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Steine, Gitter, Stimmen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
544 Seiten
Deutsch
Unionsverlagerschienen am20.01.2023
Jizchak Kummer ist hochrangiger Offizier des Inlandsgeheimdienstes Shabak, übergewichtig, mit Brille und Narbe hinter dem Ohr. Er ist zum Islam übergetreten und von seinem letzten Einsatzort Gaza unabgemeldet verschwunden, nachdem ihm Ismail, ein palästinensischer Häftling und wichtiger Informant, entwischt ist. Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. Doch wer ist Ismail, wer ist Kummer wirklich? Der Geheimdienst bestreitet, dass es in seinen eigenen Reihen einen Verräter geben könnte oder dass ein Mann namens Jizchak Kummer überhaupt existiert.

Yitzhak Laor, geboren 1948 in Pardes Hanna nahe Haifa, ist Dichter, Bühnenautor, Romancier und Essayist. 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten. Seine Gedichte, in denen er den Krieg im Libanon verurteilte, und seine Romane wurden von der Kritik begeistert aufgenommen, doch weigerte sich Ministerpräsident Yitzhak Shamir 1990, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten zu überreichen. 1992 erhielt er den Bernstein-Poesiepreis, 1994 den Israelischen Literaturpreis. Er lebt in Tel Aviv.
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Produkt

KlappentextJizchak Kummer ist hochrangiger Offizier des Inlandsgeheimdienstes Shabak, übergewichtig, mit Brille und Narbe hinter dem Ohr. Er ist zum Islam übergetreten und von seinem letzten Einsatzort Gaza unabgemeldet verschwunden, nachdem ihm Ismail, ein palästinensischer Häftling und wichtiger Informant, entwischt ist. Die beiden verbindet eine gemeinsame Vergangenheit. Doch wer ist Ismail, wer ist Kummer wirklich? Der Geheimdienst bestreitet, dass es in seinen eigenen Reihen einen Verräter geben könnte oder dass ein Mann namens Jizchak Kummer überhaupt existiert.

Yitzhak Laor, geboren 1948 in Pardes Hanna nahe Haifa, ist Dichter, Bühnenautor, Romancier und Essayist. 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten. Seine Gedichte, in denen er den Krieg im Libanon verurteilte, und seine Romane wurden von der Kritik begeistert aufgenommen, doch weigerte sich Ministerpräsident Yitzhak Shamir 1990, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten zu überreichen. 1992 erhielt er den Bernstein-Poesiepreis, 1994 den Israelischen Literaturpreis. Er lebt in Tel Aviv.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783293308053
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum20.01.2023
Seiten544 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3585 Kbytes
Artikel-Nr.10899238
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Erstes Kapitel (6. 6. 82)

»Je-ru-sa-lem, Je-ru-sa-lem«


Du Pfeife, es ist Krieg«, kollerte jemand vom Bürgersteig, wo Leute auf die Kolonne starrten, wie lange ist es her, dass Kriege weder nach Tel Aviv gekommen noch von Tel Aviv ausgegangen sind, eine lebenslustige Stadt, hier eine Krankenkasse, ein Café mit Croissants, Sonntagmorgen, man will wissen, was passiert ist, und der, der gebrüllt hat, ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, auf einen Stock gestützt, sein Körper kräftig, trainiert in einem Fitness-Studio, humpelnd, aber muskulös, zuckt mit den Schultern, hat nicht einmal die Absicht, sich zu erklären, er zieht schon nicht mehr in Kriege, aber noch ist Kraft in seiner Brust und auch ein abfälliges Knurren bringt er noch zu Stande, »Du Pfeife, es ist Krieg«, und andere scharen sich um die bereits um den Ausrufer Versammelten, stehen, betrachten die riesigen Ungetüme, die aus dem Meer gekommen sind und über die Stadt ragend einen großen Schatten werfen, gen Westen, da die Sonne noch im Osten steht und das Schaufenster blendet, auf das in der Nacht die Kotze von Besoffenen gespritzt ist und das jetzt auf seinen arabischen Arbeiter wartet, der endlich kommen soll, um es sauber zu machen, lang ist seine Anreise am Morgen, aus seinem Kellerverschlag im Süden der Stadt bis zu dem Café im Norden und nach achtzehn Stunden Arbeit wieder zurück, vielleicht werden sie ja irgendwann einmal große Literatur über ihn verfassen, liberaler Realismus, mal angenommen, eine italienische Autorin, mal angenommen, und die Menge wird immer zahlreicher, Medikamententütchen in den Händen, einer ist sogar aus der Schlange zum Labor ausgeschwenkt und hält einen Becher mit Urin in der Hand, was stört ihn die Pisse? Panzer, Panzer in Tel Aviv, mal schaut man zu ihnen, zu den Ungetümen, und mal zu dem auf seinen Stock gestützten Mann, ein Versehrtenabzeichen am Revers, sie haben einander bereits darauf aufmerksam gemacht, auf die Anstecknadel, und genickt, ein Alter ohne rechten Arm, auch er mit Abzeichen, tritt zu dem Athletischen am Stock, deutet auf seinen Jackenaufschlag, wer weiß, woher und von wann, vielleicht Mitle, vielleicht Faludja, vielleicht ein Verkehrsunfall während des Militärdiensts, ein Privileg erwirbt man durch Qualen, auch im Diesseits, angesichts dieser Panzer, und er, am Stock, das ist genau, was ihm gefehlt hat, einen Versehrtenverein aufzumachen. Und noch dazu wo? Gleich neben der Krankenkasse! Aber er ist nur hier, ein Medikament für seine Frau abzuholen, sein Mund wirkt stolz, seine Brust gedehnt, mit einer Art Vergnügen steht er auf den Stock gestützt, und schon treffen an dieser Ecke welche aus ihren entfernter gelegenen Wohnungen ein, von dort haben sie begierig die Ungetüme verfolgt, fragen mit vorsichtigen Gesten und Kopfnicken jene, die die Schaulustigen beschauen, was passiert ist, dass er so brüllt, das ist kein alltäglicher Anblick, dass ein Mann die Armee anbrüllt, als hätte er nichts anderes zu tun, als stünden hier nicht vier Ungetüme, in deren Macht es liegt, alles zu zerstören, und trotzdem - für einen Moment interessiert allein, warum der Mann mit dem Stock und dem Abzeichen gebrüllt hat, zumal sie von der gegenüberliegenden Seite die Anstecknadel nicht gesehen haben und es auch welche gibt, die nicht zwischen einer Versehrtennadel und jener für Eltern, die ihre Söhne verloren haben, unterscheiden können, doch er ist bereits verstummt, sodass man einander mit einer Kopfbewegung des Nichtwissens antwortet, als sei Sokrates hier vorübergegangen und habe sie durcheinander gebracht, er gegen die Panzer, sein Gesicht zeigt den Groll der Jungen auf die Alten, denn weiter vorne auf dem Bürgersteig, und auch auf der anderen Straßenseite beschließt man zu klatschen, hat am Morgen vom Krieg gehört und jetzt löst sich die Besorgnis auf, sorgt die kollektive Erinnerung für Gänsehaut, und wieder versuchen die riesigen Tieflader, die vier riesige Panzer auf dem Rücken tragen - vielleicht ermutigt sie das Klatschen -, sich in Bewegung zu setzen, begeben sich erneut auf eine gewundene Bahn, dröhnen, drängen Autos und Motorroller an den Straßenrand, brechen sich durch Alleebäume, vertreiben wilde Tauben, der Krieg hat begonnen, und er selbst ist nicht im Mindesten betrübt, dass sie ihn nicht holen, betastet in seiner Tasche die Schmerzzäpfchen für seine Frau, wird sich beeilen, sie in den Kühlschrank zu legen, eines wird sie sofort nehmen, die Ärmste, im Norden ist Krieg, in Tel Aviv herrscht Frieden, und das seine hat er getan, sein Bein hat was abbekommen, seine Frau schreibt in seinem Namen die Briefe an die Versehrtenabteilung, verhandelt mit denen über den niedrigen Behinderungsgrad, den ihm diese Hurenböcke zugestanden haben, und weil ihn erneut jemand fragt, warum er gebrüllt hat, macht er aufgebracht eine wegwerfende Handbewegung, wobei ihm das Für-sich-Behalten des Geheimnisses eine matte Befriedigung verschafft, zusätzlich zu der Befriedigung, die er verspürte, nachdem er den Soldaten angebrüllt hat, denn während seiner gesamten Dienstzeit in der Armee war ihm das nie vergönnt, einen Soldaten anzubrüllen, als sei er der Befehlshaber, und jetzt, mit den Zäpfchen in der Tasche, hat er es getan, weil sich der Soldat an einem Ort aufhält, an dem er nichts verloren hat, denn Bescheid weiß der ja, hat es ganz sicher gehört, und außerdem haben Panzer in Tel Aviv nichts zu suchen, kein Grund, schon am ersten Tag des Krieges verrückt zu spielen.

Die Alten geben es auf, einige bleiben trotz allem noch, würden zu gern wissen, was eigentlich los ist, wenn die Armee Panzer nach Tel Aviv schickt, gibt es bestimmt einen Grund, und andererseits - hätte er nicht gebrüllt, wäre ihnen niemals in den Sinn gekommen, etwas könnte nicht in Ordnung sein, und vielleicht war er ja selbst nicht ganz in Ordnung. Wie auch immer - so ist der Anfang der Geschichte: Ungetüme sind dem Meer entstiegen, jemand hat gebrüllt, jemand anderes will wissen, was das Gebrüll soll, der Brüller will weiterreden, erstickt aber sein Verlangen, die Lust am Ersticken ist größer als die am Entfachen des Feuers, und größer als beide ist ihre Kombination, man bläst das Feuer an und erstickt es zugleich, denkt sich eine Geschichte aus, sprich: was jetzt passiert ist, in aller Kürze oder in epischer Breite, je nachdem, ob es einen Vater gibt und genug Geduld, mit diesem zu reden (oder er ist schon nicht mehr, aber man sehnt sich danach, mit ihm zu reden), oder einen Sohn und plötzlich ist er erwachsen und man erzählt es ihm, wie sehr hatte er sich einen Sohn gewünscht, einen erwachsenen Sohn, aber seine Frau wollte nicht, wenn wir einen Sohn haben, werden wir ins Ausland gehen, hatte sie gesagt, auch sie könnte Stoff für einen Bestseller liefern, mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrer Liebe zu ihm, nicht zu reden von seiner Liebe zu ihr, sie leben ja nur einer für den anderen, arbeiten und arbeiten, doch wofür das Ganze, wenn man keine Kinder hat?

Der schlampige Soldat, der, den man angebrüllt hat, bemerkt seinerseits die Menschenansammlung, hört den Rüffel, »Du Pfeife, es ist Krieg«, weiß, dass er gegen ihn gerichtet ist, blickt zögernd zu den zwanzig Soldaten, die auf den Panzern und in den Fahrerkabinen der Zugmaschinen sitzen, lachen, scherzen, die Passanten veralbern, jedem Busen nachpfeifen, jedem Hintern, und trotzdem, trotz des Rüffels, »Du Pfeife, es ist Krieg«, sucht er weiter nach einer funktionstüchtigen Telefonzelle, denn Panzer haben wir die modernsten auf der Welt, auch Atombomben und auch Heineken vom Fass, aber öffentliche Fernsprecher umso weniger, und seine Augen fallen auf den Besitzer des Stocks, der ihn angekollert hat, sieht seinen aufgerissenen Mund, erschrickt, überlegt, ob er sich wieder in der Fahrerkabine des Panzertransporters verkriechen soll, und beschließt dann, dass er keine Wahl hat, es muss getan werden, denn in Wirklichkeit ist er gar keine Pfeife und der Krieg hat tatsächlich begonnen, als ihn in diesem Moment die Kellnerin aus dem Café ruft, wo das neue öffentliche Komitee gegen religiöse Bevormundung tagt, eine Abspaltung des alten öffentlichen Komitees gegen religiöse Bevormundung, dessen Gründer ein Manifest verfassen, das in den vier Monaten der Abspaltung bereits etliche Veränderungen erfahren hat. Leidental konzentriert sich auf den Versuch, die passende Formulierung zu finden, und Smira, die Kellnerin, raucht angesichts der Panzer die nächste Zigarette und ruft ihm zu: »Komm Soldat, hier gibts ein Telefon, umsonst«, um gleich dem Inhaber zu versichern: »Ich zahle, du Geizhals.« Der Soldat dankt ihr, wegen Bürgern wie ihr, die ein gutes Herz haben, wird er es mehr oder weniger rechtzeitig zum Krieg schaffen, »Ich danke Ihnen«, und zwanzig und irgendwas Soldaten starren ihn an, als er telefoniert, bedeuten ihm auch mit den Händen, was er mit ihr machen soll, offene Handflächen schließen sich bei derben Stößen um geballte Fäuste, fick sie, und nicht nur der Mann, der ihn angefahren hat - auch sein Vater, am Telefon, verspottet ihn wie immer, sodass er nicht weiß, ob er ihm mitten im Satz den Hörer aufknallen und im Krieg sterben gehen soll, damit sein Vater an seinem Kummer krepiert, oder ihm beweisen soll, dass er auch ohne ihn klarkommen kann und mit seinen Qualen Stoff für eine Novelle abgeben könnte, dank der Charakterisierung, denn was ist die Gestalt wenn nicht eine literarische Schöpfung, und außerhalb der Literatur existieren keine Gestalten, aber mehr als alles andere will er beide Dinge zugleich, will als Toter des Nachts auftreten und im Leben das Gewissen des Vaters peinigen, will ihn in den Nächten terrorisieren und das ganze Leben lang jungenhaft...


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Autor

Yitzhak Laor, geboren 1948 in Pardes Hanna nahe Haifa, ist Dichter, Bühnenautor, Romancier und Essayist. 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten. Seine Gedichte, in denen er den Krieg im Libanon verurteilte, und seine Romane wurden von der Kritik begeistert aufgenommen, doch weigerte sich Ministerpräsident Yitzhak Shamir 1990, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten zu überreichen. 1992 erhielt er den Bernstein-Poesiepreis, 1994 den Israelischen Literaturpreis. Er lebt in Tel Aviv.

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