besserer Informationsaustausch zwischen Ärzten gefordert und die Einführung eines Gesundheitspasses in Form einer Chipkarte diskutiert; zeitgleich kamen jedoch schon Zweifel am Nutzen dieser Pläne auf. Ärzte und Therapeuten verwiesen auf die Gefahr eines »gläsernen Patienten«, die auch heute noch besteht. Selbst Krankenkassen sahen zunächst keinen Mehrwert. So sagte einer ihrer Vertreter damals, der Lipobay-Skandal wäre wohl auch mit einer solchen Chipkarte nicht verhindert worden, weil in den meisten Fällen die miteinander unverträglichen Medikamente jeweils von einem Arzt verordnet worden seien.2 Eine digitale Kommunikation zwischen verschiedenen Ärzten hätte hier also nicht weitergeholfen. Er hielt damals ein »Behandlungsbuch« für sinnvoller, was jedoch im digitalen Zeitalter überholt erscheint. Der VdK-Kreisverband Bayreuth hat dennoch 2020 eine Notfallmappe zur übersichtlichen Aufbewahrung von Medikationsplan und Befunden herausgebracht, wissend, dass seine eher älteren Mitglieder meist nicht digitalaffin sind - und es oft auch nicht gezwungenermaßen werden wollen.

Mittlerweile ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit Chip längst eingeführt, ebenso - nach langjährigen Diskussionen zwischen Politikern, IT-Spezialisten und Ärztefunktionären - die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI), ein Datennetz zum Austausch von zentral auf Servern gespeicherten Gesundheitsdaten. An dieses hatten sich nun ab 2017 Ärzte, Therapeuten, Apotheker und Krankenhäuser verpflichtend anzuschließen. Ein Großteil der Praxen hat seine Computer mit der TI verbunden, allerdings nur unter dem Druck eines sonst drohenden Honorarabzugs und ohne zuvor in die Entwicklung des Projekts eingebunden worden zu sein. Vielmehr verschaffte sich im Frühjahr 2019 der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn gesetzlich eine Mehrheit von 51 Prozent Stimmenanteilen in der Gematik, der Betreibergesellschaft der TI, um die digitalisierte Vernetzung im Gesundheitswesen nun von oben beschleunigt voranzutreiben.
Doppeluntersuchungen und Wechselwirkungen: irrelevant

Das Bundesgesundheitsministerium betont dabei, dass mittels einer elektronischen Patientenakte Informationen zu Vorerkrankungen und Vorbehandlungen, zu Blutwerten und Medikamenten rasch verfügbar wären. Um Wechselwirkungen von Medikamenten wie im Lipobay-Skandal zu vermeiden, ist es durchaus nötig, alle Mittel zu kennen, die ein Patient einnimmt. Gerade wenn Patienten die Namen ihrer Tabletten nicht kennen, kann es oft langwierig und mühsam sein, dies zu erfragen; dieser Austausch gehört aber zur Erhebung der Vorgeschichte und begünstigt die Etablierung einer guten Therapiebeziehung. Wenn auch viele Patienten bereits einen Ausdruck ihres Medikamentenplans mitbringen, wäre ein technisch gut zu handhabender elektronischer Medikationsplan, dezentral gespeichert auf der Gesundheitskarte und somit für jeden Arzt beim Einlesen verfügbar, weiterhin eine wünschenswerte Innovation. Eine elektronische Patientenakte mit zentraler Speicherung von Daten auf Servern und in Clouds, wie sie seit 2021 von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden muss, ist hierfür allerdings nicht notwendig. Wechselwirkungen können zudem längst durch Datenbanken im Praxisverwaltungssystem oder im Internet erkannt werden. Auch in Apotheken wird die Verträglichkeit verordneter Medikamente geprüft und den verschreibenden Ärzten gegebenenfalls Rückmeldung gegeben.

Zu Doppeluntersuchungen wiederum, die oft als Begründung für die Einführung von TI und ePA angeführt werden, liegen kaum belastbare Zahlen vor. Vielmehr kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich nicht von einer Über- oder Fehlversorgung im Rahmen von Doppeluntersuchungen ausgegangen werden könne. Es gebe bislang keine verlässlichen und validen Studien, die belegen könnten, dass diese in Deutschland so häufig erfolgen würden, dass dadurch immens hohe Kosten entstünden, wie es seitens einiger Politiker gern dargestellt werde.3 Wohl auch deshalb wird in Gesetzentwürfen bei dieser Thematik oft von »Einsparungen in unbekannter Höhe«4 gesprochen.

Doppeluntersuchungen fallen auch deswegen kaum ins Gewicht, weil Kliniken dadurch entstehende Mehrkosten gern vermeiden, erhalten sie doch nur feste Fallpauschalen für die stationäre Versorgung von Patienten. Ähnliches gilt für den ambulanten Bereich, wo die Budgets gedeckelt sind und durch Doppeluntersuchungen allenfalls Honorare geschmälert werden. Vereinzelt jedoch benötigen Kliniken, etwa vor Operationen, aktuell eigene Untersuchungen, selbst wenn Patienten entsprechende Vorbefunde mitbringen. Sie selbst wiederum werden, falls sie sich ambulant eine Zweitmeinung einholen wollen, die Erstbefunde in der ePA, auf die sie als Herr ihrer Daten Zugriff haben, unter Umständen verbergen, wodurch es dann wieder zu Doppeluntersuchungen kommen kann.
Patientensouveränität mit Tücken

Wie aber sieht es mit der ortsunabhängigen Verfügbarkeit von Behandlungsdaten aus? Es ist sicher grundsätzlich von Vorteil, wenn bereits zu Beginn einer Behandlung möglichst viele Befunde und Vorberichte vorliegen. Ein Klinikarzt, der am Montag die am Wochenende notfallmäßig aufgenommenen Patienten untersucht, wird nicht gern erst etliche Praxen anrufen und dann vielleicht noch eine Schweigepflichtsentbindung an selbige faxen wollen. Zu denken ist auch an multimorbide Patienten mit oft chronischen Erkrankungen und zahlreichen Befunden, deren niedrigschwellige Verfügbarkeit sicher hilfreich wäre. Andererseits sind es meist genau sie, die mit einer digitalen Aktenführung überfordert sind, die über den Computer oder mobile Endgeräte wie ein Tablet oder Smartphone erfolgt. Letzteres wird jedoch laut Umfragen von über der Hälfte der über 65-Jährigen in Deutschland gar nicht genutzt. Der Hinweis des Gesetzgebers, dass in diesen Fällen Vertreter die ePA bestücken und verwalten könnten, fördert jedoch nicht die sonst gern betonte Patientensouveränität.

Auch das Argument des unkomplizierten und schnellen Zugriffs überzeugt kaum: Beim Arztbesuch in der Praxis sind nach Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte die PIN-Eingabe sowie gezielte Datenfreigaben nötig, was auch Befürworter der ePA für wenig praktikabel halten. Behandelnde wiederum greifen über die TI auf die ePA zu und müssen sich dabei zusätzlich mit dem elektronischen Heilberufsausweis legitimieren. Zwar werden seit Kurzem auch auf der Gesundheitskarte selbst Informationen zu Allergien, Medikamenten und Notfalldaten dezentral gespeichert, ab 2023...

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