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Achterbahn

von
E-BookEPUBDRM AdobeE-Book
176 Seiten
Deutsch
Verlag Anton Pusteterschienen am31.05.2022
Ein Auf und Ab ist das Leben ... Als das Mölltaler Geschichten Festival im letzten November 'Achterbahn' als Thema für seinen jährlichen Kurzgeschichtenwettbewerb auswählte, war niemandem klar, wie sehr die Hochschaubahn symbolisieren würde, was wir momentan gerade erleben. Für Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Italien war die 'neue Normalität' jedoch Anreiz, die verschiedensten Stadien der Achterbahn des Lebens zu ergründen. Und so sammeln sich nun in diesem Buch Kurzgeschichten von falschen und richtigen Dilemmas, mörderischen Chancen, unglaublichen Eventualitäten, ungestümen Beziehungen und nicht zuletzt von der Überwindung der Angst vor der Achterbahn. Das Mölltaler Geschichten Festival, ein kleines, feines Oberkärntner Literaturfestival, widmet sich seit mittlerweile fünf Jahren deutschsprachigen Kurzgeschichten - und zwar solchen, die sich durch Erfindungsreichtum und Wortgewandtheit auszeichnen und den Mut haben, Grenzen zu sprengen. Die besten Geschichten werden jedes Jahr im Rahmen von Lesungen präsentiert und in einer Anthologie zusammengefasst. Weitere Informationen: www.moelltaler-geschichten-festival.atmehr

Produkt

KlappentextEin Auf und Ab ist das Leben ... Als das Mölltaler Geschichten Festival im letzten November 'Achterbahn' als Thema für seinen jährlichen Kurzgeschichtenwettbewerb auswählte, war niemandem klar, wie sehr die Hochschaubahn symbolisieren würde, was wir momentan gerade erleben. Für Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und Italien war die 'neue Normalität' jedoch Anreiz, die verschiedensten Stadien der Achterbahn des Lebens zu ergründen. Und so sammeln sich nun in diesem Buch Kurzgeschichten von falschen und richtigen Dilemmas, mörderischen Chancen, unglaublichen Eventualitäten, ungestümen Beziehungen und nicht zuletzt von der Überwindung der Angst vor der Achterbahn. Das Mölltaler Geschichten Festival, ein kleines, feines Oberkärntner Literaturfestival, widmet sich seit mittlerweile fünf Jahren deutschsprachigen Kurzgeschichten - und zwar solchen, die sich durch Erfindungsreichtum und Wortgewandtheit auszeichnen und den Mut haben, Grenzen zu sprengen. Die besten Geschichten werden jedes Jahr im Rahmen von Lesungen präsentiert und in einer Anthologie zusammengefasst. Weitere Informationen: www.moelltaler-geschichten-festival.at
Details
Weitere ISBN/GTIN9783702580827
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisDRM Adobe
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum31.05.2022
Reihen-Nr.2
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1724 Kbytes
Illustrationens/w Abbildungen
Artikel-Nr.10463128
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

350 KILOMETER

KURT FRISCHENGRUBER

Scheiß Wiena! , schrie er erregt, mit hochrotem Kopf und tropfender Nase mitten hinein in die gemächlich dahinflanierende Menschenmenge auf der sanft von der Nachmittagssonne verwöhnten Wiener Kärntner Straße. Eine gefühlte Ewigkeit lang hatte er sein Bestes gegeben, hatte alles aus seiner alten Gitarre und seinen Stimmbändern herausgequetscht. Ohne Erfolg. Kein Schwein hatte sich für seine Darbietungen interessiert. Aber jetzt stockte die Menge sofort. Im Nu formierte sich ein gaffendes Menschenknäuel um den unscheinbaren Straßenmusikanten mit dem markanten Flinserl im Ohr. Ebenso schnell förderte die anschließende, lautstarke Diskussion die Herkunft des Schreiers zutage, denn der machte keine Anstalten seinen markanten Südstaaten-Dialekt vor der wachsenden Schar an Neugierigen zu verbergen. Scheiß Wiena, oba echt! Olls lei Plattla!

Heast, gusch Oida! und Wos is Gscheada, wuist a Uhrfeign? , drang es alsbald ziemlich aggressiv aus besagter Menge zurück. Zwei leere Plastikbecher kamen geflogen, verfehlten ihr Ziel nur um Haaresbreite. Grund genug für den Schreier, den geordneten Rückzug anzutreten, weil man wusste ja nie. Hastig verstaute er sein Instrument und trabte leicht schwitzend in Richtung Graben davon. Keine Verfolger in Sicht. Scheiß Wiena, oba die Oma hot mi eh imma gwarnt davor , grummelte er und dachte an früher.

Vor wenigen Wochen erst hatte er eine völlig andere Richtung eingeschlagen auf seiner Achterbahn des Lebens. Vor wenigen Wochen erst hatte der überzeugte Südländer alles zurückgelassen, was ihm bisher so wichtig erschienen war, so selbstverständlich, so gesund und munter, so tagtäglich.

Die heimatliche Scholle, seine noch taufrische Freundin, Vater, Mutter, Geschwister, Freunde, Saufkumpane, seine geliebte Oma und ihre von Hand gegrendelten Kasnudeln, seinen akut abstiegsgefährdeten Fußballverein, den gemischten Chor, die Volkstanzgruppe, die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr und sein Stammlokal. All das war jetzt plötzlich 350 Kilometer weit weg. All das hatte er zurückgelassen, um bei den Großkopfatn draußn in Wien mittels Publizistikstudium für das weitere Leben gewappnet zu sein, aber auch um diesen arroganten Hauptstädtern zu zeigen wo a echta Kärntna Bartl den Most holt!

Ein Kulturschock. Eigentlich ein regelrechtes Kulturerdbeben, ja ein Kulturtsunami. Alles war in weite Ferne gerückt, trotzt moderater Bahnverbindung und Südautobahn. Die weit aufragenden Gipfel, das kleine Haus der Eltern am Waldrand, die schon fast kitschig schönen Seen und Teiche in der Umgebung, die Sonnenölflecken der Sommerfrischler im örtlichen Schwimmbad und die alte Scheune am Wiesengrund, in welcher er damals zum Manne gereift war. War doch irgendwie schön gewesen das alles, aber seine Hochschaubahn-Fahrt durch das Leben ließ sich nicht aufhalten, wie es schien. Jetzt ging es ganz einfach darum, nicht aus der Bahn geworfen zu werden. Schon wegen der Oma.

Gut, weibliche Wesen gab es in dieser Stadt wie Sand am Meer. Viel mehr, als er sich erträumt hatte. Viel mehr als zu Hause.

Aber sein bisher so unverwechselbarer Charme, sein urig-folkloristisches Gebirgsjäger-Charisma, sein ländlich-rustikaler Überschmäh? Alles schien plötzlich wie weggeblasen. Fast hatte es den Anschein, als müsste er sein schwer erkämpftes Landmacho-Image völlig neu konzipieren. Einsame Scheune am Wiesengrund gab es erst recht keine weit und breit, schließlich gab es ja auch keinen Wiesengrund und seine karge Studentenbude am Reumannplatz teilte er sich mit zwei Leidensgenossen. Eine sturmfreie Bude sah anders aus.

Autos und Häuser, Häuser und Autos. Völlig überfüllte Straßenbahnen, U-Bahnen und Busse inklusive ihrer ewig grantigen Insassen, ein Gewirr aus unverständlichen Sprachen und Dialekten, ein Sammelsurium aus Individuen, Hautfarben und Gerüchen. Sogar echte Burgenländer hatte er schon ausgemacht. Olta!

Der infernalische Lärm der städtischen Mistkübelausleerer in aller Herrgottsfrühe, dieser penetrante Großstadtgeruch aus zu viel Verkehr, zu vielen Menschen und zu viel Bruttosozialprodukt. Ach ja, und enorme Mengen an Hundekot. Hundekot auf Schritt und Tritt, Hundekot in den Parks und auf den Gehsteigen, Hundekot einfach überall.

Diese abgefuckten No-Future-Typen auf den Parkbänken und diese dickbäuchigen Kontrolleure, die er trotz gültiger Jahresnetzkarte (finanziert von der Oma) jedes Mal für russische KGB-Agenten hielt.

Zucker im Salat, ach du meine Güte, Cäsium in den Sandkästen und dieses animalische Geruchs-Potpourri aus Wiener Schnitzeln, Käsekrainern, Bier, Kotze und Kanal.

Die dreckig-graue, blaue Donau, die bröckelnde Fassade des Steffl und die zu dick aufgetragene Schminke der Gürteldamen, zu denen er auch kein Naheverhältnis aufbauen wollte. Für die Liebe bezahlen? So a Schaß!

Lauter bauchspeckschwabbelnde Nackerte in der Lobau und auch das Ausweichbad Gänsehäufl war nichts anderes, als ein überdimensionaler Lagerplatz für Hausmeister-Verschnitte mit Kühltasche in der Hand und Heißluft im Hirn.

Wie auf einer Achterbahn eben, denn vor Kurzem hatte er mit seinen Freunden noch in den glasklaren Fluten der Möll gebadet.

Ja und dieser Straßenverkehr. Absolut lebensgefährlich für einen, der bisher auf die beschaulichen Verkehrsverhältnisse eines 1 000-Seelen-Ortes eingeschworen war, ohne eine einzige Ampel und ohne einen einzigen Kreisverkehr.

Die Tage kamen und gingen. Manche Kurven seiner Hochschaubahn erschienen ihm durchaus befahrbar, bei manchen musste er sich ganz schön festhalten, um nicht aus der Bahn geschleudert zu werden. Manchmal ließ es sich auch nicht vermeiden, kräftig auf die Bremse zu steigen.

Und dann trat sie auf den Plan. Wie aus dem Nichts. Eigentlich wollte sie sich ja lediglich eine Zigarette schnorren, doch der etwas verstört wirkende junge Kerl, der da einsam und verlassen in der U-Bahn-Station Arbeitergasse herumlümmelte, war ihr irgendwie sympathisch, verbreitete er neben einem mittelschweren Schweißgeruch irgendwie auch das Flair eines echten Exoten. Ja, und auf ihr hübsches, kess geschminktes Schnäbelchen war sie auch nicht gefallen. Echtes Wiener Kind aus Simmering eben.

Aber gut Ding braucht ja bekanntlich Weile und so entwickelte sich das weiblicherseits durchaus charmant angezettelte Gespräch über das anhaltende Schlechtwetter der letzten Tage nur langsam und bis auf ein paar spärliche Bemerkungen, dass es im Süden Österreichs jetzt wesentlich sonniger sei, war dem Jeansjackenträger nicht viel zu entlocken. Immerhin war er aber ohne lange zu überlegen bereit, drei weitere Smart-Export unters Volk zu werfen, obwohl ihn seine Großmutter damals ausdrücklich vor diesen arroganten, oberflächlichen Großstadtschicksn gewarnt hatte. Tua nur nit hudln Bua, schon gor nit bei die Weiba!

Das Gesprächsklima lockerte sich, als die beiden am Abend durch das berühmt-berüchtigte Bermuda-Dreieck bummelten. Perplex musste er feststellen, dass man sich mit diesen arroganten Wienerinnen durchaus angenehm unterhalten konnte. Heast Oma!

Das Ottakringer mundete vorzüglich und lies sogar sein für unschlagbar gehaltenes Hirter gedanklich in der Versenkung verschwinden. Die Distanz zwischen den beiden nahm ab, kein Wunder also, dass er diese Nacht endlich einmal ohne seine WG-Kollegen verbringen durfte. Ein echter Meilenstein, ein historischer Richtungswechsel auf seiner persönlichen Achterbahn.

Und es kam, wie es kommen musste. Seine ohnehin seltenen Unibesuche wurden noch seltener, die Zahl der Beisel-Besuche kletterte nach oben und seine Bekanntschaften mehrten sich.

Die neue Wohnung im Fünften war zwar kleiner, dafür teurer, aber endlich eine sturmfreie Bude in Hinblick auf die Zwischenmenschlichkeit. Das Bild seiner Oma an der Wand hat er bei solchen Gelegenheiten eben einfach umgedreht.

Sein Interesse an den Sorgen und Nöten einer Großstadt im Herzen Mitteleuropas wuchs. Überrascht stellte er fest, dass sich schon einige Wiener Brocken in seinen ansonsten noch immer unnachahmlichen Dialekt gedrängt hatten und dass sich auch seine allgemeinpolitische Denkweise ein wenig ins Liberale änderte, was immer das auch sein mochte. Tschuldige Oma!

Nach einiger Zeit verlegte er seinen ordentlichen Wohnsitz vom sonnigen Süden in die Bundeshauptstadt, schließlich wollte er an den wichtigen politischen Entscheidungen in dieser Stadt zumindest passiv mitmischen. Logisch, dass sein erster beinahe selbstständig finanzierter Flitzer (Anteil der Oma eher gering) zwar alt und durchgerostet war, dafür aber ein schlichtes W an beiden erheblich verbeulten Stoßstangen trug, was ihn durchaus mit Stolz...
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