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Ludwig Börne

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am25.01.20231. Auflage
Er war einer der Stammväter des Journalismus, ein universaler Geist, ein Vorkämpfer für geistige und soziale Freiheit und ein glänzender Stilist - der Wegbereiter der literarischen Kritik Ludwig Börne (1786 - 1837). Ludwig Marcuse widmet ihm und seinem bewegten Leben eine sachliche und zugleich romanhaft spannende Biographie.

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEr war einer der Stammväter des Journalismus, ein universaler Geist, ein Vorkämpfer für geistige und soziale Freiheit und ein glänzender Stilist - der Wegbereiter der literarischen Kritik Ludwig Börne (1786 - 1837). Ludwig Marcuse widmet ihm und seinem bewegten Leben eine sachliche und zugleich romanhaft spannende Biographie.

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257612912
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.01.2023
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse999 Kbytes
Artikel-Nr.10824548
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




»Unsere Narren, die Päpste, Bischöfe, Sophisten und Mönche, die groben Eselsköpfe, haben bisher also mit den Jüden gefahren, daß, wer ein guter Christ wäre gewesen, hätte wohl möcht ein Jude werden. Und wenn ich ein Jude gewesen wäre und hätten solche Tölpel und Knebel den Christenglauben regiert, so wäre ich lieber eine Sau worden, denn ein Christ.«

Martin Luther


Wer vom Frankfurter Wollgraben, im Osten der Stadt über den Main nach Sachsenhausen ging, las noch zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts unter dem Brückenturm der Stadt-Seite linker Hand diese Worte: »Am grünen Donnerstag marterten die Juden ein Knäblein, Simon genannt, seines Alters zweieinhalb Jahr.« Die Illustration unter dem Text: ein Knabe mit vielen Wunden, in denen neun Schusters-Pfriemen stecken. Darunter ein neuer Satz: »Au weih Rabbi Anschel; au, au Mauschl au weih, au, au.« Der Chronist schildert weiter: »Dann sitzet ein Jud mit seinem Schabbes-Deckel, Brüll auf der Nase, Kragen und Mantel und an diesem ein gelbes Ringlein, rücklings auf einem großen Schwein, und hält den in die Höhe gezogenen Schwantz, anstatt eines Zaums in der rechten Hand, unter diesem Schwein ligt ein junger Jud, der die Zitzen saugt, hinter der Sau ligt ein alter Jud auf den Knie und läßt die Sau den Urin und anderes aus dem Affter ihm ins Maul lauffen, hinter diesem Jud stehet der Teufel mit Hörnern, und hält ihn an beyden Achseln; am Kopff des Schweines, welches Menschen-Koth von der Erde frisset, neben demselbigen stehet eine Jüdin, nach dem Teufel zugewand in ihrem völligen Staat, nemlich mit dem eckigten Schleyer, krausen Kragen am Halß und Mantel umgehenkt, hält die Hörner eines großen Bocks mit der linken Hand ...«

Sebold hieß der Maler. Er hatte diesen Haß-Mythos einst auf Befehl des Magistrats gemalt. »Zur öffentlichen Beschimpfung, zum Verdruß für die Juden.« Weil man ihnen einen Ritual-Mord vorwarf? Nur aus Vorsicht, »um die Juden daselbst von dergleichen Schelmstücken desto eher abzuhalten«. In der zweiten Hälfte des siebzehnten, dann zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts wurde das Bild aufgefrischt - gegen die flehentlichen Bitten der Juden. Farben verblassen, Steine verwittern - aber der Haß dauert.

Dieses öffentliche Bekenntnis der Stadt Frankfurt am Main verschwand erst mit dem Abbruch des Brückenturms 1801, zwanzig Jahre nach Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft ; erst zwölf Jahre nach dem Ausbruch der französischen Revolution; erst im zweiundfünfzigsten Lebensjahr des Frankfurter Dichters Wolfgang von Goethe. Und vielleicht verschwand dieses Plakat der Niedertracht damals auch nur deshalb, weil der Brückenturm verschwand. Denn noch fünf Jahre länger, bis 1806, galt die fast zwei Jahrhunderte regierende Ausnahme-Ordnung für die letzte, tiefste Paria-Kaste im Gemeinwesen - für die Juden. Börne nannte diese Juden-Gesetze: den »Roman der Bosheit«.

Die vom Beginn des siebzehnten Jahrhunderts herrührende »Stättigkeit« war schon ein Glück: wenigstens eine Sicherheit; ein Vertrag, in dem der Jude Partner, nicht mehr Ungeziefer war. Sie stand am Ende einer Kette von Willkür-Akten. Sie war die erste unaufhebbare Abmachung, während die früheren Abmachungen immer nur für drei Jahre galten. Wer da dem Rat nicht genehm war, dem wurde das Niederlassungsrecht entzogen. Zwar durften auch die Juden nach einmonatiger Aufkündigung der »Stättigkeit« auswandern, durften »fahren und fließen mit ihrem Leibe und Gute«, wohin sie wollten - Leibeigene waren sie nicht mehr. Die Zeit war vorbei, in der sie ein kaiserliches Regal waren wie Bergwerke und Zölle, ein Finanzobjekt unter andern. Aber sie standen immer unter der Drohung, wieder zum Nomaden-Schicksal verurteilt zu werden. Ursprünglich kaiserliche Kammerknechte, Zinshörige der jeweiligen römischen Kaiser, wurden sie später an getreue Vasallen verpfändet. Als Haupteigentümer fungierten trotzdem weiter: der Kaiser und der Kurfürst von Mainz, der als Erzkanzler des Reiches Inhaber des zehnten Teiles aller deutschen Juden-Einkünfte war. Der Kaiser überließ dann seine Juden mit Leib und Gut erst pfandweise, später käuflich (und zwar auf Wiederkauf) der Stadt; sie durfte weitere Juden aufnehmen und mit ihnen einen jährlichen Wohnzins ausmachen. Auch das Mainzer Erzstift versetzte seine Juden nach dem Vorbild des Kaisers. Aber erst am Ende des siebzehnten Jahrhunderts verzichtete ein Leopold für 20000 Gulden endgültig auf das Wiederkaufsrecht, mit der Versicherung: daß »die sämtlich in Frankfurt vorhandenen Juden ..., sie seien vom römischen Kaiser erkauft oder jure Status aufgenommen, oder sonst in anderm Wege an die Stadt gekommen, der genannten gemeinen Stadt Frankfurt unablässig und unansprüchig Eigentum und als Leibsangehörige Hindersassen sein und bleiben sollen«. Dafür, daß der Rat sie aufgekauft, mußten die Juden einen Teil der Kaufsumme aufbringen: das Kaufobjekt zahlte einen Teil seines Preises.

Mitte des dreizehnten Jahrhunderts fand die erste (historisch nachweisbare) Frankfurter Juden-Schlacht statt. Die Juden hatten innerhalb der Gesellschaft die Funktion des Haß-Ableiters. Zogen Gewitter am Himmel der Gemeinschaft zusammen, Hungersnöte oder Krankheiten oder andere Mißhelligkeiten, so entluden sie sich über den Juden. Bis in die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts lebten die Frankfurter Juden zerstreut unter der übrigen Bevölkerung, meist zwischen Dom und Mainufer. Ein Wohnungszwang, der sie in einen bestimmten Bezirk verwies, bestand damals noch nicht. Man nannte ihr Viertel schon »strata Iudeorum sive vicus Iudeorum«, aber Ende des vierzehnten Jahrhunderts wohnte sogar der Bürgermeister noch unter ihnen. Nach der zweiten Juden-Schlacht, in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, legte man nach italienischem Vorbild eine Judengasse an. Auf dem ehemaligen Stadtgraben, dem Wollgraben - zwischen Fahr- und Allerheiligengasse, Predigergasse und dem Fischerfelde -, wurden die Juden für drei Jahrhunderte interniert; vom Ende des fünfzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Drei Tore - das Bornheimer Tor, das Judenbrückchentor, das Wollgrabentor - riegelten dieses »Neu-Ägypten« ab. Es war eine doppelte Schutz-Haft: Schutz der Juden, und Schutz vor den Juden. Die Juden wehrten sich; Kaiser und Papst (und die Frankfurter Bürger, welche die Konkurrenten aus der guten Geschäftsgegend gern entfernten) wollten es. Begründung: Die Juden wohnten zu nah der Kirche; die Juden könnten die kirchlichen Handlungen hören und sehen; die Juden könnten durch ihre eigenen Zeremonien den christlichen Gottesdienst stören. So mußten die Frankfurter Juden ins Frankfurter Exil. Nur wenige Häuser zogen sich zuerst an dem alten Stadtgraben hin: unter ihnen eine Synagoge, ein Bad, ein Tanzhaus, ein Hospital auf dem Friedhof. Die hundert Menschen, die zuerst hier wohnten, hatten wenigstens, was ihren Nachkommen fehlte: Platz, Luft und Licht. Weshalb man sie nicht auswies? Der junge Börne gab die lapidare Lösung: »Man hat trotz dem Hasse, den man immer gegen Juden hatte, sich doch nie entschließen können, sie gänzlich aus dem Lande zu vertreiben. Denn die Habsucht, die von ihrem Reichtum Nutzen ziehen wollte, war stärker noch als der Haß.«

Die Menschen, die diesen Kerker im Lauf der Jahrhunderte übervölkerten, gehörten zum Gemeinwesen der Stadt nur so wie ein Fremdkörper, der mit Erfolg in einen Organismus eindringt, zu diesem Organismus - gehört. Jahrhundertelang kämpften Organismus Stadt und Fremdkörper Judenschaft miteinander. Der Fremdkörper wuchs, nährte sich vom Wirtkörper - und gab an ihn Kräfte ab. Man hatte mit Hilfe des Ghettos versucht, das Fremde durch Einkapselung unschädlich zu machen; denn es war nicht mehr auszustoßen, schon hatte es seine Funktionen im Stadt-Organismus. Aber diese Einkapselung wurde mehr und mehr zum leeren Zeichen. Man verschloß zwar die Tore der Judengasse in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen, aber an den Werktagen war ein reges Hin und Her zwischen Stadt und Judengasse. Diese Stadt in der Stadt war keine tote Enklave, denn da die Juden »einzig und allein ihre Geisteskraft auf den Erwerb ihres Unterhalts richteten«, mußten sie bald die Aristokraten des Handelsstands werden. Hatte man den Juden diese und jene und eine dritte Tätigkeit verboten, so hatten sie sich mit um so größerer Energie auf jenes Geschäft geworfen, das allein ihnen ursprünglich freigegeben war: den Geldverleih, der den Christen von der Kirche verboten war und der in einer Meßstadt besondere Bedeutung hatte, da die Meßhändler die unverkauften Handelsgüter bis zur nächsten Messe versetzen mußten, um Bargeld zum Einkauf neuer Waren zu erhalten. Von diesem eng begrenzten Ort innerhalb des Wirtschaftskörpers aus eroberten die Juden in Jahrhunderten trotz einer rigorosen Einschnürung ihrer wirtschaftenden Kräfte Position auf Position und brachten es schließlich dahin, daß die Sklaven die Herren wurden, daß Könige und Fürsten und Städte finanziell vom Kerker Judengasse abhängig wurden. Börne formulierte in seiner ersten Streitschrift gegen die Judenversklavung das psychologische Gesetz zu diesem historischen Prozeß: »Die Kraft ermattet bald, wo ihr Spielraum unendlich ist, da hingegen jede Schranke und jeder Gegendruck nur die...
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Autor

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.