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Das Kaninchen im Mond

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
90 Seiten
Deutsch
Books on Demanderschienen am26.10.20221. Auflage
Das Kaninchen im Mond und im Kampf ums Dasein in der Welt der Tiere und Menschen Erzählungen - Mythen, Legenden, Märchen, eben Tiergeschichten jeder Art - in und von ethnischen Gruppen in Oaxaca, Mexiko. Übersetzungen aus den spanischsprachigen Versionen sowie Kommentare von Ursula Thiemer-Sachsemehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,49

Produkt

KlappentextDas Kaninchen im Mond und im Kampf ums Dasein in der Welt der Tiere und Menschen Erzählungen - Mythen, Legenden, Märchen, eben Tiergeschichten jeder Art - in und von ethnischen Gruppen in Oaxaca, Mexiko. Übersetzungen aus den spanischsprachigen Versionen sowie Kommentare von Ursula Thiemer-Sachse
Details
Weitere ISBN/GTIN9783756894857
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum26.10.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten90 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10067003
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Zur Einführung

Bei uns in Mitteleuropa ist die Vorstellung verbreitet, in den Flecken des Vollmonds könne man ein Gesicht erkennen oder einen "Mann im Mond". Dazu gibt es auch manche Geschichte, wie er da hingekommen sein könnte. In Weltregionen, die dem Äquator näher liegen, ist der Blick auf den Mond von einem minimal anderen Winkel bestimmt, so dass die Interpretation der Mondflecke auch anders gewesen ist und bis heute in den Volkstraditionen existiert.

Dieser andere Blickwinkel auf den Mond hat in Mexiko dazu geführt, dass man in den Flecken ein Kaninchen zu sehen meint, das sich aufrichtet, "Männchen" macht und nach der linken Seite hin aus dem Himmelslicht des Vollmondes herausschaut. Man hat sich wohl oft gefragt und überlegt, wie es dort hingekommen sein könnte. Diese Frage hat ihren Niederschlag im Erzählgut gefunden.

Aus den alten Schöpfungsmythen der Azteken in Zentralmexiko, welche durch Aufzeichnungen in der frühen Kolonialzeit überliefert sind, wissen wir: Es wurde erzählt, "dass Sonne und Mond ursprünglich mit gleichem Glanze leuchteten und gleichzeitig an dem Rande des Himmels erschienen, ihren Weg antraten. Aber die Götter, denen das nicht recht erschien, schlugen dem Monde mit einem Kaninchen ins Gesicht, so dass sein Glanz sich verdunkelte und das Kaninchen seitdem auf der Fläche des Mondes zu sehen ist. Andere erzählen, dass der Pulquegott dem Monde mit Papier in Gestalt eines Kaninchengefäßes , eines Pulquekruges, das Gesicht verhüllteâ¦" (Seler IV: 63).


Abb. 1: Kaninchen im Mond, der als Pulquegefäß erscheint, als Gefäß für den vergorenen Agavensaft (Codex Borgia 11)


Es ist bezeichnend, dass diese Ansichten bei unterschiedlichen indigenen Gruppen mit verschiedenen Sprachen in ganz ähnlichen Traditionen bewahrt worden sind. Sie vermögen uns auch viel über die gesellschaftlichen Bedingungen, die Lebensweise und Kultur im Wandel der Zeiten und über den Kontakt der verschiedenen indigenen Gruppen untereinander zu zeigen.

Einige Beispiele aus Erzähltraditionen bei verschiedenen ethnischen Gruppen im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca zeigen auch nach Verschriftlichung und Übersetzung große Unterschiede in Einzelheiten bei gleichen Motiven, was die Lebendigkeit eben dieser Traditionen zeigt. Es kann bei jeder Erzählsituation etwas hinzugefügt oder weggelassen worden sein oder erfährt eine andere Deutung durch den Erzähler und die Gemeinschaft der Zuhörenden. Zudem hat so manche Variante neben der Ähnlichkeit zur Lebenswelt der Menschen auch realitätsferne, märchenhafte Züge, die aber durchaus zur Erklärung realer Tatsachen dienen und deshalb gewählt worden sind.

Die unterschiedliche Begabung der Erzähler wird vor allem auch in Nebensätzen deutlich, in denen die natürlichen Umstände der beschriebenen Ereignisse oder auch die Charaktere der einzelnen Lebewesen wiedergegeben worden sind.

Bei der Verschriftlichung hat sich oft genug das schriftstellerische Talent des wissenschaftlichen Autors entfaltet und zuweilen den ursprünglichen Erzählmodus der mündlichen Tradition verändert. Dennoch zeigen manche der Beispiele, dass die schriftlichen Versionen einander keineswegs immer gleichen, also auch nicht als die nun eben festgeschriebene, einzig akzeptable Variante des Erzählgutes aufzufassen sind. Sie sind oft nur an einem historisch gegebenen Punkt in der Entwicklung der Traditionen aufgezeichnet worden, an dem die damals gegebenen Erfahrungen in einer Erzählung deutlich werden.

Glaubt man manchmal, die dargestellten Abläufe, die Motive und Ergebnisse wären gleich, kann es durchaus sein, dass man im Laufe des Berichtes auf eine erstaunlich andere Entwicklung der Ereignisse und Erklärungen trifft. So kann man sich oft genug nicht des Schmunzelns enthalten, da etwas ganz anderes an Einzelheiten hervorgehoben und in der Gemeinschaft beim Erzählen wichtig gewesen ist, als man erwartet hatte.

Es ist erstaunlich, wie solche Geschichten ausgehen können, auf welche Besonderheiten der vielfältigen Realität in den Varianten der Geschichten Wert gelegt wird, wer als Sieger aus den Konflikten hervorgeht und worauf sich die Anregungen zum Nachdenken und Verhalten richten.


Abb. 2: Tagezeichen Kaninchen, nahuatl: tochtli (Codex Laud, lám. 16)


Das Kaninchen, der Schelm, der allen anderen an Gewitztheit gewachsen scheint, wird in den Erzählungen einfach zum "Kaninchen", ohne dahinter eventuell überhaupt auf seine große Familie Bezug zu nehmen. "Kaninchen", im Spanischen conejo und in den verschiedenen indigenen Sprachen gemäß den Erzählungen unterschiedlich, wird wie ein Rufname behandelt. Selten genug wird in einer Handlung mehr als ein weiteres Individuum dieser Tiergattung nach dem in Erscheinung tretenden Ersten thematisiert. Auch handelt Kaninchen frei und ungefährdet von den normalen Zusammenhängen von "Fressen und Gefressen-werden" der in den Geschichten vorkommenden anderen Tiere. Es ist von Selbstsicherheit und Unverletzlichkeit geprägt, es prellt die anderen und wird zum Helden oder gar Sieger in Auseinandersetzungen stilisiert.


Abb. 3: Herr 10-Kaninchen-Jaguarfell (Codex Bodley, p. 5)


Dabei ist in den alten Vorstellungen in Mexiko des Öfteren von den "Vierhundert Kaninchen" die Rede. Sie werden dann auch - aber wegen der künstlerischen Wiedergabe erneut vereinzelt - in einem offenen Krug dargestellt: dem Gefäß, in dem üblicherweise der Pulque, der vergorene, der fermentierte Agavensaft, gereicht wird. Dieses Gefäß wird als Trinkgefäß und zugleich als Mond verstanden: so hat man hier die Wiedergabe des Kaninchens im Mond. Zuweilen aber wird dieses Gefäß auch nur mit einem halbmondförmigen Nasenschmuck dekoriert und so die Beziehung zum Mond angezeigt. Die Zahl 400 war gemäß dem in Altmexiko üblichen Vigesimalsystem (Rechnen nach Einheiten von Zwanzig) sowohl als reale Vierhundert zu verstehen, als auch als "unüberblickbar viele". Dies wird für die "Vierhundert Kaninchen" so ausgedeutet, dass eben die Kaninchen in großen Familienverbänden zusammenleben. Das jedoch spiegelt sich in den Geschichten von "Kaninchen" aus Oaxaca nicht wider. Es wird aber auch als Hinweis auf die vielen möglichen, die unterschiedlichen Formen der Trunkenheit interpretiert, die bei übermäßigem Pulque-Konsum auftreten könnten.


Abb. 4: Ein am Tag 2-Kaninchen Geborener mit dem vorbestimmten Schicksal des Trinkers (Codex Florentino, lib. IV, fol. 252 r)


An den Gedanken und Handlungen von "Kaninchen" können Erzähler und Zuhörer das "Allzu Menschliche" erkennen. Sie lernen, wie sich die einfachen, kleinen Tiere - und dann auch eben die Menschen - verteidigen oder gegen die Großen, die Brutalen, Gewalttätigen oder zumindest Machtvollen durchzusetzen vermögen. Auch über sie wird in den traditionellen Erzählungen wie mit einem Rufnamen als "Kojote", "Jaguar" oder "Kaiman" vereinzelt berichtet.

Abb. 5: Ortsglyphe Tochtlan (Tuxtla, Puebla) = Am Kaninchen
ort, am Ort, wo es viele Kaninchen gibt
(Matrícula de Tributos, lám. 28)

Kaninchen kann aber auch diejenigen übertrumpfen, welche die Situationen nicht zu überblicken vermögen oder denen es an Aufmerksamkeit und Klugheit mangelt. "Kaninchen" ist, in die Welt der Tiere transponiert, das Symbol für die Aktivität der einfachen Menschen, die sich gegen die Mächtigen zu verteidigen und zudem möglichst noch zu behaupten suchen.

Abb. 6: Herr "Kaninchen", Don Domingo Cortés
Quapoltochin
(Codex Azoyú 2, fol.14)

Mythen um das Kaninchen im Mond sind recht vielfältig, haben Ähnlichkeiten und doch auch wieder große Unterschiede. Oft wird eine chaotische Zeit vor der gegenwärtigen beschrieben, in der Dinge geschehen, die bei den Menschen späterhin nicht passieren sollten, die Manches erst so verwandelten, wie es später in der Zeit der Geschichtenerzähler existierte und funktionierte, also einst seinen Ursprung hatte.

Es sind also Ursprungsmythen, die sich jedoch nicht allgemein um die Fragen nach dem Entstehen alles gegenwärtig Existierenden bemühen, sondern nur die Frage nach Sonne und Mond thematisieren, den beiden für die Menschen - eben im landwirtschaftlich geprägten Oaxaca - so wichtigen Himmelslichter. Dies erklärt sich auch aus der allgemein im alten Mexiko verbreiteten Vorstellung von mehreren vorherigen Welten, deren Untergang und danach der Entstehung einer jeweils neuen Welt, oft "Sonne" genannt.

Wie Sonne und Mond an ihren Platz in der Lebenswelt der Menschen gelangen und für sie da sind, das markiert in den hier zu betrachtenden Geschichten die Überwindung des in der Vorzeit vermuteten Chaos und die Schaffung der gelebten Gegenwart. In letzterer findet "Kaninchen" weiterhin Beachtung, da es aktiv ist, und zwar in den Auseinandersetzungen ums Überleben durchaus in erstaunlicher Brutalität gegenüber Tier und Mensch.

Abb. 7: Kaninchen als Schreiber,
Maya
(sog. Princeton-Gefäß)

Zuerst wird hier ein Beispiel des Mythos erzählt, wie er in...
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