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Solidarität

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
104 Seiten
Deutsch
Verlag Kremayr & Scheriauerschienen am10.03.2023
Wir haben nur uns. Solidarität ist die Einsicht, dass die Ausgebeuteten, die Verdammten dieser Erde nur eine einzige Möglichkeit haben, ihre Rechte durchzusetzen: indem sie Mehrheiten bilden. Unsere alten Gewissheiten zerbrechen aktuell an vielgestaltigen Krisen. Dem beizukommen wäre vornehmste Aufgabe der Politik. Doch die stellt sich kein gutes Zeugnis aus: Die einen klammern sich an den Glauben, dass die verlorene Normalität rückholbar ist. Die anderen wollen die Krisen mit Individualismus oder autoritären Maßnahmen meistern - und bedrohen damit den Rechtsstaat. Natascha Strobl plädiert für einen dritten Weg: eine gemeinsame, antikapitalistische Klammer. Denn die Art, wie wir leben, produzieren und wirtschaften, muss sich grundsätzlich ändern. Das muss nichts Schlechtes bedeuten, wenn die Lösung echte Solidarität ist - ein kollektiver Wert, der individuelle Befindlichkeiten überwindet.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin mit Wohnsitz Wien. Sie schreibt u.a. für Zeit online, die taz und den Standard. Auf Twitter veröffentlicht Strobl unter #NatsAnalyse Ad-hoc-Analysen zu rechter Sprache und rechten Strategien, mit denen sie über 170.000 Follower:innen erreicht. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt erschien der Bestseller 'Radikalisierter Konservatismus', für den sie den Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 erhielt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextWir haben nur uns. Solidarität ist die Einsicht, dass die Ausgebeuteten, die Verdammten dieser Erde nur eine einzige Möglichkeit haben, ihre Rechte durchzusetzen: indem sie Mehrheiten bilden. Unsere alten Gewissheiten zerbrechen aktuell an vielgestaltigen Krisen. Dem beizukommen wäre vornehmste Aufgabe der Politik. Doch die stellt sich kein gutes Zeugnis aus: Die einen klammern sich an den Glauben, dass die verlorene Normalität rückholbar ist. Die anderen wollen die Krisen mit Individualismus oder autoritären Maßnahmen meistern - und bedrohen damit den Rechtsstaat. Natascha Strobl plädiert für einen dritten Weg: eine gemeinsame, antikapitalistische Klammer. Denn die Art, wie wir leben, produzieren und wirtschaften, muss sich grundsätzlich ändern. Das muss nichts Schlechtes bedeuten, wenn die Lösung echte Solidarität ist - ein kollektiver Wert, der individuelle Befindlichkeiten überwindet.

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin mit Wohnsitz Wien. Sie schreibt u.a. für Zeit online, die taz und den Standard. Auf Twitter veröffentlicht Strobl unter #NatsAnalyse Ad-hoc-Analysen zu rechter Sprache und rechten Strategien, mit denen sie über 170.000 Follower:innen erreicht. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt erschien der Bestseller 'Radikalisierter Konservatismus', für den sie den Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 erhielt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783218013796
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum10.03.2023
Seiten104 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse960 Kbytes
Artikel-Nr.11184986
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1
Zeitdiagnose: Was passiert hier gerade?

Zu sagen, wir leben in Krisenzeiten, ist eine grobe Untertreibung. Energiekrise, Inflation, Pandemie, Rezession, Krieg in der Ukraine und über allem die Klimakrise. Diese verkürzt zudem drastisch die Zeit, die bleibt, um alle anderen Krisen zu lösen. Es ist also nicht eine Krise, sondern es sind viele Krisen, die sich gerade entfalten. Sie gehen ineinander über, türmen sich auf, verstärken einander und werden so zu einem großen, scheinbar undurchdringlichen Nebel, der unsere Gegenwart ist. Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. Denn sehr viele dieser Krisen sind nicht neu. Im Gegenteil, für viele Menschen waren sie schon immer präsent.

Neu ist allerdings, dass ein kollektives Wir ihre Auswirkungen spürt. Das bedeutet, dass die Krisen so evident geworden sind, dass sie nicht mehr zu leugnen sind, da sie sich Tag für Tag vor einer globalen Öffentlichkeit abspielen. Die Krise ist die Normalität. Die Krisen sind die Normalität. Die Auswirkungen vieler Krisen sind für sehr viele Menschen aber längst nichts Neues. Die Klimakrise ist für zahlreiche Länder des Globalen Südens seit Jahrzehnten ein Problem. Soziale Krisen und prekäre Arbeitsverhältnisse sind innerhalb unserer Gesellschaft schon seit langer Zeit für jene spürbar, die nicht zu den privilegierteren Schichten gehören. Neu ist allerdings, dass diese Krisen aus dem Dunklen ins Licht gerückt sind. Neu ist auch, dass die Krisenerfahrung nicht mehr partikular, sondern kollektiv ist. Die Krisen (be-)treffen fast alle.

Krisen sind sehr viel Gegenwart und wenig Zukunft oder Vergangenheit. Das bedeutet, dass die (scheinbar) gute Vergangenheit kaum mehr erinnerlich ist. Wie war das vor der Pandemie? Es wirkt wie ein halbes Leben her. Dabei war das 2019. Genauso kommt uns aber auch die Zukunft abhanden. Es gibt keine auch nur halbwegs gesicherte Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen könnte. Vieles ist möglich, nichts ist sicher. Gleichzeitig passiert an einem Tag so viel, kommen neue Unsicherheiten hinzu, sodass sehr viel Energie schon mit der Aufrechterhaltung der eigenen Normalität verbraucht wird. Krise bedeutet eben nicht die große Heldengeschichte, sondern (Über-)Leben. Irgendwie durchkommen. Irgendwie Mittel und Wege finden. Krise bedeutet auch, dass Selbstverständlichkeiten zur Disposition stehen. Laurie Penny beschreibt dieses Gefühl wunderbar in ihrem Pandemie-Essay This is not the Apocalypse you were looking for: It s the end of the world as we know it, and everything feels fine - not fine, like chill, but fine like China, like glass, like thread. Everything feels so fine, and so fragile, and so shockingly worth saving. 4

Wie ist es dazu gekommen, dass wir in einer stahlharten Glaswelt leben?

Die unmittelbare Nachkriegszeit brachte für Deutschland und Österreich die Aufgabe, die (neuen) Verhältnisse zu stabilisieren und demokratische Institutionen und Strukturen (wieder) aufzubauen. Sprich: Versorgung sicherstellen, Wirtschaften aufbauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt erschaffen. Die Übereinkunft über diese Notwendigkeiten und einen Ausgleich verschiedener und teilweise gegensätzlicher Interessen wurde vor allem jeweils von zwei Großparteien getroffen - einer sozialdemokratischen und einer konservativen. Bei allen nationalen Spezifika haben sich Parteien dieser Parteienfamilien als jene herauskristallisiert, die das Nachkriegssystem aufbauten und stabilisierten. Der Nachkriegskonsens basiert auf der Balance zwischen einem Wirtschaftssystem, das auf ökonomischer Ungleichheit aufbaut, und einem politischen System, das versucht, möglichst viel Gleichheit herzustellen. Ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, gepaart mit starken Sozialstaaten. Dieser politische Konsens sorgte tatsächlich für Stabilität. Zumindest eine Zeitlang. Doch diese Stabilität war schon damals von Ein- und Ausschlüssen geprägt und hatte ihren Preis. So wurden Arbeitskämpfe in Verhandlungen nivelliert und wegverhandelt, statt am Arbeitsplatz ausgetragen zu werden.5 Der Konsens ging auch zulasten von Frauen, die in konservative Familienmodelle und finanzielle Abhängigkeiten gedrängt wurden. Der Mann geht arbeiten und die Frau bleibt daheim. Vielleicht gönnt sie sich ein, drei, fünf Gläser Schnaps, um das Leben im konservativen Nachkriegsmief zu ertragen. Diese Zeit des Wirtschaftswunders wird auch heute noch oft gesellschaftspolitisch verklärt. Die notwendigen Arbeitskräfte für den Wirtschaftsaufschwung kamen jedoch aus anderen Ländern, das Wunder war nur mit ihnen möglich.6 Gastarbeiter:innen wurden händeringend gesucht und dann ohne Integrationsmaßnahmen oder Staatsbürgerschaftsrechte in west- und mitteleuropäische Länder gebracht. Die irrige Idee war, dass diese Leute nur zu Gast waren und danach auch wieder zurückgehen würden. Was auch immer dieses Danach sein sollte: Es ist so nicht eingetreten. Denn es kamen Menschen an, wie es der türkische Musiker Cem Karaca 1984 in seinem gleichnamigen Lied ausdrückte.7

Der wirtschaftliche Aufschwung der Länder West- und Mitteleuropas, insbesondere der Täterstaaten des Zweiten Weltkriegs, beruhte also auf klaren Rollenzuweisungen an Frauen und wurde auf den Schultern der Gastarbeiter:innen erarbeitet.

Die politische Stabilisierung, die mit der wirtschaftlichen einherging, basierte nicht zuletzt auf Verdrängung und Vertuschung. Gab es bei den ersten, von den Alliierten durchgeführten Prozessen gegen NS-Täter:innen noch klare Urteile bis hin zu Todesstrafen, so begnügte man sich bald mit einem symbolischen Klaps auf die Finger und dem Wunsch nach Verzeihen, bis es in den 60er-Jahren zu den Auschwitz-Prozessen kam, für die Fritz Bauer als Chef der Anklagebehörden verantwortlich zeichnete.8 Dieses Verzeihen wurde allerdings den Täter:innen ausgesprochen. Symbolhaft dafür war das Ringen der Volksparteien um ehemalige NSDAP-Mitglieder oder die vielen ungebrochenen Karrieren von Teilen der wirtschaftlichen, akademischen und kulturellen Elite der NS-Zeit in Österreich oder der BRD. Die Opfer und ihre Hinterbliebenen mussten hingegen noch sehr lange um Würde, Anerkennung und Entschädigung kämpfen. Auch das ist eine Wahrheit der unmittelbaren Nachkriegszeit. So ist es auch zu verstehen, dass die alliierte Besatzung diskursiv lange mit der NS-Zeit gleichgesetzt wurde. Dabei wurde nicht etwa der 8. Mai 1945 symbolisch als Ende des Nazi-Terrors festgeschrieben, sondern stattdessen das Ende der Besatzungszeit mit dem Ausruf Österreich ist frei verknüpft. Der Austrofaschismus kam in dieser Opferrolle gar nicht vor, denn irgendwie waren ja alle ein bisschen Opfer. Vor allem man selbst. Für die echten Opfer war so lange kein Platz.9

Das System funktionierte, weil es über lange Zeit ein Versprechen einlösen konnte: Der nächsten Generation sollte es besser gehen als der davor. Dieses Versprechen war immer prekär, aber konnte eingelöst werden. In der Wirtschaftswunder -Generation konstant, danach immerhin noch sukzessive. In Österreich trugen die gesellschaftspolitischen Reformen der Kreisky-Zeit dazu bei, dass sich Kinder aus Arbeiter:innenfamilien sozialen Aufstieg erarbeiten konnten. Mit der Durchsetzung des Neoliberalismus ab Ende der 80er endete dieses Aufstiegsversprechen, auch wenn das nicht gleich offensichtlich war. Vielmehr wurde mit dem Niedergang der Sowjetunion und anderer Ostblockstaaten das Ende der Geschichte verkündet (was für ein Irrtum von Francis Fukuyama).10 Die kapitalistische Aufbruchstimmung der 90er-Jahre erfasste auch die sozialdemokratischen Parteien. Statt Solidarität und Organisierung wurden Eigenverantwortung und Privatisierung ausgelobt. Jeder und jede sollte für sich als kleine:r Unternehmer:in Aktiendepots anlegen und auf den Weltmärkten navigieren. Das alles aber immer in Konkurrenz zu allen anderen. Statt den Sozialstaat als Gegengewicht zum kapitalistischen Markt zu schützen, wurden Sozialleistungen wettbewerbsfähig gemacht und Daseinsvorsorge privatisiert. Unter dem Schlagwort des Dritten Wegs machten sich die einstigen Arbeiter:innenparteien Deutschlands und Großbritanniens daran, den Sozialstaat in einem Ausmaß abzubauen, wie es nicht einmal den Konservativen zuvor gelungen war.11 Die vielen historischen Fehler und die damit verbundene Goldgräberstimmung sind aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Die Party ging bis 2008.

Nach gut dreißig Jahren Neoliberalismus kam der unvermeidliche Crash. Revolution lag in der Luft. Mit Müh und Not wurde das Finanzsystem gerettet. Ein Zusammenbruch hätte sich längst nicht auf den Banken- und Kreditsektor beschränkt, sondern das gesamte Wirtschaftssystem zerstört. Also wurden all jene Finanzinstitute gerettet, die too big too fail waren, während gleichzeitig Millionen Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten und die Immobilien-Bubble platzte.

Die Auswirkungen dieses Crashs auf die Gegenwart sind gar nicht zu...
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Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin mit Wohnsitz Wien. Sie schreibt u.a. für Zeit online, die taz und den Standard. Auf Twitter veröffentlicht Strobl unter #NatsAnalyse Ad-hoc-Analysen zu rechter Sprache und rechten Strategien, mit denen sie über 170.000 Follower:innen erreicht. Sie veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt erschien der Bestseller "Radikalisierter Konservatismus", für den sie den Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 erhielt.