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Radikale Inklusion - Ein Plädoyer für Gerechtigkeit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
128 Seiten
Deutsch
Leykam Buchverlagerschienen am27.02.2023
Wünschen Sie sich eine gerechte Welt? Inklusion, Solidarität und Gerechtigkeit lassen sich am besten radikal denken. Inklusion ist das Modewort unserer heutigen Zeit: Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen treffen sich zu Inklusions-Dialogen, novellierte ehemalige 'Behinderten'-Gesetze tragen nun das Schlagwort, allerorts möchte man fortschrittlich, fair und sozial erscheinen. Ohne Inklusion geht es nicht mehr. Aber leider beschränkt sich der Inklusionshype auf kosmetische Veränderungen: Beinahe nirgends, wo Inklusion draufsteht, ist Inklusion drin. Radikale Inklusion stellt unser Gesellschaftsystem in Frage: Wer profitiert und wer verliert unter den vorherrschenden Verhältnissen? Wie schaffen wir gleichberechtigte Teilhabe? Wir müssen eine Alternative wider die Ausgrenzung gestalten und den Paternalismus durch Empowerment, Inklusion und Allyship überwinden. Unser System ist eine Barriere für Inklusion. Inklusion ist ein Menschenrecht: Streitschrift für eine gerechte und solidarische Gesellschaft.

Hannah Wahl, Jahrgang 1992, studierte Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Universität Salzburg. Als freie Journalistin schreibt sie über Menschenrechte, Inklusion und Gesellschaftspolitik für verschiedene Fach-, Online- und Printmedien. Die Wahlwienerin ist seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verantwortlich. Als Redakteurin im Filmbereich entwickelt sie seit 2020 Konzepte und schreibt Texte für Dokumentationen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextWünschen Sie sich eine gerechte Welt? Inklusion, Solidarität und Gerechtigkeit lassen sich am besten radikal denken. Inklusion ist das Modewort unserer heutigen Zeit: Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen treffen sich zu Inklusions-Dialogen, novellierte ehemalige 'Behinderten'-Gesetze tragen nun das Schlagwort, allerorts möchte man fortschrittlich, fair und sozial erscheinen. Ohne Inklusion geht es nicht mehr. Aber leider beschränkt sich der Inklusionshype auf kosmetische Veränderungen: Beinahe nirgends, wo Inklusion draufsteht, ist Inklusion drin. Radikale Inklusion stellt unser Gesellschaftsystem in Frage: Wer profitiert und wer verliert unter den vorherrschenden Verhältnissen? Wie schaffen wir gleichberechtigte Teilhabe? Wir müssen eine Alternative wider die Ausgrenzung gestalten und den Paternalismus durch Empowerment, Inklusion und Allyship überwinden. Unser System ist eine Barriere für Inklusion. Inklusion ist ein Menschenrecht: Streitschrift für eine gerechte und solidarische Gesellschaft.

Hannah Wahl, Jahrgang 1992, studierte Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Universität Salzburg. Als freie Journalistin schreibt sie über Menschenrechte, Inklusion und Gesellschaftspolitik für verschiedene Fach-, Online- und Printmedien. Die Wahlwienerin ist seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verantwortlich. Als Redakteurin im Filmbereich entwickelt sie seit 2020 Konzepte und schreibt Texte für Dokumentationen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701182961
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum27.02.2023
Reihen-Nr.1
Seiten128 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse669 Kbytes
Artikel-Nr.11134274
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Was bedeutet Inklusion heute also tatsächlich? Wie leben Menschen mit Behinderungen?

Viele Menschen mit Behinderungen leben in Sonderstrukturen. Einmal darin untergebracht, ist es schwer, einen Ausweg zu finden: Heilpädagogischer Kindergarten, Sonderschule, Werkstätten und Heim. Für viele Menschen mit Behinderungen sind das die vorstrukturierten Stationen in ihrem Leben. Anders zu leben, wird besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten (ein falscher, diskriminierender Begriff für diese Gruppe ist Menschen mit geistiger Behinderung ) weder zugetraut noch angeboten. Jedoch bieten Peer-Beratungsstellen, bei denen Menschen mit Behinderungen andere Menschen mit Behinderungen beraten, unabhängige, offene und gemeinsame Entscheidungsfindung an. Zum Beispiel dann, wenn jemand nicht mehr in einem Heim leben möchte. Nur die wenigsten institutionell untergebrachten Menschen wissen, dass sie grundsätzlich nicht in Einrichtungen leben müssen. Dabei gibt es eine Vielzahl guter Gründe, weshalb diese Art der Unterbringung nicht erstrebenswert ist: Das Leben verläuft in starren Strukturen und unterliegt Regeln, die den Handlungsspielraum der Bewohner*innen massiv einschränken. Die Privatsphäre ist begrenzt, weshalb es oft schwierig ist, Liebes- und/oder Sexualbeziehungen zu führen. Grundsätzlich unterliegt die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit den Strukturen im Heim.

Es scheint, als wäre es in unserer Gesellschaft schier undenkbar, dass Menschen mit Behinderungen und besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten Teil von Nachbarschaften sind. Die Inklusionseuphorie verfliegt schnell, wenn Entscheidungsträger*innen klar wird, dass bestehende Parallelwelten für eine gelingende Inklusion nachhaltig aufgelöst werden müssen. Stattdessen wird versucht, mit den besonderen Bedürfnissen , die diese Menschen angeblich haben, zu argumentieren. Aussondernde Institutionen werden in ihrem Narrativ zu Schutzräumen, die sie nicht sind.

Diese Art der Unterbringung in Sonderstrukturen birgt ein hohes Risiko, physische, psychische und sexualisierte Gewalt zu erfahren, zeigt eine Studie des österreichischen Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS).7 Es wurden 376 erwachsene Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen leben oder arbeiten, befragt - die Ergebnisse waren wenig erstaunlich, aber dennoch wichtig, um zu belegen, wovor Menschenrechtsexpert*innen schon lange warnen: Vier von zehn Personen teilten mit, mindestens einmal in ihrem Leben schwere Formen körperlicher Gewalt erlebt zu haben. Das bedeutet, beispielsweise geschlagen, verprügelt oder absichtlich mit heißer Flüssigkeit verbrannt zu werden. Menschen, die wenig oder nicht mobil und auf Unterstützung in der Körperpflege angewiesen sind, sind besonders gefährdet: Mehr als acht von zehn dieser Personen waren psychischer Gewalt ausgesetzt. Bei sechs von zehn ging es um eine schwere Form, beispielsweise gefährliche Drohung oder hartnäckige Belästigung. Jede*r Dritte erfuhr laut Befragung schwere sexualisierte Gewalt mit direktem Körperkontakt bis hin zu Vergewaltigungen. Frauen mit Behinderungen sind von dieser Gewaltform deutlich häufiger bedroht als Männer. Wer übte die Gewalt aus? Angeführt wurden vor allem Mitbewohner*innen oder, in geringerem Maße, Betreuer*innen in Einrichtungen, im Ausbildungsbereich Mitschüler*innen, Familienangehörige sowie unbekannte Personen im öffentlichen Raum.

Im Laufe der Zeit haben sich einzelne Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen verbessert: Es gibt immer mehr Einzelzimmer, Platz für persönliche Gegenstände und häufig eine baulich-barrierefreie, moderne Wohnumgebung. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Funktion der Heime, betrachtet man die historische Entwicklung, unverändert blieb. Sie ist auf die Verwahrung nach dem Prinzip warm, satt, sauber ausgerichtet, auch wenn die Art der Verwahrung vermeintlich mehr Komfort bietet und damit leichter verhüllt, dass Institutionen Teil der ausgrenzenden Maschinerie sind. Sie verhindern, dass sich Menschen mit und ohne Behinderungen in Räumen der Öffentlichkeit begegnen: beim Einkaufen, beim Spazierengehen oder in Lokalen. Innerhalb unserer Gesellschaft existiert eine, bildlich gesprochen, hermetisch abgeriegelte Blase, in der Menschen mit Behinderungen unter sich bleiben (müssen). Begründet wird das mit dem angeblichen Schutz, den Einrichtungen aber nicht bieten. Es muss festgestellt werden: Wir können Institutionen nicht so reformieren, dass sie den Menschenrechten entsprechen. Es gibt keine Inklusion ohne De-Institutionalisierung.

Auch der UN-Fachausschuss kritisierte bei der letzten Staatenprüfung Österreichs, dass bislang keine ernstzunehmende Strategie zum Abbau von Sondereinrichtungen stattfand und verweist in regelmäßigen Abständen auf die UN-BRK. In Deutschland ist die Situation nicht anders.8

Besonders erschwert wird das selbstbestimmte Leben außerhalb von Sondereinrichtungen, wenn, wie in Österreich, kein bundesweiter Rechtsanspruch auf bedarfsgerechte Persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen besteht. Assistent*innen unterstützen zum Beispiel bei alltäglichen Aufgaben im Haushalt und führen Handlungsanleitungen im Job aus. Welche Tätigkeiten Assistent*innen genau leisten, ist individuell und wird mit dem*der Auftraggeber*in, der Person mit Behinderungen, vereinbart. Sie nehmen die anleitende Rolle in diesem Verhältnis ein und bestimmen was wann passiert. Dadurch bricht das Konzept der Persönlichen Assistenz mit Bevormundung und fremdbestimmter Betreuung. Einer Person, die einen Rollstuhl nutzt und jeden Morgen zur Arbeit fährt, wird die Assistenz die U-Bahn-Tür öffnen. Andere Personen benötigen Unterstützung bei der Körperhygiene oder beim Toilettengang. Wieder andere erreichen im Supermarkt die Produkte der obersten Regale nicht. Will ein Mensch mit Behinderungen Zigaretten oder Alkohol kaufen, so unterstützt die Assistenz auch dabei, ohne zu maßregeln. Nicht in jedem Museum sind Braille-Schrift, Tastbilder oder taktile Leitsysteme vorhanden. Darum unterstützt die Assistenz einen blinden Menschen zum Beispiel, indem sie Gegenstände und Bilder beschreibt oder den dazugehörigen Text vorliest. Persönliche Assistenz bricht mit den Machtstrukturen der Institutionen und ist daher ein zentraler Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Das eigenständige Wohnen, allein oder mit dem*der Lebenspartner*in, wird zur greifbaren Option. Dennoch ist es seit über 15 Jahren nicht gelungen, allen Menschen mit Behinderungen, unabhängig von ihrem Wohnort, ihrer Behinderungsart und ihrem Behinderungsgrad , diese Leistung zur Verfügung zu stellen. Stattdessen werden Pilotprojekte initiiert, die weder flächendeckend in allen Bundesländern sind noch Menschen unabhängig von ihrer Behinderungsart zur Verfügung gestellt werden.

Die Österreicherin Monika Rauchberger hat selbst in Heimen gelebt und in einer Werkstätte gearbeitet. Mittlerweile wohnt sie zusammen mit ihrem Lebenspartner in einer eigenen Wohnung und nimmt Persönliche Assistenz in Anspruch. Die 51-Jährige ist Leiterin der Tiroler Peer-Beratungsstelle wibs, bei der Menschen mit Behinderungen andere Menschen mit Behinderungen beraten und unterstützen. Ihr ist es wichtig, dass auch andere Wohnformen bekannter werden. Selbstbestimmung heißt, die Kontrolle über das eigene Leben haben. Ich kann jetzt essen, was ich will und wann ich will, ich gehe ins Bett, wann und mit wem ich will. Niemand soll uns das eigene Leben abnehmen 9, stellt sie klar. Im Heim habe sie selbst Gewalt erfahren: Das Essen wurde mir in den Mund gestopft, oft wäre ich dabei fast erstickt. Auch das Erbrochene haben sie mir zurück in den Mund gestopft. 10

Im Mai 2017 gebar eine 20-jährige Frau mit Lernschwierigkeiten ihren Sohn in der Steiermark, Österreich. Zwei Tage später erhielt die Mutter, wie sie sagt, ohne jegliches Wissen und Einverständnis, Abstilltabletten. Nach einer Woche wurde das Kind in Krisenpflege gegeben, und die Eltern verloren die Obsorge (in Deutschland Sorgerecht).11 Menschen mit Lernschwierigkeiten wird oft nicht erlaubt , eine Zukunft als Familie zu planen. Viele fürchten sich vor einer Kindesabnahme und davor, keine Unterstützung zu erhalten. Während diese Lebensentscheidungen für Menschen in Sondereinrichtungen aus strukturellen Gründen ausgeschlossen werden sollen, wird Menschen außerhalb von Einrichtungen oft vermittelt, dass ein Leben als Familie für sie nicht zu bewältigen sei. Dem kann man bedingt zustimmen, denn nach wie vor fehlen im UN-BRK-Vertragsstaat Österreich funktionierende Modelle zur Begleiteten Elternschaft, Elternassistenz und umfassende Persönliche Assistenz.12 Statistische Angaben über Elternschaft von Menschen mit Behinderungen in Heimen sowie außerhalb dieser sind in Österreich und Deutschland nicht vorhanden. Dafür gibt es Vermutungen, dass auch heute noch viele Frauen mit Behinderungen in Deutschland zur Sterilisation überredet werden.13 In...
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Autor

Hannah Wahl, Jahrgang 1992, studierte Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Universität Salzburg. Als freie Journalistin schreibt sie über Menschenrechte, Inklusion und Gesellschaftspolitik für verschiedene Fach-, Online- und Printmedien. Die Wahlwienerin ist seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verantwortlich. Als Redakteurin im Filmbereich entwickelt sie seit 2020 Konzepte und schreibt Texte für Dokumentationen.
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Wahl, Hannah