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Heinrich Heine

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am25.01.20231. Auflage
Die erste Auflage des Buchs erschien 1932, ein Jahr vor Beginn des Dritten Reichs, die zweite 1951, sechs Jahre nach seinem Ende. In Nazideutschland war Heine verboten, und Marcuse musste fliehen: »Ich hatte mir nie überlegt, was ich tun würde, wenn ich etwas tun müsste sondern schrieb ein Heine-Buch, in dem ich sehr scharf die Position des geliebten Dichters beschrieb. Er wuchs mir deshalb so ans Herz, weil er mich und meine Freunde schon ausgesprochen hatte, bevor wir auf der Welt waren, und er ist heute ebenso aktuell, wie er es 1840 war und 1933. Als ich das Buch 1932 herausbrachte, hatte ich keine Ahnung, wen ich alles beschrieben hatte.«
'

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextDie erste Auflage des Buchs erschien 1932, ein Jahr vor Beginn des Dritten Reichs, die zweite 1951, sechs Jahre nach seinem Ende. In Nazideutschland war Heine verboten, und Marcuse musste fliehen: »Ich hatte mir nie überlegt, was ich tun würde, wenn ich etwas tun müsste sondern schrieb ein Heine-Buch, in dem ich sehr scharf die Position des geliebten Dichters beschrieb. Er wuchs mir deshalb so ans Herz, weil er mich und meine Freunde schon ausgesprochen hatte, bevor wir auf der Welt waren, und er ist heute ebenso aktuell, wie er es 1840 war und 1933. Als ich das Buch 1932 herausbrachte, hatte ich keine Ahnung, wen ich alles beschrieben hatte.«
'

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257612905
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum25.01.2023
Auflage1. Auflage
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1084 Kbytes
Artikel-Nr.10854661
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Heinrich Heines Kindheit ist nicht mehr gegenwärtig zu machen.

Sein späteres Leben rankte sich auf an Ereignissen und Ideen - es war ein ewiges Reagieren auf diese Ereignisse, diese Ideen. Und da seine Antworten zum guten Teil in der Helle des Bewußtseins sich vollzogen und sich abbildeten in Briefen und Gesprächen, in Handlungen und Werken - läßt sich sein waches Dasein zurückrufen. Seine Kindheit ist uns nur aufgehoben in wenigen Anekdoten, die zweifelhaft sind, die auch nicht viel sagen, wenn man sie nicht preßt; und in Figuren, die zwar auf diese Jugend wirkten, sie aber doch nicht spiegeln.

Sie - der Vater, die Mutter, die Onkels, die Lehrer, die Freunde -, gewissermaßen die wesentlichen Menschen-Wände, innerhalb deren das Kind gelebt hat, müssen die Geschichte der frühen Jahre ersetzen, die nicht viel sichtbare Spuren hinterlassen haben ... außerhalb seines Werks.

In Düsseldorf, Bolkerstraße zehn, wohnte am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein Mann namens Samson Heine, Sohn eines Kaufmanns aus Hannover. In Hannover und Altona war Samson kaufmännisch einexerziert worden. Dann hatte er im Gefolge des Prinzen Ernst von Cumberland einen Feldzug in Flandern und Brabant als Proviantmeister mitgemacht. Um die Dreißig kam er durch eine Empfehlung in das van Geldernsche Haus nach Düsseldorf. Er heiratete Betty van Geldern und machte mit ihrem Geld einen kleinen Tuch- und Manufakturwaren-Laden auf, in dem er vor allem Manchester führte. Er kaufte diesen Stoff in England und verkaufte ihn an die Handelsjuden der Umgebung. Auch hatte er Tuchlieferungen für die französische Armee.

Ein Porträt zeigt den achtzehnjährigen Samson: scharlachrote Uniform, das Haupt kreideweiß gepudert und von einem Haarbeutel weich unterstrichen, unter einem rosigen Gesicht eine weiße Halsbinde. Das Gesicht »einer Zeit, die eben keinen Charakter besaß«. Ein echtes Rokoko-Gesicht: zierlich, kokett, süßlich; mehr Pastell als Fleisch, mehr Duft als Umriß, mehr ein Statist in Watteau-Idyllen als ein Mensch. Samson Heine wurde ein schöner und stattlicher Mann mit weichem, goldblondem Haar, das immer gepudert war; mit einer blendendweißen, gutgeformten, noblen, von Mandelkleie zarten Hand; mit einer männlich-volltönenden, doch kindlichen Stimme; und mit gewinnenden Umgangsformen. Er war eine feminine Schönheit: ihr Reiz lag nicht in rassigen Konturen, sondern im üppig-weichen Schmelz.

Samson Heine war kein Mann der Tat und kein Mann des Worts, das Stellung nimmt; er war zurückhaltend und einsilbig. Sein Handeln war ein Spielen, seine Geschäfte waren kindliche Geschäftigkeiten. So war er in sein Manchester vernarrt: die Ware war ihm nicht ein Tauschwert, sondern ein Endwert; das Manchester war seine »Puppe«. »Eine grenzenlose Lebenslust füllte ihn aus«: das Leben war ihm ein Medium des Genießens; er genoß ohne raffinierte Zwischenschaltungen, unmittelbar, mit Selbstverständlichkeit. Er war immer heiter, immer bereit, neuen Freuden sich zu öffnen; »in seinem Gemüt war beständig Kirmes«. Er hatte ein »glückliches Temperament«: das fraglose Vertrauen, das unbekümmert gibt und unbekümmert nimmt; das wohlige Sicheinkuscheln in Wolken von Sympathie, ohne jede kritelnde Skepsis, wieweit die Sympathien der Mitmenschen echt sind oder aus welchen trüben Quellen sie fließen.

Samson hatte neben seinem Manchester noch viele andere Passionen: Karten und Schauspielerinnen, Pferde und Hunde und das Soldaten-Spiel. Als die Bürger-Garden in Düsseldorf errichtet wurden, ergötzte sich der Offizier Samson Heine an der dunkelblauen Uniform mit den himmelblauen Sammetaufschlägen und an dem Federbusch auf dem dreieckigen Hut; er freute sich wie ein Kind, wenn er an der Spitze seiner Kolonnen vor seinem Haus vorbeidefilieren und zu seiner Frau hinaufsalutieren konnte. Hatte er als kommandierender Offizier der Hauptwache die Sorge für die Sicherheit der Stadt, so sorgte er in erster Linie für Rüdesheimer und Aßmannshäuser. Samson Heine liebte das Militär: als klingende Wachtparade, als klirrendes Wehrgehenke, als straff anliegende Uniform.

Dieser unschuldige Genießer trug sich sehr würdig, ohne ein Tartuffe zu sein. Ruhe und Strenge lagen auf seinem Gesicht, prägten seine Haltung und seine Gebärden - und wurden freundlich belebt von einem Lächeln. Dies »Lächeln, das manchmal um seine Lippen spielte, und mit der oben erwähnten Gravität gar drollig-anmutig kontrastierte, war der süße Widerschein seiner Seelengüte«. Woher aber die würdigen Züge? Das weltnaschende Kind, voll lächelnder Herzlichkeit für seine Mitmenschen, war ein seriöser Familienvater. Er verbot seinen Kindern jeden musikalischen Unterricht, weil er ihn für »Zeitverlust und luxuriösen Tand« hielt; merkwürdige Worte im Munde dieses großen Verspielten. Im allgemeinen war er auch den Kindern gegenüber tolerant bis zur diplomatischen Grenze. Er hielt nichts von der Philosophie, sah in ihr einen Aberglauben und hatte die Ansicht: ein Kaufmann brauche seinen Kopf fürs Geschäft. Als man ihm die irreligiösen Spötteleien seines Sohnes Harry überbrachte, forderte er nur, daß Harry seinen Atheismus für sich behalte - die Kunden brauchten nicht zu erfahren, daß sein Sohn Gottesleugner sei.

Dies Leben, angelegt auf einen ewigen Sonntag, war doch nicht temperamentvoll, nicht überströmend genug, um die eintönige Abfolge der Alltage in überschäumender Lebenslust zu sprengen. Es kamen strenge Falten in die Rosa-Haut. Er war ein besorgter Epikureer. Die englische Philosophie seiner Zeit lehrte die Einheit von Gutsein, Genießen und Glückseligkeit. Samson Heine hatte dies genießende Gutsein - das der unerbittliche Kant, Vorbote einer zwiespältigeren Zeit, nicht mehr anerkannte. Samson Heine war gut aus Genuß am Gutsein, nicht aus Pflicht. Er bezahlte gern für dies Gutsein; in vollen Zügen atmete er dann den Weihrauch, den ihm dankbare Mitmenschen spendeten; zum Beispiel als dem charmantesten Armenpfleger. Da saß er an manchem dunklen Wintermorgen vor einem mächtigen Tisch, auf dem Geldtüten aller Größen lagen, und legte oft zur kleinen Tüte der Armenkasse noch eine größere Tüte aus der eigenen Tasche. Bevor seine Armen kamen, wechselte er die silbernen Leuchter mit Wachskerzen gegen zwei kupferne Leuchter mit Talglichtern aus; er besaß jene Höflichkeit des Herzens, die nur der Moral-Enthusiast besitzt, die der kategorische Pflicht-Imperativ nicht kennt.

Man hielt ihn für einfältig, weil seine Seele nicht viele Falten hatte: er war nur ein Mann, vor dessen vertrauensvoller Naivität sich das Leben teilte, als er hindurchging. Er bestand nicht aus Vordergrund und Hintergründen; aus Worten, die Gedanken verbergen, und aus Gedanken, die Worte vorschieben; er war ohne Bruch. So kindlich fragte der Vater des berühmt werdenden Poeten: »Wie soll mein Junge aufkommen, wenn man immer und immer von Goethe spricht?« So einfach war dieses erwachsene Kind zu behandeln, daß man Goethes Namen mit dem Namen »Ernst Schulze« überkleben mußte, um ihm die Peinlichkeit zu ersparen, dauernd Goethes Namen im eigenen Hause sehen zu müssen. Ohne Argwohn zu sein ist den meisten Menschen fast so, wie ohne Verstand zu sein. Samson Heine war ohne Argwohn: nicht weil er beschränkt war, sondern weil er aus einer kindlichen, unverwundbaren Sympathie heraus nur Güte kannte.

In einer Handelskrise verlor er viel Geld, ging Anfang der zwanziger Jahre nach Lüneburg, lebte hier in bescheidenen Verhältnissen und starb Ende 1828 in Hamburg. Heinrich Heine bekannte: »er war von allen Menschen derjenige, den ich am meisten auf dieser Erde geliebt«. Vielleicht hat der melancholische Lebensgenießer Heinrich Heine im glücklicheren Vater das Paradies einer zufriedenen Kreatur geliebt.

War Samson die Heiterkeit, die Grazie, die umfriedete Lebensbejahung des achtzehnten Jahrhunderts, so war Betty dieses Jahrhunderts praktische Vernunft, optimistische Aktivität. Die kleine, anmutige, lebhafte Frau war Ende zwanzig, als Samson sie heiratete. Sie stammte aus einer jüdischen Arzt-Familie, die seit Generationen wohlhabend und angesehen war und zur geistigen Elite gehörte. Sie sprach Englisch und Französisch, las Latein, war begeistert für Rousseaus Emile und Goethes Elegien und spielte Flöte. Eine mit Bildung überfütterte, empfindsame junge Dame? Betty Heine war eine selbständige, selbstbewußte, zielsichere Natur. Von den zwölf Hunden, mit denen Samson nach Düsseldorf kam, nahm sie ihm elf; aus dem für Schauspielerinnen und Uniformen Passionierten machte sie einen braven Kaufmann in Manchester. Betty regierte. Sie räumte die Hindernisse aus dem Wege, die der Rabbiner von Düsseldorf der Niederlassung des mittellosen Heine entgegensetzte. War sein Lebenselement Genuß, Hingabe an das Dasein, so war ihr Lebenselement souveränes Handeln, selbständige Gestaltung des Daseins mit Hilfe der eingeborenen Vernunft.

Mit vierundzwanzig schrieb sie an eine Freundin: »Nur der Schwache muß sich auf das große, dennoch aber schwankende Rohr Etikette, stützen. Obgleich ich mit einem alltäglichen Gesicht und Figur auch einen alltäglichen Geist verbinde, so fühle ich dennoch die Kraft, mich über die Chimären Vorurteile, Konvenienz und Etikette hinauszuschwingen und nur den Wohlanstand als die einzige Grenzlinie zu betrachten, um mich alsdann freiwillig unter den Schutz der Religion und Tugend zu...
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Autor

Ludwig Marcuse, geboren 1894 in Berlin, emigrierte 1933 wie viele deutsche Intellektuelle nach Sanary-sur-Mer in Südfrankreich und 1940 in die USA. 1944 wurde er amerikanischer Staatsbürger, später lehrte er als Professor für Philosophie und Deutsche Literatur an der University of Southern California in Los Angeles. Nach der Emeritierung kehrte er 1963 nach Deutschland zurück. Er starb 1971 in München.